Die Anfänge: 1893 wurden die ersten Aktien zu je 1000 Reichsmark ausgegeben.

Zur Vulkan-Pleite vor 20 Jahren: Von den Anfängen 1893 bis zum Kriegsende 1945

Ohne Tricks, Subventionen, Kriege, Politiker, Container und die Wende wäre der Großschiffbau schon früher am Ende gewesen.

Immer wenn große Emotionen im Spiel sind, hilft Zeitabstand zur gerechten Betrachtung. Welcher Bremer erinnert sich nicht an den weinenden Bürgermeister Hans Koschnick im Arm des Betriebsratsvorsitzenden Hans Ziegenfuß, der ihm vor laufenden Fernsehkameras im Hauptgebäude der Großwerft AG „Weser“ sein SPD-Parteibuch in die Hand drückte? Oder, nur wenige Kilometer weiter nördlich und mehr als ein Jahrzehnt später an den ehemaligen SPD-Staatsrat aus dem Wirtschaftsressort, den der Koschnick-Nachfolger Wedemeier zum Finanzvorstand der verbliebenen Bremer Großschiffbau-Betriebe und später zum Vorstandsvorsitzenden machte? Friedrich Hennemann – Sozialdemokrat, Volkswirt und Apotheker als Buhmann – Schuld an einer der größten Nachkriegspleite in Deutschland?

Die Angst um Arbeitsplätze, die Förderung der Wirtschaft, die Verbesserung der Volksernährung (Fischerei), der Erhalt des Wirtschaftsstandortes oder schlicht die Belieferung von Kriegen und kriegerischen Auseinandersetzungen – bestimmten während der letzten Jahrzehnte die Aufträge für deutsche und andere Marinen. Die Politik war und ist stets bereit, korrigierend in den Schiffbaumarkt einzugreifen. Dieses Manuskript blickt 20 Jahre nach dem Ende der Geschichte der Bremer Vulkan AG auf die „staatliche Begleitung“ des zeitweise wichtigsten Arbeitgebers der Region.

Vielleicht charakterisiert nichts den Bremer Vulkan so sehr, wie ein glaubhaft übermittelter Dialog zwischen zwei ehrbaren Bremer Kaufleuten – allerdings vor rund 120 Jahren, in den frühen 90er Jahren des 19. Jahrhunderts: „Es mag wohl drei Jahre her sein, als an einem Abend, an dem ich gerade in voller Arbeit war, mein verehrter Freund Bernhard Loose ins Kontor kam und sagte: ‚Kommen Sie! Haben Sie Lust? Wir wollen eine Schiffswerft kaufen. – Das wäre doch das Letzte bei diesen trostlosen Aussichten, erwiderte ich ihm. „Da haben Sie Recht. Aber wenn wir die Schiffswerft halb geschenkt bekommen?“ – „Nun, dann will ich kein Spielverderber sein und will mir das Weitere überlegen.“ Die Erzählung von Franz Schütte zur Gründung der Aktiengesellschaft Bremer Vulkan fiel in die Zeit des größten industriellen Umbruchs an der Küste.

Der Namensgeber zu Besuch: Vom Stapellauf des neuen Lloyddampfers „Zeppelin“ auf der Bremer Vulkanwerft in Vegesack. v. l..: Philipp Heineken, Generaldirektor des Norddeutschen Lloyd, Ferdinand Graf Zeppelin und Direktor Nawatzki besichtigen das Schiff.
Quelle: Wikimedia/Bundesarchiv Koblenz

Dutzende Werften an der Weser

Über Jahrhunderte hatten Dutzende Werften, fast alle Familienbetriebe, das Bild an der Weser bestimmt. Segler mit Holzrumpf, später auch aus Stahl, aber stets vom Wind getrieben. Ende der 1880er Jahre änderte sich das Bild. Die bis zu 80 Meter langen Barken und Vollschiffe erhielten Maschinenunterstützung und die Werften mit eigener Kesselschmiede waren deutlich im Vorteil. Aus der Vegesacker Werft H.F. Ulrichs war die Bremer Schiffbaugesellschaft entstanden, exakt auf der politisch so interessanten Grenze zwischen Bremen und Preußen im Ortsteil Fähr. Die bisher größte Vegesacker Werft hatte keinen Maschinenbau. Bei Johann Lange an der Lesummündung stehen in den frühen 1880er Jahren nur kleine Segler im Auftragsbuch, teilweise auf eigene Rechnung gebaut, also für die familieneigene Reederei des Schiffbauers. Die „Lösung“ war die Gründung der Aktiengesellschaft Bremer Vulkan, Schiffbau- und Maschinenfabrik.

Am 23. Oktober 1893 ließen sie dazu das Unternehmen mit einem Grundkapital von 300.000 Mark in das Bremer Handelsregister eintragen. Es wurden 300 Aktien zu je 1.000 Mark ausgegeben. Von den zehn Gründungsaktionären hielten: Schütte 60 Aktien, Loose 42, der Reeder Wätjen und der Schiffsmakler Bunnemann je 30, der Reeder Bischoff aus Vegesack, der Papenburger Werftbesitzer Jos. L. Meyer sowie der Schiffbauingenieur Victor Nawatzki je 24 und ein Rechtsanwalt Danziger 18 Aktien. Von der Bremer Wollkämmerei beteiligte sich deren Vorstand Paul Zschörner mit 30 Aktien und der Vegesacker Werftbesitzer Friedrich Ulrichs übernahm weitere 18 Anteilscheine.

Der Bremer Vulkan, nach dem erfolgreichen Vorbild des Stettiner Vulcan benannt, beginnt mit 60 Mitarbeitern. Die Gründung des Unternehmens fiel in eine sehr flaue Geschäftsphase. Es gab keinen nennenswerten Auftragsbestand, die Werft musste modernisiert werden, bevor sie sich an den Bau von Seedampfern heranwagen konnte, berichtet das Haus Herm. Dauelsberg in seiner 100-jährigen Firmenchronik aus den Erinnerungen von C. Aug. Bunnemann, einem der Gründungsaktionäre. Die Bauliste besteht in dieser Zeit allein aus Klappschuten, die für das Bremer Unternehmen Conradi, Lehmann und Poppe zu bauen sind. Was gesucht wurde, waren jetzt potente Kunden für die Werft.

Das vielleicht ungewöhnlichste Schiff des Ersten Weltkrieges kam als „SMS CYCLOP“ („Seiner Majestät Schiff CYCLOP“) als U-Boot-Dockschiff zum Einsatz. Der einzige Einsatz, über den das Kriegstagebuch für den Ersten Weltkrieg berichtet, fand wohl unmittelbar vor Kriegsende im Oktober 1918 statt. Nach einem Ramm-Stoß des „kleinen Kreuzers FRANKFURT“ wurde das U-Boot SM UB 89 vor der Holtenauer Schleuse versenkt und vier Tage später von CYCLOP geborgen. Die Baugeschichte dieses Schiffes, das vor genau 100 Jahren in Vegesack in Dienst gestellte wurde, ist deutlich spektakulärer!

Subventionen aus Berlin kommen gerade richtig

Da kamen die Subventionen aus Berlin für den Bau von Fischereifahrzeugen gerade richtig! Im Prinzip waren es dieselben Bremer Kaufleute, die schon den Bremer Vulkan aus der Taufe gehoben hatten, die nun die Bremen-Vegesacker Fischerei-Gesellschaft als Aktiengesellschaft mit einem Grundkapital von 450.000 Mark begründeten.

Sogar 3 Millionen Mark als Grundkapital erhielt die zweite Gründung von Vulkan-Gesellschaftern. Die Deutsche Dampffischereigesellschaft Nordsee mit Sitz in Nordenham erteilte dem Bremer Vulkan den Auftrag zum Bau von 16 Fischdampfern, die Fischerei in Vegesack wollte von den „Vulkanesen“ 13 Heringslogger haben. Das erste dieser Schiffe, das der Bremer Vulkan überhaupt lieferte, ist der Segellogger mit dem Fischereizeichen BV 2, der wie ein Wunder erhalten blieb und heute vom Verein Maritime Tradition Vegesack Nautilus e.V. betrieben wird.

Mit den Subventionen vom Kaiserreich kam die Werft so richtig in Gang. Noch vor der Jahrhundertwende wurde die Neu-Guinea-Compagnie in Bremen als Auftraggeber für Expeditions- und andere Schiffe gewonnen, die ebenfalls erhebliche Mittel aus der Kolonialförderung erhielten.

Erst der Norddeutsche Lloyd brachte den wirklichen Durchbruch. Mit den Auswanderer-Dampfern WÜRZBRUG und STRASSBURG (jeweils 845 Passagier-Kapazität) klinkte sich die Werft in das Auswanderer-Geschäft ein. Die ebenfalls in Bremen beheimatete Argo-Reederei füllte wie andere Unternehmen das Vegesacker Auftragsbuch. Die Vulkan-Aktionäre hatten durch die Dividenden ihre Einlagen längst mehr als zurück und freuten sich über tolle zusätzliche Gewinne.

Starke Expansion bis zum Ersten Weltkrieg 

Das erste Bauprogramm für die Marine im Ersten Weltkrieg umfasst 16 Minensuchfahrzeuge vom Typ 16 – das sind 60 Meter lange Schiffe mit einer Verdrängung von 525 Tonnen. Sie werden von jeweils zwei 800 PS starken Dampfmaschinen angetrieben. Damit bringen es die Minensucher auf eine Geschwindigkeit von 12 Knoten. Als Bewaffnung stehen der 51-köpfigen Besatzung zwei 8,8 cm-Geschütze auf dem Achterdeck sowie auf der Back zur Verfügung. Boote dieses Typs kamen wenige Monate später auch beim „Unternehmen Albion“ zum Einsatz. Eine riesige Materialschlacht vor der Baltischen Küste zur Besetzung von den drei Inseln Ösel, Dagö und Moon. Die drei Inseln sind seinerzeit Teil des Russischen Reiches und beherrschen strategisch die mittlere und nördliche Ostsee. Von den rund 100 eingesetzten Schiffen gehen 20 total verloren und etliche andere sind unterschiedlich stark beschädigt. Von den Minensuchern des Vegesacker Typs sind gleich sieben Boote gesunken. M 39, das erste in Vegesack abgelieferte Boot, kommt jedoch mit einigen anderen Booten noch einmal davon.

Während der folgenden Jahre bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges, expandierte der Bremer Vulkan nochmals auf höchstem Niveau. Schon die Jahre 1910 und 1911 wurden für den Schiffbau wie für den Maschinenbau zu Rekordjahren. 18 Schiffe und etliche Dampfmaschinen mit einer Gesamtleistung von beinahe 45.000 PS werden in den Geschäftsberichten genannt, außerdem mehr als 2.800 Mitarbeiter – so viel, wie nie zuvor. Der Bremer Vulkan wird die Nummer eins unter den deutschen Werften – jährlich werden in Vegesack durchschnittlich knapp 40.000 BRT abgeliefert, auf dem zweiten Platz dieser „Hitliste“ liegt der Stettiner Vulcan mit nur 22.500 BRT.

Der Zenit dieser Zeit wird vom Passagierdampfer GRAF ZEPPELIN gebildet. Der Namensgeber selbst taufte das Schiff für 2.165 Passierte am 9. Juni 1914, nur 19 Tage vor der Ermordung des österreichischen Thronfolgers Erzherzog Franz Ferdinand, die den unmittelbaren Anlass für den Ausbruch des Ersten Weltkrieges bot. Die Passagierkapazität war im Übrigen identisch mit der des COSTA-Kreuzfahrtschiffes, das den Vulkan-Konkurs 1997 überdauerte und schließlich in Bremerhaven zu Ende gebaut wurde.

Ab November 1915 „regierte“ das Reichsmarineamt das Hauptbüro des Bremer Vulkan an der Vegesacker Weserstraße. Minensuch- und U-Boote sowie ein Ausbildungs- und Rettungsschiff für U-Boote sollten fortan für Beschäftigung sorgen. Viel Stahldurchsatz, der ab 1916 sogar den Stahlkonzern Thyssen interessierte und zu Aktienkäufen animierte. Kurz nach dem Ende des Krieges übernahm Thyssen die Mehrheit in Vegesack, ebenso wie bei der seinerzeit zweigrößten deutschen Werft, den Flensburger Schiffbaubetrieben.

Die bis 1920 gebauten Frachtschiffe, die als Reparationsleistungen an die Alliierten abzuliefern waren, kurbelten das Geschäft in Vegesack an, auch die Aufträge von Hugo Stinnes, der im Kielwasser von Thyssen die Kundenliste bereicherte. Die Dividende lag seinerzeit bei 30 Prozent und die Zahl der Mitarbeiter stieg auf über 4.000. Das vielleicht wichtigste Projekt von Victor Nawatzki, der noch vor der Gründung des Bremer Vulkan vom Papenburger Werft-Unternehmer Jos. Meyer dem Vegesacker empfohlen worden war, gelang mit dem Aufbau der Maschinenfabrik, die vor allem mit ihrer MAN-Lizenz jahrzehntelang erfolgreich weltweit im Einsatz war. „Als Sieger der Auftragsverhandlungen werden die hervorgehen, die den Reedern weitgehende finanzielle Vorteile aller Art bieten!“ – gab Victor Nawatzki als Aufsichtsratsvorsitzender schon 1933 die Parole zur Kundenbindung aus – die interessanterweise auch für die Marine-Auftraggeber galt, die umsorgt und mit neuester Technik versorgt werden wollten.

Hoher Besuch: 1924 besichtigte General Paul von Hindenburg die „Columbus“, in seiner Begleitung: Lloyd-Direktor Philipp Heineken.
Quelle: Wikimedia/Bundesarchiv Koblenz

Die Politik unterstützte die Werft

Auf den deutschen Werften, die schon zuvor eine enge Beziehung zu Marinekreisen pflegten, und nach der Machtergreifung sehr schnell Auftragnehmer für „graue Schiffe“ wurden, sorgten die nötigen Umstellungen beispielsweise auf dünnere Stahlplatten schnell zu einer Modernisierung der Produktionsmittel. Beim Bremer Vulkan, der keinerlei Erfahrung auf diesem Feld besaß und selbst im Ersten Weltkrieg sich nur sehr zögerlich und eher widerwillig am Bauprogramm der Marine beteiligt hatte, bestand auch jetzt kein Interesse, diesen Weg zu beschreiten. Damit allerdings begann eine Erfolgsphase, die bis zum Ausbruch des Krieges 1939 anhalten sollte.

Der Konkurrenzkampf zwischen den deutschen Werften wird in dieser Zeit deutlich härter. Außer technischen Leistungen, terminlichem Entgegenkommen und „spitz-gerechneten“ Preisen kommt ein neues Argument in die Akquisitionsgespräche mit den Reedern: Kreditgewährungen in bisher unbekanntem Ausmaß. Als Vorsitzender des Aufsichtsrates sprach sich auch Victor Nawatzki deutlich für dieses Instrumentarium aus. Und sehr schnell gelingt es dem Bremer Vulkan von der Reederei Laeisz in Hamburg den Auftrag zum Bau eines Bananentransport-Motorschiffes zu bekommen, als dem Reeder ein sechsjähriger Zahlungskredit eingeräumt wird. Das Schiff wird auf den Namen „Pionier“ getauft. Bis 1933 sank die Zahl der Vulkanesen auf unter 600 und die Politik sah es auch als eines ihrer Ziele an, Schiffbauarbeitsplätze zu schaffen und die vorhandenen zu erhalten. Bis Kriegsbeginn stieg die Zahl wieder auf 4.200.

Richtig begeistert war der Bremer Vulkan offenbar nicht über die folgenden „grauen Aufträge“. Es wurde sogar extra ein Tochterunternehmen, die Vegesacker Werft GmbH, gegründet, um die Marine aus den Vulkan-Auftragsbüchern rauszuhalten. Man vermietete zwei Helgen auf denen zunächst U-Boote entstanden – im ersten Los waren es 74 Boote, die in Vegesack abgeliefert wurden. Eine exakte Zahl der Zu- und Ablieferungen von U-Booten durch die Vulkan-Tochter ist nicht bekannt. In verschiedenen historischen Quellen ist von 350 U-Booten insgesamt die Rede.

von Wolfgang Kiesel

Lesen Sie in Kürze: Die Vulkan-Saga, Teil 2 – von 1945 bis zur Pleite 1997 

Entschlüsselt: eine alte Ansichtskarte vom Bremer Vulkan um 1910.
Quelle: Peter Strotmann

Von Anbiet bis Zuckerklatsche

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