Deutsche Rückkehr unter die Walfang-Nationen währte nur kurz – Fangsaison endete in den ersten Apriltagen

Für zarte Gemüter dürfte der Walfang noch nie geeignet gewesen sein. „Das ganze Deck ist voller Blut“, notierte Heinrich Wickede am 17. November 1938 in seinem Tagebuch an Bord des Walfangmutterschiffs „Walter Rau“. An einen Schlachthof fühlte sich der Familienvater aus Hamburg-Finkenwerder erinnert. Drei Tage später wurden die nächsten Meeressäuger zerlegt. „Im Nu war das Deck wieder ein Fleischklumpen“, schrieb der damals 30-Jährige. „Die ganze Nacht wurde geschlachtet.“

Echte Knochenarbeit an Bord der „Walter Rau“: Arbeiter beim Zerlegen eines Wals.
Quelle: Silke Zacharias/Edition Falkenberg

Als Walfang-Nation war Deutschland plötzlich wieder im Geschäft, auch Bremen hatte daran seinen Anteil – die „Walter Rau“ mit ihren acht Fangbooten zählte zur bremischen Handelsflotte. Seine erste Fahrt in die Antarktis unternahm der gewaltige Walkocher in der Saison 1937/38, Wickede heuerte als Matrose für die zweite Fangreise an. Sieben Monate verbrachte er an Bord des 175 Meter langen Schiffs, nach eigenem Bekunden als „Mädchen für alles“ – kein schlechter Job in seinen Augen. In den ersten Apriltagen endete die Fangsaison, der Medienrummel war stets groß.

Hohn und Spott in „Moby Dick“

Fast 70 Jahre hatte es keine deutschen Walfänger mehr gegeben. Selbst als sie im 19. Jahrhundert noch auf den Weltmeeren anzutreffen waren, begegnete man ihnen nicht gerade mit Wertschätzung. Mit Hohn und Spott übergoss Herman Melville in seinem Weltbestseller „Moby Dick“ die verzweifelten Bemühungen eines Bremer Walfängers, im Pazifik ein Tier zur Strecke zu bringen (mehr zu „Moby Dick“ und Bremen hier). Seine amerikanischen Landsleute galten ihm als beste Kenner des Fachs. Den Deutschen attestierte Melville, sie hätten ihr Handwerk gründlich verlernt, nur noch als Stümper versuchten sie ihr Glück im Walfang.

Tatsächlich hatte der deutsche Walfang seit Ende des 18. Jahrhunderts stark an Bedeutung verloren. Nach der napoleonischen Kontinentalsperre konnten die Deutschen nicht mehr an ihre glanzvollen Zeiten anknüpfen. In Bremen blühte der Walfang nach 1816 nur kurzfristig auf, die Konkurrenz beherrschte die Meere. Aus Vegesack stachen nach 1872 keine Fangschiffe mehr in See. Der Aufwand lohnte nicht mehr, seit dem Siegeszug des Petroleums wurde Walöl als Brennstoff für Tranlampen nicht mehr gebraucht.

Dafür taten sich bald darauf andere Perspektiven auf. Für die Herstellung der neu erfundenen Margarine und als Zutat für den Sprengstoff Nitroglycerin hatte Walöl doch noch eine Zukunft. Vom neuerlichen Aufschwung des Walfangs hatten die Deutschen freilich nichts mehr, man begnügte sich mit dem Import des begehrten Walöls und überließ den etablierten Walfang-Nationen das Feld. Zaghafte Wiederbelebungsversuche zu Beginn des 20. Jahrhunderts scheiterten mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs.

Gewaltige Ausmaße: ein Walkiefer an Bord der „Walter Rau“.
Quelle: Silke Zacharias/Edition Falkenberg

Erste konkrete Schritte zur Rückkehr zum Walfang gab es nach der NS-Machtübernahme. Eine Schlüsselrolle spielte der umtriebige Margarinefabrikant Walter Rau aus Hilter im Teutoburger Wald. Der bekennende Nationalsozialist witterte ein einträgliches Geschäft, mit dem Bau des gleichnamigen Fabrikschiffs avancierte er 1937 zum Bremer Reeder. Dabei kam ihm die enge Verbindung zu Carl Röver zugute, dem Gauleiter Weser-Ems. Ihre Freundschaft habe „beide Männer zu Vorkämpfern des deutschen Walfangs gemacht“, teilte die parteiamtliche „Bremer Zeitung“ mit.

Der Gauleiter rühmte Rau sogar als wichtigen Ideengeber des Vierjahresplans von 1936, mit dem die deutsche Wirtschaft innerhalb von vier Jahren kriegsfähig gemacht werden sollte – und das hieß: unabhängig von ausländischen Rohstoffen. Der Parteigenosse Rau habe ihm bereits 1934 Pläne vorgelegt, „um dem Führer in dem Daseinskampf des deutschen Volkes zur Seite zu stehen“, erklärte Röver kurz vor der ersten Antarktisfahrt der „Walter Rau“. Dass an Bord des Schiffes regelmäßig SA-Dienste zu absolvieren waren und eine NSDAP-Mitgliederversammlung stattfand, kann da kaum verwundern. Wickede berichtet davon in seinem Tagebuch, das in der Edition Falkenberg erschienen ist.

Das Schlagwort der Zeit war die sogenannte Fettlücke. Der chronische Mangel an Fetten und Ölen sollte künftig zu großen Teilen durch eigenen Walfang gedeckt werden. Als international ausgerichteter Handelsstadt konnten Bremen die NS-Autarkiebestrebungen nicht unbedingt schmecken – doch die Stadt profitierte auch davon, der Walfang kurbelte den Schiffbau auf den beiden Bremer Großwerften AG Weser und Vulkan an. Auf der AG Weser wurde 1937 die „Unitas“ gebaut, das damals weltweit größte Walfang-Fabrikschiff. Zur deutschen Walfangflotte gehörten zuletzt sieben Mutterschiffe mit 56 Fangbooten. Von Bremerhaven und Hamburg aus steuerten sie die Fanggründe in der Antarktis an.

ein harponierter Wal

Walfang zur Unzeit

Für die schon dezimierten Walbestände kam das deutsche Walfangprogramm zur Unzeit. Bereits zu Beginn der 1930er-Jahre beschäftigte sich der Völkerbund mit dem Schutz der Wale. Zwar beugte sich auch Deutschland 1937 einem internationalen Abkommen zur Regulierung des Walfangs mit einem eigenen Gesetz. „Blauwale dürfen erst ab 8. Dezember geschossen werden“, schrieb Wickede bedauernd. Doch als sonderlich effektiv erwiesen sich die Beschränkungen nicht, von den Fangzügen in den 1930er-Jahren haben sich die Bestände bis heute nicht erholt.

Das deutsche Walfang-Comeback blieb ein Intermezzo: Mit Ausbruch des Zweiten Weltkriegs 1939 hatten sich die Ambitionen erledigt. Eine Reminiszenz an die kurze Wiederkehr des Walfangs ist das nie in Dienst gestellte Fangboot „Rau IX“, das im Hafen des Deutschen Schifffahrtsmuseums in Bremerhaven besichtigt werden kann.

Eine Idee aus Norwegen

Im März 1937 hatte Heinrich Sahm eine Idee. Der deutsche Botschafter in Norwegen wandte sich an den Bremer Senat mit dem Vorschlag, nach norwegischem Vorbild „ein besonderes Walfang-Museum zu errichten“. Oder wenn nicht das, zumindest eine Walfang-Ausstellung auf die Beine zu stellen. Sein knapp zweiseitiges Schreiben ist im Staatsarchiv einsehbar – ebenso wie die eher zurückhaltende Antwort des Regierenden Bürgermeisters Otto Heider.

Das letzte Wort war damit aber nicht gesprochen. Noch im gleichen Monat erhielt das Kolonial- und Übersee-Museum (mehr dazu hier) den Auftrag, eine Walfang-Ausstellung zu konzipieren. In „aller Eile“ habe Direktor Carl Friedrich Roewer die Exponate zusammengetragen, schreibt der Kulturwissenschaftlers René Paul Niemann. Dabei habe er sich auf die schon existierende Walfang- und Fischereiabteilung stützen können. Die Schau hatte den klaren Zweck, als Propaganda-Ausstellung für die Popularisierung des Walfangs zu sorgen.

Am 5. August 1937 wurde die neue Ausstellung als Teil der Dauerausstellung feierlich eröffnet. Fünf Tage später meldete NS-Wirtschaftssenator Otto Bernhard in einem Brief an Sahm Vollzug: Seine „sehr dankenswerte Anregung“ sei in Bremen auf fruchtbaren Boden gefallen.

Auf in die Antarktis: Abschied vom Walfang-Mutterschiff „Walter Rau“, das zur bremischen Handelsflotte zählte, im Herbst 1938. 
Quelle: Silke Zacharias/Edition Falkenberg

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