Die Stadt Vegesack war eine Enklave im preußischem Gebiet.
Ausschnitt aus: Karte von dem Gebiete der freien Hansestadt Bremen, 1882.
Quelle: SuUB

Ein Blick in die Geschichte (151): alte Ansichtskarte von der Vulkan-Werft entschlüsselt   

Wie sagte Otto Waalkes in einem Sketch: „Als ich neulich in meiner Musikbox blätterte …“ So ähnlich ging es mir, als ich in meiner Ansichtskartensammlung herumstöberte. Und zwar hatte sich zwischen vielen Rathaus- und Rolandansichten eine besondere Ansichtskarte* verirrt. Auf dieser ist auf der Vorderseite aufgedruckt: „Bremer Vulkan“ und eine Zeile darunter „Fähr-Lobbendorf-Vegesack“. Die kleinen Geheimnisse gilt es nun zu entschlüsseln.

Fähr-Lobbendorf-Vegesack?

Wenn wir davon ausgehen, dass diese Ansichtskarte „um 1910“ herausgegeben wurde, dann gehörte Fähr-Lobbendorf und damit die Werft Bremer Vulkan zu Preußen. Bis 1908 war Fähr eine selbstständige Gemeinde, die dann an Aumund (Preußen) und 1939 an Bremen angeschlossen wurde. 1946 wurden die Ortsteile Fähr und Lobbendorf zu einem gemeinsamen Ortsteil von Vegesack.

1852 wurde Vegesack zur Stadt erhoben. 1875 erfolgte der Zollanschluss der bremischen Exklave Vegesack an den Deutschen Zollverein. Heute (2017) ist Vegesack ein Bremer Stadtteil.

In der Literatur ist zu lesen, dass es keine nennenswerten Probleme zwischen Fähr-Lobbendorf (Preußen) und Vegesack (Bremen) gegeben haben soll.

Was ist ein Helgen?

Abgebildet ist ein Blick vom Werftgelände auf den Helgen, auch Helling genannt. Es ist der Platz in einer Werft, auf dem ein Schiff „im trockenem“ gebaut wird. Genau genommen ist es eine schräg abfallende Fläche, auf der das schwimmfähige Schiff beim Stapellauf ins Wasser gleitet.

Besonders markant ist das sogenannte Helgenkrangerüst. Das ist eine Stahlgitterkonstruktion, die auf einer oder beiden Längsseiten neben dem Helgen angeordnet ist und auf der oben Schienen angebracht sind. Darauf fährt ein Kran, der in einer Werkstatt vorgefertigte Schiffs- und Ausrüstungsteile vom Boden aufnehmen und in das entstehende Schiff bringen kann. Darüberhinaus sind noch weitere Krane notwendig, die auf Bodenschienen fahrbar oder stationär sein können.

Der Fracht- und Passagierdampfer „Habsburg“ im Bau beim Bremer Vulkan:
Stapellauf am 25. Mai 1906, Indienststellung 30. Juli 1906. Eigner: Hamburg-Amerikanische Packetfahrt-Actien-Gesellschaft (HAPAG). Auf diesem Foto ist das Gewirr an Stützen für das Helgenkrangerüst zu sehen. Vom Schiff selbst sieht man die aufgestellten Spanten, die nach und nach mit Außenhautblechen beplankt werden.
Quelle: Staatsarchiv Bremen

Welche Bedeutung hatte der Bremer Vulkan?

1805 gründete Johann Lange ( 1775 bis 1844) auf der gegenüberliegenden Seite der Vegesacker Hafeneinfahrt eine Werft. Am 23. Oktober 1893 übernahmen Gesellschafter die Langesche Werft und gründeten den Bremer Vulkan. Damit ging die Firmengeschichte schon bis auf das Jahr 1805 zurück. 1895 übernahm die neue Gesellschaft das Gelände der Bremer Schiffbaubetriebe (vormals Ulrichs-Werft) in Fähr-Lobbendorf. Dort hatte die Schiffbauerei und Maschinenfabrik Bremer Vulkan ihren Standort. Am 15. Juli 1997 wurde der Handelsschiffbau eingestellt. Bis dahin war die 1893 gegründete Großwerft Hauptarbeitgeber der Region.

Die Karte schrieb ein junger Mann und adressierte sie an seine Eltern in Altona-Ottensen.

Der Text lautet:

An

Herrn H. Spreckels und Frau

Altona-Ottensen

Bahrenfelderstraße 169 III

 

Liebe Eltern!

Bin Sonntag von Lesum abgereist nach hier und arbeite seit Mittwoch auf dem Bremer Vulkan. In Lesum verdiente ich zu wenig. Meine Adresse ist Fähr-Vegesack Schumann, Schillerstraße 3. Mir geht’s immer noch so lala. Wegen der Wurst, Cigaretten, Schokolade bedanke ich mich bei allen.

Neuigkeiten für die Eltern in Altona: die Rückseite der Ansichtskarte.
Quelle: Peter Strotmann

Der Empfänger H. (Heinrich) Spreckels war sein Vater. Im Adressbuch der Stadt Altona ist er erstmalig als wohnhaft in der Bahrenfelderstraße 169- III-Etage eingetragen. Heinrich Spreckels war Inhaber der Firma Spreckels & Schünemann, Kupferschmiede und Metallwaren-Fabrik in Altona-Ottensen. Altona gehört heute (2017) zu Hamburg.

Die Stempelung auf der 5 Pfennig Germania-Briefmarke ist teilweise unleserlich: 19.10. ist zu erkennen, die Jahreszahl nicht. Das Postkartenporto betrug seit Einführung der Mark an 1. Januar 1875 bis zum 30. September 1918, also über 40 Jahre lang, einheitlich immer 5 Pfennig im Inland.

In welchem Jahr wurde die Ansichtskarte vermutlich geschrieben?

Auf der Ansichtskarte ist Hausnummer „169. III“ offensichtlich nachträglich durch den Briefträger hinzugefügt worden. Es ist eine Vermutung, dass der Sohn die Hausnummer nicht wusste, da seine Eltern erst vor kurzem in die Bahrenfelderstraße gezogen waren. Wenn der Ersteintrag im Altonaer Adressbuch im Jahre 1912 ist, dann sind Heinrich Spreckels und Frau dort bereits 1911 hingezogen.

Eine weiteres Indiz für das Jahr 1911 ist, dass der Bremer Vulkan nach der Wirtschaftskrise von 1907 bis 1909 (nur noch 800 Mitarbeiter) in den Jahren 1910 bis 1913 einen enormen Auftragsbestand hatte. Die Werft hatte 1913 bis zu 3600 Mitarbeiter.

Wenn wir das Jahr 1911 annehmen, dann hatte Sohn Spreckels die Stelle auf der Werft am Mittwoch, 18. Oktober 1911, angetreten. Am darauffolgenden Tag, Donnerstag, 19. Oktober 1911, schrieb er an seine Eltern.

Was ist aus den Adressen beworden?

Die Schillerstraße 3 in Aumund (Fähr-Lobbendorf) wurde nach 1945 in Fährer Flur 3 umbenannt. Nach Google street maps könnte es noch das Haus sein, dass dort auch schon 1911 gestanden hat.

Das Haus Bahrenfelderstraße 169 in Hamburg-Altona ist nach Google street maps ein Neubau.

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von Peter Strotmann

Entschlüsselt: eine alte Ansichtskarte vom Bremer Vulkan um 1910.
Quelle: Peter Strotmann

Jung, aber mit viel Geschichte

50 Jahre
Universität Bremen

50 Jahre sind seit der Gründung der Universität Bremen vergangen. Auf dem Weg von der vermeintlichen roten Kaderschmiede zur Exzellenzuniversität ist viel passiert: Wir haben den ersten sowie den aktuellen Rektor interviewt und mit Absolventen gesprochen – zu denen auch Bürgermeister Andreas Bovenschulte gehört. Zudem hat uns ein Architekt über den Campus begleitet. Das Magazin der Reihe WK | Geschichte gibt es ab 18. September in den ­Kundenzentren des WESER-­KURIER, im Buch- und Zeitschriftenhandel, online unter www.weser-kurier.de/shop und unter 0421 / 36 71 66 16.

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