Nichts am Hut mit dem Kaiser: In der Declaration of Intention von 1911 muss John Eitmann einiges klarstellen. Bildvorlage: Diethelm Knauf

Nichts am Hut mit dem Kaiser: In der Declaration of Intention von 1911 muss John Eitmann einiges klarstellen.
Bildvorlage: Diethelm Knauf

Zur Migrationsdebatte (2): Ein Blick zurück in die eigene Vergangenheit am Beispiel der Familie Eitmann aus Arbergen 

Im Stammbaum der Familie Buhr taucht auch Diedrich auf, spannend und voller Ungereimtheiten ist seine Auswanderergeschichte. Sein Name findet sich auf diversen Passagierlisten: Zum ersten Mal reist er in die USA mit 16 Jahren, am 3. August 1907 mit der „Großer Kurfürst“ von Bremen. Hier ist bemerkenswert, dass er als „nearest relative“ seinen Vater Hermann angibt, und zwar in Arbergen, Hannover (sic), Germany. Hannover gehörte damals schon Jahrzehnte zu Preußen.

Das zweite Mal findet man ihn auf der „George Washington“ des Norddeutschen Lloyd im September 1911, das letzte Mal kommt er in der Dritten Klasse ebenfalls mit der „George Washington“ am 28. März 1914 nach New York. Hier ist auf der Liste hinter seinem Namen „non-immigrant“ gestempelt.

Warum? Was war mit ihm in der Zwischenzeit geschehen? Das Merkwürdigste aber ist, dass es eine registration card vom 5. Juni 1917 gibt, dort ist ein gewisser Richard Eitmann eingetragen. Unterschrieben allerdings hat Diedrich Eitmann, etwas unsicher ist die Schrift, aber immerhin. Auch das Geburtsdatum stimmt mit dem Diedrichs überein, ebenso der Geburtsort Arbergen. Unter Arbeitgeber ist verzeichnet: „patient in state hospital“ und in der Rubrik „Do you claim exemption from draft“ ist eingetragen: „in an insane hospital“.

Arriviert: In New York gelingt John Eitmann die Existenzgründung mit einem Krämergeschäft. Bildvorlage: Bestand Buhr

Arriviert: In New York gelingt John Eitmann die Existenzgründung mit einem Krämergeschäft.
Bildvorlage: Bestand Buhr

Diedrich war also möglicherweise geisteskrank, 1917. Die Familiennarration allerdings berichtet, er sei 1911 vor dem Ersten Weltkrieg zurückgekehrt und in Arbergen geblieben, dann im Ersten Weltkrieg gefallen, was kaum sein kann, wenn er 1917 in den USA erfasst wurde. Dass als Name „Richard“ auftaucht, ist möglicherweise auf ein Missverständnis des Beamten, der die Karte ausgefüllt hat, zurückzuführen. Die Kurzform von „Richard“ ist „Dick“, phonetisch nicht weit von Diedrich.

Mit 16 Jahren nach New York

Der letzte im Bunde der Eitmann-Brüder ist Albert. Er ist auch erst 16 Jahre, als er am 2. Juli 1904 mit der „Barbarossa“ von Bremen in New York ankommt. Als Beruf gibt er „farmer“ an, er will zu seinem Bruder Joh. Eitman (nur ein „n“!), 2278, 8th Avenue. Darunter steht„?Viactor? St. Louis Exposition“. Gemeint ist die Louisiana Purchase Exposition (auch als St. Louis World’s Fair bekannt), die von April bis Dezember 1904 in Missouri stattfand. Ob Albert da hin will? Allein oder mit seinem Bruder? Als Arbeiter, als Besucher? Man weiß es nicht. Jedenfalls hat er kein Geld, kann die geforderten 50 Dollar nicht vorweisen, gibt aber als Garantie die Adresse eines sesshaften Verwandten, Johanns, an.

Auf den Spuren der Brüder: Georg Eitmann taucht im August 1905 auf einer Passagierliste auf. Bildvorlage: Diethelm Knauf

Auf den Spuren der Brüder: Georg Eitmann taucht im August 1905 auf einer Passagierliste auf.
Bildvorlage: Diethelm Knauf

Im Zensus von 1920 wird Albert als mit der Schweizerin Christina verheiratet aufgeführt, sie haben eine Tochter, Dorothy. Zehn Jahre später heißt seine Frau Josephine, zwei Töchter: Dorothy und Edith sind eingetragen. Josephine wurde in New York geboren, was mit Christina passiert ist, weiß man nicht. Seinen Beruf gibt er einmal als Salesman und Cakebaker an, das zweite Mal als „Salesman – Cake“. 1940 im Zensus steht dann als Beruf „Driver – Bakery“.

Er wohnt in Brooklyn, laut seiner registration card für den Ersten Weltkrieg in der Decatur Str. Bei dieser Wehrerfassung gibt er an, dass er im Besitz der first papers sei, aber immer noch ein Untertan von Germany, dass er bei Drake’s Brothers Company [1] als „salesman“ beschäftigt sei und dass er vom Wehrdienst befreit werden möge, „to support wife and child (5 years)“.

Auf der Transatlantikroute unterwegs: die „Barbarossa“ des Norddeutschen Lloyd, um 1900. Quelle: Staatsarchiv Bremen

Auf der Transatlantikroute unterwegs: die „Barbarossa“ des Norddeutschen Lloyd, um 1900.
Quelle: Staatsarchiv Bremen

„First papers“ ist die Declaration of Intention, also die Bekundung der Absicht, US-Bürger zu werden. Dazu musste man vor allem jegliche Loyalität einem anderen Souverän gegenüber aufgeben (s.o.). Ähnlich wie John, der auch die „first papers“ besaß, versuchte Albert, um den Dienst in der US-Army herumzukommen. Ob es ihm und/oder John gelungen ist, konnte nicht herausgefunden werden. Spielten die Loyalitäten zur „alten Heimat“ doch eine große Rolle? Jedenfalls kehrten John, Albert und Fred nicht wieder nach Arbergen zurück.

Kontakt nach Arbergen

Vor allem Schwester Frieda war die Empfängerin von Postkarten aus Amerika, selten bekamen Mutter Anna oder Vater Hermann Post. Albert schrieb, oft im Namen von Josephine und Dorothy, manchmal auf Deutsch, manchmal auf Englisch. Friedrich schrieb auch, manchmal als Fritz, manchmal als Fred. Johann (= John) schrieb weniger. Einmal, 1911, kündigt er an, dass sein Freund und Geschäftspartner Hilker zu Besuch komme, die Adresse, unter der er zu finden sei, laute: Karl Hilker, Hasbergen, Oldenburg. Zudem wurde sein Besuch in Arbergen angekündigt. Auch Hilker stammte also aus Norddeutschland, in Amerika fanden sich Johann und Hilker zusammen, um ihr Geschäft aufzubauen.

Viel zu gucken, wenig zu lesen: Die Korrespondenz der Eitmann-Brüder bestand eher aus optischen Eindrücken. Bildvorlage: Bestand Buhr

Viel zu gucken, wenig zu lesen: Die Korrespondenz der Eitmann-Brüder bestand eher aus optischen Eindrücken.
Bildvorlage: Bestand Buhr

Die abgeschickten Postkarten zeigen beeindruckende Bilder von New York (Central Park, Williamsburg und Washington Bridge), gelegentlich mit der Bemerkung versehen „Ich bin schon hier vorbei gegangen“, am Eastern Parkway in Brooklyn nämlich, vom Schiffsdeck oder Kitschiges. Selten geht der Text über herzliche Grüße zu Ostern, Weihnachten und zum Geburtstag hinaus.

Nur gelegentlich wird es wichtig: Albert teilt im Februar 1912 mit, dass „Josephine und Tochter für mich ein großer Halt“ seien, eine schon sehr persönliche Äußerung. Im Oktober 1909 grüßt Bruder Fritz seine Schwester und erzählt, dass sie eine große Ehrenfeier gehabt hätten, es muss um den Bau eines Dampfschiffes gegangen sein, leider kann man nicht alles lesen, weil Wörter überschrieben wurden.

Im Oktober 1911 kündigt Fritz auf der Postkarte von der Überfahrt auf der „Friedrich der Grosse“ an, dass Diedrich „deinen Brief gerade den selben tag bekommen“ habe, als er mit Bischoff in New York angekommen sei, dieser sei „ganz vergnügt“ und bei Albert und er werde wohl auch „balt Arbeit bekommen“. Fritz sagt allerdings nicht wo und wie. Die Brüder haben sich in den USA umeinander gekümmert und offenbar zusammen gehalten. 1923 schreibt Albert Bischoff an Hermann Eitmann und gratuliert zur Hochzeit.

„Souvenir of Dreamland“

Die witzigste Nachricht an zu Hause ist eine Lederpostkarte aus dem Jahre 1907.

Sie ist wohl von Albert Eitmann, auf der Vorderseite ist sein Name zu entdecken und er schreibt: „Das bin ich. Das Bild ist ganz gut geworden.“ Ob die Abbildung wirklich ihn zeigt, bleibt dahingestellt. Trotzdem strahlt die Karte die Zufriedenheit und den Status des Schreibers aus, nicht umsonst heißt es: „Souvenir of Dreamland“ – die USA als das „Traumland“. Die hintere Seite zeigt die Abgangs- (New York) und Eingangsstempel (Hemelingen als das für Arbergen zuständige Amt). Vom 22. bis zum 28. Juli hat die Karte gebraucht.

Die originellste Botschaft aus der neuen Welt: eine Lederpostkarte von 1907. Bildvorlage: Bestand Buhr

Die originellste Botschaft aus der neuen Welt: eine Lederpostkarte von 1907.
Bildvorlage: Bestand Buhr

Von den fünf Eitmann-Brüdern, die nach Amerika ausgewandert sind, haben es drei, John, Fred, Albert „zu etwas gebracht“, nicht der große Wurf vom Tellerwäscher zum Millionär, aber ein Leben ohne Not, in Freiheit, einen bescheidenen sozialen Aufstieg realisierend. In Arbergen wäre dies in dieser Form nicht möglich gewesen, zu starr waren noch die gesellschaftlichen und ökonomischen Verhältnisse.

Nach heutigem Sprachgebrauch waren die drei Brüder „Wirtschaftsflüchtlinge“. Zwei Brüdern gelang es nicht, sich in Amerika zu etablieren, Georg musste wieder zurück und wurde Knecht in Arbergen, Diedrich saß in einem „insane hospital“ in den USA. Den Kontakt zur „alten Heimat“ hielten auch noch die Nachfahren von John, Fred und Albert. Sie schickten Karten, Photos und Johann und Fritz mit seiner Frau Cida (Cecilia) besuchten in den 1960er Jahren ihre Schwester Frieda.

Die ultimative Form der Korrespondenz zwischen den Familienmitgliedern auf beiden Seiten des Atlantik erreicht Albert bereits 1907, als er schreibt: „Liebe Schwester. Diedrich erzählte mir, daß ich Dir mahl schreiben sollte. Damit habe ich ein Par Zeilen geschrieben es grüßt Dein Bruder Albert.“

Damit ist alles gesagt.

von Dr. Diethelm Knauf

[1] Drake Brothers Bakery war eine ziemlich große und renommierte Bäckerei, gegründet 1888 mit Filialen in Harlem, Brooklyn und Boston.

Angekommen und etabliert: John Eitmann hat einen Partner namens Hilker, der aus Hasbergen im Oldenburgischen stammt. Quelle: Bestand Buhr

Angekommen und etabliert: John Eitmann hat einen Partner namens Hilker, der aus Hasbergen im Oldenburgischen stammt.
Quelle: Bestand Buhr

Jung, aber mit viel Geschichte

50 Jahre
Universität Bremen

50 Jahre sind seit der Gründung der Universität Bremen vergangen. Auf dem Weg von der vermeintlichen roten Kaderschmiede zur Exzellenzuniversität ist viel passiert: Wir haben den ersten sowie den aktuellen Rektor interviewt und mit Absolventen gesprochen – zu denen auch Bürgermeister Andreas Bovenschulte gehört. Zudem hat uns ein Architekt über den Campus begleitet. Das Magazin der Reihe WK | Geschichte gibt es ab 18. September in den ­Kundenzentren des WESER-­KURIER, im Buch- und Zeitschriftenhandel, online unter www.weser-kurier.de/shop und unter 0421 / 36 71 66 16.

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