Rechtshistoriker Schminck-Gustavus schreibt Buch über Dietrich Bonhoeffer und Hans von Dohnanyi
Der Film „Der Staat gegen Fritz Bauer“, der über den unerschrockenen Generalstaatsanwalt gedreht wurde, den Initiator der Auschwitz-Prozesse, zeigt in seiner finalen Szene, wie Bauer auf der Einkaufsstraße Frankfurter Zeil etliche Täter des NS-Regimes über den Weg laufen. Sie wurden von ihren Mitläufer-Kollegen, nun wieder in juristischen Amt und Würden der jungen Bundesrepublik, rehabilitiert, nur marginal bestraft und dann noch vorzeitig aus der Haft entlassen. Ein Missstand, den auch Christoph U. Schminck-Gustavus, von 1974 bis 2007 Professor für Rechts- und Sozialgeschichte an der Universität Bremen, Zeit seines Lebens nie ruhen ließ. Viele Bücher hat er zu diesem und ähnlichen Themen veröffentlicht.
In dem jüngsten, im Donat Verlag erschienenen Buch beleuchtet der emeritierte Rechtshistoriker die „Standgerichtsprozesse“ gegen Dietrich Bonhoeffer und Hans von Dohnanyi und die Freisprechung ihrer Mörder. „Der Tod auf steilem Berge“ ist ein Zitat aus dem Gedicht „Der Tod des Mose“, das Dietrich Bonhoeffer, den Tod vor Augen, 1944 im Wehrmachtsgefängnis Berlin-Tegel schrieb. Dem Autoren ist viel mehr als nur ein faszinierendes Porträt des unerschrockenen, kritischen Theologen und Widerstandskämpfers gelungen, der sich selbst in der Todeszelle nicht brechen ließ und noch heute viele durch seine menschliche Größe zu beeindrucken vermag.
Eigentlich, so war es ursprünglich geplant, hätte es Mitte November in der Kulturkirche St. Stephani einen ganzen Schwerpunkt zu Dietrich Bonhoeffer geben sollen. Schminck-Gustavus wollte sein Buch „Tod auf steilem Berge“ vorstellen, dazu sollte die in Bremen lebende Gabriele Bode, geborene Bethge, auf der Violine des NS-Gegners Rüdiger Schleicher spielen. So, wie er es als Inhaftierter tun durfte.
Die Geige hat überlebt, er nicht. Dank ihres Vaters Eberhard Bethge, der den Nazi-Terror überlebte, sind überhaupt viele Schriften Dietrich Bonhoeffers erhalten geblieben. Ihm war es gelungen, sie per Kassiber an Bethge, den Schwiegersohn von Klaus Bonhoeffers Schwager Rüdiger Schleicher, aus dem Gefängnis zu schmuggeln. Geplant war auch, dass die Mezzosopranistin Stefanie Golisch ihren musikalisch-literarischen Abend „Von guten Mächten wunderbar geborgen“, benannt nach dem wohl berühmtesten Bonhoeffer-Zitat, in der Kulturkirche geben sollte. Doch die Corona-Pandemie machte all diese Pläne zunichte.
Mit dem Leben bezahlt
„Viele sind es gewesen, die sich im ‚Dritten Reich‘ gegen Gewalt, Terror und Krieg aufgelehnt und dafür mit dem Leben bezahlt haben. In dieser Dokumentation wird der Widerstand von Dietrich Bonhoeffer und Hans von Dohnanyi gegen das NS-Regime beschrieben; auch ihr letzter Weg aus den Gefängnissen bis zur Hinrichtung in den Konzentrationslagern Sachsenhausen und Flossenbürg unmittelbar vor Kriegsende und der Kampf ihrer Angehörigen und Freunde, die an der Verschwörung beteiligt waren, ist geschildert – ebenso wie die Selbstaufopferung von zahllosen stillen Helden, die unbekannt geblieben sind“, heißt es in dem Klappentext des Buches. Und weiter: Schließlich gehe es um die Rolle der deutschen Nachkriegsjustiz, die die Täter eigentlich zur Verantwortung hätte ziehen müssen, sich aber nach folgenloser „Entnazifizierung“ und dürftigen Ermittlungen mit verharmlosenden Urteilen aus der Affäre gezogen habe: „Mitläufer“ im Richteramt.
Schlimmer noch, wie Pfarrer i. R. Dietrich Zeilinger, Mitglied der Forschungsgemeinschaft 20. Juli und der Internationalen Bonhoeffer-Gesellschaft, in seiner Würdigung von Dietrich Bonhoeffers Bruder, des Juristen Klaus, als „Bruder, Mitverschwörer und Märtyrer“ schrieb: „Dass aber erst 1998 bzw. 2002 alle Unrechts-Urteile des Volksgerichtshofes aufgehoben wurden, dass also bis dahin Klaus Bonhoeffer und die anderen Widerstandskämpfer als zu Recht verurteilt galten, ja dass seit dem Straffreiheitsgesetz von 1954 auch die Mordtaten an den Widerstandskämpfern vom 23.4.1945 amnestiert wurden, all das bedeutet eine mehrfache Schande für Parlament, Justiz und Gesellschaft in Deutschland, dessen Grundgesetz verkündet hatte: ‚Die Würde des Menschen ist unantastbar‘.“
Im Amt für Spionageabwehr
Hans von Dohnanyi (1902-1945), Ehemann von Dietrich Bonhoeffers (1906-1945) zweitältester Schwester Christin und Onkel des späteren Hamburger Bürgermeisters Klaus von Dohnanyi (geb. 1928), arbeitete unter Admiral Wilhelm Canaris (1887-1945) im Amt für Spionageabwehr. Beide gehörten führend zu einer Oppositionsgruppe, die sich um Hilfe für bedrängte Juden und um die Dokumentation der Verbrechen des Nationalsozialismus bemühte. 1933, mit dem Jahr der Machtergreifung Adolf Hitlers, gab es einschneidende Veränderungen in Bonhoeffers Leben. Er stand sofort in der kirchlichen Opposition. Im Oktober 1933 übernahm Dietrich Bonhoeffer ein deutsches Auslandspfarramt in London. Im April 1935 kehrte er auf Bitten der Bekennenden Kirche nach Deutschland zurück, um ein von ihr gegründetes illegales Predigerseminar, eine Ausbildungsstätte für Theologen, die sich nach dem Studium an der Universität auf den Beruf als Pfarrer vorbereiten, zu übernehmen.
Einer der Hauptverantwortlichen der an Dietrich Bonhoeffers und Hans von Dohnanyis Ermordung beteiligten Täter war der SS-Standartenführer Walter Huppenkothen (1907-1978). Nach dem Ende des Krieges am 1. Dezember 1949 verhaftet, wurde er nach zwei Freisprüchen vor dem Landgericht München schließlich in Augsburg zu lediglich sechs Jahren Zuchthaus verurteilt. Hatte der Bundesgerichtshof (BGH) die Standgerichtsverfahren der SS 1952 noch als Unrecht erkannt, urteilte er 1956 in einem zweiten Verfahren aber, es handele sich bei den Taten Huppenkothens um „Staatsnotwehr“. Ehefrauen und Kinder der Ermordeten seien hingegen nach dem Krieg als „Verräterwitwen“ und „Verräterkinder“ verleumdet worden, wie Zeilinger schreibt. Nach ihrem ersten Besuch bei ihm im Berliner Gefängnis hatte Klaus Bonhoeffers Frau Emmi notiert: „Er wirkte stolz wie ein König, er machte keinen gebrochenen Eindruck.“
Fazit des Autoren: „So hat das Klima des ‚Kalten Krieges‘ die Friedenssehnsucht vieler Menschen zugedeckt und die Einsicht in den Hintergrund gerückt, dass Misstrauen und Aufrüstung fast zwangsläufig in den Schrecken kriegerischer Auseinandersetzungen enden. Wäre es gelungen, Dietrich Bonhoeffer, Hans von Dohnanyi und die zahllosen anderen in letzter Stunde zu retten, hätten ihre Stimmen vielleicht manche Fehlentwicklungen nach 1945 verhindern können.“
Christoph U. Schminck-Gustavus „Der Tod auf steilem Berge“. Die „Standgerichtsprozesse“ gegen Dietrich Bonhoeffer und Hans von Dohnanyi und die Freisprechung ihrer Mörder. Donat-Verlag, Bremen. 384 Seiten, 29,80 €.