Vor 60 Jahren: Am 26. Juni 1957 fiel die Entscheidung im Wettbewerb um die Stadthalle

„Wie ein Schiff auf der Bürgerweide“ – so die Schlagzeile der Bremer Nachrichten, mit der sie den Siegerentwurf für den Stadthallenwettbewerb umschrieb. Fast auf den Tag vor sechzig Jahren, am 26. Juni 1957, fiel die Entscheidung.

In der Tat: die sechs in dynamischer Schrägstellung Richtung Bahnhof weisenden Pfeiler, die die Zugkräfte der Hängedachkonstruktion aufnehmen und zwei Sitztribünen Platz bieten sollten, erinnerten an die Klüverbäume von Segelschiffen. Doch der Entwurf bot auch Raum für andere Bilder. Seine Verfasser, der Wiener Architekt Roland Rainer und das Bremer Architektenduo Max Säume und Günther Hafemann, sahen ihren Entwurf eher als „Zelt unter Zelten“, das heißt angelehnt an die temporären Bauten von Freimarkt und Zirkusveranstaltungen auf der Bürgerweide.

Die Stadthalle unterm Seilnetz – der Entwurf von Budde, Schröck und Otto.
Quelle: bremer zentrum für baukultur (bzb)

Ihr Entwurf entsprach ganz einem Architekturtrend der damaligen Zeit, über die expressive Betonung von Tragwerken (z.B. Hängedach- oder Schalenkonstruktionen) Monumentalität und architektonische Signifikanz zu erzeugen. Berühmte Beispiele sind die Sydney-Oper oder die Berliner Kongresshalle.

Auch einer der beiden zweiten Preise setzte auf diesen Trend. Der Entwurf stammte von den beiden jungen Bremer Architekten Hans Budde und Carsten Schröck. Sie hatten sich mit dem Berliner Architekten Frei Otto (siehe auch die Story zum Wettbewerb Sögestraße) zusammengetan und ein Seilnetzdach vorgeschlagen, das über drei große Druckbogen in Gleichgewicht gehalten werden sollte. In kleinerem Maßstab hat Carsten Schröck später, wieder in Zusammenarbeit mit Frei Otto, dieses Prinzip bei der Kirche der St. Lukas-Gemeinde in Grolland umsetzen können. Den anderen zweiten Preis erhielt der Berliner Architekt Wassili Luckhardt, der sich später beim Wettbewerb für das Haus der Bürgerschaft durchsetzte.

Lange Vorgeschichte

Bekanntlich kam man in Bremen relativ schnell zu dem Entschluss, den mit dem ersten Preis ausgezeichneten Entwurf zu realisieren. Bis zu seiner Fertigstellung sollten allerdings noch sieben Jahre verstreichen, denn das Projekt war keineswegs unumstritten. Doch bevor auf die Fronten im Streit um die Stadthalle genauer eingegangen wird, sollte zunächst die Vorgeschichte des Bauprojektes Erwähnung finden, die immerhin fast ein halbes Jahrhundert zurück reichte.

So sollte die Stadthalle nach dem Wettbewerb 1927/28 aussehen.
Quelle: bremer zentrum für baukultur (bzb)

Als nämlich 1918 die Cigarettenfabrik Lesmona an der Gustav-Deetjen-Allee eine Produktionsstätte errichten wollte, wurde das Begehren mit der Begründung abgelehnt, das Gelände sei für den geplanten Bau einer Stadthalle freizuhalten. Mitte der zwanziger Jahre wurden die Planungen konkreter. 1927 lobte die Baubehörde einen „Ideenwettbewerb über die städtebauliche Gestaltung des Stadthallen- und Ausstellungsgeländes und über den Vorentwurf der hier geplanten Hochbauten“ unter Bremer und einigen ausgewählten überregional bekannten Architekten aus.

Der damals 39-jährige Bremer Architekt Carl Rotermund machte überraschend das Rennen. Sein Entwurf (Kennwort „Nordland“) schwankte zwischen klassizistischen, modernen und nationalromantischen Motiven. In Zeiten, in den die architektonische Moderne gerade ihren Siegeszug begann, wirkte der Entwurf eher konservativ, aber typisch für Bremen, wo die Moderne erst nach 1945 ankam. Weltwirtschaftskrise, NS-Diktatur und Krieg stoppten eine Weiterverfolgung des Projektes.

Bürgerweide und Bürgerpark städtebaulich neu geordnet: der Entwurf von Hans Scharoun in einer vereinfachten Skizze der Bremer Nachrichten vom 26. Mai 1955.
Quelle: Bremer Nachrichten

Aber mit Beginn des Wiederaufbaus wurde das Thema erneut aktuell. Als alternativer Standort war eine Zeit lang das freie Grundstück neben dem Berufsbildungszentrum Doventorsteinweg, Ecke Daniel-von-Büren-Straße im Gespräch, bald aber wieder die Bürgerweide. Die Bürgerweide war damals noch eine etwas zusammengestückelte Freifläche. Etwa ein Drittel der heutigen Fläche im Südwesten war vom städtischen Schlachthof besetzt. Und auch ihre Erreichbarkeit war, vor allem für Fußgänger, eingeschränkt. Da der Hauptbahnhof noch bis in die achtziger Jahre nur einen stadtseitigen Zugang besaß, musste sich der fußläufige Verkehr durch den Deetjen- oder den Findorff-Tunnel quälen.

Stadthalle im Bürgerpark

Aufgrund gewandelter städtebaulicher Einstellungen griff man dann in der ersten Hälfte der fünfziger Jahre, als man sich erneut mit dem Bau einer Stadthalle auf der Bürgerweide beschäftigte, nicht einfach auf die Ergebnisse des alten Wettbewerbs zurück, sondern schrieb 1955 zunächst einen städtebaulichen Ideenwettbewerb aus, um den idealen Standort für die Halle zu klären.

Geladen war eine Auswahl bremischer und auswärtiger Architekten. Zwei alternativen Vorschlägen wurde je ein 1. Preis zuerkannt. Der erste stammte von Roland Rainer. Der Wiener Architekt lehrte seinerzeit an der TH Hannover und hatte sich gerade durch den Bau der Wiener Stadthalle profiliert. Der zweite stammte von Hans Scharoun. Der in Berlin lebende und lehrende Architekt hatte sich schon in den späten zwanziger Jahren als moderner Architekt einen Namen gemacht. Und er hatte bereits 1927 an dem Wettbewerb teilgenommen und einen „Ankauf“ erhalten. Scharoun war gebürtiger Bremer und in Bremerhaven aufgewachsen. Während Rainer als Bauplatz der Stadthalle die Nordostecke der Bürgerweide vorschlug, kam Scharoun zu einem Ergebnis, das von einer städtebaulichen Neuorganisation des Geländes ausging.

Die Baugrube der Stadthalle mit der hölzernen Sporthalle, die noch im Weg steht.
Quelle: bremer zentrum für baukultur (bzb)

Scharoun schlug vor, die Hollerallee aufzuheben und eine neue Straßenverbindung zu schaffen, die diagonal die Bürgerweide schnitt und vom Torfhafen in Findorff zur Hermann-Böse-Straße beim „Elefanten“ verlief. Die Stadthalle sollte nördlich dieser Straße im erweiterten Bürgerpark platziert werden, der verlängerte und neu konturierte Hollersee sollte bis an die Halle heranreichen. Zudem schlug Scharoun eine verbesserte Fußgängerverbindung mit der Stadt in Form eine Steges vor, der die Bahngleise nördlich des Bahnhofs querend Stadthalle mit Bahnhofsplatz verband.

So kühn diese Idee auch war, hatte sie doch kaum eine Chance auf Realisierung. Die Kosten für die Verkehrsinfrastruktur wären für die damalige Haushaltslage kaum tragbar gewesen. Und so wurde der pragmatischere Vorschlag für den Standort der Halle, den Rainer lieferte, zur Grundlage für den Architekturwettbewerb, den Rainer dann 1957 mit seinen beiden Bremer Kollegen gewann.

Scharoun war auch zu dem Bauwettbewerb eingeladen worden, verzichtete aber auf eine Teilnahme. Möglicher Grund: Er konnte 1956 den Wettbewerb für eine noch prominentere Bauaufgabe für sich entscheiden, den Wettbewerb für die Berliner Philharmonie. Der 1963, noch vor der Bremer Stadthalle, vollendete Bau brachte dem gebürtigen Bremer weltweit Anerkennung.

Stadthallenfiasko, Karikatur in den Bremer Nachrichten 7. August 1964.
Quelle: Bremer Nachrichten

König Richard peitscht das Projekt durch

Dass sich Roland Rainer für den Bauwettbewerb mit dem Bremer Architektenduo zusammentat, war sicher ein kluger Schachzug. Säume und Hafemann galten als die Hausarchitekten der Gewoba, der größten Bremer Wohnungsbaugesellschaft, die in jenen Jahren gerade ihr Prestigeprojekt Neue Vahr realisierte. Und der Aufsichtsratsvorsitzende der Gesellschaft war kein Geringerer als Richard Boljahn, zugleich Bürgerschaftsfraktionsvorsitzender der SPD und DGB-Kreisvorsitzender.

Boljahns Politikstil war das, was man gern mit „hemdsärmelig“ umschrieb: durchsetzungsstark und volksnah. Von Freund und Feind wurde er in einer Mischung aus Häme und Respekt „König Richard“ genannt. Und die Stadthalle war Boljahns Lieblingsprojekt. Das galt weniger für die bürgerlichen Parteien in Bremen. Natürlich sei man im Prinzip für eine Stadthalle, ließen CDU und FDP einmütig verlauten, aber bei der momentanen Haushaltslage sei sie nicht zu verwirklichen – zumindest nicht in der Größe und dem Umfang, wie es der siegreiche Entwurf vorsah.

Boljahns Strategie war, mit schöngerechneten Kostenschätzungen den parlamentarischen Segen für den Bau durchzusetzen und dann scheibchenweise nachzulegen – eine Strategie, die man bis heute von zahlreichen Großprojekten kennt, deren Kosten aus dem Ruder laufen. Das verzögerte immer wieder den Bauprozess. Mal musste ein falsches Bodengutachten nachgeholt werden. Mal hatten sich die Architekten verrechnet.

Feierliche Eröffnung am 31. Oktober 1964. Architekt Max Säume überreicht Bürgermeister Wilhelm Kaisen den Schlüssel. Rechts Richard Boljahn.
Quelle: bremer zentrum für baukultur (bzb)

Kummer machten auch die Betreiber der hölzernen Sporthalle an der Gustav-Deetjen-Allee, die dem Neubau weichen sollte. Ihr Chef Andree Bölken, der im ersten noch von der britischen Militärregierung eingesetzten Bremer Senat kurzzeitig Senator für Ernährung und Arbeitseinsatz war, appellierte in einem Flugblatt an alle „Sportler und Sportfreunde, Kleintierzüchter, Gärtner, Handwerker, Mieter, Pächter der Sporthalle und der Bürgerweide“, sich gegen das Prestigeprojekt zu stemmen, weil sie damit ihre gewohnte Heimstätte verlören. Es nutzte nichts, der Abriss wurde per Gerichtsbeschluss durchgesetzt.

Dabei wollte Boljahn gerade mit der Stadthalle etwas für den Massengeschmack schaffen. In einer Schrift zum 25-jährigen Bestehen der Halle wird er zitiert: „Wir mussten so was haben. Ick bin Kulturbanause, ick wollte das für uns alle, mit Sport, viel Sport und buntem Tralala, was jeden freut, besonders alle um Bremen rum.“ Als der Bau schließlich im Oktober 1964 eröffnet wurde, war eine Kostensteigerung um 300 Prozent zu registrieren. Der Senat handelte sich von Rechnungshof eine Rüge ein und erkannte die Kritik an. Der CDU-Fraktion war das zu wenig. Sie beantragte einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss, die FDP schloss sich an. Mit den Stimmen der SPD-Mehrheit wurde dieser schließlich abgelehnt.

Erfolgsgeschichte ohne Happy End für die Architektur

Nun stand das markante Bauwerk auf der Bürgerweide, hinter vorgehaltener Hand „Boljahneum“ genannt. Seine Verfechter hofften, dass die Halle fortan ihre eigene Erfolgsgeschichte schreiben würde. Und in der Tat machte sie sich mit Veranstaltungen wie dem Sechstagerennen, Fernsehshows und Pop-Konzerten schnell einen Namen, während das Bauwerk zu einem Wahrzeichen des modernen Bremens wurde. Schilder mit der grafisch vereinfachten dynamischen Schrägsilhouette wiesen schon auf der Autobahn vor der Stadt auf den populären Veranstaltungsort hin: das Zeichen sprach für sich.

Doch irgendwann kam die Erfolgsgeschichte ins Stocken.

Überall präsent: das Gebäude als Signet.
Quelle: bremer zentrum für baukultur (bzb)

Spätestens nach dem Abriss des Schlachthofs wurde über eine Neuordnung der Bürgerweide nachgedacht, die Idee eines Messe- und Kongresszentrums kam ins Spiel, der Halle rückten immer mehr Nachbargebäude auf den Leib, was ihr optisch nicht sonderlich gut tat. Die Denkmalpflege hatte versäumt, rechtzeitig über eine Unterschutzstellung nachzudenken. Und mit der neuen postmodernen Architekturästhetik ging eine wachsende Kritik an der modernen Sichtbetonästhetik der Halle einher.

Schließlich wurde zu Beginn der Nuller-Jahre auch das Fassungsvermögen der Halle als zu klein und ihr Ambiente als nicht mehr zeitgemäß bemängelt. Um mit anderen Veranstaltungsorten mithalten zu können, müsse der Bau unbedingt „modernisiert“ werden. Gegen einen Umbau wehrten sich der hochbetagte Architekt Roland Rainer und eine Bürgerinitiative vergeblich. Die Zuschauerkapazität wurde gesteigert, indem das Hängedach gekappt und durch ein neues höheres Dach ersetzt wurde. Die sechs markanten schrägen Pfeiler hat man, nun bar ihrer eigentlichen statischen Funktion, erhalten, als Attrappen gewissermaßen.

von Prof. Dr. Eberhard Syring

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