Als Lüder von Bentheim zwischen 1595 und 1613 dem Bremer Rathaus die prachtvolle Weserrenaissance-Fassade verpasste, wird er nicht im Traum daran gedacht haben, dass gut 360 Jahre später zwischen den drei markanten Giebeln vor dem Kupferdach schwer bewaffnete Scharfschützen in Stellung gehen würden, um zwei Hände voll europäischer Staatspräsidenten und Regierungschefs mit deren Tross zu beschützen, die mit friedlichen Absichten in die Hansestadt gekommen waren. Darüber hinaus patrouillierten 1200 Polizisten und 40 GSG-9-Beamte rund um die Uhr.

Vor allem diese martialischen Bilder, ergänzt um Absperrungen, Verkehrsbeschränkungen und Wartezeiten, dürften sich vielen jener Bremer als Erinnerung eingeprägt haben, die sich am 6. oder 7. Juli 1978 dem Markt näherten, wo im Rathaus und im Haus der Bürgerschaft jener EG-Gipfel stattfand, der später als Wiege des Euro in die Geschichte eingegangen ist. Andere Bremer, die sich das Ereignis damals vom Fernsehsessel aus ansahen und von dort aus auch schon frühere Gipfel verfolgt hatten, mögen „Wow!“ zu dem Auftrieb gesagt haben.

Dass weder die einen noch die anderen mit geschwellter Brust an den Bremer Gipfel von 1978 zurückdenken, der sie für zwei Tage zu Bürgern der Hauptstadt Europas gemacht hatte, verbietet schon hanseatisches Understatement. Immerhin waren rund 800 Journalisten aus 32 Ländern der Welt zu dem Ereignis angereist, obwohl der EG damals nur neun Staaten angehörten – darunter 25 Vertreter aus Japan, sechs aus der Sowjetunion, vier aus der Volksrepublik China, einer aus Kuba (!) und sogar einer aus der rätoromanischen Schweiz, aber keiner aus der damaligen DDR.

Für die Tage des Bremer Gipfels hat sich die untere Halle des Alten Rathauses in Fernsehstudios gewandelt: Kameras, Monitore, Mikrofone und Kabelstränge beherrschen die Szenerie. (Klaus Sander)

Abschied von der harten D-Mark

Über was sie geschrieben haben beziehungsweise was hinter den verschlossenen Türen des Rathauses verhandelt wurde, erschloss sich nur einer Handvoll von Experten und löste in den Kneipen des Viertels, in Findorff oder Walle keine erregten Diskussionen aus. Die kamen erst viel, viel später, dafür aber umso heftiger. Die damals für den Normalbürger kryptischen Nachrichten vom Bremer Gipfel entpuppten sich spätestens am 1. Januar 2002 als ebenso verständlicher wie ungeliebter Begriff, besonders, wenn der Abschied von der harten D-Mark beim Bier am Tresen gefeiert oder betrauert wurde: „Teuro“ statt „Euro“. Gerade in der Gastronomie war die D-Mark gefühlt im Verhältnis von 1:1 statt 1:051 gegen den Euro eingetauscht worden.

Doch der Reihe nach. Der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt hatte als turnusmäßiger Vorsitzender des Europäischen Rats die Staats- und Regierungschefs der Gründungsmitglieder Frankreich, Italien und der Beneluxländer sowie der 1973 beigetretenen Länder Großbritannien, Irland und Dänemark nach Bremen gebeten, um aktuelle Probleme und die Weiterentwicklung der Europäischen Gemeinschaft zu beraten. Schmidt wäre nicht der respektvoll-spöttisch so genannte Weltökonom gewesen, wenn er sich für diesen Gipfel nicht etwas Besonderes ausgedacht hätte.

Unmittelbar vor der Bremer Veranstaltung hatte er sich in seinem Reihenhaus in Hamburg-Langenhorn mit seinem engen Freund, dem französischen Staatspräsidenten Valéry Giscard d‘Estaing getroffen, um einem Projekt den letzten Schliff zu geben, mit dem vordergründig dem Außenhandel der Mitgliedsländer mehr Stabilität verschafft werden sollte.

Zu diesem Zweck hatten die Gründungsmitglieder bereits 1972 die sogenannte europäische Währungsschlange installiert, in der die Wechselkurse der beteiligten Länder höchstens um plus/minus 2,25 Prozent um einen vereinbarten Leitkurs schwanken durften.

Ideal und Wirklichkeit klafften jedoch weit auseinander. Wegen unterschiedlicher Entwicklungen bei Preisen, Kosten und Zahlungsbilanzen mussten die internen Kursrelationen wiederholt geändert werden. Einige Länder waren wegen geld- und währungspolitischer Spannungen aus dem Verbund ausgetreten und hatten die Kurse ihrer Währungen gegenüber den Währungen der übrigen Schlangen-Mitglieder freigegeben.

Eine solche der europäischen Integration zuwiderlaufende Entwicklung wollten Giscard und Schmidt mit einem neuen System, dem Europäischen Währungssystem (EWS), stoppen. Im Prinzip sollte das EWS wie die Währungsschlange funktionieren, das heißt, es sollte bei festen, jedoch anpassungsfähigen Wechselkursen bleiben, aber der Einbau bestimmter Mechanismen (zum Beispiel Interventionen der Notenbanken zur Kursstützung) sollte Alleingänge einzelner Länder erschweren und möglichst verhindern.

Britischer Premier mit großen Vorbehalten

Der Bundeskanzler musste in sogenannten Beichtstuhlverfahren beträchtliche Überzeugungsarbeit leisten, um seinen acht Kollegen das Projekt in vertraulichen Einzelgesprächen schmackhaft zu machen, an dessen Ende eine stabile europäische Währungsunion stehen sollte. Dies führte sogar dazu, dass das Bremer Treffen nicht ganz pünktlich beendet werden konnte. Da hatte es sachliche Gegenargumente gegeben, aber auch emotionale Verärgerung über das Tête-à-Tête des Deutschen und Franzosen in Schmidts Hamburger Privathaus. Dass die größten Vorbehalte vom britischen Premierminister James Callaghan kamen, verwundert in der Nachbetrachtung natürlich nicht. Die Briten sind dem EWS niemals beigetreten.

Ein formeller Beschluss über das EWS wurde auf dem Bremer Gipfel nicht gefasst. Aber in den europäischen Hauptstädten und bei der Europäischen Gemeinschaft (EG) in Brüssel wurde an dem Projekt zügig weitergearbeitet. Bereits am 13. März 1979 trat das Europäische Währungssystem in Kraft.

Von Experten wurde die Zielsetzung des Gipfels damals skeptisch verfolgt. Ein Sprecher des Kieler Instituts für Weltwirtschaft betonte in einem Interview mit dem WESER-KURIER: „Engere währungspolitische Zusammenarbeit hat Aussicht auf Erfolg, wenn die Geldpolitik in der Gemeinschaft aus der nationalen Souveränität herausgelöst wird. Solange nationale Notenbanken unabhängige Geldpolitik machen wollen, ist ein Wechselkursverbund ohne Erfolgschance.“ Angesichts hoher Arbeitslosigkeit in Europa wurde eine gemeinsame Wachstumsstrategie ohnehin für dringlicher gehalten. Aber, so meinte das Kieler Institut, „gleicht das Warten auf eine international abgestimmte Wirtschaftspolitik faktisch einem Warten auf Godot“.

Gemeinsame Währung als krönender Abschluss

Auch Schmidt räumte 20 Jahre später, am 13. Juli 1998 auf einer Festveranstaltung im Bremer Rathaus zum 20. Jahrestag des Gipfels ein, dass der Euro, die Massenarbeitslosigkeit nicht lösen könne. Schon während des Bremer Gipfels war immer wieder die Frage zu hören, ob hier nicht der zweite Schritt vor dem ersten gemacht wurde, ob eine gemeinsame Währung nicht besser der krönende Abschluss, das Dach nach einer Koordinierung der Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik der Gemeinschaftsländer gewesen wäre.

Unzufrieden äußerte sich Schmidt zwischenzeitlich auch aus anderen Gründen. In Verkennung der Tatsache, dass der Misserfolg immer nur einen Vater, der Erfolg aber viele Väter hat, mäkelte er vier Jahre vor der Einführung des Euros in einem Schreiben an seinen Freund Giscard, „dass dessen und sein Name von denen nicht mehr erwähnt werde, die heute auf jenem Weg zum Ziel fahren, den sie beide in Bremen geebnet hatten“.

Europas währungspolitischer Stier wurde vor 40 Jahren in Bremen zwar vom Schwanz aufgezäumt. Dies markierte dennoch eine Phase des Aufbruchs, die mit der Währung nicht nur versprochen, sondern auch erreicht wurde. Heute zeigt sich eher Zerbröselung. Der jüngste Nachfolger von Giscard, Emmanuel Macron, hat diese Gefahr erkannt. Mit dem von ihm propagierten Ansatz für ein europäisches Budget als Vorläufer einer gemeinsamen Finanzpolitik würde die europäische Währung (und womöglich nicht nur sie) teilweise das vor 40 Jahren vermisste solidere Fundament erhalten – ähnlich wie die Wiege des Euro: Lüder von Bentheims Bremer Rathaus.

von Wolfgang Oelrich

Der französische Präsident Giscard d‘ Estaing trifft unter strengen Sicherheitsvorkehrungen vor dem Rathaus ein. Rechts noch im Bild der Mercedes 600 und ein französischer Gendarm. (Jochen Stoss)

Jung, aber mit viel Geschichte

50 Jahre
Universität Bremen

50 Jahre sind seit der Gründung der Universität Bremen vergangen. Auf dem Weg von der vermeintlichen roten Kaderschmiede zur Exzellenzuniversität ist viel passiert: Wir haben den ersten sowie den aktuellen Rektor interviewt und mit Absolventen gesprochen – zu denen auch Bürgermeister Andreas Bovenschulte gehört. Zudem hat uns ein Architekt über den Campus begleitet. Das Magazin der Reihe WK | Geschichte gibt es ab 18. September in den ­Kundenzentren des WESER-­KURIER, im Buch- und Zeitschriftenhandel, online unter www.weser-kurier.de/shop und unter 0421 / 36 71 66 16.

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