Es ist ein symbolträchtiger Ort, an dem Bundeskanzler Helmut Schmidt und der französische Staatspräsident Valéry Giscard d’Estaing im September 1978 zusammenkommen: Aachen, die Stadt im Herzen Europas; die Stadt Karls des Großen. Jenes Frankenherrschers, den lange Zeit sowohl Deutsche als auch Franzosen als ihren ersten Kaiser beanspruchten, der aber vielen Historikern und Forschern als Vater Europas gilt. Aachen verkörpere daher „die Hoffnung auf ein friedliches und geeintes Europa“; sie stehe für den „gemeinsamen geschichtlichen Ursprung“ der befreundeten Nationen links und rechts des Rheins, wie Schmidt zum Abschluss des Treffens sagt.

Die Grundlage dieser Freundschaft haben 15 Jahre zuvor Konrad Adenauer und Charles de Gaulle gelegt. Nach langer Vorarbeit unterzeichneten die Staatsmänner den Élysée-Vertrag, der „nach Jahren blutiger Kämpfe eine neue Seite im deutsch-französischen Verhältnis aufschlägt“, wie de Gaulle erklärte. Die ehemaligen „Erbfeinde“ hatten erkannt, dass ein vereintes und friedliches Europa nur durch eine stärkere Kooperation zwischen ihnen möglich sei. Mit dem Vertrag verpflichteten sie sich zu regelmäßigen Treffen ihrer Regierungen, zur außenpolitischen Zusammenarbeit und zu einer gemeinsamen Wirtschafts- und Sicherheitspolitik. Später folgte der Aufbau eines Jugendwerks, um sich gemeinsam Erziehungs- und Jugendfragen zu widmen und die Beziehungen zwischen jungen Menschen beider Nationen zu festigen. Schüler und Studenten sollten bei Aufenthalten im Nachbarland die Kultur und Sprache des Partners kennen- und verstehen lernen.

Doch in den ersten Jahren begegneten sich die neuen Freunde vor allem auf Abstand. Die französische Seite betrachtete den wirtschaftlichen Aufschwung Deutschlands mit Skepsis; zudem richtete de Gaulle seine Politik antiamerikanisch aus, während Adenauer aus sicherheitspolitischen Gründen die Nähe zu den USA suchte. Eine Ausnahme bildete die Jugendarbeit, die schnell zu einem hohen Austausch führte. Weiterhin entstanden zahlreiche Städtepartnerschaften und Kooperationen zwischen Vereinen. Erst mit Schmidt und Giscard, die beide im Jahr 1974 ihre Ämter antraten, rückten die Nachbarländer auch auf politischer Ebene näher zusammen. Es begann das „goldene Zeitalter“ der deutsch-französischen Beziehungen.

Geeint für die Zukunft Europas

Schmidt und Giscard tauschten sich wöchentlich miteinander aus. Oft per Telefon, wobei sie Englisch miteinander sprachen. Sie kamen überein, dass Europa in einer globalisierten Welt nur eine Zukunft habe, wenn ihrer beider Staaten geeint auftraten. Auch darüber hinaus standen sie in engem Kontakt: „Helmut Schmidt war mir ein wahrer Freund, ein treuer Freund. Unser Verhältnis war kein politisches“, sagte Giscard in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung nach Schmidts Tod. So war er nach dessen Frau Loki der Erste gewesen, dem Schmidt von seiner jüdischen Herkunft erzählte.

Die Initialzündung für eine stärkere Zusammenarbeit lieferte der Umbau der französischen Regierung im Sommer 1976: Giscard ernannte den Wirtschaftswissenschaftler Raymond Barre zum Premierminister. Barre versprach Veränderungen in der Wirtschaftspolitik und hob Deutschland als Beispiel für den zukünftigen Kurs hervor. Im Nachbarland registrierte man die daraufhin eingeleiteten Reformen wohlwollend. Schmidt und Giscard beschlossen, sich gemeinsam für eine europäische Währungsunion einzusetzen.

Kurz vor dem EU-Gipfel in Bremen trafen sie sich in Schmidts Privathaus in Hamburg-Langenhorn. In Schmidts Kellerbar – „Kneipe“ genannt – arbeiteten sie das Konzept für das Europäische Währungssystem (EWS) aus, den der Europäische Rat schließlich nahezu vollständig übernahm. Danach ging es an dessen Umsetzung – gegen die Vorbehalte zahlreicher Kritiker. Doch Schmidt und Giscard verteidigten ihr Projekt gegen alle Widerstände und demonstrierten stets Einigkeit, wie etwa bei ihrem Treffen in Aachen, das zwei Monate nach dem Bremer EU-Gipfel stattfand.

Zwei Jahrzehnte, nachdem das von ihnen entwickelte EWS in Kraft trat, ging aus ihm der Euro hervor. Schmidt und Giscard hatten ihr Ziel erreicht: Europa bekam eine Gemeinschaftswährung.

von Helge Hommers

Valery Giscard d’Estaing (links) und Helmut Schmidt 1980 in Bonn. (Heinrich Sanden, Frankfurt-Archiv)

Jung, aber mit viel Geschichte

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