Mickrig im Vergleich zur überdimensionalen Rohrkonstruktion der SPD: Abgedrängt an den Rand des Bahnhofsvorplatzes fand sich die Wahlwerbung der CDU. Bildvorlage: Staatsarchiv Bremen

Mickrig im Vergleich zur überdimensionalen Rohrkonstruktion der SPD: Abgedrängt an den Rand des Bahnhofsvorplatzes fand sich die Wahlwerbung der CDU.
Bildvorlage: Staatsarchiv Bremen

Wahlkampf nach US-Vorbild: Das Erfolgskonzept der Bremer SPD bei den Bürgerschaftswahlen 1959

Vorm Hauptbahnhof stand eine haushohe Stahlrohrkonstruktion mit drei Fußgängerdurchgängen. In der Mitte prangte ein überlebensgroßes Porträt von Bürgermeister Wilhelm Kaisen. Links und rechts zeigten Luftaufnahmen den Hafen mit der AG „Weser“ und das Vorzeigeprojekt Neue Vahr. Darüber nur drei Worte: „Alles für Bremen“.

So sah er aus, der Bürgerschaftswahlkampf der Bremer SPD im Herbst 1959. Auf handfeste Aussagen verzichteten die Sozialdemokraten bei diesem Urnengang ganz bewusst. Das bedeutete: Keine politischen Botschaften mehr, keine ermüdenden Vortragsreden über neue Zielsetzungen. Dafür gab’s Hausfrauennachmittage samt Modenschau, Zirkusvorstellungen für die Kinder und zwei Großveranstaltungen im Weserstadion mit bengalischem Feuer.

Schon frühzeitig hatten sich die Genossen entschieden, auf moderne Wahlkampfmethoden zu setzen. Was einmal gewesen war: alles antiquiert, meinte Fraktionschef Richard Boljahn, der schon vor Jahren moniert hatte, ausgerechnet die SPD als revolutionäre Partei bediene sich der „konservativsten Propaganda“. Die Menschen von heute seien nur noch auf Umwegen für eine politische Entscheidung zu gewinnen, lautete sein Credo.

Darum kam für ihn nichts anderes in Frage als ein Wohlfühl-Wahlkampf nach amerikanischem Vorbild. Ein Wahlkampf, der auf Unterhaltung statt Unterrichtung setzte. Ein Wahlkampf mit Volksfestcharakter.

Bremen als das gelobte Land

Und das natürlich unter Verwendung aller technischen Möglichkeiten: Erstmals flimmerten Werbespots über die Leinwand und den Bildschirm, war im Rundfunk das Loblied auf die SPD zu hören. Ein modernes Instrumentarium auch die Fotomontage: Vorm Hintergrund der Neuen Vahr zeigte die Wohnungsbaustatistik steil nach oben.

Die sozialdemokratische Stimmungsmache an der Weser ließ die Parteistrategen in der Bonner Baracke aufhorchen. Und zwar schon lange bevor die Bremer SPD am 11. Oktober 1959 mit 54,9 Prozent der Stimmen einen glänzenden Wahlsieg einfuhr und damit die Richtigkeit ihrer Wahlkampfpraxis durch den Erfolg bestätigte. Unmittelbar bevor die Bundespartei mit dem Godesberger Programm endgültig den Schwenk von der sozialistischen Arbeiterpartei zur Volkspartei vollzog, lieferten die Bremer Genossen dafür die passende Wahlkampfmethode.

Mithin schien es sich zu lohnen, von den Bremern eine Lektion erteilt zu bekommen. Wollte man endlich auch einmal im Bund punkten, konnte das Motto nur lauten: Von Bremen lernen, heißt siegen lernen.

Kein Wunder, dass Bremen in den heißen Tagen des Wahlkampfs zum gelobten Land wurde. Zur Pilgerstätte für all diejenigen, die es schon immer wissen wollten. Wie aus den Akten des Bremer Staatsarchivs hervorgeht, war unter den Wissbegierigen auch der Hamburger Bundestagsabgeordnete Helmut Schmidt. Der damals 41-Jährige reiste aus Bonn an, um sich direkt vor Ort über die vielgepriesenen Wahlkampfmethoden zu unterrichten. Dabei suchte er das Gespräch mit einem befreundeten Parteikollegen, Innensenator Adolf Ehlers. Doch das Treffen mit dem Senator platzte. Als Schmidt endlich in Bremen war, musste er sich mit weniger arrivierten Gesprächspartnern begnügen.

Ehlers ließ von sich hören

Immerhin ließ Ehlers von sich hören, als der Wahlkampf vorüber war. Zwar warnte er davor, den Bremer Wahlkampf schematisch auf Wahlen in anderen Bundesländern zu übertragen, schon gar nicht auf die kommende Bundestagswahl 1961. „Es ist ein großer Unterschied, ob man einen solchen Wahlkampf aus der Opposition oder aus der Regierung heraus führen muß“, so Ehlers am 21. Oktober 1959 in seinem Schreiben an Schmidt. Dennoch war auch er überzeugt von der Vorbildfunktion des Bremer Modells. „Trotzdem aber halte ich im ganzen die Methoden in den anderen Ländern für überholt und glaube, daß der Bremer Wahlkampf sehr viele Hinweise für eine neue moderne Richtung der Agitation geben kann.“

So ging moderner Wahlkampf 1959: die Verdienste hervorheben, auf den Parteinamen verzichten. Bildvorlage: Staatsarchiv Bremen

So ging moderner Wahlkampf 1959: die Verdienste hervorheben, auf den Parteinamen verzichten.
Bildvorlage: Staatsarchiv Bremen

Die Bremer SPD als Schrittmacher für die Genossen im ganzen Land. Vielleicht ist es kein Zufall, dass ausgerechnet die weltoffenen Bremer mit ihren engen Verbindungen in den angelsächsischen Raum diese Vorreiterrolle übernahmen. Besonders kurios war dabei der Auftritt der Jungsozialisten, die keinerlei Scheu hatten, sich auf einen Deal mit Coca-Cola einzulassen: Für einen Tanzabend im Café Hillmann finanzierte die kapitalistische Vorzeigefirma den Entwurf und Druck der Einladungsplakate. Zehn Jahre später wäre das undenkbar gewesen.

Doch nicht erst 1959 probierten die Bremer Sozialdemokraten einen neuen Wahlkampfstil aus. Gewaltige Plakatformate und überdimensionale Fotomontagen hatten bereits 1955 zum Repertoire gehört. Damals habe man sich allerdings „noch mehr gefühlsmäßig an die neue Methode der politischen Propaganda herangetastet“, gab Boljahn nach dem Wahlsieg zu Protokoll. Vier Jahre später steckte eine echte Strategie dahinter.

Frei nach Shakespeare könnte man sagen: War es inhaltlich auch Unsinn, so hatte es doch Methode. Aus heutiger Sicht mutet allenfalls befremdlich an, wie unbefangen man damals noch mit Begriffen wie „Propaganda“ und „Agitation“ umging. Das SPD-Wahlkampfteam firmierte 1959 sogar noch als „Propagandaausschuss“. Erst mit der wachsenden Sensibilisierung für den Sprachgebrauch im „Dritten Reich“ kamen solche Wendungen aus der Mode.

Überall Plakate, aber mit System: Im Wahlkampf 1959 setzte die SPD auf neue Methoden. Bildvorlage: Staatsarchiv Bremen

Überall Plakate, aber mit System: Im Wahlkampf 1959 setzte die SPD auf neue Methoden.
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Moderner Wahlkampf wie „Einführung einer neuen Margarinesorte“

Die Bürgerschaftswahlen von 1955 also als Testlauf für den Wahlkampf von 1959. Der wurde dann „perfektioniert“, wie die Historikerin Renate Meyer-Braun feststellt. Bereits im November 1958 traf sich die Parteispitze zur Vorbereitung der Wahlen zu einer Klausurtagung in Verden. Zu den geladenen Gästen gehörten auch zwei Sozialwissenschaftler, die den Genossen darlegten, wie eine Wahlkampfstrategie nach psychologischen und soziologischen Erkenntnissen gestrickt sein müsste. Der junge Bürgerschaftsabgeordnete Hans Koschnick nahm aus dieser Tagung als wenig sentimentale Lehre mit, dass moderner Wahlkampf vergleichbar sei mit der „Einführung einer neuen Margarinesorte“.

Nicht umsonst sprechen Experten von einem „Markenartikel-Wahlkampf“. Die SPD präsentierte sich als erfolgsversprechendes Produkt, eben als Markenprodukt. Ein wesentlicher Pfeiler war dabei Bürgermeister Wilhelm Kaisen als patriarchalischer Übervater. Er wurde als treusorgender Hüter Bremens präsentiert, als einer, der eigentlich über den Parteien stand.

Kaisen war sozusagen das menschliche Antlitz der Erfolgsmarke, jeder kannte seine Gesichtszüge. Darum reichte es im Grunde auch, ihn ohne Namensnennung mit einem griffigen Slogan wie „Alles für Bremen“ abzubilden. „Kaisen für Bremen“ war gleichsam die traditionell angehauchte Sicherheitsvariante.

Von der Neuen Vahr sprechen, die SPD meinen

Doch mit Kaisen allein war es nicht getan, die Marke SPD sollte vor allem mit den großen Errungenschaften des Wiederaufbaus in Verbindung gebracht werden: der Linderung der Wohnungsnot durch Vorzeigeprojekte wie die Neue Vahr, den wiedergewonnenen Wohlstand durch florierende Großbetriebe wie die AG „Weser“. Wenn es gelang, solche Erfolge untrennbar mit der SPD zu verknüpfen, erübrigte sich die Nennung des Parteinamens. Frei nach dem Motto: Wer von der Neuen Vahr spricht, meint die Bremer Sozialdemokratie.

Im Brief an Helmut Schmidt formulierte Adolf Ehlers das so: „Das Entscheidende bei dem Bremer Wahlkampf war sicherlich, daß sehr moderne Methoden der Agitation und Propaganda angewandt wurden, daß aber im Grunde die SPD nur insofern die Probe mit dieser neuen Werbung bestehen konnte, weil genügend Leistungen vorhanden waren, die nur deutlich gemacht werden mußten.“

von Frank Hethey

Wilhelm Kaisen überlebensgroß: Im Wahlkampf von 1959 zog die Bremer SPD alle Register. Die Wahlkampfmethoden an der Weser galten als vorbildhaft, auch der Bundestagsabgeordnete Helmut Schmidt reiste an, um sich über das Erfolgskonzept ein Bild zu machen. Bildvorlage: Staatsarchiv Bremen

Wilhelm Kaisen überlebensgroß: Im Wahlkampf von 1959 zog die Bremer SPD alle Register. Die Wahlkampfmethoden an der Weser galten als vorbildhaft, auch der Bundestagsabgeordnete Helmut Schmidt reiste an, um sich über das Erfolgskonzept ein Bild zu machen.
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