Noch direkt an der Großen Weserbrücke gelegen: das Kapff’sche Haus um 1854.
Quelle: Wikicommons

Zum Abriss des Kühne + Nagel-Gebäudes: Schon der Neubau von 1961 tastete sich in Richtung Osten vor – Architekt Cäsar Pinnau als Nutznießer von NS-Aufträgen

Zwei Weserbrücken direkt nebeneinander – dieses Motiv kennen Bremen History-Leser schon, sogar als Farbbild. Nicht erfasst ist auf dem schon publizierten Foto allerdings, was auf dieser Aufnahme am rechten Bildrand zu erkennen ist: die Baustelle des Kühne + Nagel-Neubaus. Entstanden ist die Aufnahme im Winter 1960, kurz vor der Einweihung der neuen Weserbrücke. Die ersten drei Stockwerke sind bereits vollendet, das hölzerne Baugerüst wächst langsam mit. Ein denkwürdiger Anblick angesichts des Umstands, dass der Neubau von damals in nicht allzu ferner Zukunft schon wieder Geschichte sein wird.

Bereits seit einigen Wochen fressen sich riesige Bagger durch das alte Kühne + Nagel-Gebäude, der deutlich größere Neubau soll 2019 seiner Bestimmung übergeben werden. Ein dreiteiliger Komplex mit einem elfgeschossigen Haupthaus im „Dudler-Look“.

Füllte die Lücke zwischen Kapff’schem Haus und Weserbrücke: das Franzius-Denkmal von 1908.
Quelle: Wikicommons

Dass das neue Gebäude über die Maße des Vorgängerbaus hinauswachsen wird, ist hinlänglich bekannt. Wo bisher der Kurvenbereich von der Martinistraße zur Wilhelm-Kaisen-Brücke war, wird sich schon bald das Haupthaus erheben.

Weniger bekannt dürfte indessen sein, dass sich damit die Geschichte wiederholt. Denn bereits der Neubau von 1961 wurde keineswegs exakt am Standort des kriegszerstörten Vorgängerbaus errichtet, des Kapff’schen Hauses von Heinrich Müller, das seit 1910 als Firmensitz gedient hatte. Vielmehr verlängerte sich die Grundfläche ein gutes Stück ostwärts. Damit ragte schon das August-Kühne-Haus in den früheren Verlauf der Wachtstraße hinein. Die sukzessive Osterweiterung des Kühne + Nagel-Gebäudes ist mithin eine Tendenz mit Tradition. Auch wenn die Protagonisten von heute sich dessen vielleicht gar nicht bewusst sind.

Eine Lücke zwischen Kapff’schem Haus und Weserbrücke

Die „Wanderschaft“ des Kühne + Nagel-Gebäudes hängt mit einer anderen „Wanderschaft“ zusammen, nämlich jener der Großen Weserbrücke. Wie auf alten Stichen sehr gut zu erkennen ist, lag das burgartige Kapff’sche Haus von 1852 noch direkt am Kopf der 1841 fertiggestellten ersten Großen Weserbrücke. Anders die Situation beim Brückenneubau von 1895, der die Weser etliche Meter flussaufwärts überquerte. Die Folge: Zwischen dem Kapff’schen Haus und der neuen Weserbrücke entstand eine Lücke, ein kleiner Platz, den seit 1908 das Franzius-Denkmal füllte.

Auf dem Weg zum Brill: zum Großprojekt Martini-Durchbruch gehörte auch die Unterführung vor der Weserbrücke.
Bikldvorlage: Alexander Buega

Den einmal eingeschlagenen Weg setzte dann die neue Große Weserbrücke fort, die heutige Wilhelm-Kaisen-Brücke. Weil der Verkehr nicht mehr durch die Wachtstraße, sondern die Balgebrückstraße fließen sollte, wurde die neue Brücke abermals ein ansehnliches Stück weseraufwärts errichtet. Für das Franzius-Denkmal gab es in den Planungen keinen Platz mehr, es musste bereits 1959 dem geplanten Kühne + Nagel-Neubau weichen.

Dass es sich bei dem Baugrund um sensibles, weil exponiertes Gelände handelte, ist keine Erkenntnis unserer Tage. Schon beim Bau des Kapff’schen Hauses wollte der Senat ein Wörtchen mitreden. Nicht irgendein beliebiges Gebäude sollte dort stehen, sondern ein „besonders schönes Haus“. Dieser Situation war sich die Firma bewusst, als sich die Pläne für einen Neubau auf dem Trümmergelände konkretisierten. Anders als beim jetzigen Neubauvorhaben schrieb Kühne + Nagel einen Architektenwettbewerb aus, freilich einen eingeschränkten. Vier Bremer und ein Hamburger Architekt waren eingeladen, ihre Entwürfe vorzulegen.

Erhielt den Zuschlag: Cäsar Pinnau, einst ein Vertrauter von Hitler-Architekt Albert Speer.
Quelle: Joachim Fest, Cäsar Pinnau

Erster Preis ging an Bernhard Wessel

Den ersten Preis sicherte sich im Juli 1955 der Bremer Architekt Bernhard Wessel, nach dessen Plänen im gleichen Jahr der Bau der heute denkmalgeschützten Seefahrtschule auf dem Stadtwerder begann. Sein eher konventioneller Entwurf orientierte sich behutsam an der alten Bauweise. Darum auch die Wahl von Sand- und Backstein als äußere Verkleidung des sechsgeschossigen Gebäudes. Die Preisrichter waren begeistert, zumal sie Wessels anrechneten, mit seinem Entwurf nicht den Maßstab der umliegenden Bebauung gesprengt zu haben. Aus heutiger Sicht kurios wirkt indessen Wessels Anregung, das Reiterstandbild Kaiser Friedrichs an der Hermann-Böse-Straße vor dem neuen Kühne + Nagel-Gebäude zu platzieren. Als „Bereicherung“ empfanden dagegen die Preisrichter den Vorschlag.

Gleichwohl blieb Wessels die bittere Erkenntnis nicht erspart, dass ein erster Platz im Wettbewerb nicht notwendig bedeutet, auch den Zuschlag zu bekommen. Den bekam an seiner statt der Zweitplatzierte Cäsar Pinnau aus Hamburg. Pinnau war alles andere als ein unbeschriebenes Blatt, im „Dritten Reich“ hatte er zum Kreis um Hitler-Architekt Albert Speer gehört. Der Lohn der Nähe zur Macht waren zahlreiche Staatsaufträge, darunter 1938 der Auftrag für die Innengestaltung der Neuen Reichskanzlei. Seine NS-Vergangenheit schadete Pinnau nach 1945 nicht sonderlich, dennoch hing sie ihm bis zuletzt nach.

Zunächst nur siebengeschossig: das August-Kühne-Haus – hier gesehen durch die Wachtstraße, damals noch mit Straßenbahnschienen.
Quelle: bremer zentrum für baukultur

Mit Bremen hatte Pinnau schon früh Bekanntschaft gemacht. Als blutjunger Architekt lieferte er 1928/29 Entwürfe für den Innenausbau des legendären Schnelldampfers „Bremen“. Eine weitere Verbindung ergab sich 1944, als Speer ihn in den Arbeitsstab für den Wiederaufbau bombenzerstörter Städte berief. Seit Februar 1944 gehörte Bremen als „Wiederaufbaustadt“ zu jenen Städten, die mit besonderer Förderung bei der Beseitigung der Kriegsschäden rechnen konnten. Unter Leitung von Baudirektor Wilhelm Wortmann beteiligte sich Pinnau an den ambitionierten Planspielen, die etliche Monumentalbauten im Innenstadtbereich vorsahen.

Ein Zeichen an exponierter Stelle

Daraus wurde nichts, nach dem Ende des NS-Staats gab es für Parteibauten keinen Bedarf mehr. Doch dafür erhielt Pinnau mit dem Kühne + Nagel-Neubau eine andere Gelegenheit, an exponierter Stelle ein Zeichen zu setzen. Im Grunde sogar ein Ausrufezeichen, weil dem Gebäude im Zuge des Martini-Durchbruchs eine wegweisende Funktion zukam. Ein Nutznießer des „Dritten Reichs“, der nicht ohne Grund auf Staatsaufträge verzichten musste, als Architekt des neuen Firmensitzes – aus heutiger Perspektive ein zumindest pikantes Detail angesichts der beharrlichen Weigerung von Kühne + Nagel, sich der eigenen Vergangenheit zu stellen. Denn anders als lange Zeit kolportiert, musste die Speditionsfirma in Kriegszeiten keineswegs um ihre Existenz kämpfen. Vielmehr sicherte sie sich lukrative Aufträge in Diensten des Regimes, so durch das Quasi-Monopol für den Transport von Raubgut aus jüdischem Besitz.

In Bremen zeigte man sich sehr angetan vom zunächst nur siebengeschossigen, zu Beginn der 1970er Jahre aufgestockten Pinnau-Bau. Bei der Eröffnung im Januar 1962 sprach der Weser-Kurier von einem „eindrucksvollen Gebäude“, das einen „neuen städtebaulichen Akzent“ setze.

Dieser Ansicht waren auch die Baubehörden. Als die See-Versicherer ein paar Jahre später einen Neubau auf der gegenüberliegenden Weserseite planten, wurde ihnen zur Auflage gemacht, sich am Kühne + Nagel-Gebäude zu orientieren. Tatsächlich ist die Ähnlichkeit frappierend, wie bauliche Geschwister sollten die beiden Häuser Bremens Lebensader an besonders markanter Stelle flankieren.

Davon kann nun bald keine Rede mehr sein.

von Frank Hethey

Auf diesem Bild nur eine Randerscheinung: das im Bau befindliche Kühne + Nagel-Gebäude im Winter 1960 am rechten Bildrand.
Bildvorlage: Alexander Buega

Von Anbiet bis Zuckerklatsche

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