Vom 7. bis 13. Januar 1965 fanden die ersten Bremer Six-Days statt / Erste Radrennbahn eröffnete 1885 hinter der Schleifmühle

Prominente Besucher bei Bremer Radrennen gibt es nicht erst seit den ersten Six-Days. Bereits 1890 lieferte sich Buffalo Bill auf der Schleifmühlen-Bahn ein Wettrennen mit einem Bremer Bäckerssohn. Seine Schlappe quittierte er mit einem angeblichen Indianer-Sprichwort übers Radfahren: „Fauler weißer Mann, setzt sich hin und geht!“   

Gut gelaunt führte SPD-Fraktionschef Richard Boljahn am 26. Oktober 1964 die Vertreter der Presse durch die fast fertige Stadthalle. Dass die Mehrzweckhalle lange Jahre ein Zankapfel der Bremer Politik gewesen war, sollte jetzt tunlichst vergessen sein. Doch wie den Journalisten das neue Bauwerk so richtig schmackhaft machen? Am besten durch den vorzeitigen Einbau der 166,6 Meter langen Radrennbahn für das erste Bremer Sechstagerennen im Januar 1965. Der PR-Trick verfehlte seine Wirkung nicht, zumal der joviale Boljahn als geistiger Vater der Stadthalle auch noch mit einem lukrativen Wetteinsatz lockte. Sein vollmundiges Angebot: „Ich zahle 500 Mark dem Journalisten, der auf dieser Bahn eine Runde mit einem Fahrrad dreht!“ Wegen der steilen Kurven bekanntermaßen kein einfaches Unterfangen.

Als vor 50 Jahren die ersten Bremer Six-Days über die Bühne gingen, war das keineswegs ein kompletter Neustart. Vielmehr kann Bremen auf eine lange Radsporttradition zurückblicken. Die begann schon, als noch das kostspielige Hochrad als Sportgerät die Szene beherrschte. 1881 wurde an der Weser der erste Radfahrverein gegründet, bis 1897 folgten mehr als ein Dutzend weitere mit insgesamt über 1000 Mitgliedern. Einen wichtigen Impuls für die rasante Verbreitung des Radfahrens gab 1888 die Einführung des Dunlop-Luftreifens für die massentauglichen, weil preisgünstigen Niederräder. Kaum zufällig erfreute sich erst in diesen Jahren der Radsport immer größerer Beliebtheit, entwickelten sich Radrennveranstaltungen innerhalb kurzer Zeit zum Massenspektakel.

Im Pferdesattel besser aufgehoben als im Fahrradsattel: Beim Radrennen gegen einen Bremer Bäckerssohn hatte Buffalo Bill das Nachsehen.
Quelle: Wikipedia Commons

Buffalo Bill trat an der Schleifmühle auf

Die Begeisterung für den Radrennsport machte auch vor Bremen nicht halt. Ein findiger Geschäftsmann stampfte bereits 1885 eine erste hölzerne Radrennbahn aus dem Boden. Die Anlage befand sich hinter der Schleifmühle im damals noch unbebauten Areal zwischen Bahndamm, Parkallee und dem Barkhof. Freilich hatte die 250 Meter lange Bahn noch keine überhöhten Kurven wie heute üblich. Etliche Jahre pilgerten die radsportbegeisterten Bremer zu den dortigen Veranstaltungen, gleichgültig ob es sich um Steher- oder Sprinterrennen handelte, im zeitgenössischen Jargon als Fliegerrennen bezeichnet.

Schon damals spielte auch der Eventcharakter eine große Rolle. Das lässt sich nicht zuletzt am Besuch eines gewissen William F. Cody ablesen, besser bekannt als Buffalo Bill. Der berühmte amerikanische Bisonjäger tingelte mit seiner Wildwestshow mehrfach durch Europa, im September 1890 gab er einen viel beachteten Gastauftritt auf der Schleifmühlen-Bahn. Dabei ließ er sich auf ein Wettrennen mit dem Sohn eines Bäckermeisters aus der Lüningstraße ein. Zu seinem Verdruss hatte er dabei das Nachsehen. Nach seiner Schlappe gab er eine angebliche Indianer-Weisheit über das Radfahren zum Besten: „Fauler weißer Mann, setzt sich hin und geht!“

Beschränktes Sichtfeld im „Nudeltopf“

Das Ende dieser ersten Bremer Radrennbahn kam 1899 mit dem rasanten Wachstum der Stadt. Für die Errichtung herrschaftlicher Wohnhäuser waren die stadtnahen Gebiete im vorderen Schwachhausen höchst attraktiv, eine Sportstätte störte das Wohlbefinden. Über ein Jahrzehnt mussten die heimischen Radsport-Enthusiasten nun ohne Radrennbahn auskommen und sich mit den zahlreichen Straßenrennen in und um Bremen begnügen.

Erst im Herbst 1910 sorgte ein Berliner Unternehmer mit dem legendären „Nudeltopf“ in Sielers Festsälen (dem früheren Schützenhof) an der Pappelstraße für Abhilfe. „Nudeltopf“ deshalb, weil die Kurvenüberhöhung bei 43 Grad lag und die Zuschauer sich bei einer Bahnlänge von nur knapp 100 Metern enorm recken mussten, um vom Wettkampfgeschehen etwas mitzubekommen. Zur Eröffnung gab es das erste Sechstagerennen auf Bremer Boden. Allerdings nur als Einmal-Ereignis. Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs machte den Veranstaltern allerdings einen kräftigen Strich durch die Rechnung, nach nur vier Jahren war das Vergnügen in der Neustadt schon wieder vorbei.

Radsport in der Krise

Wohin nun? Als man sich wieder Gedanken um Radsportstätten machen konnte, fand sich 1926 ein geeignetes Gelände an der Habenhauser Landstraße. Für 90.000 Mark ließ der Verein Bremer Stadion eine anspruchsvolle Holzpiste erbauen. Wie die frühere Schleifmühlen-Bahn hatte auch die neue Strecke eine Länge von 250 Metern, diesmal aber auch erhöhte 40 Grad-Kurven. Freilich erwuchs der neuen Radrennbahn schon bald unliebsame Konkurrenz: Seit Oktober 1928 fanden parallel Wettkämpfe auf der neuen Aschenbahn im Weserstadion statt.

Zu diesem Zeitpunkt steckte der Radsport bereits in einer handfesten Krise. Nach dem Ersten Weltkrieg hatten sich immer mehr arbeitslose junge Männer im Radsport versucht, doch mangelndes Talent drückte die Leistungen. Weit verbreitete Korruption unter den Radsportfunktionären tat ein Übriges, um zum Niedergang des Radsports beizutragen. Vor dem Ersten Weltkrieg neben Boxen noch die populärste Sportart, war der gute Ruf innerhalb kürzester Zeit verspielt. Als auch noch die Weltwirtschaftskrise hinzukam, mussten zahlreiche der rund 120 deutschen Rennbahnen ihren Betrieb einstellen.

Sechstagerennen als Sport von gestern

Verschont blieben einstweilen noch die Sechstagerennen. Doch nach 1933 begann auch der Stern der Six-Days zu sinken. Mit dem „Dritten Reich“ hat das freilich nur in zweiter Linie zu tun, ein regelrechtes Verbot hat es entgegen landläufiger Meinung nie gegeben. Immerhin boten gerade Sportveranstaltungen den neuen Machthabern einen willkommenen Anlass zur Selbstinszenierung – man denke nur an die olympischen Spiele von 1936.

Warum also den international renommierten Sechstagerennen einen Riegel vorschieben? Dem Kalkül der NS-Propaganda entsprach das nicht. Dennoch gab es ideologische Vorbehalte: gegen den Profiradsport überhaupt wie auch gegen dessen Kommerzialisierung. Strenge Restriktionen wie das Aus für Trikotwerbung verleideten ausländischen Profiradlern schon bald die Lust an der Teilnahme. Mit ihrem Fernbleiben ließ auch das Zuschauerinteresse rapide nach. Die unvermeidliche Folge: Sechstagerennen machten sich nicht mehr bezahlt, der Bahnradsport insgesamt schlitterte in eine Krise. Die halsbrecherischen Zweirad-Jagden verloren ihren Kultstatus, sie galten als Signum einer vergangenen, einer überholten Zeit.

Das Ende an der Habenhauser Landstraße

Das bekam auch die noch gar nicht so alte Anlage an der Habenhauser Landstraße zu spüren. Die Zuschauer blieben aus, der Betrieb rentierte sich nicht mehr. Im selben Jahr, als zum vorerst letzten Mal in Deutschland ein Sechstagerennen ausgetragen wurde, war es auch vorbei mit der dritten Bremer Radrennbahn: 1934 wurde die Anlage abgetragen und das Holz zur Schuldentilgung verkauft.

Doch nicht nur in Deutschland hatten die Sechstagerennen ihren Zenit überschritten. Auch im Ausland ließ die Zugkraft des einst so beliebten Sportspektakels in den 1930er Jahren spürbar nach. In Amerika wurden die jährlichen Sixes erst in Boston (1933), dann in Detroit (1936) und New York (1939) eingestellt. Als Auslöser gilt vor allem die Große Depression, aber auch der Siegeszug des Automobils. Der Motorsport lief dem Radsport den Rang ab.

1949: Jetzt dürfen wir wieder

Das Erstaunliche: In den beiden Mutterländern des Bahnradsports, Großbritannien und USA, hatten es die Six-Days nach dem Zweiten Weltkrieg ungleich schwerer als in Deutschland. Erst nach einer Auszeit von 22 Jahren fand 1961 in New York wieder ein Sechstagerennen statt. Doch alle Versuche, dem Bahnradsport jenseits des großen Teichs neues Leben einzuhauchen, scheiterten an mangelndem Publikumszuspruch. Kaum besser erging es den Veranstaltern in England. Zwar feierte das jährliche Sechstagerennen in London 1967 ein Comeback, konnte sich aber nur bis 1980 halten.

Ganz anders im kriegszerstörten Deutschland. Es schien fast so, als dürsteten die Menschen nach einem Spektakel, das sowohl Volksfest- als auch Wettbewerbscharakter hatte. Fünfzehn Jahre habe es in Deutschland kein Sechstagerennen mehr gegeben, resümierte der Weser-Kurier im April 1949. Und fuhr fort: „Aber jetzt dürfen wir wieder.“ Da passte es ganz gut, dass die NS-Propaganda mit den Sechstagerennen keinen Schindluder getrieben hatte.

Nur in Bremen und Berlin läuft’s noch rund 

Endlich Sechstagerennen auch in Bremen: Titelseite des Weser-Kuriers vom 8. Januar 1965.

Wie in den goldenen Jahren vor dem Ersten Weltkrieg erfreute sich der Radsport nach 1945 wieder großer Popularität. Im August 1947 fand im Weserstadion das erste Nachkriegsrennen vor über 10.000 Zuschauern statt. Auch Straßenrennen im Stadtgebiet waren ein sicherer Publikumsmagnet, so noch 1952 auf der Bismarckstraße. Mit zunehmender Motorisierung war daran allerdings nicht mehr zu denken.

Die Begeisterung war da, warum also nicht den großen Wurf wagen? Warum es nicht mit einem Sechstagerennen in Bremen versuchen? Schon bei den ersten Planungen für den Bau einer Stadthalle spielte der Radrennsport eine entscheidende Rolle, waren jährliche Sechstagerennen als fester Bestandteil des Veranstaltungskalenders vorgesehen.

Der Erfolg der ersten Bremer Six-Days vom 7. bis 13. Januar 1965 gab den Veranstaltern Recht. Seither haben sich die Sechstagerennen als Bremer Markenzeichen trotz mancher Unkenrufe fest etabliert. Während vergleichbare Veranstaltungen auf der Strecke geblieben sind, läuft es in Bremen noch immer rund. Als einzigem noch verbliebenen deutschen Austragungsort neben Berlin.

Und das ist gut so.

von Frank Hethey

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