Ganz in rot: Die Obernstraße wurde mit roten Stoffbahnen überzogen, andere Straßen schmückten sich in anderen Olympiafarben. Quelle: Staatsarchiv Bremen

Ganz in rot: Die Obernstraße wurde mit roten Stoffbahnen überzogen, andere Straßen schmückten sich in anderen Olympiafarben.
Quelle: Staatsarchiv Bremen

Vor 80 Jahren: Bremen und die Spiele von 1936 – ein gescheiterter Versuch, Bremen als „deutsche Sportstadt“ zu etablieren

Wilhelm Holsing schäumte vor Wut, als er am 17. August 1936 einen Brief an den Regierenden Bürgermeister aufsetzte. Als finnischer Konsul hatte er ein Frühstück der finnischen Olympia-Mannschaft mit dem Bremer Stadtoberhaupt arrangiert, NS-Bürgermeister Otto Heider. Ein verheißungsvoller PR-Termin zum Auftakt der Nacholympiade in Bremen. Doch daraus wurde nichts, wie der Speditionskaufmann am Tag vor dem anberaumten Frühstückstermin zähneknirschend mitteilen musste. Und zwar „weil diese Herren mir einen Strich durch die Rechnung gemacht haben“.

Mit viel Aufwand und weitreichenden Ambitionen hatte man sie vorbereitet, die nacholympischen Spiele in Bremen, auch „Internationale Sportwoche“ oder „Olympische Woche“ genannt. Unmittelbar nach Ende der Spiele in Berlin wollte die Wesermetropole den Stab übernehmen, vom 17. bis 23. August 1936 sollte Bremen im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen. Spitzensportler aus aller Welt im friedlichen Wettstreit mit Athleten aus Bremen und dem niedersächsischen Raum, das war die Idealvorstellung für die Bremer Olympia-Variante vor 80 Jahren. Sogar von „völlig gleichwertigen Kämpfen“ wie in Berlin war die Rede.

Feierlich geschmückt: Vom Rathaus hing die Olympia-Flagge. Quelle: Staatsarchiv Bremen

Feierlich geschmückt: Vom Rathaus hing die Olympia-Flagge.
Quelle: Staatsarchiv Bremen

Ein erstaunliches Maß an Selbstbewusstsein. Zumal die Bremer, anders als bei den Olympia-Vorbereitungen kurz vor dem Ersten Weltkrieg, diesmal vergleichsweise spät aus den Startlöchern gekommen waren. Im Vorfeld der kriegsbedingt ausgefallenen Spiele von Berlin hatte sich bereits 1913 ein Bremer Olympia-Ausschuss gebildet, drei Jahre vorm vorgesehenen Startschuss im Sommer 1916. Damit konnten die Olympia-Planer diesmal nicht mithalten. Trotz eines ersten Vorstoßes im Februar 1933 fand sich erst im Juli 1935 ein Olympia-Ausschuss zusammen.

Bremen als „Tor zur Olympiade“

Und doch entfaltete dieser Ausschuss ab Spätherbst 1935 eine rege Tätigkeit. Das Kalkül war ohne weiteres nachvollziehbar: In einer Zeit, als die Schiffe des Norddeutschen Lloyd noch die Kontinente verbanden, waren Bremerhaven und Bremen die natürlichen Einfallstore für Olympia-Teilnehmer und -gäste aus Übersee. Bremen verstand sich nicht zu unrecht als „Tor zur Olympiade“ – eine quasi schicksalhafte Fügung, die man zum eigenen Vorteil nutzen wollte.

Dabei ging es von Anfang an nicht nur darum, den ausländischen Olympia-Besuchern die Bremer Schokoladenseite zu zeigen. Sondern auch um ein viel weitergestecktes Ziel, nämlich Bremen mithilfe der nacholympischen Woche als „deutsche Sportstadt“ zu profilieren.

Banner und Flaggen: der Olympia-Schmuck in der Sögestraße. Quelle: Staatsarchiv Bremen

Banner und Flaggen: der Olympia-Schmuck in der Sögestraße.
Quelle: Staatsarchiv Bremen

Treibende Kraft des Unterfangens war Regierungsrat Ernst Köwing. Der hauptamtliche SA-Standartenführer hatte nach der NS-Machtübernahme eine steile Karriere hingelegt, seit Dezember 1934 stand er an der Spitze des Amts für Leibesübungen und Jugendpflege. „Es wird möglich sein, durch geschickte Werbung viel für Bremen herauszuholen“, erklärte er im Sommer 1935 in einer Denkschrift. Eine besondere Chance witterte Köwing in einem Erlass des Reichssportführers. Danach war es den deutschen Städten freigestellt, nacholympische Wettkämpfe zu veranstalten. „Diese Möglichkeit auszunutzen ist unsere Pflicht.“

Gesagt, getan. Unter der Schirmherrschaft des Regierenden Bürgermeisters Heider als „Protektor“ gliederte sich der prominent besetzte Olympia-Ausschuss noch einmal in mehrere Unterausschüsse. Dem Sportausschuss gehörte der bis dahin einzige Bremer Olympia-Sieger Ernst Hoppenberg an, dem Finanzausschuss der Präses der Handelskammer, Carl Bollmeyer. Im Empfangsausschuss saß Baudirektor Gerd Offenberg. Sogar einen Kulturausschuss gab es mit dem Leiter der Kunsthalle, Prof. Emil Waldmann, und dem Direktor des Focke-Museums, Prof. Ernst Grohne. Nicht zu vergessen eine Riege von insgesamt sechs Ehrenvorsitzenden, zu denen neben Kaffee HAG-Gründer Ludwig Roselius auch der Chef der Beck’s-Brauerei zählte, Hermann Marwede.

In Bremen geradezu hofiert: der Chef des amerikanischen Olympia-Komitees, Avery Brundage (l.), auf der „Bremen“ im Januar 1936. Quelle: Wikicommons/Bundesarchiv Koblenz

In Bremen geradezu hofiert: der Chef des amerikanischen Olympia-Komitees, Avery Brundage (l.), auf der „Bremen“ im Januar 1936.
Quelle: Wikicommons/Bundesarchiv Koblenz

Der Olympia-Zug hinterließ einen Schuldenberg

Freilich war noch lange Zeit kaum mehr zu sehen als die Olympia-Werbung auf den Schiffen des Norddeutschen Lloyd. Erst gegen Jahresende 1935 zog das Tempo spürbar an, zu den Highlights zählte die dreitägige Ausstellung des Olympia-Zuges auf der Bürgerweide vom 27. bis 30. November 1935. Dumm nur, dass der Zug einen Schuldenberg von knapp 1000 Reichsmark für die Versorgung mit Wasser und Strom hinterließ – aber das nahm man in Kauf. Parallel wurde am 30. November im Rahmen einer Großveranstaltung in den Centralhallen der Olympia-Film „Die Glocke der Welt“ gezeigt.

Mit der Einstimmung der „Volksgemeinschaft“ auf das kommende Top-Ereignis ging das Bemühen einher, sich beim Besuch ausländischer Sportfunktionäre als perfekter Gastgeber zu präsentieren. Nicht umsonst hatte sich ein Empfangsausschuss gebildet. Geradezu hofiert wurde Avery Brundage, der Präsident des amerikanischen Olympia-Komitees. Als er im Januar 1936 bei der Durchreise zu den Winterspielen in Garmisch-Partenkirchen nebst Gattin in Bremen weilte, überschlug man sich mit Höflichkeitsbekundungen. „Vielleicht wäre es gut, in das Zimmer der Frau Brundage im Hillmann Hotel im Auftrage des Herrn Reg. Bürgermeister einen Blumenstrauss zu stellen“, räsonierte der Verkehrsverein, „die anderen Teilnehmerinnen werden mit Blumen vom Hotel aus bedacht werden.“ Merke: Man ließ nichts unversucht, um Brundage gewogen zu stimmen angesichts der Tatsache, dass ein amerikanischer Boykott der Sommerspiele noch nicht vom Tisch war.

Der Startschuss: Am 1. August 1936 wurden die Olympischen Spiele in Berlin eröffnet. Quelle: Staats- und Universitätsbibliothek Bremen

Der Startschuss: Am 1. August 1936 wurden die Olympischen Spiele in Berlin eröffnet.
Quelle: Staats- und Universitätsbibliothek Bremen

Im Grunde kein schlechter Start. Bremen schmeichelte sich mit der Vorstellung, die einzige Stadt zu sein, in der es „richtig funktionierte“. Tatsächlich gab es in keiner anderen deutschen Metropole ein so umfangreiches Nacholympia-Programm. Zumal außer den eigentlichen Wettkämpfen auch noch Kulturveranstaltungen nach Berliner Vorbild angeboten wurden.

Im Rathaus wurde bereits vorm Olympiastart ein Theaterstück aufgeführt, die „Olympische Serenade“ des Bremer Journalisten und Schriftstellers Friedrich Lindemann, eine freie Bearbeitung der Ratskeller-Fantasien von Wilhelm Hauff. Und in der Kunsthalle konnte das interessierte Publikum grafische Meisterwerke deutscher Künstlergrößen in Augenschein nehmen. Zwar gab es bei weitem nicht so viele Exponate wie anfangs geplant, weil die Olympia-Oberen keine unliebsame Konkurrenz zur Reichsausstellung in Berlin begünstigen wollten. Aber immerhin, ein Zeichen war gesetzt.

Ausgefeiltes Farbkonzept beim Straßenschmuck

Ein anderer Blick auf Olympia: Schaufensterschmuck in Bremen. Quelle: Staatsarchiv Bremen

Ein anderer Blick auf Olympia: Schaufensterschmuck in Bremen.
Quelle: Staatsarchiv Bremen

Am augenfälligsten war indessen der Straßenschmuck in der Innenstadt. Über die größeren Straßen wurden eine Woche vorm Olympia-Start im Abstand von jeweils 20 Metern lange Stoffbahnen gespannt, in deren Mitte sich die olympischen Ringe mit dem Bremer Schlüssel befanden, während die engeren Straßen sich mit Olympia-Bannern begnügen mussten. Dabei ging man nach einem ausgefeilten Farbkonzept in Anlehnung an die Farben der olympischen Ringe vor: In der Obernstraße waren die Stoffbahnen rot, anderswo gelb, grün oder blau. Nur mit schwarz konnte man sich nicht so recht anfreunden. „Statt schwarz wird braun verwendet“, ließen dazu lapidar die Bremer Nachrichten verlauten. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Zu einer wahren Touristen-Attraktion avancierten zwei Säulen am Bahnhofsplatz mit kunstvoll gefertigten Hanse-Koggen aus Leichtmetall. Als Fotomotiv sollen diese Säulen sogar dem Roland den Rang abgelaufen haben. Für allerhand Aufsehen sorgte auch der Schaufensterwettbewerb. Freilich schossen einige Beteiligte übers Ziel hinaus und mussten ermahnt werden, „nicht des Guten zuviel zu tun, und aus einem etwas falsch verstandenen Schmuckbedürfnis heraus die Olympia-Werbung mit einer Warenreklame zu verwechseln“.

Die Olympia-Ringe vorm Hakenkreuz: auch eine Aussage beim Schaufensterwettbewerb. Quelle: Staatsarchiv Bremen

Die Olympia-Ringe vorm Hakenkreuz: auch eine Aussage beim Schaufensterwettbewerb.
Quelle: Staatsarchiv Bremen

Von einem „ausgezeichneten, ja überwältigenden Eindruck auf die auswärtigen und ausländischen Gäste“ berichtete die Kleinhandelskammer in ihrer Bilanz, musste aber eingestehen, dass sich im Olympia-Zeitraum kein nennenswertes Umsatzplus eingestellt hatte.

Auch bei der Olympia-Dekoration verlief nicht alles nach Plan. Erst wurden die großen Holzreifen mit den olympischen Ringen nicht rechtzeitig fertig, dann ließen sich die langen Stoffbahnen nicht ohne weiteres über die Oberleitungen der Straßenbahn ziehen. Zu allem Überfluss kam auch noch ein Unwetter dazu und zerfetzte einen Teil der Olympia-Deko.

Nicht so recht mitziehen wollte bei der Ausschmückung der Straßen ein Teil der „Volksgemeinschaft“. Vielleicht auch kein Wunder, hatten sich doch die Anlieger an den Kosten zu beteiligen. Verzweifelt appellierten die Organisatoren an die Verweigerer, sich noch eines Besseren zu besinnen. „Niemand darf sich ausschließen, jeder muß an dieser großen Gemeinschaftswerbung mithelfen“, hieß es am 5. Juli 1936 in den Bremer Nachrichten.

Ein Zeichen für die Leser: Olympia-Balken auf den Sportseiten der Bremer Nachrichten. Quelle: Staats- und Universitätsbibliothek Bremen

Ein Zeichen für die Leser: Olympia-Balken auf den Sportseiten der Bremer Nachrichten.
Quelle: Staats- und Universitätsbibliothek Bremen

Die antisemitische Staatsdoktrin als heikles Thema

Ein heikles Thema war die antisemitische Staatsdoktrin. Einfach unter den Teppich kehren ließ sich die Diskriminierung der Juden nicht, immerhin waren die Nürnberger Rassengesetze schon in Kraft. Unter der Überschrift „Der Olympiagast fragt – wir antworten: Deutsche Rassengesetze, warum?“ lieferten die Bremer Nachrichten am 13. August 1936 eine Argumentationshilfe für „Volksgenossen“ in Erklärungsnot. Dabei wehrte sich die Zeitung wortreich gegen die Befürchtung, der gesetzlich verankerte Antisemitismus könnte sich „morgen vielleicht gegen andere Völker oder andere Rassen richten“. Drei Jahre später dann der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs mit dem Holocaust und dem „Vernichtungskrieg“ gegen die Sowjetunion.

Die Bremer Nachrichten auf Kundenfang: Inserat für die Broschüre zum Start der Nacholympiade. Quelle: Staats- und Universitätsbibliothek

Die Bremer Nachrichten auf Kundenfang: Inserat für die Broschüre zum Start der Nacholympiade.
Quelle: Staats- und Universitätsbibliothek

Derweil gaben sich die Organisatoren alle Mühe, der nacholympischen Woche zum Erfolg zu verhelfen. Bremen werde das Ziel für Zehntausende sein und damit „eine der meistbesuchten Städte des Reiches“, tönten die Bremer Nachrichten am 11. Juli 1936. Die Zeitung hatte durchaus ein eigenes Interesse am Erfolg. Zum Start der Bremer Spiele gab es eine dreisprachige Sonderbeilage, wobei man für die Inserate ziemlich offensiv auf Kundenfang ging. Das Publikum köderten die Macher derweil mit vollmundigen Versprechungen, medaillenbehängte Spitzensportler sollten in Bremen ihr Können zeigen. Doch die zogen es vielfach vor, sich andernorts zu präsentieren. Übrig blieben Olympia-Teilnehmer wie die finnischen Bronze-Turner, die den Konsul so schmählich versetzt hatten. Oder die US-Handballer, die schon in Berlin nicht gerade geglänzt hatten und auch in Bremen mächtig Prügel bezogen. Mit 3:16 gingen die Amerikaner in der„Bremer Kampfbahn“ unter, wie das Weserstadion seit März 1935 hieß.

Die Quittung kam prompt, trotz immenser Werbung war die Publikumsresonanz der Nacholympiade ernüchternd. Die erwarteten Zuschauerzahlen wurden fast überall weit unterschritten, gut besucht waren nur die Schwimm- und Turnwettbewerbe. Freilich auch deshalb, weil die Erwartungen schlichtweg unrealistisch waren. Außerhalb Bremens seien die Bremer Spiele kaum wahrgenommen worden, stellen Christian Dirbach und Harald Braun, emeritierter Sportwissenschaftler der Uni Bremen, in ihrem Aufsatz „Bremen und die Olympischen Spiele 1936“ fest.

Olympia fürs Volk: Broschüre zum Start der Nacholympischen Spiele. Quelle: Staatsarchiv Bremen

Olympia fürs Volk: Broschüre zum Start der Nacholympischen Spiele.
Quelle: Staatsarchiv Bremen

Kein sehr gutes Zeugnis, um ein viel weitergestecktes Ziel zu erreichen: nämlich Bremen als Sportstadt zu profilieren. Und zwar als federführende Sportstadt für ganz Deutschland. Die wichtigsten Bausteine waren neben der „Bremer Kampfbahn“ die auch als Sportschule titulierte Bremer Schule für Leibesübungen und das Institut für Gesundheit und Leistung an der Martinistraße. „Sie alle werden der großen Aufgabe gemeinsam dienen, Übungsstätten des deutschen Sports zu sein“, erklärte Köwing, als er am 4. Juli 1936 die Institutsleitung übernahm. Noch deutlicher wurde er nach Abschluss der nacholympischen Woche. „Wir wollen, daß Bremen führend wird im Sport. Die nacholympischen Spiele waren der Beginn einer neuen sportlichen Epoche Bremens.“

Dass es dabei nicht nur um sportliches Kräftemessen ging, versteht sich von selbst. Köwing sah die Bremer Einrichtungen ganz im Dienste der nationalsozialistischen Rassenpolitik, sie sollten dem Dritten Reich einen „gesunden Körper“ liefern als „Wegbereiter eines neuen Menschen in einem neuen Deutschland“.

Freilich sollten sich Köwings Träume nicht erfüllen. Als „deutsche Sportstadt“ hat Bremen keine Spuren in der Geschichte hinterlassen. Die vielgepriesenen „gesunden Körper“ endeten als Kanonenfutter im Zweiten Weltkrieg.

von Frank Hethey

Zur Olympia von 1936 putzte sich Bremen heraus: der Herdentorsteinweg in Olympia-Deko. Quelle: Staatsarchiv Bremen

Zur Olympia von 1936 putzte sich Bremen heraus: der Herdentorsteinweg in Olympia-Deko.
Quelle: Staatsarchiv Bremen

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