Vor 150 Jahren starb die skandalumwitterte Louise Aston – ein Freigeist mit Bremer Vergangenheit
Aufs Höchste alarmiert war die Bremer Obrigkeit im Spätherbst 1850. Damals zeichnete sich ab, dass man Louise Aston so schnell nicht wieder los werden würde. Der berüchtigte Freigeist, die Vorkämpferin für Demokratie und Frauenrechte auf Dauer in der beschaulichen Hansestadt? Für die Polizei ein ausreichender Grund, „zuverläßige nähere Kunde“ bei den Ordnungsbehörden jener Städte einzuziehen, in denen die „bekannte Madam“ zuvor für Aufsehen gesorgt hatte, vor allem in Hamburg und Berlin. Beabsichtigte sie doch, „sich mit einem hiesigen Bürger zu verheirathen und sich somit bleibend hier niederzulaßen“.
Was die Polizei nicht wusste: Am selben Tag, als das Gesuch um Amtshilfe aufgesetzt wurde, ging Louise Aston tatsächlich den Ehebund mit dem Bremer Mediziner Daniel Eduard Meier ein, einen Tag vor ihrem 36. Geburtstag. „Bleibend“ war ihr Aufenthalt an der Weser dann aber doch nicht, im Frühling 1855 verließ das Ehepaar Aston-Meier die Stadt auf Nimmerwiedersehen. Keineswegs aus freien Stücken, sondern weil man Meier als Chefarzt des neuen Krankenhauses gekündigt hatte. Eine Odyssee bis nach Russland schloss sich an, nirgends schlugen die Eheleute Wurzeln. Vor 150 Jahren, am 21. Dezember 1871, starb die „emancipirte Dame“ im Alter von 57 Jahren in Wangen im Allgäu.
Für die patriarchalische Gesellschaft ihrer Zeit war das Gebaren der geschiedenen Pastorentochter aus der Nähe von Halberstadt unerhört. Statt sich in die arrangierte Ehe mit einem viel älteren Mann, dem englischen Fabrikanten Samuel Aston aus Magdeburg, einzufinden und das Mutterglück zu genießen, nahm sie das Recht auf Selbstbestimmung für sich in Anspruch. Auch auf sexuelle Selbstbestimmung, vor ihrer zweiten Ehe mit Meier hatte Louise Aston verschiedene Liebhaber, darunter der regimekritische Dichter Rudolf Gottschall.
Damit nicht genug, trat sie auch noch als Literatin hervor. Zwei Jahre nach der Scheidung von ihrem ersten Mann erschien 1846 ihr Debütwerk, der Gedichtband „Wilde Rosen“ mit ihrem berühmten Lebensmotto „Freiem Leben, freiem Lieben,/Bin ich immer treu geblieben!“ Bis 1850 zündete sie ein wahres Feuerwerk literarischer Erzeugnisse, aus ihrer Feder stammen Streitschriften, Romane und Lyrikstücke. Zwischendurch nahm sie 1848 als Krankenpflegerin am Kampf der Schleswig-Holsteiner gegen Dänemark teil und unterstrich damit ihr politisches Engagement.
Auf gesellschaftliche Konventionen gab sie damals schon längst nichts mehr. Als „deutsche George Sand“ eiferte sie ihrem Vorbild nach, der französischen Schriftstellerin – „die Aston“ trug Hosen statt Röcke, kurze Haare und paffte Zigarren in aller Öffentlichkeit. Für ihre Nachbarn eine unerträgliche Provokation, sie beschwerten sich bei der Polizei. Louise Aston war in ihren Augen eine Femme fatale. Durch „ihre Verführungskünste und entsetzliche Ausschweifungen“ ziehe sie Männer jedes Standes und Alters zu sich herab.
Dieser Aspekt tritt auch 1850 in den Antworten an die Bremer Polizei deutlich hervor. Aus Hamburg wurde mitgeteilt, Louise Aston habe „in stetem Verkehr mit Männern gestanden“, ihr Betragen sei „dem eines öffentlichen Mädchens gleich zu achten“ – sprich: dem einer Prostituierten. Ähnlich der Polizeipräsident von Königsberg, der ihr „unzüchtiges und renomirtes Auftreten“ beklagte. In Bremen machten bösartige Gerüchte die Runde: Angeblich versteckte sie den Stelzfuß ihres beinamputierten Mannes, damit sie sich bei Herrengesellschaften im ersten Stock ihres neuen Heims ausleben konnte.
Louise Aston als Seele der Verschwörung
Hinzu kamen politische Verdächtigungen. Vom Polizeipräsidium in Berlin war zu hören, sie sei wegen ihrer Verbindung zu einigen aufmüpfigen Literaten ausgewiesen worden. Bei Widerspruch keimte im verschwörungsgläubigen 19. Jahrhundert schnell der böse Verdacht, es würden im Geheimen unablässig Umsturzpläne geschmiedet. In ihrer Beschwerde sprachen die Berliner Nachbarn von einem Komplott gegen Staat, König und Religion – und bedienten sich dabei jenes Signalworts, das die Polizei immer aufhorchen ließ. „Kann denn dieses Weib nicht aus Berlin verwiesen werden, da sie gerade die Seele dieser Verschwörung ist?“
Die bürgerliche Märzrevolution von 1848 mischte die Karten neu. Die alte monarchische Ordnung wankte, endlich schienen individuelle Freiheitsrechte zum Greifen nahe. Freilich geriet die Umwälzung der politischen Verhältnisse schon bald in Stocken, Aston geißelte das „wiederauftauchende Bourgeoisphilisterthum“. Die preußische Verfassung vom Dezember 1848 blieb weit hinter den Erwartungen vieler fortschrittlicher Kräfte zurück. In Bremen schien ein anderer Wind zu wehen. Im März 1849 wurde eine „moderne demokratische Verfassung“ verabschiedet, wie Staatsarchivleiter Konrad Elmshäuser schreibt.
Irgendwann in diesem Zeitraum gelangte Louise Aston als Meiers Lebensgefährtin nach Bremen. Kennengelernt hatten sich die beiden im Freikorps von der Tann in Schleswig-Holstein – er diente als Lazarettarzt, sie als Krankenschwester. Nach Angabe der Historikerin Romina Schmitter vom Bremer Frauenmuseum lebte Aston spätestens seit Juni 1849 in der Stadt. Dabei dürfte sie sich auf eine entsprechende Angabe in der Vorrede von „Revolution und Contrerevolution“ stützen, dem letzten Aston-Roman. Offenbar hat sie die Arbeit an dem Werk zumindest in Bremen abgeschlossen.
Indessen zeichnete sich immer stärker ab, dass die Revolution auf halber Strecke zum Stillstand kommen würde. Der preußische König Friedrich Wilhelm IV. wollte kein Monarch von parlamentarischen Gnaden sein. Als er die vom Frankfurter Parlament angebotene Kaiserkrone im April 1849 ablehnte, verschärften sich die Gegensätze zwischen konservativen und radikalen Kräften, auch in Bremen war das deutlich spürbar. Bürgermeister Johann Smidt setzte alles daran, die demokratischen Errungenschaften rückgängig zu machen.
Bremen galt damals in konservativen Kreisen nicht nur als Brutstätte des Radikalismus. Sondern auch als „Mittelpunkt konspirativer Verbindungen“, so Herbert Schwarzwälder. Als Fluchtpunkt und Drehscheibe für flüchtige Revolutionäre. Dafür sorgte nicht nur der „Demokratische Verein“, dem auch Meier und Aston angehörten. Einen gewichtigen Anteil hatte der streitbare Pastor Rudolph Dulon, der im November 1849 den radikalen Linken Arnold Ruge nach Bremen lotste.
Die Situation war also angespannt genug, ein so widerborstiges Frauenzimmer wie „die Aston“ konnte man da nicht zusätzlich gebrauchen. Eine Lebensgemeinschaft vermochte der Senat noch zu dulden. Immerhin war Meier nicht der erste Liebhaber, womöglich tauschte sie ihn wieder aus. Doch als die Partnerschaft andauerte, zeigte man sich beunruhigt. Sicher auch, weil Meier eine wichtige Aufgabe als Leiter der neuen Klinik zugedacht war. Bürgermeister Schumacher versuchte persönlich, Meier das Ehevorhaben auszureden.
Doch der blieb unbeeindruckt. Für seine Karriere hatte das zunächst keine Folgen, wie vorgesehen trat Meier sein Amt im Juli 1851 an. Mit seiner Gattin lebte er auf dem Krankenhaus-Gelände an der heutigen St. Jürgen-Straße, damals noch am Rande der Stadt. Argwöhnisch beobachtete die Polizei den Lebenswandel des Ehepaars. Im November 1851 stattete Polizei-Commissaire Conrad von Hunteln „der Madam“ einen Besuch ab. Es sei gewiss nicht uninteressant, „eine solche so oft öffentlich besprochene Persönlichkeit in ihrem Privatleben kennen zu lernen“, vermerkt er in seinem Bericht.
Für den Kommissar bestand kein Zweifel, dass Louise Aston „noch ein sehr thätiges Werkzeug der Propaganda“ sei, zumal sie einen „sehr lebhaften Briefwechsel“ führe. Tatsächlich soll sie mit ihren Ansichten nicht hinter den Berg gehalten haben, die Republik betrachtete sie als „einzige glückliche Staatsform“. Prinzipiell befürwortete sie laut Hunteln eine revolutionäre Aktion, hielt nur den gegenwärtigen Zeitpunkt für ungünstig.
Gleichwohl sind seine Angaben mit Vorsicht zu genießen. Der Sicherheitsapparat war nervös und witterte allerorten geheime Machenschaften, nicht selten waren Meldungen über Umsturzpläne frei erfunden. Merkwürdig genug, dass Louise Aston gegenüber einem Polizisten so freimütig geplaudert haben soll. Zu denken gibt auch, dass er ihr exakt die Attribute zuordnete, die ihr nachgesagt wurden. Sein erster Eindruck beim Eintritt in ihr Zimmer: „Sie rauchte in jenem Augenblicke eine Cigarre.“
Auch wenn dem Ehepaar keine staatsfeindlichen Aktivitäten nachzuweisen waren, blieb es unter Beobachtung. Ab 1851/52 wandelte sich das politische Klima auch im vormals so liberalen Bremen: Der Demokratische Verein wurde verboten, Dulon abgesetzt, Ruge emigrierte nach England. 1854 trat eine revidierte, konservative Verfassung in Kraft. Parallel zog sich über Meier das Netz zusammen, man suchte und fand fadenscheinige Gründe, um ihn seines Amtes zu entheben.
Einer seiner Nachfolger, der Arzt und Botaniker Wilhelm Olbers Focke, behauptet in der „Bremischen Biographie“, Meier habe die „ständige Einmischung seiner Frau in die Angelegenheiten der Anstalt“ nicht verhindern können. Ein schwacher Mann, der dem Einfluss einer starken, schon fast diabolischen Frau geradezu hilflos ausgeliefert ist – dieses klischeehafte Bild von Meier begegnet uns immer wieder. Daran gibt es allerdings begründete Zweifel, nicht nur weil er dem Druck seiner bigotten Vorgesetzten standhielt.
Eine Abfindung schlug Meier aus, zum 1. Mai 1855 erhielt er seine Kündigung – es begann die Odyssee der Eheleute, die für beide im Allgäustädtchen Wangen unweit des Bodensees endete. „In der neueren deutschen Frauenbewegung, sogar der radikalen, ist sie ganz zu Unrecht todtgeschwiegen oder vergessen geblieben“, bedauerte der Literaturhistoriker Ludwig Fränkel 1906 in der „Allgemeinen Deutschen Biographie“.
Das hat sich immerhin geändert. Seit den frühen 1980er-Jahren ist Louise Aston dem Vergessen entrissen worden, Germaine Goetzinger und Barbara Wimmer haben sich ausführlich mit ihr befasst. 2014 steuerte Barbara Sichtermann eine Hommage an die unkonventionelle Frau bei. Im unlängst publizierten, von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier herausgegebenen Buch „Wegbereiter der deutschen Demokratie“ zählt Louise Aston zu den 30 mutigen Frauen und Männern zwischen 1789 und 1918, der Beitrag über sie stammt von Sichtermann.
Ein extravagantes Leben: Louise Aston (1814-1871)
Als Louise Franziska Hoche wurde die spätere Louise Aston am 26. November 1814 in Gröningen bei Halberstadt geboren. Auf Druck ihres Vaters heiratete sie als junge Frau den englischen Fabrikanten Samuel Aston, von ihren drei Kindern überlebt nur Tochter Jenny. Schon früh ging sie eigene Wege, auf Betreiben ihres Mannes wurde die Ehe 1839 geschieden. Der Versöhnung und zweiten Heirat folgte 1844 die endgültige Trennung. Danach blühte Aston auf, sie entfaltete eine rege schriftstellerische Tätigkeit, ihr nonkonformistisches Verhalten sorgte auch bei Frauen für Entrüstung.
Während der Revolution 1848/49 schlug sie sich auf die Seite der fortschrittlichen Kräfte. Als Krankenschwester nahm sie 1848 am ersten deutsch-dänischen Krieg teil, dabei lernte sie den Bremer Arzt Daniel Eduard Meier (1812-1873) kennen. Barbara Wimmer spricht von einer „eindeutigen Liebesbeziehung“, 1850 heiratete die vormals strikte Ehegegnerin den Arzt. In Bremen lebte Louise Aston vermutlich von Frühling 1849 bis Frühling 1855. Danach verschlug es das Ehepaar nach Russland, 1862 nach Österreich, 1871 kehrte es nach Deutschland zurück. Louise Aston starb an Brustwassersucht, laut Barbara Sichtermann litt sie wahrscheinlich an Tuberkulose.