Das Posthorn: Symbol für das europäische Postwesen.
Foto: Wilhelm Tacke

Rätsel um Fitger-Gemälde im Kaisersaal gelöst

Der Kaisersaal ist der einstige Prunksaal in dem 1878 errichteten Kaiserlichen Postamt an der Domsheide in Bremen. Es war das erste reichseigene Gebäude in der Freien Hansestadt Bremen.

Im späteren Postamt 1 – jetzt St.-Johannis-Schule – Oberschule – Gymnasium, gehörte der Kaisersaal ursprünglich zur Wohnung des Oberpostdirektors. Da er der höchste Reichsbeamte in Bremen war, oblag es ihm wohl zum Geburtstag des Kaisers einen Empfang zu geben. Deshalb wurde der „Dienstliche Empfangsraum“ – so die Bezeichnung während der Bauzeit – in dem im reichen norddeutschen Renaissancestil errichteten Postgebäude entsprechend opulent ausgestattet. Dessen Architekt, der Regierungs- und Baurat Carl Schwatlo, nahm sich das Antwerpener Rathaus zum Vorbild, das von Cornelis Floris de Vriendt 1579 als Hauptwerk der Brabanter oder Nordischen Renaissance erbaut wurde.

Zwei Fackeln in der Hand – das Symbol für den schwarzen, den dunklen Kontinent.
Foto: Wilhelm Tacke

An der Decke des heute als „Kaisersaal“ bezeichneten Raums befindet sich sechsfach das kaiserliche Wappen. Es handelt sich dabei um das Wappen der Provinz Posen mit dem weißen Adler auf rotem Grund. Laut Gerhard Plöger, Langwedel, ehemaliger Postbeamter im Postamt 1, hat eine polnische Firma aus Posen die Steinmetzarbeiten durchgeführt. Deren Arbeiter hätten wegen ihrer ausgezeichneten Arbeit ihr Heimatwappen an der Decke hinterlassen dürfen. Der Architrav des Mittelfensters ist außen mit einem Wappenschild mit den Initialen von Kaiser Wilhelm I. und der deutschen Kaiserkrone bekrönt.

Im Inneren ist die Fensterfront und die Eingangswand mit den Büsten von Kaiser Wilhelm I. und Kaiserin Augusta, einer Herzogin von Sachsen-Weimar-Eisenach sowie Kronprinz Friedrich Wilhelm, dem späteren 99-Tage-Kaiser Friedrich III., und der Kronprinzessin Victoria, einer Tochter der Königin Victoria des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Irland, geschmückt. Sie unterstreichen die Verbindung Bremens mit dem neuen Deutschen Kaiserreich.

Jung und selbstbewusst: Arthur Fitger in rebellischer Pose.
Quelle: Privat

Fünf historistische Wandgemälde

Auf den Seitenwänden befinden sich fünf Wandgemälde im Stil des Historismus. Es sind Frühwerke von Arthur Fitger, dem bremischen Malerfürsten am Ende des 19. Jahrhunderts. Er war Sohn eines Postmeisters aus Delmenhorst.

Eine Frage, die bei den Führungen durch den Kaisersaal immer weder gestellt wurde, lautete: „Weshalb gibt es nur fünf Gemälde und nicht sechs?“ Die Frage war leicht zu beantworten, denn in der Mitte der linken Seitenwand befand sich der Zugang zur Wohnung des Oberpostdirektors. Der wurde später zugemauert.

Eine andere Frage stellte sich Wilhelm Tacke, der offizielle Führer durch den Kaisersaal, selbst: „Wen symbolisieren die fünf Gemälde?“ Die Frage hätte er an sich selbst beantworten können, denn die Fitgerschen Bilder sollten ja „die Post, auf Kentauren und Tritonen reitend, als Sinnbild der schnellen Post zu Wasser und zu Lande“ darstellen. Es hätte nahe gelegen, an die fünf Erdteile zu denken. Allerdings dachte Tacke bei „zu Wasser“ eher an die Nord- und Ostsee als an den Atlantischen oder Pazifischen Ozean.

Den Tipp an diese zu denken, gab ein Fitger-Nachkomme; präziser: ein Nachkomme des jüngeren Bruders von Arthur Fitger, der Chefredakteur der Weser-Zeitung war, Emil Fitger. Als einige der Nachkommen sich vor ein paar Jahren den Kaisersaal zeigen ließen, bat er sie, ihm bei der Beantwortung obiger Frage behilflich zu sein. Und ein jüngerer Fitger-Nachkomme half ihm mit seiner Frage weiter: „Könnten die fünf Gemälde nicht die fünf Erdteile darstellen?“

Symbol für die fünf Erdteile

Die Peitsche: Symbol für Dschingis Khan und damit Asien.
Foto: Wilhelm Tacke

Das schien ihm mit Blick auf die Gemälde logisch, denn es gab unter ihnen drei Kentauren. Figuren, die aus einem Pferdeunterkörper wie einen menschlichen Oberkörper nebst Kopf bestehen. Da lag es nahe, sie den Erdteilen zuzuordnen, die man auf dem Rücken eines Pferdes erreichen kann, das sind neben Europa Asien und Afrika. Und mit Blick auf Einzelheiten der Gemälde ließen sie sich auch leicht zuordnen: Der europäische Kentaur trägt ein Posthorn in der Hand, das Signet vieler europäischen Postanstalten. Der afrikanische – dunkle – Kontinent kann mittels der beiden Fackeln in den Händen des Kentauren identifiziert werden und der asiatische Kentaur schwingt eine Peitsche, die an die Reiterhorden des Dschingis Khan erinnert.

Nur bei den beiden Tritonen hakte es zunächst. Klar, sie sind Meeresgötter, die man nach Triton, dem Sohn Neptuns und der Amphitrite benannte. Sie sind Mischwesen aus dem Kopf und Oberkörper eines Menschen wie dem Unterleib eines Fisches. Klar war auch, sie symbolisieren die beiden Kontinente, wohin die Post nur über den Seeweg verschifft werden kann. Nur, wer ist wer bei den beiden Tritonen?

Das Blaue Band: Symbol für Amerika.
Foto: Wilhelm Tacke

Um das zu erfahren, wurde jede der Gruppen, die durch den Kaisersaal geführt wurden, um Hilfe gebeten. Am 24. April 2017 wusste eine Dame Rat. Sie identifizierte das Muschelhorn in der Hand der Nymphe auf dem Rücken des linken Tritons als Schneckenhorn, das heute noch von den Maoris auf Neuseeland als Blasinstrument benutzt werde. Sie nennen es „putatara“.

Damit war klar, dieser Triton kennzeichnet Australien und Neuseeland. Aber auch für Triton und Nymphe an der rechten Seitenwand hatte sie einen Tipp. Die Nymphe umflattere ein blaues Band. Vermutlich handele es sich um das berühmte „Blaue Band des Atlantiks“. Das liegt nahe, wurde es doch wahrscheinlich in den 1860ern von transatlantischen Reedereien zu Publizitätszwecken eingeführt. Es zeichnete den schnellsten Passagierdampfer auf der Transatlantik-Route Europa – New York aus. Auch mit ihm wurde die schnelle Post von Europa über den großen Teich transportiert.

Hommage an den Lloyd

Die in Bremen beheimatete Reederei Norddeutscher Lloyd errang übrigens fünfmal das „Blaue Band“, allerdings erst nach Fertigstellung des Postgebäudes, nämlich 1898 mit der „Kaiser Wilhelm der Große“, 1902 mit der „Kronprinz Wilhelm“, 1904 mit der „Kaiser Wilhelm II.“, 1929 mit der „Bremen“ sowie 1930 mit der „Europa“.

Mit dem Muschelhorn unterwegs: der Triton als Symbol für Australien und Neuseeland.
Foto: Wilhelm Tacke

In den 70er Jahren hatte die Post an die Beseitigung das Kaisersaals gedacht, denn er störte im Grunde genommen nur. Der Postdirektor wohnte schon lange nicht mehr im Postamt I. Man suchte daher potente Geldgeber, die sich für einzelne Fitgergemälde interessierten, die man im sogenannten Strappo-Verfahren bergen wollte. Zum Glück fanden sich nicht Interessenten genug, also gab man sich einen Ruck und restaurierte den Saal 1974 unter dem Landesdenkmalpfleger Dr. Hans-Christoph Hoffmann. Dabei wurde der mittlere, asiatische Kentaur, zerstört, weil man einen Durchbruch von der anderen Seite unternahm. Glücklicherweise konnte der Restaurator Georg Skrypzak die Reste zusammenkehren und so mit kleinen Ergänzungen wieder zum fertigen Kentaur zusammenfügen.

Heute sieht man die Kunst des großen Kritikers von Paula Modersohn-Becker nicht mehr ganz so euphorisch wie Annodunnemals. Der Generalpostmeister Heinrich Stephan war damals von den Fitger-Frühwerken so beeindruckt, dass er ihm weitere Postaufträge vermittelte.

Den Saal ziert ein ursprünglich hier nicht vorhandener Murano-Kronleuchter. Er hing zuvor im Rathaus und wurde dort vermutlich von Senatsdirektor Dr. Eberhard Lutze aus dem Sitzungssaal des Senats (?) in den Keller entsorgt. Ein Rathausangestellter gab dann in den siebziger Jahren dem Landesdenkmalpfleger Dr. Hans-Christoph Hoffmann den Tipp, ihn wieder irgendwo an der Decke zum Leuchten zu bringen. Seitdem ziert er den Kaisersaal, den ein Kaiser allerdings nie betreten hat.

von Wilhelm Tacke

Pompöse Prachtentfaltung: der Kaisersaal im Posthaus.
Quelle: Landesamt für Denkmalpflege Bremen

Jung, aber mit viel Geschichte

50 Jahre
Universität Bremen

50 Jahre sind seit der Gründung der Universität Bremen vergangen. Auf dem Weg von der vermeintlichen roten Kaderschmiede zur Exzellenzuniversität ist viel passiert: Wir haben den ersten sowie den aktuellen Rektor interviewt und mit Absolventen gesprochen – zu denen auch Bürgermeister Andreas Bovenschulte gehört. Zudem hat uns ein Architekt über den Campus begleitet. Das Magazin der Reihe WK | Geschichte gibt es ab 18. September in den ­Kundenzentren des WESER-­KURIER, im Buch- und Zeitschriftenhandel, online unter www.weser-kurier.de/shop und unter 0421 / 36 71 66 16.

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