Vor 80 Jahren wurde die Wittheit zu Bremen als Wissenschaftliches Amt der Hansestadt gegründet

Ein eher bescheidener Zweispalter in der Bremer Zeitung verkündete am 8. Juni 1941 eine kleine Sensation in der Gelehrtenwelt der Weserstadt. Per Erlass verfügte der Regierende Bürgermeister, SA-Obergruppenführer Heinrich Böhmcker, die Gründung der „Wittheit zu Bremen“ als Wissenschaftliches Amt der Hansestadt. „Wie stets in großen geschichtlichen Zeitwenden regen sich auch im Bereich der Wissenschaften mächtige Kräfte“, erklärte Böhmcker zur Begründung. Diese Kräfte „in zusammenfassender Arbeit“ zu fördern, liege im bremischen und deutschen Interesse – die Wittheit als staatlicher Dachverband der wissenschaftlichen Vereine in Bremen sollte reichsweit ein Zeichen setzen.

Treibende Kraft bei der Wittheit-Gründung: Hinrich Knittermeyer.
Quelle: Staatsarchiv Bremen

Was auf den ersten Blick relativ harmlos klingt, war in Wahrheit „eine Art ‚zweiter Gleichschaltung’“, so der Historiker Helmut Stubbe da Luz mit Blick auf einen der Mitgliedsvereine, die Historische Gesellschaft. Tatsächlich wäre es einigermaßen weltfremd, im Gründungsakt nur eine rein formale Zäsur im wissenschaftlichen Leben Bremens zu sehen. Oder die Wittheit-Gründung gar als geschickten Schachzug gegen Übernahmegelüste durch die NS-Erwachsenenbildung zu deuten – ganz so, als sei die Verstaatlichung ein probates Gegenmittel gegen braune Vereinnahmung gewesen.

Welche ideologische Aufgabe der Wittheit zugedacht war, zeigte sich spätestens bei der feierlichen Gründungsversammlung in der Oberen Rathaushalle am 27. August 1941. Gab Böhmcker als „Schöpfer der Wittheit“ doch seiner Hoffnung Ausdruck, die Wittheit möge „den ihr zugewiesenen Platz mit Ehren ausfüllen“ – „zum Besten unserer Stadt, dienstbar und treu dem Führer und dem Reich, so wie es immer bremische Art gewesen ist!“

Was vor 80 Jahren in so hehre Worte gekleidet wurde, findet auf der Website der Wittheit keine Erwähnung. Als Gründungsdatum der Wittheit ist vielmehr der 29. Oktober 1924 angegeben, die Geburtsstunde der Bremer Wissenschaftlichen Gesellschaft (BWG). Die Gemeinsamkeiten springen denn auch ins Auge: Als Sammelbecken für wissenschaftliche Vereine unterschiedlicher Ausrichtungen diente die BWG als Blaupause für die Wittheit. Böhmcker zufolge war sie die „eigentliche Keimzelle“ der Wittheit. Doch mit der BWG war es vorbei, als die Wittheit aus der Taufe gehoben wurde. Schon die Zeitgenossen brauchten sich keine Illusionen über das künftige Schicksal der BWG zu machen. Die Gesellschaft werde „sich aller Voraussicht nach auflösen“, hieß es im BZ-Artikel vom 8. Juni 1941.

Wittheit als Bezeichnung freigeworden

Und so war es dann auch, die Wissenschaftliche Gesellschaft ging in der Wittheit als staatlichem Amt auf. Zur Namensfindung teilte Böhmcker mit, da auch in Bremen die Führerpersönlichkeit an die Stelle des alten Rats getreten sei, sei die Bezeichnung Wittheit (Weisheit) für die neugestiftete Körperschaft „frei geworden“. Erst seit damals führt die Wittheit ihren Namen, den sie nach dem Ende des „Dritten Reichs“ beibehalten hat. Ebenso verhält es sich mit ihrer traditionellen Funktion als Dachverband: Heute gehören der Wittheit nach eigener Angabe 95 wissenschaftlich tätige Vereine, Institute, die Universität Bremen, Hochschulen und Museen sowie 65 persönlich berufene Mitglieder an.

Auf die unrühmlichen Umstände des runden Geburtstags hat jetzt der Althistoriker Hans Kloft aufmerksam gemacht, Vizepräsident der Wittheit. Als Initiator der Metamorphose nennt er den ehrgeizigen und umtriebigen Leiter der Staatsbibliothek, Hinrich Knittermeyer, seit 1936 Präsident der Wissenschaftlichen Gesellschaft und ab 1941 Vorsteher der Wittheit. Für ihn und den Bremer Staat sei die Umwandlung eine „Win-win-Situation“ gewesen. „Die nationalsozialistische Führung sicherte sich ihre grundsätzliche Entscheidungsbefugnis über das wissenschaftliche und kulturelle Leben der Stadt. Mit der Wittheit als Amt bekamen die Aktivitäten in Wort und Schrift gleichsam staatliche Relevanz und erhielten ein solides Fundament.“

Groß aufgemacht: Artikel zur Gründung der Wittheit in der Bremer Zeitung vom 28. August 1941.
Quelle: Digitale Sammlungen der Staats- und Universitätsbibliothek Bremen

Knittermeyer hätte gern eine Universitätslaufbahn eingeschlagen, so Kloft, in der Wittheit habe er eine „Ersatzlösung“ präsentiert. Die Ambitionen des Zukurzgekommenen sind in der Forschung kein Geheimnis, nach der NS-Machtübernahme witterte er Morgenluft. In einer „Akademie für das staatliche wissenschaftliche Vortragswesen“ sah der Bibliotheksdirektor laut Stubbe da Luz eine „Vorstufe zu einer Bremer Universität“ unter seiner Leitung, mithin eine Chance, seinen persönlichen Ehrgeiz zu befriedigen. Erste Gestalt nahm die Wittheit im Dezember 1940 an, als Böhmcker „auftragsgemäß“ ein dreiseitiges Exposé vorgelegt wurde. Als Verfasser vermutet Stubbe da Luz den damaligen Direktor des Deutschen Kolonial- und Überseemuseums (heute: Überseemuseum), Carl Friedrich Roewer. Danach ging es zügig voran, im März 1941 wurde der Vorstand der Historischen Gesellschaft über die Pläne unterrichtet.

Über die Zielvorgaben konnte kein Zweifel bestehen. Bei seiner Rede gab Böhmcker laut Kloft die Richtung vor: „Der deutschen Sendung der Wissenschaft zu dienen und den traditionellen geisteswissenschaftlichen Rahmen durch Vorgeschichte, Technik und Rassenkunde zu erweitern.“ Dahinter steckte die Ansicht, Geistes- und Naturwissenschaften hätten im 19. Jahrhundert einen „ziellosen Streit“ um die Vorherrschaft geführt. Das Wissenschaftliche Amt sollte diesen unersprießlichen Gegensatz ad acta legen. Zumal man meinte, endlich erkannt zu haben, was die Welt im Innersten zusammenhält. „So mag heute, wo das Leben der Völker in seiner rassischen Bedingtheit zu verstehen versucht wird, auch die Wissenschaft ihre Einheit zurückgewinnen in der Besinnung auf das Gestaltgesetz des menschlichen Daseins.“

Als „Schöpfer der Wittheit“ tituliert: der Regierende Bürgermeister Heinrich Böhmcker.
Quelle: Staatsarchiv Bremen

Die frühere Aufgabenstellung der BWG blieb zwar im wesentlichen unangetastet, wie ihre Vorgängerorganisation sollte die Wittheit das Vorlesungswesen der wissenschaftlichen Verein betreuen und deren Zeitschriften herausgeben. „Die Wittheit übernimmt also die Aufgaben, die bisher insbesondere der Bremer Wissenschaftlichen Gesellschaft oblagen“, erläuterte die Bremer Zeitung. Immerhin erloschen die einzelnen Vereine mit Ausnahme der BWG nicht, am Gängelband der Wittheit konnten sie ihre Arbeit fortsetzen.

Gleichwohl kamen die inhaltlichen Vorgaben jetzt von ganz oben. „Von besonderer Wichtigkeit für Bremen sind die kolonialwissenschaftliche und die wirtschaftswissenschaftliche Forschungsarbeit“, dozierte Böhmcker. „Auf beiden Gebieten wird auch die Wittheit sich tatkräftig einsetzen müssen.“ Der Hintergrund: In froher Erwartung einer baldigen Rückgabe der verlorenen deutschen Kolonien vor allem in Afrika versuchte Bremen sich als „Stadt der Kolonien“ zu etablieren. Gegenüber der Konkurrenz aus Hamburg wollte Bremen kräftig punkten, den Kolonialwissenschaften kam dabei besondere Bedeutung zu.

Doch es kam anders, der Kriegsverlauf machte die Pläne zunichte. „Nicht erst der Ausgang des Krieges mit seinen verheerenden Folgen hat die hochgespannten Erwartungen, die an die Wittheit geknüpft waren, zunichte gemacht“, sagt Wittheit-Vize Kloft. Wobei die Wittheit aber noch lange Zeit  erstaunlich vital war. Als das Kulturleben im „totalen Krieg“ schon längst massiv eingeschränkt war, veranstaltete die Wittheit noch immer Vorträge – zuletzt am 28. März 1945 und damit nur einen Monat vor der Eroberung Bremens: Senatssprecher Hanns Meyer machte sich Gedanken über die „Wesenszüge des bremischen Menschen“.

Als NS-Parteimitglied wurde Knittermeyer nach dem Krieg kaltgestellt, die Wittheit selbst laut Kloft „reprivatisiert, die braunen Flecken verblassten, die Vereine erhielten ihre Eigenverantwortung zurück“. Freilich sieht der emeritierte Uni-Professor inzwischen einigen Bedarf, die Vergangenheit der Wittheit aufzuarbeiten: Anfang kommenden Jahres soll in einem Kolloquium das Thema „Vereine in schwieriger Zeit“ erörtert werden.

 

 

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