1712/13 grassierte die Seuche letztmals in Bremen – die Stadt reagierte rasch, sprach aber von Fleckfieber

Besonders übel sah es Hinter dem Abbentorswall aus. Immer wieder musste Pestarzt Simon Klug das ärmliche Wohnquartier an der Stadtbefestigung aufsuchen, wo die Familien der Stadtsoldaten ihr kümmerliches Dasein fristeten. „In Friedrich Schumachers Hause ist die Mutter mit 4 Kindern gestorben“, schrieb der Mediziner über einen Fall vom April 1713. Kaum besser sah es in der Nachbarschaft aus. Über eine dahinsiechende Frau notierte er wenig später: „Sie lag im Stroh wie ein Vieh und war sehr schwach, so daß sie auch bald hernach gestorben.“

Im Spätsommer 1712 hatte das Unheil seinen Lauf genommen. Stark geschwollene Beulen am Hals, in den Achselhöhlen und den Leisten plagten die Kranken, ein untrügliches Zeichen der Beulenpest. Mitunter nur wenige Stunden, höchstens eine Woche nach der Ansteckung brach die Krankheit aus. Drei bis vier Tage währte die akute, mit hohem Fieber einhergehende Leidenszeit, danach starben die Kranken oder erholten sich langsam wieder.

Die ersten Pestfälle tauchten nicht im Bremer Stadtgebiet auf, sondern in Gröpelingen, damals ein kleines Bauerndorf vor den Toren der Stadt. Die Gegenmaßnahmen waren alterprobte Routine: Das gesamte Dorf wurde abgeriegelt, Soldaten sorgten für die Einhaltung der Quarantäne. Wenn auch über den Erreger falsche Vorstellungen herrschten, so wusste man doch sehr genau, wie ansteckend die Krankheit war.

Hugenotten stark betroffen

Völlig aufhalten ließ sich die Seuche jedoch nicht, in den Nachbardörfern Walle und Oslebshausen wurden mehrere Fälle bekannt. Im Herbst 1712 sprang die neue Epidemie erstmals auf Bremen über, betroffen waren vor allem die Hugenotten, protestantische Glaubensflüchtlinge aus Frankreich. Freilich schien die Gefahr mit Anbruch der kalten Jahreszeit gebannt. Man hoffte, mit einem blauen Auge davongekommen zu sein. Bis dahin gab es laut Pestexperte Klaus Schwarz zumindest in der Stadt nur Krankheitsfälle, aber keine Todesopfer.

Hochgradig gefährdet: Pestdoktoren mussten Schutzkleidung anlegen.
Quelle: Frei

Für Bremen war die Pest alles andere als ein neues Phänomen. Auf insgesamt „nicht weniger als 50 Pestjahre“ im Verlauf der Bremer Geschichte kommt Stadtbibliothekar Johann Georg Kohl in seinem Werk „Alte und neue Zeiten“ (1871). Beim Ausbruch von 1712 lagen die letzten, halbwegs glimpflich verlaufenen Pestepidemien von 1665 und 1667 allerdings schon fast ein halbes Jahrhundert zurück. Weitaus nachdrücklicher in Erinnerung dürfte noch das Seuchenjahr 1655/56 gewesen sein, damals starben in Bremen nahezu 1000 Menschen an der Pest.

Und nun also abermals die Pest ante portas. Aus allen Wolken fielen die Behörden nicht, mit Bangen hatte man das Unheil kommen sehen. „Damals war die gifftige Seuche der Pestilenz unseren Grentzen sehr genähert“, notierte ein zeitgenössischer Chronist. Tatsächlich wütete die Pest bereits seit 1708 in Nord- und Osteuropa, 1711 erreichte sie Hamburg. Von 70 000 Einwohnern gingen 10 000 an der Seuche zugrunde. Mehr als eine Million Menschen sollen während der „Großen Pest“ von 1708 bis 1714 ums Leben gekommen sein.

Die ersten nachweisbaren Pestopfer in Bremen waren zwei Kinder, die am 22. Februar 1713 auf dem Doventorskirchhof beerdigt wurden. Sofort griff der Rat hart durch, es kamen die gleichen Maßnahmen wie in Gröpelingen zur Anwendung. „Die Häuser, in denen es Tote oder Kranke gegeben hatte, wurden verschlossen und von Stadtsoldaten bewacht“, schreibt Schwarz. Zugleich wurde mit Doktor Simon Klug ein Pestarzt berufen, der seine ärztliche Kunst einzig den Pestkranken angedeihen lassen sollte. In der Neustadt richtete man für die Patienten ein eigenes Krankenhaus ein.

Zunächst schienen die Anordnungen zu wirken, die Pest breitete sich keineswegs in Windeseile über das gesamte Stadtgebiet aus. Vielmehr beschränkte sich die Seuche auf einige Wohnstraßen am Rande des Stephaniviertels.    Parallel versuchte der Rat, die Situation schönzureden. Die Pest war für eine Handelsstadt wie Bremen pures Gift. Verbreitete sich die Hiobsbotschaft außerhalb der Stadtmauern, drohte der Warenaustausch zusammenzubrechen. Das benachbarte Kurfürstentum Hannover machte bereits Anstalten, die Grenzen zu schließen. Aus diesem Grund weigerte sich der Rat beharrlich, die Pest beim Namen zu nennen. Stattdessen behauptete man, es gebe lediglich Fälle von Fleckfieber, einer vergleichsweise harmlosen Infektionskrankheit.

Das konnte dann schon mal seltsame Blüte treiben. Als der Schnürmachermeister Marten Danken aus der Neuenstraße im Stephaniviertel wie auch seine beiden Töchter und die Magd im Juli 1713 starben, war von einem „schweren Fleckfieber“ die Rede. Es handele sich um „nichtes anderes als ein Fleckfieber“, beteuerte der Ratmann Liborius von Line, allerdings um die „schlimmeste und ansteckenste Sorte“. Anderslautende Gerüchte verwies er ins Reich der Fabel. „Es causiret aber solches ein Haufen Geschwätz.“

Pestkranke leugnen ihren Zustand

Aus Angst vorm Verlust ihres Einkommens und einer sozialen Stigmatisierung leugneten auch offenkundig Pestkranke ihren Zustand. Symptomatisch dafür ist der Fall des Schmiedemeisters Harm Moyer aus der Faulenstraße. Obgleich ein Kind schon gestorben war und ein anderes die typischen Pestbeulen aufwies, lehnte er eine Behandlung strikt ab. „Er selbst hatte es schon 3 Tage gehabt und wollte es nicht gestehen, bis er endlich am 4. starb“, notierte ungerührt Pestarzt Klug. Kaum anders verhielt es sich bei Familie Lösekan am Brill – mit ebenfalls tödlichen Folgen für den Nachwuchs: „Die Tochter lag auch, wolte aber oder dürfte ihres Vaters halber nicht gestehen, daß sie krank, biß sie 3 Tage hernach starb.“

Damit war die Pest im Mittelstand angekommen. Angesichts dieser Fälle vom August 1713 musste der Rat eine weitere Ausdehnung befürchten. Bis dahin hatte sich die Epidemie auf die ärmeren Stadtteile beschränkt, das Stephaniviertel und das Tieferquartier boten wegen katastrophaler hygienischer Bedingungen einen optimalen Nährboden für die Verbreitung der Seuche. Doch nun bedrohte die Pest auch die besseren Wohngegenden an der Obern- , Langen- und Martinistraße.

Erst jetzt zog die Stadt sämtliche Register, zumal Hannover immer mehr Druck machte. Wer die Krankheit überlebt hatte, wurde ab sofort konsequent für sechs Wochen isoliert. Aber nicht mehr daheim, sondern in streng bewachten Pesthäusern. Im September wurde ein Gebäude an der Bürgerweide als Quarantäne-Station eingerichtet, im Oktober zum gleichen Zweck ein Wachthaus bei der Braut, dem alten Festungsturm auf der Herrlichkeit.

Die sich häufenden Sterbefälle nährten Zweifel an Klugs Kompetenz. Im September 1713 stellte der Rat dem 39-Jährigen einen gebürtigen Franzosen als zweiten Pestarzt zur Seite. Klug nannte ihn stets nur den „fremden Doctor“ und kreidete ihm auch mal eine Fehldiagnose an. Tief gekränkt über die „verkehrte judicia“, die über ihn gefällt würden, verfasste Klug zwei Rechenschaftsberichte über seine Tätigkeit bis Februar 1714, laut Schwarz nicht das einzige, aber das „ausführlichste und ungeschminkteste“ ärztliche Zeugnis der Pestepidemie.

Sonderregeln für Reiche

Wer wohlhabend war, konnte sich den neuen Vorschriften allerdings entziehen. Einen Zwangsaufenthalt in einem der beiden Pesthäuser mochte man betuchten Mitbürgern nicht zumuten, stattdessen wurde ihnen gestattet, sich im eigenen Garten in der Neustadt oder der Vorstadt in freiwillige Quarantäne zu begeben. Konziliant zeigte man sich auch bei der eigentlich obligatorischen Bewachung verseuchter Bürgerhäuser. Wegen „dahero resultirender böser Blame“ wurde zumindest erwogen, auf Soldaten vorm Eigenheim zu verzichten.

Die strengeren Maßregeln zeigten Wirkung, die Infektionszahlen gingen zurück. Als sich das Unglücksjahr 1713 dem Ende zuneigte, konnte der neuerliche Pestausbruch als so gut wie besiegt gelten. Knapp ein Jahr lang hatte Bremen die Pest in seinen Mauern gehabt. Die Oberschicht hatte keinen einzigen Toten zu beklagen, beim Mittelstand waren zehn Familien betroffen. Wie viele Opfer die Pestepidemie exakt forderte, lässt sich nur schwer angeben. Klug stellte bei 120 Menschen den Pesttod fest, sein erst später hinzugezogener Kollege dürfte deutlich weniger gezählt haben.

Nach Einschätzung von Schwarz kam Bremen mit seinen damals rund 26 000 Einwohnern „recht glimpflich“ davon. Die meisten Toten verzeichnete man Hinter dem Abbentorswall, wo die Seuche seit Februar 1713 nahezu 50 Menschen dahingerafft hatte. Der einzige Trost: Die Pest kehrte nicht wieder zurück, die Epidemie von 1712/13 war die letzte ihrer Art in Bremen.

Nicht überall in Bremen waren gleich viele Pestfälle zu verzeichnen. Am stärksten betroffen war die Straße Hinter dem Abbentorswall.
Quelle: Staatsarchiv Bremen

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