Vor 60 Jahren starb der Bremer Flugpionier Cornelius Edzard – neue Biografie mit bisher unbekanntem Material

Eigentlich ist es ein Wunder, dass Cornelius Edzard nicht schon als junger Mann den Tod fand. Bei einem Aufklärungsflug im Ersten Weltkrieg bekam er es plötzlich mit zwölf englischen Maschinen zu tun, sein Beobachter am Maschinengewehr fiel schon zu Beginn des Luftkampfs aus. „Vor mir schlagen die Kugeln in den Motor, durch meinen Sitz, durch die Tragflächen, überall schlagen die Kugeln kleine Löcher in die Maschine“, berichtete er seiner späteren Frau Frieda im Mai 1918. Sogar seine Pelzstiefel waren zerschossen, er selbst aber vollkommen unversehrt – in höchster Not konnte er das fliegende Wrack landen. Da war tiefes Durchatmen angesagt: „Ich habe wirklich ein ganz wahnsinniges Glück gehabt.“

Erst im Heer: der junge Cornelius Edzard im Ersten Weltkrieg.
Quelle: Kollektion Dietzold

Weniger Glück hatte Edzard im fortgeschrittenen Mannesalter. Mit gerade einmal 63 Jahren starb der Bremer Flugpionier vor 60 Jahren, am 8. Januar 1962, an einer Leukämie-Erkrankung. Seine Asche wurde über seiner langjährigen Wirkungsstätte verstreut, dem Bremer Flughafen. „Bis heute ist das der einzige bekannte Urnenflug über dem Flugfeld, dafür brauchte man eine Sondergenehmigung“, sagt Jan-Bernd Uptmoor.

Der 56-Jährige muss es wissen, rechtzeitig zum Todestag hat der Hobbyhistoriker aus Oldenburg die erste Biografie über den Mann vorgelegt, der weit über Bremen hinaus als „Conni“ Edzard bekannt war.

Seine überregionale Bekanntheit verdankt der Flieger einer gescheiterten Pioniertat. Wäre alles nach Plan verlaufen, hätte Edzard im August 1927 zu den „Atlantikbezwingern“ gehört. Zu jenen sechs Männern, die in den beiden Junkers-Maschinen „Bremen“ und „Europa“ den Ozean erstmals nonstop in Ost-West-Richtung überqueren wollten.

Doch das Gegenstück zum Alleinflug des US-Piloten Charles Lindbergh stand unter keinem guten Stern. Edzard und sein Pilotenkollege Johann Risztics gerieten mit der „Europa“ schon an der Nordseeküste in eine Gewitterfront, zudem gab es Motorprobleme. Umkehren war die einzige vernünftige Option. Mitten in der Nacht legte er eine Bruchlandung auf dem unbeleuchteten Bremer Flughafen hin. „Zu schwer die Maschine zum Landen, noch zu viel Treibstoff“, lautete sein Kommentar, als er – wieder unverletzt – dem Cockpit entstieg.

Auch die zweite Maschine mit dem Lufthansa-Piloten Hermann Köhl und dem Pressechef des Norddeutschen Lloyd, Ehrenfried Günther Freiherr von Hünefeld, kam nur bis nach Irland. Immerhin gelangte die „Bremen“ aber unbeschadet zurück zum Startpunkt nach Dessau, dem Standort der Junkers-Werke. Ein mehr als ernüchternder Ausgang nach all der Euphorie und dem Medienrummel im Vorfeld.

Bei der Ursachenforschung hagelte es Kritik an den Piloten, sie hätten sich blenden lassen durch den vorherigen Rekordflug über mehr als 52 Stunden. Für einen zweiten Versuch gab es jetzt nur noch die „Bremen“. Und damit auch weniger Bedarf an Flugzeugführern.

Die Eheleute Frieda und Cornelius Edzard in den 1920er-Jahren.
Quelle: Kollektion Dietzold

Dass Edzard beim erfolgreichen Atlantikflug im April 1928 nicht mehr dabei war, verstand sich keineswegs von selbst. Zumal er anfangs mit dem flugunkundigen Hünefeld ein Team gebildet hatte, erst durch das Engagement der Junkers-Werke und die Finanzierung eines zweiten Flugzeugs durch den amerikanischen Pressegiganten Hearst wurden die Karten neu gemischt. Nach dem Fiasko mit der „Europa“ zählte der damals 29-Jährige wegen angeblicher Nervosität nicht mehr zu den Kandidaten für den zweiten Anlauf, sein Vertrag mit Junkers wurde aufgelöst.

In Fliegermontur: Cornelius Edzard in den 1920er-Jahren.
Quelle: Kollektion Edzard

Edzard selbst wehrte sich gegen Zweifel an seinen Fähigkeiten in einem Brief an Firmenchef Hugo Junkers. „Dieser Umstand wurde in der Literatur zum Thema Ozeanflug bislang mit keiner Silbe je erwähnt“, schreibt Edzard-Biograf Uptmoor. Für ihn ist Edzard das Opfer einer Intrige. „Neudeutsch gesagt, haben Köhl und Hünefeld ihn gezielt rausgemobbt.“ Dabei stützt sich Uptmoor auf den Schriftverkehr, der im Deutschen Museum München aufbewahrt wird.

Doch beide Seiten seien nicht nachtragend gewesen, beim Empfang der erfolgreichen Ozeanflieger habe man sich schon wieder umarmt und beglückwünscht. Da dürfte es eine späte Genugtuung gewesen sein, dass Edzard 1953 zur Feier des 25. Jahrestags des Atlantikflugs doch noch Anerkennung zuteil wurde – beim Autokorso in Bremen saß er neben James Fitzmaurice, dem letzten noch lebenden Atlantikflieger.

Auf Edzard ist Uptmoor eher zufällig aufmerksam geworden, als er sich mit der historischen Fliegerei seiner Heimatstadt Vechta beschäftigte. Fünf Jahre lang durchforstete der Diplom-Kaufmann die vorhandene Literatur und reichlich Quellenmaterial in Bremen, Oldenburg und München. Als wahre Fundgrube erwies sich vor allem der persönliche Nachlass im Besitz der Edzard-Enkelin Regina Dietzold. Dadurch konnten erstmals Edzards Feldpostbriefe aus dem Ersten Weltkrieg ausgewertet werden. Und die vermitteln das Bild eines jungen Mannes aus gutbürgerlichem Milieu, der treu zu Kaiser und Reich stand.

Mit 17 Jahren meldete er sich freiwillig, kämpfte erst im Heer an der Ostfront und ging dann zur noch jungen Luftwaffe. Zunächst als Aufklärungsflieger, ab August 1918 als Jagdflieger. In Bremen schloss sich der hochdekorierte Edzard dem Freikorps Caspari an. Im März 1919 sattelte er auf Landwirtschaft um, zuletzt in der brandenburgischen Region Prignitz.

Nach seiner Rückkehr 1922 beaufsichtigte er beim Verlag Carl Schünemann den Druck von Inflationsgeld. Seine eigentliche Bestimmung fand er aber erst 1924 mit Gründung der Bremer Luftfahrtgesellschaft, ab 1926 die Norddeutsche Luftverkehr AG. Eng verbunden mit Focke-Wulf-Flugzeugbau, flog Edzard ausschließlich Focke-Wulf-Maschinen im Bäderdienst zu den ostfriesischen Inseln, immer wieder auch nach Wangerooge.

Sehnlichst erwartet: die Focke-Wulf-Maschine von Cornelius Edzard im Juli 1926 im Landeanflug auf Wangerooge.
Quelle: Kollektion Schulze GbR

Das Ende der Atlantikträume brachte keine Atempause. Als Georg Wulf im September 1927 tödlich verunglückte, trat Edzard dessen Nachfolge als Chefeinflieger bei Focke-Wulf an. Wohl weil regionale Fluggesellschaften es mit der Monopolstellung der Lufthansa zunehmend schwer hatten, nutzte Edzard die NS-Machtübernahme für einen Neuanfang. Gleich 1933 trat er der Partei bei und avancierte zum Direktor des Bremer Flughafens. Doch offenbar war das nichts auf Dauer. Mit der wiedererlangten Wehrhoheit 1935 wechselte Edzard zur Luftwaffe und machte eine steile Karriere, 1942 wurde er zum Oberst befördert.

Ranghoher Offizier in der Luftwaffe: Cornelius Edzard 1938, ein Ölgemälde seiner Mutter.
Quelle: Kollektion Dietzold

Seine Tätigkeit als Kommandant deutscher Fliegerhorste in Frankreich und Dänemark liegt weitgehend im Dunkeln. Aus französischen Quellen weiß Uptmoor, dass Edzards Einheit auch für die Bekämpfung der Resistance eingesetzt wurde. Rätselhaft ein Zwischenfall im Dezember 1943, bei dem es um rechtswidrigen Waffengebrauch mit schwerer Körperverletzung ging. Wie aus seiner Personalakte hervorgeht, wurden dem Oberst zehn Tage Stubenarrest aufgebrummt.

Ganz im Zeichen des Hubschrauberbaus stehen Edzards späten Jahre. Dem Hubschrauber schien damals als Massenverkehrsmittel die Zukunft zu gehören. Mit der Gründung der Hubschrauber-Union GmbH startete Edzard 1952 einen wahren Werbefeldzug, in Gemeinschaft mit seinem alten Freund Henrich Focke konnte er den Bremer Autobauer Borgward für den Hubschrauberbau begeistern. Allerdings weniger den Senat, die Borgward-Pleite beendete 1961 auch die Weiterentwicklung des dreisitzigen Kolibri-Prototyps.

Förderer des Hubschrauberbaus: Cornelius Edzard in seinen späten Jahren.
Quelle: Archiv

Erschienen ist die reich bebilderte Edzard-Biografie im Eigenverlag. Bei einer zweiten Auflage kämen vielleicht noch 20 bis 30 Seiten hinzu, sagt der Autor. Zu seinem Kummer konnte er wegen der Corona-Pandemie nämlich nicht das Focke-Wulf-Archiv bei Airbus einsehen. Entschädigt wird man durch die Feldpostbriefe. „Ich kann mir wirklich keinen schöneren Tod als den Fliegertod denken“, schrieb der blutjunge Edzard im Taumel nationaler Begeisterung.

Dazu kam es bekanntlich nicht – doch seine Asche wurde in der Cessna des in Borgfeld ansässigen, flugbegeisterten Hohenzollernchefs Prinz Louis Ferdinand befördert. Dem Enkel des Kaisers, für den Edzard sein Leben hingegeben hätte.

Jan-Bernd Uptmoor: … denn ich bin ja Bremer Flieger. Cornelius Edzard: Fast vergessen – Ein Fliegerleben. ISBN: 978-3-00-071085-8, 212 Seiten, 35 €. 

Erhältlich bei jedem Buchhändler unter Angabe der ISBN-Nummer im Verzeichnis Lieferbarer Bücher (VLB) oder direkt beim Autor unter der E-Mail-Adresse jb.uptmoor@t-online.de

In den 1920er-Jahren im Pendelverkehr zwischen Bremen und Wangerooge: Cornelius Edzard mit seiner Focke-Wulf A 16 im Landeanflug.
Kollektion Dietzold

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