David Oliver schrieb Filmgeschichte – und ist heute weitgehend vergessen
Das Filmfest Bremen bietet Gelegenheit, an einen Bremer Filmpionier zu erinnern, ohne dessen Wirken es nicht zur Gründung der legendären Ufa gekommen wäre. Von Bremen aus baute der 1880 im damals österreichischen Galizien geborene David Oliver ein Kino-Imperium auf, das 1917 als Grundstock in die Ufa einging. Bis zu seiner Emigration 1938 war Oliver eine der prägenden Figuren der deutschen Filmindustrie.
Der von Hauslehrern erzogene Sohn eines jüdischen Gutsbesitzers kam schon im Alter von 18 Jahren erstmals als Handlungsreisender nach Delmenhorst, wo damals drei große Linoleumhersteller ansässig waren, für deren Produktion Rohstoffe aus Galizien wie Erdwachs und Petroleum benötigt wurden. Etwa um die Jahrhundertwende ließ sich Oliver zunächst in Hemelingen nieder. 1903 heiratete er eine Protestantin aus Schwachhausen und gründete mit einem Partner ein erstes Unternehmen.
In rascher Folge wurden vier Kinder geboren, die alle evangelisch getauft wurden. Als die kleine Tochter 1907 starb, erwarb der trauernde Vater für sie eine Grabstätte auf dem Waller Friedhof. Die Annalen verzeichnen den Kinderleichenwagen, mit dem die Zweijährige zu ihrer letzten Ruhestätte gebracht wurde, sichtbares Zeichen für den sozialen Status der Familie zu einer Zeit, wo kleine Kinder üblicherweise anderen Gräbern beigegeben wurden. Die Assimilation schien formal vollendet, als er mit seiner zweiten Eheschließung 1909 die jüdische Religionsgemeinschaft endgültig verließ.
Wann genau er begann, seine Geschäftsinteressen auf den Film zu konzentrieren, lässt sich nicht genau feststellen. Ab etwa 1908 ging es in diesem Wirtschaftszweig Schlag auf Schlag. Mit der Idee, das Kleine-Leute-Vergnügen „Kintopp“ für ein kulturell anspruchsvolleres und zahlungskräftigeres Publikum interessant zu machen, begeisterte er die Hamburger Unternehmer Johannes und Heinrich Hagen. Man erwarb gemeinsam ein Varieté-Theater und baute es zu einem luxuriös ausgestatteten Kino mit 1000 Sitzplätzen um. Das im April 1908 in der Ansgariistraße eröffnete Metropoltheater, dessen Unterhaltungsangebot Varieté und Gastronomie einschloss, wurde zum gewünschten Erfolg.
Kino war nun auch in gehobenen Kreisen salonfähig. Mit seiner Geschäftsidee und Geldgebern aus besten Bremer Finanzkreisen wurden in schneller Folge ähnlich große und größere Kinos in Hannover, Dresden und Halle errichtet, in Leipzig dann schon fünf, eines davon mit 1700 Sitzplätzen. Bemerkenswert ist, dass viele der Bremer Finanziers über Jahrzehnte bis zu Olivers erzwungener Emigration in diverse Unternehmungen des Österreichers investierten.
Umzug nach Leipzig
Nach der Geburt einer Tochter in seiner zweiten Ehe zog er nach Leipzig, wo 1911 ein weiterer Sohn geboren wurde. Seine Geschäfte liefen weiter über Bremen. Mit dem Beginn des Ersten Weltkriegs 1914 wurde der ganze Filmmarkt durcheinander gewirbelt, weil Produktionen aus den bisher den Markt dominierenden Ländern verboten waren. Nur die dänische Nordisk als damals weltweit führende Filmproduktion war vom Boykott ausgeschlossen.
Nordisks Mann im Deutschen Reich wurde David Oliver, der für seine Kinos auch als Filmeinkäufer unterwegs gewesen war. 1915 wurde er Geschäftsführer der deutschen Niederlassung des dänischen Konzerns. Nun erweiterte er seine Aktivitäten auf den Vertrieb und baute zugleich seine Kinokette durch den Erwerb von 17 Kinos der Union-Theater-Kette weiter aus. Zeitgleich gründete er in Bremen seine eigene Filmproduktion Oliver Film GmbH, um den wachsenden Bedarf an Filmen zu befriedigen, der durch den Ausfall der ausländischen Konkurrenz entstanden war. Neben zahlreichen Lustspielen wurden Dokumentarfilme zum Schwerpunkt seiner Produktion.
1916 verlagerte er Wohn- und Geschäftssitz in die boomende Filmstadt Berlin. Er kontrollierte inzwischen fast die Hälfte des deutschen Filmgeschäfts und weitete seine Aktivitäten in ganz Europa aus. Seine herausragende Stellung in der Branche machte ihn in Kriegszeiten zum viel gefragten Berater von Regierungsstellen, die den Film als Mittel der Volksbildung und Propaganda entdeckt hatten. Es war dann der für die Propagandaabteilung des Auswärtigen Amts in der Schweiz tätige berühmte Tagebuchschreiber Harry Graf Kessler, der gemeinsam mit David Oliver die Idee für einen großen deutschen Filmkonzern nach dem Vorbild des Oliver-Konzerns entwickelte, in dem Produktion, Kinos und Vertrieb gebündelt werden sollten.
1917 wurde aus dem Zusammenschluss mehrerer Filmunternehmen die Ufa gegründet. Die deutsche Nordisk und die Oliver Film Produktion gingen für 10 Millionen Reichsmark in das 20-Millionen-Unternehmen ein. Oliver wurde in dem neuen Großunternehmen Direktor für Betrieb und Ausbau der Kinokette.
Filmgeschichte mit „Das Kabinett des Dr. Caligari“
In der Umbruchphase nach dem Ende des Ersten Weltkriegs wurde ihm die Ufa schnell zu eng. Ende 1919 beteiligte er sich an der aufstrebenden Decla, die wenig später mit dem Welterfolg „Das Kabinett des Dr. Caligari“ Filmgeschichte schrieb. Auch hier hatte er wieder Bremer Finanziers als Geldgeber gewonnen. Er wurde an der Seite des Filmpioniers Erich Pommer kaufmännischer Direktor eines schnell wachsenden neuen Konzerns, der sich zahlreiche kleinere Filmfirmen, Kinoketten und Verleihe einverleibte und bald neben der Ufa der zweitgrößte Filmkonzern des Deutschen Reichs war.
1920 heiratete er ein drittes Mal, diesmal die zum Protestantismus konvertierte Tochter einer angesehenen jüdischen Kaufmannsfamilie aus Hamburg. Inzwischen war auch er Protestant geworden. Aus dieser Ehe ging ein Sohn hervor. Seine zweite Frau führte einen begierig von der Presse aufgenommenen Rosenkrieg mit ihm und trat später ostentativ mit dem gemeinsamen Sohn der NSDAP bei.
Die Konzentration in der Filmindustrie setzte sich rasant fort. Die Decla-Bioscop wurde von der Ufa übernommen. Inzwischen hatte David Oliver eine neue Geschäftsidee entwickelt und sich mit dem Sprengstoffhersteller Lignose AG zusammengetan, um das Monopol der Agfa in der Rohfilmherstellung zu brechen, erfolgreich, wie alles, was er anging. Aus der Zusammenarbeit mit dem Generaldirektor der Lignose AG entstand eine langjährige geschäftliche Verbindung, die unter anderem zur Gründung der Filmproduktion Phoebus Film 1924 führte. Größte gemeinsame Unternehmung wurde die 1926 gegründete Grundwert AG, die deutschlandweit große Geschäftskomplexe mit riesigen Phoebus-Kinos errichtete. Städtebaulicher Höhepunkt sollte das 1929 eingeweihte Deutschlandhaus in Hamburg werden.
Das größte Kino Europas
Das in den Bau integrierte Kino war das größte Kino Europas. Nach der Insolvenz der Phoebus im größten politischen Skandal der Weimarer Republik – als Lohmann- Skandal in die Annalen eingegangen – bei dem an die Öffentlichkeit gelangt war, dass die Marine aus schwarzen Kassen Beteiligungen an der Phoebus hielt, um Propagandafilme zu lancieren, ging das aufwändig gestaltete Kino an die Ufa.
David Oliver blieb unbeschädigt von diesem Skandal und wurde 1932 auf Lebenszeit zum Generaldirektor der Grundwert AG berufen, an der inzwischen die Dresdner Bank den größten Aktienbesitz hielt, wieder unter Beteiligung von Bremer Finanziers. Er hielt mehrere Aufsichtsratsmandate und leitete kommissarisch die Tolirag, das führende Unternehmen für Kinowerbung. Daneben war er aktives Mitglied zahlreicher Berufsvertretungen, ehrenamtlicher Handelsrichter und Mitglied der österreichischen Handelskammer.
Als nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten jüdische Künstler aus dem Filmgeschäft gedrängt wurden, gründete er 1933 in Barcelona die Iberica Films, bei der zahlreiche jüdische Filmschaffende und Familienmitglieder Beschäftigung fanden. Er selbst blieb mit seiner Familie in Berlin und feierte noch im April 1933 die Hochzeit seiner einzigen Tochter Gertrud mit einem Sohn der angesehenen Hamburger Kaffeerösterfamilie J.W. Darboven. Die Scheidung folgte noch im selben Jahr und Gertrud, die Ingenieurwissenschaften studiert hatte, ging nach London.
Weltweites Aufsehen erregte ein Attentat im März 1934, als David Olivers Limousine Unter den Linden in Berlin von einer Handgranate getroffen wurde. Die internationale Presse spekulierte, dass er von Nazis ermordet werden sollte, weil er die Frechheit besessen habe, in einem seiner Kinos Alexander Kordas Film „Katharina die Große“ mit Elisabeth Bergner uraufzuführen: jüdischer Kinobesitzer, jüdischer Produzent, jüdische Hauptdarstellerin, mit Paul Czinner auch jüdischer Regisseur. Dass er Ziel des Attentats war, blieb allerdings Gerücht. Die genauen Hintergründe konnten nie geklärt werden, angehängt wurde es einem Kommunisten. Es deutet allerdings einiges darauf hin, dass es mit einem Machtkampf innerhalb der NSDAP zu tun hatte und einem Nazi-Granden galt.
Das spanische Projekt, mit dem der gesamte spanisch sprechende Markt erreicht werden sollte und für das sogar bei Metro-Goldwyn-Mayer in Hollywood Mitarbeiter abgeworben werden konnten, musste mit dem Ausbruch des Spanischen Bürgerkriegs aufgegeben werden. Die wenigen Produktionen, die realisiert wurden, gelten heute in der spanischen Filmwissenschaft als stilbildend für den damals gerade erst entstehenden eigenständigen spanischen Film.
Vom ständig zunehmenden Verfolgungsdruck war David Oliver persönlich bis 1936 noch nicht betroffen. Eine zeitlang bemühten sich die Nationalsozialisten sogar, ihn im Land zu halten. Er stand seit mindestens 1935 unter ständiger Beobachtung. Die Gefährdung war ihm jedoch früh bewusst. Nur einen Bruchteil seines Kapitals konnte er noch ins Ausland schaffen. In den verbleibenden Jahren bis 1938 arbeitete er daran, seine Beteiligungen mit Hilfe alter Vertrauter mit neuen Firmen zu verschleiern.
Seit 1935 lebte er zeitweise in Großbritannien, wo er enge Kontakte zum ungarisch-stämmigen Filmmogul Alexander Korda aufbaute. Mit einer Investition zum Bau des größten Filmlabors Europas für Kordas gigantischen Studiokomplex Denham Studios außerhalb von London sollte noch einmal am ganz großen Rad gedreht werden. David Oliver übernahm selbst die Geschäftsführung und leitete den Bau, für den er Walter Gropius engagierte. Siegmund Warburg warb die Investoren – und verspielte fast sein Renommee. Das Investment wurde schon 1937 für alle Beteiligten zum Debakel. Alle waren auf Kordas Größenwahn hereingefallen. David Oliver verlor die 10.000 Pfund, die er nach England hatte transferieren dürfen und auch das Vertrauen seiner neuen Geschäftspartner in seinen Geschäftssinn.
Nach dem Anschluss Österreichs musste Ende 1938 auch er das Deutsche Reich endgültig verlassen. Seine guten Kontakte in Großbritannien ermöglichten die Emigration dorthin. Mit den wenigen verbliebenen finanziellen Mitteln erwarb er 1939 im Londoner Stadtteil Mayfair Anteile an einem kleinen Kino und übernahm die Geschäftsführung. Mit einem Programm künstlerisch wertvoller Filme schuf er sich schnell ein treues Publikum und wurde erfolgreicher Pionier des Programmkinos, von dem es heißt, es sei 1969 in Bremen erfunden worden.
Nach kurzer Krankheit starb er 1947 in London.
Sabine Pamperrien ist gebürtige Bremerin, die freie Journalistin und Autorin hat an „Werder im Nationalsozialismus“ mitgewirkt.