Immer dabei: Haberjans Hippodrom um 1965.
Quelle: Familie Porsch

Ein Blick in die Geschichte (165): Freimarkt 1965 erstmals mit Stadthalle / Das Metro-Cinemobil als besondere Attraktion

So richtig schmecken ließ sich Helmut Landau seine Bratwurst beim Freimarkt-Bummel im Oktober 1965. Seine Tochter Veronika lichtete ihn zusammen mit zwei ihrer Freundinnen ab – ein echter Schnappschuss, gestellt ist nichts an diesem „Futterfoto“. Insgesamt 24 Wurstbuden verteilten sich damals auf der Veranstaltungsfläche auf der Bürgerweide, dazu kamen noch 70 Stände mit Zuckerwaren. „Kein Mensch in Deutschland isst so viel Süßigkeiten wie der Bremer“, konstatierte Marktmeister Wolfgang Jarré. Ein sehr subjektiver Eindruck, wie man vermuten darf. Der Freimarkt von 1965 war aber ohne Zweifel aus einem ganz anderen Grund etwas Besonderes: Denn zum ersten Mal war die vor Jahresfrist eröffnete Stadthalle mit eingebunden in den Freimarktstrubel.

Anscheinend hegte so manch einer die Befürchtung, die neue Stadthalle könnte die Fläche für den Freimarkt zu stark reduzieren. Gab sich doch Marktmeister Jarré alle erdenkliche Mühe, solche Befürchtungen zu zerstreuen. Mit einer Fläche von 100.000 Quadratmetern sei der Freimarkt genauso groß wie im Vorjahr, versicherte er der Presse. Und damit sogar noch größer als wenige Jahre zuvor, größer auch als vor Beginn der Bauarbeiten für die Stadthalle. 1960 habe der Freimarkt nur 85.000 Quadratmeter belegt. Bei 100.000 Quadratmetern ist es laut amtlicher Angabe bis heute geblieben, damit nimmt die alljährliche Großveranstaltung die gesamte unbebaute Fläche der Bürgerweide ein.

Sensationelle 3 D-Erlebnisse 

Als besondere Attraktion galt 1965 das Metro-Cinemobil, eine „hochmoderne“ Erlebnisbahn mit neuartigen 3 D-Filmsequenzen. Kurioserweise wurde das Cinemobil zu den Geisterbahnen gezählt. An der schrillen Schauseite wird das weniger gelegen haben, die gehörte zum Geschäft. Sondern eher daran, dass die Fahrgäste mit Überraschungseffekten „geschockt“ wurden. Im Innenraum ging es in stromlinienförmigen Kabinen durch fünf Projektionstunnel, in denen sich „ein lebhaftes plastisches Geschehen“ (Weser-Kurier) abspielte. Der Clou: 3 D-Brillen waren nicht von Nöten, fürs mulmige Gefühl sorgten die mit Lichtfiltern präparierten „Windschutzscheiben“ der Kabinen.

Vom Freimarkt profitiert die ganze Stadt: ganzseitige Anzeigenseite im Weser-Kurier im Oktober 1965.
Quelle: Archiv des Weser-Kuriers

Nicht nur normale Freimarktbesucher strömten in Scharen ins Cinemobil, auch Leute vom Fach ließen sich in großer Zahl blicken: Fotografen und Kinobesitzer. „Die Fotofachleute lassen sich das nicht entgehen“, frohlockte Schausteller Karl Kohler, der Erfinder der Filmbahn. Acht Jahre hatte der 62-Jährige aus Augsburg an seinem Projekt getüftelt und es sich 1963 sogar patentieren lassen. Noch bis 2003 zog sein dreidimensionales Fahrgeschäft durch die Lande, später allerdings unter anderem Namen als „3D-Filmbahn“ und „Moviestar“. Nach einer China-Tournee 2004 blieb das frühere Cinemobil im „Reich der Mitte“.

360 Schausteller – 60 mehr als heute

Auf der noch immer ungepflasterten Bürgerweide fanden sich 1965 exakt 360 Betriebe ein, 60 mehr als beim aktuellen Freimarkt. Erstmals vor Ort waren damals neben dem Metro-Cinemobil die Bayernkurve, die laut Weser-Kurier mit ihrem Bobschlittenzug eine „unheimliche Geschwindigkeit“ erreichte, die Fliegende Untertasse, die Geistermühle und der Fröhliche Weinberg. Als echte Kracher galten die drei Achterbahnen, von denen zwei in „neuartiger Stahlrohrbauweise“ aufgeführt waren. Der Vorteil: Erst so waren extrem steile Kurven möglich. Über seinen Selbstversuch berichtete der Reporter: „Schaurig-schön krampft sich einem der Magen zusammen, wenn die wilde Jagd durch Täler und Berge führt.“

Doch nicht nur moderne Fahrgeschäfte fanden ihr Publikum. Auch liebgewonnene Klassiker wie Haberjans Hippodrom oder Verspermanns Kinderkarussell hatten 1965 noch ihren Platz auf der Bürgerweide. Natürlich müssten Haberjans Pferde dabei sein, ließ der Weser-Kurier wissen, jedermann liebe das Hippodrom. Sogar die „altbewährte Liliputstadt“ mit ihren kleinwüchsigen Darstellern gehörte damals noch zum Standardrepertoire – heute so ziemlich undenkbar.

Für den gebürtigen Berliner Horst Adamietz, seit 1962 Sprecher des Senats, war die berühmte „fünfte Jahreszeit“ jedenfalls ein schlagkräftiger Beweis dafür, dass die Bremer Feste feiern könnten und keineswegs gehemmt seien durch eine „erstarrte Tradition“. In einem Beitrag für die Wochenzeitung „Die Zeit“ anlässlich der Feierlichkeiten zum 1000-jährigen Bestehen Bremens rühmte er im Juli 1965 den Freimarkt als eine Art Jungbrunnen für die Bremer Bevölkerung. „Da sind die s-teifen Bremer auf einmal so locker, dass man sie kaum wiedererkennt. Ohne Programm, ohne Organisation, einfach so.“

von Frank Hethey

Es geht um die Wurst: Helmut Landau (links) 1965 beim Freimarktbesuch. Seine Tochter Veronika lichtete ihren Vater mit zwei ihrer Freundinnen ab.
Quelle: Bestand Landau

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