John Rothwell setzte sich 1998 für die beiden Herolde ein / 15-minütiger Animationsfilm jetzt abrufbar
Für die filigranen Reiterfiguren konnte sich John Rothwell schon beim ersten Anblick begeistern. Umso trauriger stimmte ihn der Standort im Osterholzer Egestorff-Park. Mutwillige Beschädigungen hatten den Herolden schwer zugesetzt, es musste dringend etwas getan werden. Als Gast von „Buten un Binnen“ brachte er 1998 den Stein ins Rollen, seit 2007 befinden sich die Figuren wieder am Ostportal des Rathauses. Doch ungeteilter Sympathie erfreuten sich die Reiter keineswegs von Anfang an: Schon ihre Aufstellung wurde von Misstönen begleitet – und das setzte sich nach dem Krieg fort.
Heulender Wind dringt an das Ohr des Zuschauers. Dann fokussiert die Kamera auf die beiden reitenden Herolde. Stoisch und schweigsam stehen sie da, hinter ihnen eine grüne Wand. Es muss Herbst sein, erstes Laub wirbelt durch die Luft. Plötzlich ergreift der eine das Wort. „Ich habe überhaupt kein Zeitgefühl mehr“, klagt er. Wie sie hier überhaupt hingekommen seien, will er wissen – in den Park der Egestorff-Stiftung in Osterholz. Sein Schicksalsgefährte spottet über den mangelnden Orientierungssinn seines Nebenmannes. „Dass du das nicht mehr weißt“, entgegnet er. „Du bist wohl eingerostet.“
Der imaginäre Dialog stammt aus einer gut 15-minütigen Videosequenz. Ein kleiner Ausschnitt des Films war 1998 bei „Buten un Binnen“ zu sehen, seither schlummerte der amüsante Streifen mit den beiden animierten Reiterfiguren mehr oder weniger unbeachtet in Privatbesitz. Und zwar im Besitz von John Rothwell, der die Diskussion um ihren weiteren Verbleib überhaupt erst in Gang gebracht hat. Nun will er das Kapitel abschließen. Und hat deshalb den kurzen Animationsfilm samt mehreren Interviews und einer Fernsehdokumentation Bremen History überlassen. Ab sofort ist die Sequenz abrufbar.
Als Kanone nicht zu gebrauchen
Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass ausgerechnet ein gebürtiger Engländer den Anstoß zur Rückkehr der Herolde an ihren ursprünglichen Standort gab. Nämlich vor das Ostportal des Rathauses, wo die Reiterfiguren schon von 1901 bis 1942 gestanden hatten. Anders als die beiden „Landsknechte“ vor dem Westportal des Rathauses mussten die Herolde nicht fürchten, in Kriegszeiten als „Metallspende“ im Schmelzofen zu landen. Denn die Kupferblechfiguren waren als Material für Kanonen nicht zu gebrauchen. Ganz im Gegensatz zu den bronzenen „Landsknechten“, der Kaiser-Wilhelm-Statue, dem Teichmann-Brunnen und vielen anderen Kunstwerken, die seit Kriegsbeginn weggeschafft wurden.
Vor 20 Jahren lief der Mann, der 1965 als Soldat nach Bremen gekommen war, den beiden Reitern erstmals über den Weg. Seine Frau arbeitete damals als Altenpflegerin in der Egestorff-Stiftung, Rothwell wollte sie abholen und vertrieb sich die Wartezeit mit einem Spaziergang durch den Park. „Da entdeckte ich diese wunderschönen Figuren“, erinnert er sich. Als leidenschaftlicher Hobbytöpfer bewunderte er die filigrane Arbeit, die Detailtreue selbst in den kleinsten Einzelheiten. Nicht zuletzt den Riemen galt seine Bewunderung. „Man könnte meinen, es ist Leder. Aber es ist Kupfer.“
Ein geschickter Schachzug
Gefertigt hat die beiden Reiter der Münchner Bildhauer Rudolf Maison, ein Favorit des bayerischen Märchenkönigs Ludwig II. An der Weser war Maison kein Unbekannter, er hatte 1899 den Teichmann-Brunnen auf dem Domshof erstellt. Freilich waren die Reiterfiguren keine Exklusivanfertigung für Bremen, es gab noch nicht einmal einen Auftrag aus der Hansestadt. Auf eher verschlungenen Wegen waren die Figuren vors Ostportal gelangt. Eine größere Version zierte seit 1894 den Innenraum des Reichstags, die beiden „Bremer Modelle“ waren eigentlich eine Auftragsarbeit für die Pariser Weltausstellung von 1900, dort bewachten sie den deutschen Pavillon.
Und dort fand ein gebürtiger Bremer Gefallen an ihnen, der in Paris lebende Bankier John H. Harjes. Aus alter Zuneigung zu seiner Geburtsstadt vermachte er Bremen erst die beiden Herolde und 1904 auch noch die beiden „Landsknechte“ als Gegenstück für das Westportal des Rathauses.
Allerdings lief die Sache schon damals nicht ganz rund, maßgebliche Bremer sollen sich ein wenig schwergetan haben mit dem unverhofften Geschenk.
Ritterfiguren am Allerheiligsten, dem Rathaus? Das passte nicht so richtig zum Selbstverständnis der liberalen Kaufmannsstadt. Doch ein geschickter Schachzug des umtriebigen Bankiers setzte die Bedenkenträger ins Matt: Harjes schenkte die Figuren kurzerhand Kaiser Wilhelm II., und der gab sie weiter an Bremen. Und ein kaiserliches Präsent ablehnen, das ging nun wirklich nicht. Ganz ähnlich verlief auch der Transfer der beiden „Landsknechte“, diesmal machte der Direktor des Norddeutschen Lloyd, Heinrich Wiegand, seinen Einfluss geltend.
Keine Lanzenträger am Rathaus
Vielleicht rührte auch daher die Zurückhaltung des Rathauses, als FDP und Deutsche Partei 1954 die Wiederaufstellung der Herolde am angestammten Platz forderten. Mal abgesehen davon, dass es der SPD in Zeiten der Diskussion um eine deutsche Wiederbewaffnung nicht opportun erschien, zwei Lanzenträger am Rathausportal zu platzieren.
Hinzu kamen ästhetische Vorbehalte. Bereits damals hieß es, die Reiter als typisches Erzeugnis der Gründerzeit würden sich nicht mit der Rathaus-Architektur vertragen. Ein Urteil, das sich 1998 auch der damalige Landesdenkmalpfleger Hans-Christoph Hoffmann zu eigen machte. Zwar lobte er die Reiter als „handwerklich hervorragende Arbeit“, wollte ihnen aber keinen künstlerischen Wert zubilligen. Mit solchen Vorbehalten war ihr Schöpfer Rudolf Maison schon zu Lebzeiten konfrontiert worden, als Quereinsteiger von Königs Gnaden nahmen ihn die etablierten Kollegen nicht ernst.
Am Rathaus gab es für die Herolde in den 1950er Jahren also keinen Platz, zumal sich auch Bürgermeister Wilhelm Kaisen dafür nicht erwärmen konnte. 1959 entledigten sich die Bremer dann der Reiterfiguren: Vom Aufbewahrungsort im Bahnhofsbunker ging es in den Park der Egestorff-Stiftung – eine „ganz elegante Lösung“, wie Denkmalpfleger Hoffmann fand.
So elegant nun aber auch wieder nicht, weil die Figuren im Park mutwilligen Beschädigungen ausgesetzt waren. Entweder eigneten sich Souvenirjäger das eine oder andere Stück an oder Vandalismus machte den Reitern zu schaffen. Rothwell war bestürzt, als er den traurigen Zustand der Reiter sah. Darum sein Gang an die Öffentlichkeit, darum sein kleiner Lehrfilm mit dem Titel „Die vergessenen Ritter“. „Mein Interesse war, die Figuren aus dem Park wegzubekommen“, sagt er rückblickend. „Weil ihnen dort jeder etwas abreißen konnte.“
An den Rathaus-Standort nicht gedacht
Als Georg Skalecki 2001 den Posten des Denkmalpflegers übernahm, kam Bewegung in die Angelegenheit. Im gleichen Jahr fanden die Herolde in Osterholz eine neue Bleibe – nicht mehr versteckt im Park, sondern in zentraler Lage. Im alten Glanz und geschützt vor unwillkommenen Zugriffen. Mehr hatte Rothwell gar nicht gewollt. „Ich habe nie daran gedacht, sie wieder an ihren alten Standort am Rathaus zurückzubringen.“
Dafür haben andere gesorgt, allen voran Klaus Upper Borg mit seinem Verein „Herolde von Bremen“. Nach einem ersten Probelauf 2003 haben die Reiterfiguren im Februar 2007 ihren alten Platz endgültig wieder eingenommen.
Aber das ist eine andere Geschichte.
von Frank Hethey