Der Hollersee und das Parkhaus im Januar 1881
Das Parkhaus, 1871 auf einen Erdhügel errichtet, war mit über 1000 Sitzplätzen eines der beliebtesten Bremer Ausflugslokale. 1874 erhielt es zwei Flügel zur Erweiterung und hatte damit Platz für 1600 bis 2000 Gäste.
Quelle: Staatsarchiv Bremen

11. Januar 1881: Die Vorstädte stehen unter Wasser / Übersicht zur derzeitigen Situation (Teil 3)

Die Lage ist dramatisch: In der Vorstadt Doventhor räumen die Bewohner ihre Häuser, die Souterrains stehen komplett unter Wasser. Kaum ein Durchkommen auch in Pagenthorn und Schwachhausen, überall behelfen sich die Anwohner mit selbst gezimmerten Laufstegen. Der Bürgerpark ist eine riesige Wasserlandschaft, auf der ein reger Bootsverkehr herrscht.          

Wie mehrfach ausführlich berichtet, hatte sich die angestaute Wümme am 29. Dezember 1880 ein neues Bett gesucht. Sie ließ den aufgeweichten Deich in Niederblockland brechen und breitete sich in den Niederungen der rechten Weserseite aus. Und noch heute fließt das Wasser der Wümme  ungehindert weiter ins Land hinein. In unseren Rückschau wollen wir dem geneigten Leser die Tage vom Deichbruch bis zum 11. Januar 1881 im Gebiet in und um dem Bürgerpark herum zusammenfassend näher bringen.

Blick in die Brandtstraße von der Straße „Torfkanal“ aus (heute Findorffstraße). Die erst 1875 angelegte Brandtstraße war bereits 1880 vollständig bebaut. Im Januar 1881 befinden sich nunmehr auf beiden Straßenseiten ausreichend breite Laufstege. Die Versorgung der Anwohner wird zunehmend schwierig. Die Kolonialwaren-Handlung von Johann Gerdes Buss, am Torfkanal 22 gelegen, ist vom Nachschub abgeschnitten. Dieser Krämer hat seine Wohnung zudem in der Brandtstraße 6.
Quelle: Staatsarchiv Bremen

Möbel mit Kähnen abtransportiert

In der zur Vorstadt Doventhor gehörigen Straßen links vom Bürgerpark ist die Lage eine sehr Ernste. Die Plantage, Brandtstraße, Neukirchstraße, Hemmstraße und weitere waren über den Torfkanal und den Torfbassin sofort unter Wasser gesetzt. Hier war bis zum achten Januar noch Bootsverkehr möglich. Jetzt, da der Frost eingesetzt hat, hangeln sich die betroffenen Bewohner auf den aufgestellten Stegen, selbige mehr als unsicher sind. Etliche Familien sind bereits ausgezogen. Betten, Möbel etc. ließen sie mit Kähnen abtransportieren.

Die Souterrains der Häuser sind bis oben hin voll Wasser. In den Senken der Ländereien steht das Wasser wohl 6-8 Fuß  (1 Bremer Fuß = 0,28935 Meter) hoch. Die kleinen Holzhäuschen der Gemüsebauern stehen bis zum First im Wasser oder sind weggeschwemmt. Siebzig mit Torf beladene und in der Neukirchstraße stehende Fuhrwerke konnte gerade noch rechtzeitig auf dem Gelände des Venlo-Hamburger Bahnhofs in Sicherheit gebracht werden. Das Gebiet ist kaum erreichbar.

Rembertitunnel in Richtung stadtwärts: Wir sehen im Vordergrund die Linie der Hannoverschen Eisenbahn. Der Photograph steht auf der Brücke der Venlo-Hamburger-Linie, die sich im Rücken des Betrachters befindet
Auf dem Schild rechts steht geschrieben: „Weg zur Gasanstalt über den Kirchhof“ (Das in Höhe der später angelegten Delbrückstraße.)
Quelle: Staatsarchiv Bremen

Benque standen Tränen in den Augen

Eines unserer beliebtesten Bremer Ausflugziele, der erst 1866 angelegte Bürgerpark, ist vollends in den Fluten versunken. Dies konnte ich am sechsten Januar selbst in Augenschein nehmen. Verabredet mit dem Park-Direktor Herrn Wilhelm Benque, unternahmen wir eine Bootsfahrt durch das Gebiet. Diesem genialen Gartengestalter standen buchstäblich die Tränen in den Augen. Von den neu angepflanzten Sträuchern ist oftmals kaum noch etwas zu sehen. Das Parkhaus ist nur mit Booten zu erreichen. Davon wurde in den letzten Tagen ausgiebig Gebrauch gemacht.

Schlüpft in die Rolle eines zeitgenössischen Journalisten: Bremen History-Autor Peter Strotmann.

Von der Emmabank schaut nur noch die Spitze der mittleren Säule heraus. Hier wird das Wasser wohl knapp sechs Fuß, also um einen Meter siebzig, hoch stehen. An einigen Stellen soll der Wasserstand 10 Fuß und mehr betragen. Der Direktor legt allen dringend ans Herz, bei solchen Lustfahrten keine Bäume zu beschädigen, nicht das Wild zu jagen, das sich auf höhergelegene Flächen geflüchtet hat. Verschiedentlich seien Bootsfahrer in die Pflanzungen hineingefahren, wären an den Ästen hängengeblieben und hätten die Boote fast zum Kentern gebracht. Deshalb seine Bitte und Warnung nur die breiten Wege zu benutzen. Dieser Aufforderung zu verantwortungsvollem Tun geben wir gern weiter.

Das Katastrophengebiet auf einem Stadtplan von 1881.

Pagenthorn vom Verkehr abgeschnitten

Im Gebiet Pagenthorn, das sich vom Steinthor bis an das Landgebiet Schwachhausen erstreckt, ist vom Durchgangsverkehr so ziemlich abgeschnitten. Dies bedingt durch die beiden Eisenbahnlinen, der Hannoverschen, sowie der Venlo-Hamburger Linie.

Bootsverkehr auf der Schwachhauser Chaussee. Das Photo zeigt die Situation vor dem Eisenbahntunnel. Der „Eisenbahn-Pavillon“ wurde schon 1851 erbaut. Hier fanden regelmäßig jeden Sonntagmorgen Gartenkonzerte mit geistlicher Musik statt. Im Jahre 1880 wandelte man das Gebäude in eine Schankwirtschaft um und gab ihr den Namen „Concordia“.
Quelle: Staatsarchiv Bremen

Die Züge fahren in diesen Bereich auf Dämmen. Unter den Brücken senkte man die Fahrbahnhöhe ab. Das sollte sich jetzt als nachteilig herausstellen. Die Fahrbahn (Straße soll Parkallee benannt werden) unter der Brücke zur Rembertistraße hin, sowie die an der Schwachhauser Chaussee (heute Schwachhauser Heerstraße) sind naturgemäß voll Wasser gelaufen. Hier ist nur Fährverkehr mit Booten möglich.

Riensberger Friedhof wie eine Insel im Meer

Das Landgebiet Schwachhausen ist derzeit nur über das Steinthor, dann durch die Hornerstraße, weiter zur Uhlandstraße hinein, die Schwachhauser Chaussee zu erreichen. Diesen Weg nehmen auch die Leichenzüge zum 1875 angelegten Riensberger Friedhof. Einem dieser Trauerzüge musste ich mich leider wegen einen verstorbenen Onkels mütterlicherseits anschließen.

Schwachhauser Chaussee: Blick zur Eisenbahnbrücke Richtung stadtauswärts mit der Brücke der Venlo-Hamburger-Linie. Links und rechts der Straße stehen bereits große Reihenhausvillen.
Quelle: Staatsarchiv Bremen

Da die Hornerstraße im Teil zur Bismarckstraße noch nicht befestigt war, blieben wir mit dem Leichenwagen im Morast stecken. Mit der Hilfe aller zogen wir den Karren weiter. Am Consumtionshaus (Zolleinnehmerhaus), das die Grenze zwischen Pagenthorn und Schwachhausen darstellt (in Höhe der späteren Metzer Straße), gesellte sich auch der Gemeindevorsteher Johann Depken zu uns. Der Riensberger Friedhof liegt den entscheidenen Fuß höher als das umliegende Gelände wie eine Insel im Meer. Die Schwachhauser Chaussee einschließlich der Friedhofstraße sei bis dorthin trocken. In seinem Bereich läge die Schwachhauser Chaussee teilweise im alten Flussbett der Gethe und deshalb etwas tiefer als das anschließende Land. In einer gemeinsamen Aktion wäre es jedoch gelungen, an den Wassereintrittsstellen kleine Dämme aufzuwerfen. Diese hätten bis jetzt gehalten und würden weiterhin instand gehalten. Damit verabschiedete er sich von mir. Ich war wirklich froh, dass dieser beherzte Mann mit seinen Schwachhausenern die Straßen trocken halten konnte, denn so kam ich auch trockenen Fußes wieder zur Zweiten Schlachtpforte in der Redaktion zurück.

Überschwemmung auf der Schwachhauser Chaussee:
Blick von der Brücke der Venlo-Hamburger-Linie stadtauswärts nach Schwachhausen hin.
Auch hier sind Laufstege aufgestellt. Ein Hund steht mitten auf der Straße. Daraus kann man entnegmen, dass die Überschwemmung verhältnismäßig gering war.
Quelle: Staatsarchiv Bremen

In unseren nächsten Ausgaben werden wir voraussichtlich dieses Thema den Lesern präsentieren:

  • Die  nächste Reportage wird sich mit den Auswirkungen der Überschwemmungskatastrophe in der Ortschaft Lilienthal befassen.

von Peter Strotmann

Eine doppelte Hochwasser-Katastrophe hielt 1880/81 die Menschen in Bremen in Atem. Nach starken Regenfällen überschwemmte die Wümme am 29. Dezember 1880 weite Teile von Schwachhausen und Findorff. Die Menschen hatten sich von dem Schock kaum erholt, als am 13. März 1881 die Weser über die Ufer trat. Unser Autor Peter Strotmann berichtet in einer neuen Serie als fiktiver Zeitgenosse über den Gang der Ereignisse.

Im Kahn unterwegs an der Plantage im Januar 1881, heute Findorffstraße. Im Hintergrund ist die Schlachthausanlage und in der Ferne schemenhaft der Venlo-Hamburger Bahnhof zu sehen. Die Straße „Plantage“ wurde 1860 angelegt. Hier lag bis 1860 „Blums Plantage“, ein Ausflugslokal mit Vergnügungsgarten. Ab 1863 errichteten Unternehmer Wohnungen für Eisenbahner.
Quelle: Staatsarchiv Bremen

 

200 Jahre Bremer Stadmusikanten

200 Jahre Bremer Stadtmusikanten

Das schönste Märchen über die Freundschaft

1819 haben die Brüder Grimm die Geschichte der Bremer Stadtmusikanten veröffentlicht. Unser Magazin zu diesem Geburtstag ist voller Geschichten rund um die berühmten Aussteiger – etwa eine Reportage über das Grimm-Museum in Kassel, über die Bedeutung des Märchens in Japan und vieles anderes mehr.

Jetzt bestellen