Der Kaufmann Walther C. Többens war ein Kriegsgewinnler wie Oskar Schindler. Doch anders als im Falle des berühmten Judenretters weckte die Todesmaschinerie im besetzten Polen nicht seine menschlichen Instinkte. Kaltblütig nutzte Többens jede passende Gelegenheit, um sich noch mehr zu bereichern. Moralische Skrupel scheinen ihm dabei völlig fremd gewesen zu sein. Többens war das genaue Gegenteil Schindlers: der Anti-Schindler.
„Wer ihn kannte, weiß, was wir verloren.“ Mit diesen Worten verabschiedete sich Else Többens am 17. November 1954 von ihrem Mann Walther, der am Tag zuvor bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen war. Aber was wissen wir eigentlich genau über Walther Többens? Älteren Bremern ist vielleicht die Filiale des Bekleidungsgeschäfts an der Gerhard-Rohlfs-Straße in Vegesack ein Begriff. Und viele Delmenhorster werden sich an den Hauptsitz des Unternehmens erinnern, das Bekleidungsgeschäft „Gebr. Többens“ an der Langen Straße/Ecke Parkstraße. Doch sonst verbleibt die Person Többens wohl eher im Dunkeln.
Walther Caspar Többens wurde am 19. Mai 1909 als ältestes Kind der Eheleute Theodor und Luise Többens in Meppen geboren. Nachdem sein Vater zu Beginn des Ersten Weltkriegs verstarb, kam der elterliche Getreidehandel zum Erliegen und die Mutter sorgte durch die Eröffnung eines Manufakturgeschäfts in Osnabrück für den Lebensunterhalt der Familie.
Im Anschluss an seine Schulzeit trat Walther Többens am 1. November 1925 bei der Firma „Gebr. Leffers AG“ in Osnabrück eine Kaufmannslehre an. Als diese am 31. Oktober 1928 endete, verblieb er zunächst im Osnabrücker Geschäft, bevor er 1931 Abteilungsleiter einer Bremer Filiale wurde. Doch bereits Ende 1933 fand seine Zeit bei dem Modehaus durch eine fristlose Kündigung ein jähes Ende. Többens hatte seine berufliche Freiheit zu nutzen gewusst und parallel zu seiner Arbeit bei Leffers unter dem Namen „Eggert“ eine Hosenschneiderei eröffnet, an die er regelmäßig Aufträge seines Arbeitsgebers vergab. Als dieses unlautere Gebaren publik wurde, hatte es für ihn die sofortige Entlassung zur Folge. Wohl mehr gezwungener Maßen beschritt er daher am 1. Januar 1934 mit der Eröffnung eines Textilgeschäfts an der Bremer Nordstraße den Weg in die berufliche Selbstständigkeit.
Neuer Herr über das Kaufhaus Bamberger
Angeregt durch den Delmenhorster Versteigerer Diedrich Willers richtete sich Többens Blick im Spätsommer desselben Jahres auf Delmenhorst. Insbesondere interessierten ihn die verlassenen Geschäftsräume Siegfried Auerhanns an der Langen Straße 72. Damit er nicht Gefahr lief, als sogenannter „Mehrstellenunternehmer“ in eine rechtliche Grauzone zu geraten, erfolgte die Geschäftsanmietung am 7. September 1934 über seinen noch minderjährigen Bruder Ludwig. In dem Wissen, dass Ludwig keine Verträge eingehen durfte, leistete er die notwendige Unterschrift. Wenige Monate nach der Geschäftseröffnung, Walther Többens war frisch verheiratet, zog er mit seiner Frau Else nach Delmenhorst in die Räume oberhalb des Geschäfts. Ludwig, der angebliche Inhaber, blieb weiterhin in Bremen wohnen.
Bis Mitte des Jahres 1940 war es Többens gelungen, 14 Unternehmen im norddeutschen Raum zu erwerben bzw. anzumieten. Darunter solch große Namen wie das Kaufhaus „Bamberger“ am Doventor/Ecke Faulenstraße. Selbst unter Berücksichtigung seines ausgeprägten Geschäftssinns lässt dies nachdenklich stimmen. Dies umso mehr, als sich die Geschäftsübernahmen immer wieder im Kontext von Arisierungen wiederfanden. Walther Többens hatte es verstanden, die Zeichen der nationalsozialistischen Zeit ganz in seinem Sinne zu deuten und offenbarte bei dem Vorhaben, sein Unternehmen zu vergrößern, keinerlei erkennbare moralische Schranken. Nur folgerichtig trat er daher auch rückwirkend zum 1. Mai 1937 der NSDAP bei.
Angeregt durch einen Vortrag von Dr. Lautz‘ vom Reichswirtschaftsministerium führte ihn sein Weg im Laufe des Jahres 1940 ins polnische Tomaschow. Die kleine Kreisstadt südwestlich von Warschau stellte aber lediglich eine kurze Zwischenstation dar, denn bereits im Spätsommer 1941 wanderte sein Blick Richtung Warschauer Ghetto.
Als Kriegsgewinnler im Warschauer Ghetto
Unter dem organisatorischen Dach einer Produktions-GmbH, die die Rolle einer Transferstelle übernahm, stellten viele der dortigen jüdischen Betriebe für die Wehrmacht Uniformen her. Augenblicklich erkannte Többens, welche Möglichkeiten sich aus einer Übernahme der GmbH ergeben mussten. So dauerte es auch nicht lange, bis er an deren Stelle trat und die verschiedenen jüdischen Betriebe mittels Druck und Erpressung zu drei Großbetrieben bündelte.
Täglich mussten die Juden von 6 bis 18 Uhr arbeiten, wobei ihnen lediglich eine dünne Suppe oder gelegentlich ein Stück Brot oder Ersatzkaffee zur Verfügung stand. Wer nicht mehr in der Lage war, in den im Winter eiskalten Werkhallen sein Arbeitssoll zu erfüllen, wurde freigestellt, was einer Überstellung in eines der Vernichtungslager gleichkam.
Stets mit Peitsche und Pistole bewaffnet ging Többens kontrollierend durch die Werkstätten. Erregten Arbeitskräfte dabei sein Missfallen, schrie er ihnen entgegen: „Ich schieße euch nieder wie die Hunde.“ Dass es sich hierbei nicht nur um eine dahergesagte Floskel handelte, erlebten sie, als er im Juli 1942 die 24-jährige Schneiderin Regina Finkel mit drei Schüssen ermordet und dies mit den Worten kommentiert: „Weg mit dem Dreck.“
Um geeignete Arbeitskräfte zu finden, nahm Többens laut Aussage von Überlebenden im August 1942 eigenhändig an Selektionen teil. Junge und gesunde Ankömmlinge wählte er dabei als Arbeitskräfte aus, alle anderen schickte er zur Vernichtung nach Treblinka.
Sogar SS-Chef Himmler war verärgert
Wo immer sich für Többens eine Gelegenheit zur Bereicherung bot, nutzte er diese. So verlangte er vom Vorsitzenden des Judenrats, Adam Czerniakow, Lebensmittelzuteilungen für seine Arbeitskräfte. Doch statt diese sodann auch zu verteilen, veräußerte er sie auf dem Schwarzmarkt. Die Schulden für die gelieferten Lebensmittel löste er auf, indem er behauptete, auf ihn sei ein Anschlag verübt worden, wofür ihm nunmehr eine Entschädigungssumme von 2 Millionen Zl. zustünden. Und als die SS ab dem 22. Juli 1942 damit begann, das Warschauer Ghetto zu räumen, wusste Többens auch diesen schrecklichen Umstand für seine Zwecke zu nutzen. Denn vom Abtransport in die Vernichtungslager waren jene Juden ausgenommen, die über eine Arbeitskarte verfügten. Skrupellos verkaufte Többens gegen hohe Geldsummen oder die Abgabe von Schmuck an über 30.000 verzweifelte Menschen Arbeitskarten. Nach dem Krieg scheute er sich nicht, diese perfide Form des Gelderwerbs als lebensrettende Wohltat auszulegen.
Im Januar 1943 erregte dieser Firmenkomplex, der wie aus dem Nichts entstanden schien, selbst das Misstrauen Heinrich Himmlers, weshalb dieser eine Buchprüfung sowie eine Überführung der Arbeitskräfte in ein Konzentrationslager anordnete. Durch Geschick und der Rückendeckung verschiedener NS-Funktionäre schaffte es Többens diese Enteignungsmaßnahme zu umgehen.
Als zu Beginn des Jahres 1943 eine Liquidation des Ghettos absehbar wurde, verlagerte Többens seine Produktion zwischen Februar und April 1943 auf der Grundlage eines Abkommens, das er mit Odilo Globocnik getroffen hatte, in das Lager Poniatowa. Juden, die ihm nicht folgen wollten, lockte er angesichts des bereits ausgebrochenen Ghetto-Aufstands mit dem Versprechen, einen nunmehr sicheren Ort aufsuchen zu können. „Nehmt Eure Frauen und Kinder mit dorthin, denn deren Wohlergehen liegt ja auch uns am Herzen.“
Von Wilhelm Kaisen begnadigt
Im Rahmen der Aktion „Erntefest“ wurde das Lager Poniatowa am 3. November 1943 von der SS umstellt und innerhalb eines Tages wurden 15.000 Juden erschossen, darunter auch die Menschen, die für Többens gearbeitet hatten. Da ohne Arbeitskräfte und geeignete Maschinen an eine Fortsetzung der Produktion in Poniatowa nicht zu denken war, kehrte Többens bis zum 1. August 1944, als der Aufstand der polnischen Heimatarmee ausbrach, nach Warschau zurück. Angesichts der nun ausgebrochenen Kämpfe und dem Näherkommen der Roten Armee, verlagerte Többens die Produktion und die dafür notwendigen Güter unter anderem ins Glatzer Bergland sowie nach Dötlingen.
Nach Kriegsende glaubte Többens zunächst noch, er könne seine geschäftlichen Aktivitäten einfach fortsetzen. Aus diesem Irrglauben befreite ihn am 11. September 1945 die Verhaftung durch amerikanische Truppen. Wohl wissend um sein zu erwartendes Schicksal entzog er sich zunächst in der Nacht vom 17. auf den 18. Februar 1946 und dann noch einmal am 22. November 1946 den Besatzungsbehörden. Bei dem dennoch stattfindenden Entnazifizierungsverfahren ließ sich Többens durch einen Bevollmächtigten vor Gericht vertreten. Dank dessen geschickter Argumentation wurde Többens am 6. September 1948 zunächst freigesprochen. Doch bereits nach wenigen Tagen kam es zu einer Revision des Urteils und Anfang Juni 1949 wurde er von der 6. Bremer Spruchkammer zu 10 Jahren Arbeitslager und der Einziehung seines gesamten Vermögens verurteilt.
Mittlerweile hatte sich aber in der bundesrepublikanischen Gesellschaft der Wunsch nach einem „Schlussstrich“ so weit verfestigt, dass Többens im Zuge eines Anfechtungsverfahrens am 17. April 1952 nur noch als belastet eingestuft und sein zuvor beschlagnahmtes Vermögen freigegeben wurde. Am 30. Mai 1952 begnadigte ihn Wilhelm Kaisen schließlich sogar zum „Mitläufer“.
Zügig ging Többens nach diesem Urteil an eine Reorganisation seines Unternehmens, in dessen Folge er am 1. November 1952 die Firma „Walther Többens OHG“ mit der seines Bruders Ludwig zur Firma „Gebr. Többens OHG“ zusammenschloss. Inmitten einer Gesellschaft, die nicht mehr an die Vergangenheit erinnert werden wollte, verblasste die seine zusehends.
Mitten aus dem gesellschaftlichen Neuaufbau riss ihn am 16. November 1954 ein Verkehrsunfall, an dessen Folgen er verstarb.
von Sönke Ehmen