Vor 70 Jahren diskutierte der Bundestag die Rückkehr zur Todesstrafe – Auslöser war der Fall Halacz

Zwei Menschen hatte Erich Cedrick von Halacz auf dem Gewissen, seine Paketbomben machten ihn Ende 1951 mit einem Schlag überregional bekannt. Zumal eines der Opfer der Chefredakteur der Bremer Nachrichten war, Adolf Wolfard (mehr dazu hier). Für seine Taten verurteilte das Verdener Landgericht Halacz im April 1952 zu lebenslanger Zuchthausstrafe. Zahlreiche Zeitgenossen hätten seinen Kopf indes gern im Staub gesehen. Darunter Hans Ewers, Bundestagsabgeordneter der Deutschen Partei (DP). Vor 70 Jahren, am 2. Oktober 1952, stellte er im Namen seiner Fraktion den Antrag, in der noch jungen Bundesrepublik die Todesstrafe wieder einzuführen. Als aktuellen Anlass nannte Ewers den „Fall Halacz aus Verden“.

Verschickte die Paketbomben: Erich Cedrick von Halacz.
Foto: Archiv

Nach den Gewaltexzessen im Dritten Reich hatte die Todesstrafe keinen Eingang in das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland gefunden. „Die Todesstrafe ist abgeschafft“, hieß es in Artikel 102 der provisorischen Verfassung vom Mai 1949. Ausgerechnet ein strammer Rechtsaußen hatte den Stein ins Rollen gebracht, der stellvertretende DP-Bundesvorsitzende Hans-Christoph Seebohm. Zur allgemeinen Überraschung beantragte er im Dezember 1948 ein Verbot der Todesstrafe. Häufig wird ihm vorgeworfen, er habe sich dabei weniger von humanitären Erwägungen leiten lassen. Ihm sei es eher darum gegangen, alliierte Todesurteile gegen NS-Kriegsverbrecher anzuprangern.

Seebohms Vorstoß scheiterte. Erst als sich die SPD der Sache annahm, kam im zweiten Anlauf eine parlamentarische Mehrheit für die Abschaffung der Todesstrafe zustande. Freilich war das Thema damit keineswegs erledigt. Noch nicht einmal ein Jahr nach Verabschiedung des Grundgesetzes debattierte man im März 1950 schon wieder über die Todesstrafe, diesmal im Bundestag. Ihre Wiedereinführung hatte die erzkonservative Bayernpartei gefordert. In seiner Begründung bestritt der Abgeordnete Hermann Etzel aus Bamberg die Legitimation des Parlamentarischen Rats. Der sei keine wahre Volksvertretung gewesen, sondern nur „das Geschöpf des Befehls der Sieger“, gebildet aus den Delegationen der Landtage.

Damals war die leidenschaftliche Aussprache ohne Beschluss zu Ende gegangen. Bundesjustizminister Thomas Dehler (FDP) hatte in der Debatte angeregt, ein oder zwei Jahre abzuwarten. Man sollte sehen, ob sich die Abschaffung der Todesstrafe bewährte und die Frage dann erneut aufwerfen. Als Ewers den Faden im Oktober 1952 wieder aufnahm, berief er sich darauf, machte aber gleichzeitig keinen Hehl aus einer regionalen Motivation. War doch die DP im Kern eine norddeutsche Partei, ihre Hochburgen hatte sie in Niedersachsen, Bremen und Schleswig-Holstein. Das galt auch für die Gegend um Verden und Nienburg, in der Halacz sein Unwesen getrieben hatte.

Große Anteilnahme für Adolf Wolfard, Chefredakteur der Bremer Nachrichten: Am 29. November 1951 war er einer Paketbombe zum Opfer gefallen. Abgeschickt hatte sie der 22-jährige Erich Cedrick von Halacz. 
Foto: Georg Schmidt

Dort hätten die Bombenattentate „eine unerhörte Erregung“ hervorgerufen, erklärte Ewers. „Weil dieser Mensch nicht, wie es sich gehört hätte, für diese Schandtat zum Tode verurteilt worden ist.“ Der niedersächsische Landesverband seiner Partei habe deshalb ein Bekenntnis zur Todesstrafe abgelegt. Ewers betonte vor allem den Abschreckungseffekt. Den 22-jährigen Halacz sah er als Prototyp eines charakterlich verdorbenen Abenteurers unter 30 Jahren. Verantwortlich sei „das verfluchte Kino“, insbesondere die Verherrlichung des amerikanischen Gangstertypus. „Denn Gangsterfilme sind ja für solche Aktionen leichtsinniger, verbrecherischer Indianerhaftigkeit geradezu Lehrfilme.“

Ein Dreh- und Angelpunkt der Debatte war, ob die Todesstrafe überhaupt Bestandteil einer Verfassung zu sein habe. Ewers verneinte das, in seinen Augen handelte es sich um eine Sache des Strafrechts. Streng genommen plädierte er deshalb auch nur dafür, durch die Streichung des Artikels 102 die Verhängung der Todesstrafe möglich zu machen. Dagegen verwies Dehler auf die Errungenschaften der bürgerlichen Revolution von 1848. Nicht nur das nationale Parlament in der Frankfurter Paulskirche habe damals die Todesstrafe abgeschafft. Auch mehrere Länder seien dem guten Beispiel gefolgt, darunter Oldenburg und Bremen. Was Dehler nicht sagte: In der revidierten Bremer Verfassung von 1854 fehlte der Passus dann wieder.

Ahnte nichts Böses: der Journalist Adolf Wolfard.
Foto: Leonhard Kull

Auch die Reichsverfassung von 1871 positionierte sich nicht in der Frage der Todesstrafe. Wie ehedem waren Verurteilung und Vollstreckung reine Ländersache. Immerhin gehörte die ausufernde Hinrichtungspraxis der frühen Neuzeit längst der Vergangenheit an. Verhängt wurden Todesurteile nur noch gegen überführte Mörder, wegen irgendwelcher Bagatelldelikte musste niemand mehr um sein Leben fürchten. Einen Sonderfall bildeten im Kaiserreich vier Verurteilungen wegen Hochverrat. Seit den Zeiten der Aufklärung im späten 18. Jahrhundert war die Todesstrafe zusehends kritisch betrachtet worden. Zwar wurde sie noch ausgesprochen, aber immer seltener vollstreckt.

In Bremen war die öffentliche Hinrichtung der Giftmörderin Gesche Gottfried im April 1831 ein Ausnahmeereignis. Mehr als 40 Jahre zuvor hatte zuletzt ein Delinquent dran glauben müssen. Und bis es  wieder so weit war, sollten fast doppelt so viele Jahrzehnte vergehen. Erst im Juli 1908 wurde abermals ein Mörder ins Jenseits befördert, nun allerdings hinter den Gefängnismauern der Strafanstalt Oslebshausen. Zum letzten Mal traf es in Bremen im Januar 1922 den verurteilten, aber bis zuletzt nicht geständigen Raubmörder Friedrich Engel (mehr dazu hier). Beide starben durch das Fallbeil, also die Guillotine. Als kostengünstige Alternative galt das Handbeil.

Gegen Ende der Weimarer Republik wuchs die Kritik an der Todesstrafe. Im Oktober 1928 forderte die Reichsregierung die Länder auf, vorerst keine Todesurteile mehr zu vollstrecken. Entscheidend daran beteiligt: der damalige liberale Reichsjustizminister Erich Koch-Weser, ein gebürtiger Bremerhavener. Knapp zwei Jahre hielten sich die Länder an das Moratorium, erst im Juni 1930 wurde im schwäbischen Ravensburg wieder eine Exekution vorgenommen.

Völlig aus dem Ruder lief die Vollstreckung der Todesstrafe in den Jahren des NS-Regimes. Verloren in Weimarer Zeiten 184 Menschen ihr Leben, so waren es rund 12.000 im Dritten Reich. Nicht mitgezählt die 25.000 Todesurteile der Militärgerichte und die Hinrichtungen von Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen. Auch nach Ende der braunen Terrorherrschaft blieb das Fallbeil in Gebrauch. In den drei westlichen Besatzungszonen wurden von 1945 bis 1949 insgesamt 34 Todesurteile gefällt, davon 15 vollstreckt. Als der Parlamentarische Rat schon um die Abschaffung der Todesstrafe rang, rollte am 18. Februar 1949 in Tübingen der letzte Kopf.

Noch mehr als zwei Jahre sollten verstreichen, ehe auch die Alliierten keine Todesurteile mehr auf deutschem Boden vollstreckten. Im Juni 1951 wurden die letzten sieben Kriegsverbrecher im Gefängnis Landsberg gehängt. In der DDR blieb die Todesstrafe bis 1987 bestehen, ein angeblicher BND-Agent war das letzte Opfer – per Nahschuss wurde er 1981 hingerichtet. Öffentlich debattiert wurde die Rückkehr zur Todesstrafe immer mal wieder. Doch im Bundestag stand sie seit 1952 nicht mehr auf der Tagesordnung.

Tödliches Utensil: die Bombe und das Arbeitszimmer Adolf Wolfards.
Foto: Georg Schmidt

Von Anbiet bis Zuckerklatsche

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