Das „Lichtbringer“-Relief am Eingang zur Böttcherstraße gilt als Hitler-Hommage – doch das ist nur die halbe Wahrheit

Sein goldener Glanz ist bis heute ein echter Hingucker: Der „Lichtbringer“ am Eingang zur Böttcherstraße ist bei Touristen ein beliebtes Fotomotiv – kaum ein Besucher verpasst die Gelegenheit, das berühmte Relief von Bernhard Hoetger abzulichten. Allerdings ist das 1936 entstandene Kunstwerk wegen seiner Vergangenheit als Hommage an Hitler schon vor vielen Jahren in Verruf geraten. Die Belege scheinen keinerlei Deutungsspielraum zuzulassen. Nicht nur der Erbauer der Böttcherstraße, Ludwig Roselius, wollte das Drachentöter-Relief als „Sieg unseres Führers über die Mächte der Finsternis“ verstanden wissen. Auch Hoetger betonte, das Relief trage „mit höchster Kraft die Idee des Führers“ weiter.

Und doch ist das nur die halbe Wahrheit. Denn merkwürdig: Als Roselius und Hoetger im Januar 1936 die Idee diskutierten, als Reaktion auf die Angriffe der SS-Wochenzeitung „Das Schwarze Korps“ auf die Böttcherstraße ein Relief an prominenter Stelle zu platzieren, war von Hitler noch keine Rede. Roselius schrieb damals an seinen Duzfreund Hoetger: „Du schlägst dann als Lösung ein Relief vor ‚Siegfried oder St. Georg mit dem Drachen kämpfend’ oder etwas ähnliches.“ Im April 1936 tauchte dann „Michael“ als Bezeichnung auf.

Glanzvolles Relief: der „Lichtbringer“ auf einer zeitgenössischen Aufnahme.
Quelle: Archiv der Böttcherstraße

Freilich bedeutet das nicht, dass nicht schon damals Hintergedanken in den Köpfen von Roselius und Hoetger gespukt hätten. Behandelten die beiden doch schon im gleichen Atemzug die Frage, ob nicht das Datum „1933“ einen Bezug zu den Gegenwartsereignissen herstellen sollte.

Eine Idee, die aus unbekannten Gründen wieder fallengelassen wurde. Stattdessen setzte sich ein anderer Gedanke durch: In enger Anlehnung an die Lehre des Rassenphilosophen Herman Wirth erhielt der Drachentöter den Namen „Der Lichtbringer“. Den Hintergrund dieser mythischen Gestalt erklärte Wirth so: Die arischen Urvölker hätten zu Beginn der wärmeren Jahreszeit einen Lichtbringer als Sonnenbefreier verehrt.

Ein Rassenprophet als Ideengeber

Für halbwegs kundige Zeitgenossen lag dieser Kontext auf der Hand. Als völkischer Prophet war Wirth damals eine prominente Erscheinung, 1928 hatte er mit seinem pseudo-wissenschaftlichen Werk „Der Aufgang der Menschheit: Untersuchungen zur Geschichte der Religion, Symbolik und Schrift der atlantisch-nordischen Rasse“ für erhebliches Aufsehen gesorgt. Einer seiner Verehrer: Ludwig Roselius, den Wirths krude Lehre zum Bau des Hauses Atlantis inspirierte.

In der NS-Bewegung gab es gegenüber Wirth widersprüchliche Auffassungen. Hitler selbst konnte wenig anfangen mit völkischen Träumern, als extremistischer Realpolitiker distanzierte er sich von Wirth. Anders SS-Chef Heinrich Himmler, der zeitlebens sehr empfänglich war für germanophile Rassenspekulationen und Wirth als Mitbegründer der „Forschungsgemeinschaft Deutsches Ahnenerbe“ zumindest anfangs nach Kräften förderte.

Im Spätsommer 1936 hing das Relief an der vorgesehenen Stelle. „Die Wirkung ist geradezu fantastisch“, schwärmte Roselius am 19. August 1936 in einem Brief an Hoetger. Doch wie das neue Relief der Öffentlichkeit präsentieren, ohne sich Hitler allzu plump anzubiedern? Was heute weithin vergessen ist: Die NSDAP hatte bereits im Mai 1933 eine Aufnahmesperre verhängt. Immer wieder warnte Propagandaminister Joseph Goebbels vor Opportunisten, die es gar nicht ernst meinten mit ihrem Bekenntnis zur „Nationalen Revolution“. Für Hoetger galt das weniger, er war als Parteimitglied ein strammer Nationalsozialist. Einigermaßen irritierend dagegen Roselius’ Haltung zum „Dritten Reich“: An seinen Sympathien für Hitler konnte zwar kein Zweifel bestehen, er war der Partei aber nicht beigetreten – und konnte es wegen der Aufnahmesperre dann auch nicht mehr, als er es sich anders überlegte.

Musste in sich gehen: Der Streit um die Hoetger-Bauten bereitete Ludwig Roselius einiges Kopfzerbrechen.
Quelle: Archiv der Böttcherstraße

Roselius will sich erklären

Dass der modifizierte Eingangsbereich der Böttcherstraße angesichts der heftigen Kontroverse um die Hoetger-Bauten einer quasi offiziellen Deutung bedurfte, stand für ihren Erbauer außer Frage. Anscheinend machte es sich Roselius nicht leicht damit, lange grübelte er über eine angemessene Verlautbarung. Er sei heute erst dazu gekommen, sich „mit der Erklärung für das Relief zu beschäftigen“, teilte er Hoetger am 13. August 1936 mit. Erstaunlicherweise hat diese Bekanntmachung in der einschlägigen Literatur bisher so gut wie keine Rolle gespielt, einzig Nicola Vetter zitiert in ihrer Roselius-Biografie einen Teil davon.

Dabei enthüllt nur der gesamte Wortlaut, wie Roselius der Öffentlichkeit die verspätete Umbaumaßnahme „verkaufen“ wollte. Der originelle Kniff: Roselius tat so, als habe die vorherige, expressionistische Gestaltung die „chaotische Weltanschauung“ von 1926 widerspiegeln sollen. Sonnenlos sei das Dasein gewesen, schrieb er. „Farbiges Glas und Steingewirr stellten der Zukunft die Frage.“ Zehn Jahre später war dann die Zeit gekommen, durch eine Neugestaltung der Klinkerwand die düstere Aussage aus den Weimarer Jahren zu revidieren. Und zwar völlig unabhängig von den massiven Anfeindungen – das war offenbar die gewünschte Lesart, der Zweck der Gegenüberstellung der Verhältnisse von 1926 und 1936. Die Antwort der Zukunft: „Der Lichtbringer schenkt den Sehnsüchtigen das strahlende Licht./ Das Feuerschwert kämpft gegen dunkle Mächte.“

Natürlich ließ sich der „Lichtbringer“ kaum anders als in Analogie zu Hitler und dem „Dritten Reich“ verstehen – eine diskrete Ergebenheitsadresse, eine Loyalitätsbekundung ohne Ross und Reiter zu nennen. Gerade deshalb lässt sich auch mit einiger Sicherheit sagen, dass die jubelnden Menschen im Hintergrund nicht den Hitler-Gruß zeigen. Dieser Verdacht drängt sich angesichts der späteren Deutung zwar auf, dürfte aber ursprünglich nicht beabsichtigt gewesen sein. „Die Menschen heben glücklich bewegt ihre Hände“, schreibt Roselius in seiner Erklärung – von nur einem, dem rechten Arm ist keine Rede.

Die Böttcherstraße als sein Lebenswerk: Ludwig Roselius.
Quelle: Nicola Perscheid

Zu früh gefreut

Allem Anschein nach meinte Roselius, damit aus dem Schneider zu sein. In der Böttcherstraße ließ er Faltblätter mit seiner Erklärung auslegen. Eine mehr oder weniger subtile Verbeugung vor dem „Führer“ – das musste reichen, um den Kritikern den Wind aus den Segeln zu nehmen. Roselius war sich seiner Sache so sicher, dass er sogar Pläne für eine Hoetger-Ausstellung beim Nürnberger Reichsparteitag schmiedete.

Umso frustrierender dann der Frontalangriff Hitlers auf die „Böttcherstraßen-Kultur“ kurz nach der Montage des Drachentöter-Reliefs auf eben diesem Nürnberger Reichsparteitag am 9. September 1936. Zumal die Bremer NSDAP des „Führers“ Wort bereitwillig aufgriff und Roselius massiv unter Druck setzte. Der Hoetger-Experte Thomas Hirthe spricht von einem fehlgeschlagenen Versuch, die Machtübernahme Hitlers öffentlich zu feiern. Seine Vermutung für den überraschenden Ausbruch des Diktators: Hitler habe Roselius dessen finanzielle Zurückhaltung beim Aufbau der Partei heimzahlen wollen.

In dieser Situation wusste sich Roselius offenbar nicht anders zu helfen, als die sicherlich schon früher intendierte Deutung als Hitler-Hommage noch einmal unmissverständlich zu unterstreichen. Es dürfte wohl kaum ein Zufall sein, dass seine umstrittene Äußerung, das Relief veranschauliche den „Sieg unseres Führers über die Mächte der Finsternis“ erst jetzt fiel – am 18. September 1936 in einem langen Rechtfertigungsschreiben an den Regierenden Bürgermeister Otto Heider. Fast zum gleichen Zeitpunkt formulierte auch Hoetger seine kompromittierende Stellungnahme. Nur zwei Tage zuvor, am 16. September 1936, hatte er seinem Architektenfreund Herbert Helfrich geschrieben: „Die Form des Reliefs sollte eigentlich beweisen, daß sie mit höchster Kraft die Idee des Führers weiterträgt.“

Dass sich Roselius wie auch Hoetger unter dem noch frischen Eindruck der Hitler-Rede und ihrer Folgen äußerten, bedarf schon allein wegen der zeitlichen Nähe wohl kaum eines näheren Beweises. Mit anderen Worten: Selbst wenn man zu ihren Gunsten annimmt, dass „Der Lichtbringer“ bis dahin eher die Lehren Wirths reflektierte und nicht Hitler zugedacht war, so galt dies spätestens jetzt nicht mehr. Angesichts der bedrohlichen Lage, in welche die Böttcherstraße durch Hitlers „Wutrede“ geraten war, präzisierten Roselius und Hoetger die Kernbotschaft des Reliefs. Der „Lichtbringer“ sollte nunmehr ausdrücklich als Personifizierung Hitlers verstanden werden.

Eine Präzisierung für NS-Kader

Für dieses Schild ist Platz in der Böttcherstraße.
Foto: Frank Hethey

Allerdings galt diese Präzisierung nur für einen kleinen Kreis ausgewählter NS-Führungskader. Deutlich zurückhaltender lautete die Formulierung im offiziellen Text für Touristenführungen. Im Entwurf, den Roselius am 12. November 1936 zu Papier brachte, hieß es ganz im Stil der Erklärung vom August 1936: Zu sehen sei ein Bronze-Relief, „das erst seit kurzem hier angebracht ist. Es soll den Kampf des Lichts gegen die dunklen Mächte der Unterwelt und den Sieg des Lichts darstellen“. Vom „Führer“ kein Wort – anders als im Brief an den Regierenden Bürgermeister Heider. Die Bezugnahme auf Hitler kehrte Roselius mithin nur im Austausch mit NS-Offiziellen hervor. Hirthe sieht im Touristentext denn auch eine „frühe Verunklarung“ der ursprünglichen Intentionen, Hitler zu glorifizieren.

Die Hitler-Komponente ist alles andere als neu: Bereits vor 25 Jahren hat der Journalist und Autor Arn Strohmeyer auf die braune Vergangenheit des vergoldeten „Lichtbringers“ aufmerksam gemacht. Dabei allerdings fälschlicherweise suggeriert, das Relief sei erst als Reaktion auf Hitlers Rede in Auftrag gegeben worden, obwohl es doch in Wahrheit schon viel früher in Planung gewesen war. Und eben auch nicht von Anfang ausdrücklich als symbolhafte Hitler-Darstellung, ja noch nicht einmal als „Lichtbringer“. Die Hitler-Komponente kam demnach erst im September 1936 hinzu – als doch recht durchsichtiger Versuch, die Böttcherstraße in letzter Minute vor einer Umgestaltung zu bewahren.

Auch der Hinweis auf Videoüberwachung darf nicht fehlen.
Foto: Frank Hethey

Nicht zu Unrecht beklagen Kritiker, das Relief sei in späteren Zeiten verharmlost worden. Meist hieß es, zu sehen sei der Erzengel Michael im Kampf mit den Höllendrachen. Bis heute gewinnen viele Betrachter auch den Eindruck, es handele sich um eine Siegfried-Darstellung. Zwei Deutungen, die gar nicht einmal völlig falsch sind – wurden doch bei den ersten Überlegungen genau diese Namen genannt. Sie später wieder aus dem Hut hervorzuzaubern und so zu tun, als habe es keine andere Sicht der Dinge gegeben, ignoriert freilich ein beträchtliches Stück Geschichte.

Doch wie mit dem „Lichtbringer“-Relief heute umgehen? Die Linken wollten bei ihrem Protest im November 2013 zwar nicht so weit gehen, eine Demontage des umstrittenen Reliefs zu fordern, hielten aber zumindest eine öffentliche Positionierung durch eine Infotafel für angemessen. Bis jetzt hat sich in dieser Richtung allerdings noch nichts getan. Vergebens sucht man in der Böttcherstraße einen sachdienlichen Hinweis zur Geschichte des „Lichtbringers“, nur der Multi-Media-Guide behandelt seine dubiose Vergangenheit.

Fragt sich nur, ob der Multi-Media-Guide tatsächlich ein ausreichender Ersatz für eine Infotafel ist. Zumal es keine Bedenken gibt, andere Schilder an Ort und Stelle anzubringen. Wie etwa einen Hinweis auf Videoüberwachung oder die dürre Mitteilung, der „Lichtbringer“ sei von Hoetger. Dass es auch anders geht, zeigt fast direkt unter dem Relief eine voluminöse Infotafel, mit der die Sparkasse Bremen als Retterin der Böttcherstraße gefeiert wird.

von Frank Hethey

Als Hommage an Hitler ausgegeben: Ludwig Roselius ließ nichts unversucht, um die Böttcherstraße zu erhalten.
Foto: Frank Hethey

Jung, aber mit viel Geschichte

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