Vor 40 Jahren wurde Attentäter Erich von Halacz freigelassen

Die Todesnachricht: Am Tag nach dem Mordanschlag das beherrschende Thema auf der Titelseite seiner Zeitung. Bildvorlage: Staatsarchiv Bremen

Die Todesnachricht: Am Tag nach dem Mordanschlag das beherrschende Thema auf der Titelseite seiner Zeitung. Bildvorlage: Staatsarchiv Bremen

Eine 18-jährige Kontoristin war das erste Opfer des „Tango-Jünglings“. Im Postamt von Eystrup beendete eine Paketbombe am 29. November 1951 ihr Leben. Der zweite Sprengsatz wurde dem Chefredakteur der Bremer Nachrichten zum Verhängnis, Dr. Adolf Wolfard. Die Fahnder glaubten anfangs an ein politisch motiviertes Attentat durch rechte oder linke Extremisten. Doch die Anschlagserie ging auf das Konto eines unpolitischen Einzeltäters, des damals 22-jährigen Erich von Halacz.

Die Paketsendung hatte die Form eines Zylinders. Fast so, als ob eine Flasche darin enthalten wäre. Ein edles Schlückchen als kleine Aufmerksamkeit in diesen vorweihnachtlichen Tagen, das wäre nicht ungewöhnlich gewesen. Zumal die Sendung an den Empfänger persönlich adressiert war: an den Chefredakteur der Bremer Nachrichten, Dr. Adolf Wolfard.

Es war Donnerstag, der 29. November 1951, als sich der 49-Jährige daran machte, das vermeintliche Geschenk zu öffnen. Die Uhr zeigte zehn Minuten nach eins an.

Sekundenbruchteile später erschütterte ein dumpfer Knall das Redaktionsgebäude der Bremer Nachrichten an der Schlachtpforte. Das Zimmer des Chefredakteurs im zweiten Stock wurde durch die Detonation vollständig verwüstet. Die Wand zum Großraumbüro nebenan, dem „Redaktionssaal“, hielt der Druckwelle nicht stand und stürzte ein, Gesteinsbrocken prasselten auf die Journalisten herab.

Erst seit einem Monat auf dem Posten des Chefredakteurs

Wolfard war auf der Stelle tot. Er habe in einer Zimmerecke gelegen, meldeten die Bremer Nachrichten, sein Körper sei von herabgefallenem Deckenputz und Trümmern der Einrichtung fast völlig verdeckt gewesen.

Ein doppelt tragisches Ende für den Familienvater, der erst vor Monatsfrist den Posten des Chefredakteurs übernommen hatte, damals noch Hauptschriftleiter genannt. Noch eben mit dem Leben kam sein Gesprächspartner davon, Feuilleton-Chef Dr. Werner Wien. Splitterverletzungen erlitt die ebenfalls im Raum befindliche Chefsekretärin Hilde Emminghaus.

Nicht nur in Bremen herrschte große Bestürzung über den gewaltsamen Tod des beliebten Journalisten. Aus ganz Deutschland gingen Beileidsbekundungen bei den Bremer Nachrichten ein.

Nicht nur in Bremen herrschte große Bestürzung über den gewaltsamen Tod des beliebten Journalisten. Aus ganz Deutschland gingen Beileidsbekundungen bei den Bremer Nachrichten ein.

Ziemlich genau vier Stunden zuvor war im Postamt von Eystrup eine erste Paketbombe explodiert. Dabei starb eine 18-jährige Kontoristin, Margret Grünklee. Ein Zufallsopfer, die Bombe war zu früh hochgegangen. Eigentlich hatte sie ihrem Chef gegolten, dem Inhaber einer Marmeladenfabrik in Eystrup. Eine dritte Bombe hatte einen Futtermittelfabrikanten in Verden ins Jenseits befördern sollen. Doch der schöpfte Verdacht, beim behutsamen Öffnen des Schnellpakets entdeckte er die Zündvorrichtung.

Fast zwei Wochen lang hielt die Anschlagserie die junge Bundesrepublik in Atem. Erstmals wurde nach dem Hauptverdächtigen nach amerikanischer Methode mit einem Phantombild gesucht, erstmals kam es zu einer flächendeckenden Großfahndung. Auch im Ausland beteiligte man sich an der Suche, sogar die DDR erklärte sich zur Amtshilfe bereit. Eine weitere Nebenwirkung war die neu entfachte Diskussion um die Wiedereinführung der Todesstrafe. Einer SPIEGEL-Umfrage zufolge sprachen sich 75 Prozent der Männer und 63 Prozent der Frauen dafür aus.

Zwölf Tage nach den Anschlägen gestand der arbeitslose Adelsspross Erich von Halacz die Tat. Für den Doppelmord wurde er im April 1952 zu lebenslanger Haft verurteilt. Verbüßen musste er davon 22 Jahre, sein Alter zum Zeitpunkt der Mordanschläge. Vor 40 Jahren, am 29. September 1974, wurde Erich von Halacz begnadigt und vorzeitig aus dem Gefängnis entlassen.

Damals entging Wolfard noch den Bomben: das spätere Attentatsopfer als 38-jähriger Redakteur im Juli 1940 nach einem Bombenangriff im Gespräch mit Anwohnern der Schopenhauerstraße. Quelle: Staatsarchiv Bremen

Damals entging Wolfard noch den Bomben: das spätere Attentatsopfer als 38-jähriger Redakteur im Juli 1940 nach einem Bombenangriff im Gespräch mit Anwohnern der Schopenhauerstraße.
Quelle: Staatsarchiv Bremen

Bei der Suche nach dem Absender der Paketbomben tappte die Polizei zunächst im Dunkeln. Wilde Gerüchte machten die Runde. An einen Einzeltäter glaubten die wenigsten, vielmehr galt ein politischer Hintergrund als wahrscheinlich. Man habe gedacht, vielleicht seien „alte Nazis hervorgekrochen“, erinnerte sich ein Augenzeuge von damals, der Reporter Walfried Rospek.

Die kommunistische Presse brachte sogar eine wiederauferstandene „Organisation Consul“ ins Spiel. Die gefürchtete Terrortruppe hatte in den frühen Jahren der Weimarer Republik mehrere prominente Politiker ermordet, darunter Reichsaußenminister Walther Rathenau. Drohungen rechtsradikaler Trittbrettfahrer nährten den Verdacht, es mit einem organisierten Angriff auf die junge Bundesrepublik zu tun zu haben. Ein anonymer Anrufer teilte dem Chefredakteur der Hannoverschen Presse mit, ein Femegericht habe ihn zum Tode durch den Strang verurteilt. Und ein Drohbrief an die Adresse der Frankfurter Abendpost war gezeichnet mit dem Ausruf, „es lebe die Reichsregierung Dönitz-Schirach“.

Die Bremer Nachrichten tippten auf anarchistische Täterkreise

Auch dem „Klassenfeind“ in der „Ostzone“ trauten die Behörden die Anschläge zu. Noch am selben Tag wurde eine verstärkte Überwachung der „Zonengrenze“ angeordnet. Es sollte mit allen Mitteln unterbunden werden, dass Agenten in den Westen geschleust wurden. Derweil tippten die Bremer Nachrichten wegen der professionellen Fertigung des Sprengkörpers auf anarchistische Täterkreise. Wer auch immer dahinter steckte, man fürchtete weitere Anschläge. Eine eilends gebildete Sonderkommission „S“ sollte das verhindern.

Selbst nach der Ergreifung des jungen Bombenbastlers wollten Presse und Ermittlungsbehörden nicht ohne weiteres von der Komplott-Theorie lassen. Erich von Halacz galt zunächst nur als Mitverschwörer, nicht als Hauptverdächtiger.

Als seine Verhaftung am 10. Dezember 1951 vermeldet wurde, hieß es bedauernd, man habe durch die Großfahndung den Täter nicht fassen können. Einziger Trost: Eine ganze Reihe schon lange gesuchter Verbrecher seien der Polizei ins Netz gegangen. Sogar als Halacz kurz darauf ein volles Geständnis ablegte, blieben die Kriminalbeamten skeptisch. Die Festnahme von zwei weiteren Verdächtigen in Düsseldorf und Nienburg wies laut Bremer Nachrichten „auf einen größeren Täterkreis hin – oder auf Helfershelfer“.

Doch davon konnte in Wahrheit keine Rede sein. Erich von Halacz hatte von Anfang an auf eigene Faust gehandelt. Eine Erleichterung für die Ermittler. „Politische Hintermänner gab es nicht“, schrieb der Leiter der Sonderkommission, Dr. Walter Zirpins, im Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL. Und ergänzte: „Ich war froh darüber.“

Die Bremer Nachrichten hielten ihre Leser mit großen Aufmachern auf dem Laufenden. Am 6. Dezember 1951 lief eine Großfahndung an, das Phantombild des Verdächtigen trug entscheidend zum Erfolg bei. Quelle: Staatsarchiv Bremen

Die Bremer Nachrichten hielten ihre Leser mit großen Aufmachern auf dem Laufenden. Am 6. Dezember 1951 lief eine Großfahndung an, das Phantombild des Verdächtigen trug entscheidend zum Erfolg bei.
Quelle: Staatsarchiv Bremen

 

Der junge Mann kam aus zerrütteten Verhältnissen. Als uneheliches Kind einer Zahnarztgattin war er in einer Pflegefamilie aufgewachsen, die in einer Baracke nahe Nienburg lebte. Erst an seinem 21. Geburtstag hatte er statt seines Geburtsnamens den Namen seiner Mutter angenommen. Nicht wegen besonders inniger Verbindungen, die beiden verkehrten nicht miteinander. Sondern weil der mütterliche Name so wohlklingend war. Das altungarische Adelsgeschlecht lässt sich bis ins elfte Jahrhundert zurückverfolgen, ein Vorfahre hatte als General in der Armee Friedrich des Großen gedient.

Als Kleinkrimineller hatte Halacz jahrelang in Nienburg auf großem Fuße gelebt, war auch schon mehrfach mit dem Gesetz in Konflikt geraten. Zu geregelter Arbeit fehlte ihm ganz offenbar die Lust, seine Beschäftigungsverhältnisse waren nur von kurzer Dauer. Das lag wohl auch daran, dass er sich zu Höherem berufen fühlte. Sein Traum war eine Karriere als Journalist, auch bei den Bremer Nachrichten bewarb er sich um eine Anstellung als Volontär. Die wurde ihm freilich verwehrt, mangelnde Referenzen und wichtigtuerisches Auftreten sprachen nicht zu seinen Gunsten.

Das erpresste Geld als Startkapital für die Selbstständigkeit

Der Anschlag auf Wolfard also als Racheakt für eine schwere Kränkung? Eher unwahrscheinlich. Bei den Vernehmungen stellte sich heraus, dass sich Halacz über die Position Wolfards noch nicht einmal im Klaren gewesen war. Er hielt ihn irrtümlich für den Verleger der Bremer Nachrichten, nicht für den Chefredakteur. Das passte auch zu den Adressaten der beiden anderen Paketbomben: zwei Fabrikanten, bei denen reichlich Geld zu vermuten war. Habgier stellte sich denn auch als eigentliches Tatmotiv heraus: Halacz wollte durch seine Mordtaten die Angehörigen der Opfer erpressen. Entweder, sie zahlten ihm 5000 Deutsche Mark oder er würde sie ebenfalls in die Luft jagen. Das Geld sollte als Startkapital in die Gründung eines Schallplattenverleihs fließen. Ein perfides Kalkül.

Das Ende vom Lied: Erich von Halacz brach unter der Beweislast zusammen. Quelle: Staatsarchiv Bremen

Das Ende vom Lied: Erich von Halacz brach unter der Beweislast zusammen.
Quelle: Staatsarchiv Bremen

Dass die Anschläge ausgerechnet an seinem 22. Geburtstag stattfanden, hatte offenbar keine tiefere Bedeutung. Halacz wähnte sich im Zugzwang, seiner Freundin hatte er großspurig versprochen, noch vor dem Weihnachtsfest Nägel mit Köpfen zu machen. Die Zeit drängte, wenn es etwas werden sollte mit der Selbstständigkeit.

Auf die Spur kam die Polizei dem Attentäter durch ein Phantombild, das die „Quasi-Sonderkommission“ der Bremer Nachrichten hatte erstellen lassen. Für die Behörden war das zwar nur neumodischer Firlefanz, sie gaben aber schließlich ihr Einverständnis. Hinzu kam ein Steckbrief, der Zeugenangaben über den Mann enthielt, der die Sprengstoffpakete aufgegeben hatte. Da wurde auf ein „mädchenhaft hübsches Gesicht“ hingewiesen und auf eine „leichte wiegende Gangart“ – und zur Veranschaulichung in Klammern der Begriff „Tango-Jüngling“ hinzugefügt.

„Holt den Kerl ab!“ 

Phantombild und Steckbrief waren das Kernstück der Großfahndung, die eine Woche nach dem Attentat am 6. Dezember 1951 anlief. Und die nach einen Hinweis des Chefredakteurs der Nienburger Heimatzeitung „Die Harke“, Erich Prüssner, am folgenden Tag zur ersten Festnahme Halacz‘ führte. „Holt den Kerl ab!“ lautete sein legendärer Ausspruch. Das geschah auch, nur mussten die Beamten den Verdächtigen noch am gleichen Abend wieder laufen lassen, weil seine Freundin ihm ein Alibi ausstellte.

Zwei Tage später hatte Halacz dann allerdings endgültig ausgespielt.

Nach seiner neuerlichen Verhaftung leugnete er zunächst standhaft, aber die Beweise waren erdrückend. Überführt wurde er schließlich durch ein fehlerhaftes „r“ auf der Schreibmaschine, mit der er die Paketadressen geschrieben hatte. Fand sich doch in seinen Unterlagen ein journalistisches Manuskript mit dem gleichen Typenfehler. Nach vierstündigem Verhör gestand er am frühen Morgen des 12. Dezember 1951, die drei Sprengstoffpakete abgesendet zu haben. Seiner Freundin schrieb er noch am gleichen Tag: „Ich fürchte fast, daß ich den Begriff für ein Menschenleben im Kriege verloren habe. Heute nachmittag werde ich mich darüber mit einem Priester unterhalten.“

Nach seiner Haftentlassung machte Halacz eine Ausbildung zum Bürokaufmann und heiratete dem Vernehmen nach eine vermögende Witwe. Das Paar soll sich in einer feinen Wohngegend Hannovers niedergelassen haben. Seinen Namen änderte Erich von Halacz.

Angeblich lebt er noch immer. Er wäre jetzt 84 Jahre alt.

von Frank Hethey

Der Chefredakteur der Bremer Nachrichten, Dr. Adolf Wolfard, fiel am 29. November 1951 einem Bombenattentat zum Opfer. Quelle: Staatsarchiv Bremen

Der Chefredakteur der Bremer Nachrichten, Dr. Adolf Wolfard, fiel am 29. November 1951 einem Bombenattentat zum Opfer.
Quelle: Staatsarchiv Bremen

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