Vor 50 Jahren

Senatsdirektor Dr. Waldemar Klischies (42) tritt vorzeitig seinen Jahresurlaub an. Er kommt damit, wie es in einer gestern von ihm herausgegebenen Erklärung heißt, der Bitte von Innensenator Franz Löbert nach. Er selbst, so schreibt Klischies, sehe allerdings „nicht den geringsten Anlaß, um Urlaub nachzusuchen“. Wenn sein Name in den privaten Notizen des Pastors Kurt Kaiser auftauche, dann sei das zufällig. Klischies wiederholte gestern seine bereits am Vortage dem WESER-KURIER gegenüber abgegebene Versicherung, er habe zu keiner Zeit mit der Gruppe Mahler/Baader/Meinhof in Verbindung gestanden. (WESER-KURIER, 20./21. Februar 1971)

Hintergrund

Der Name des Senatsdirektors Waldemar Klischies auf der Telefonliste eines katholischen Geistlichen, dem Sympathien mit der Baader-Meinhof-Gruppe nachgesagt wurden: Dieser Fall erregte im Frühjahr 1971 bundesweites Aufsehen, sogar das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ berichtete darüber. Am Ende stürzte Klischies über das Votum seines Ressortchefs. Nach mehr als dreijähriger Tätigkeit als Senatsdirektor wurde er von Innensenator Franz Löbert (SPD) mehr oder weniger unvermittelt in die Wüste geschickt.

Dabei schien es zunächst, als käme Klischies ungeschoren aus der Sache heraus. Immerhin konnte der Mann, der im Innenressort federführend für Polizeibelange zuständig war, glaubhaft jegliche Verbindung zu Terrorsympathisanten widerlegen. Er erfreute sich des uneingeschränkten Vertrauens von Bürgermeister Hans Koschnick (SPD). Noch am 23. Februar 1971 sah es ganz so aus, als würde er seinen Posten als Senatsdirektor behalten können. Auf Druck seiner Senatskollegen verzichtete Senator Löbert darauf, den eigenen Stellvertreter in den einstweiligen Ruhestand zu versetzen.

Zackig mit Tschako: Junge Bereitschaftspolizisten legen im Oktober 1956 in der Sporthalle der Polizeikaserne Huckelriede ihren Diensteid ab.
Foto: Werner Krysl

Hinter den Kulissen gärte es aber weiter. Nur eine Woche später hatte Löbert im zweiten Anlauf doch noch Erfolg: Am 2. März musste Klischies seinen Hut nehmen. Zur Begründung führte Löbert ein massiv gestörtes Vertrauensverhältnis zum zweiten Mann in seinem Hause an. Einen Zusammenhang mit der ominösen Telefonliste dementierte er. „Ich bin überzeugt, daß Klischies weder direkt noch indirekt in irgendeinem Verhältnis zu dieser Gruppe steht.“

Doch wie war es überhaupt dazu gekommen? Das Unheil nahm am 10. Februar 1971 seinen Lauf. Damals fiel den Sicherheitsbehörden bei dem vermeintlichen Meinhof-Sympathisanten Kurt Kaiser, damals Anstaltsgeistlicher einer psychotherapeutischen Klinik in Neuenkirchen bei Damme, ein Notizbuch mit Kontaktdaten in die Hände. Darunter auch 20 Bremer Kontakte, unter denen sich Klischies befand. Die Erklärung für den beachtlichen Anteil Bremer Namen im Notizbuch: Kaiser war bis 1968 Gemeindepfarrer in Bremen-Osterholz gewesen. Der Seelsorger beteuerte, der Eintrag stamme aus dieser Zeit, als er den Senatsdirektor für eine Hilfsaktion habe gewinnen wollen.

Die CDU schlachtete das Thema nur allzu gern aus, wohl auch mit Blick auf die nahenden Wahlen zur Bürgerschaft im Oktober 1971. Schon länger sei Klischies‘ Verhältnis zur Polizei zerrüttet, monierte Fraktionschef Hans-Hermann Sieling, darunter leide die Arbeit des Innenressorts. Mehr als eine Woche erhitzte der „Fall Klischies“ die Gemüter, dann kam das Aus für den 42-Jährigen.

Klischies sah sich als Opfer einer Kampagne von Teilen der Polizei. Durch eine „gezielte Indiskretion“ sei sein Name in Zusammenhang mit der Baader-Meinhof-Gruppe gebracht worden – heute besser bekannt als Rote Armee Fraktion (RAF), doch unter diesem Namen trat die Terrorgruppe erst ab April 1971 in Erscheinung. Konkret nannte Klischies den damaligen Polizeipräsidenten Erich von Bock und Polach, obwohl der ein Sozialdemokrat war wie er selbst. Die Motivation lag für den geschassten Senatsdirektor auf der Hand: Es ging darum, seine Reformversuche zu torpedieren. Die Polizei sollte sich dem Geist der Zeit anpassen und weniger militaristisch auftreten.

Der Polizeipräsident stürzte 1975 dann selbst über ein Nachbeben der Klischies-Entlassung, die „Tonbandaffäre“. Der CDU-nahe Journalist Joachim Siegerist hatte ein vertrauliches Gespräch mit dem Polizeipräsidenten mitgeschnitten. Dabei ließ Erich von Bock und Polach durchblicken, der stellvertretende SPD-Fraktionschef Horst-Werner Franke habe Kaiser 1971 angestiftet, eine falsche eidesstattliche Erklärung über die Telefonnummer abzugeben. Genüsslich zitierte CDU-Fraktionschef Bernd Neumann in der Bürgerschaft aus der Mitschrift. Erhärten ließ sich dieser Verdacht allerdings nicht.

Nach seinem Abgang arbeitete Klischies als Anwalt, von 1979 bis 1983 saß er als SPD-Abgeordneter in der Bürgerschaft. Er starb im September 2013 im Alter von 84 Jahren .

Nach seiner Zeit als Senatsdirektor arbeitete Waldemar Klischies (rechts) als Anwalt, hier im März 1995 mit Willi Lemke.
Foto: Martin Rospek

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