75 Jahre Kriegsende
Neuanfang nach der Diktatur
Als der Zweite Weltkrieg zu Ende war, lag Bremen größtenteils in Trümmern: Die dritte Ausgabe des Magazins WK | Geschichte schildert das allgegenwärtige Elend und die Sorgen der Bevölkerung. Es zeigt aber auch die ersten Schritte Richtung Zukunft auf – die Stadt unter der US-Flagge, die ersten Wahlen und die Verteidigung der Selbstständigkeit des Landes Bremens.
Vor 75 Jahren wurde die Wiederaufbaugemeinschaft Sögestraße gegründet – Vereinigung ist bis heute aktiv
Weit entfernt von der Sögestraße trafen sich am 21. Dezember 1945 einige Herren zu einer ersten Zusammenkunft. Im Hause des Kaufmanns Diedrich Blohme an der Hartwigstraße 26 in Schwachhausen steckten sie ihre Köpfe zusammen. Eines war ihnen gemeinsam: Als Geschäftsleute waren sie allesamt Anlieger der schwer zerstörten Sögestraße. Beim Wiederaufbau der einst so stark frequentierten Einkaufsstraße wollten sie ein Wörtchen mitreden und nicht einfach den Behörden die Initiative überlassen. Drei Wochen später besiegelten sie ihr Vorhaben mit der Gründung der Wiederaufbaugemeinschaft Sögestraße: 30 Teilnehmer setzten am 11. Januar 1946 ihre Unterschrift unter den Gründungsbeschluss.
Was vor 75 Jahren geschah, hatte Vorbildcharakter. Dem Beispiel der Sögestraße folgten schon bald weitere Geschäftsleute aus anderen Bereichen der Innenstadt. Daraus entwickelten sich im Juli 1947 erst die „Wiederaufbaugemeinschaften Stadtmitte Bremen“ und im Juli 1948 unter Einschluss weiterer Stadtteile die „Wiederaufbaugemeinschaft Bremen“. Als die eigentliche Phase des Wiederaufbaus abgeschlossen war, kam es 1964 abermals zu einer Namensänderung – seither tritt die Vereinigung als Aufbaugemeinschaft Bremen auf.
Hatte in den frühen Nachkriegsjahren einn gewichtiges Wörtchen mitzureden: der Städteplaner Wilhelm Wortmann.
Quelle: Archiv
Immer wieder Denkanstöße
Nicht nur in den frühen Nachkriegsjahren, sondern mehr oder weniger kontinuierlich hat sich die Aufbaugemeinschaft zu Wort gemeldet, wenn es um Belange der städtebaulichen Entwicklung ging. Mit einer Vielzahl von Denkschriften wie auch dem eigenen Publikationsorgan „Der Wiederaufbau“ (seit 1964 „Der Aufbau“) hat die Vereinigung immer wieder wichtige Denkanstöße gegeben. Es gibt kaum ein städtebauliches Projekt, bei dem die Aufbaugemeinschaft nicht in irgendeiner Weise beteiligt war. Dabei spielt das Selbstverständnis als Ideengeber von unten eine bedeutende Rolle – nicht umsonst bezeichnet sich die Aufbaugemeinschaft gern als „erste Bürgerinitiative“ Deutschlands.
Über die Geschichte der Aufbaugemeinschaft hat die Unternehmensforscherin Lydia Niehoff im Auftrag des Vereins ein reich bebildertes Buch verfasst. Erschienen ist es unter dem Titel „stadt gestalten. Bremens Stadtentwicklung von 1945 bis morgen“. Auch wenn die Vereinsarbeit „als Mentor und Motor der stadtgeschichtlichen Entwicklung“ naturgemäß im Mittelpunkt steht, will das Buch mehr sein – nämlich ein Beitrag zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte Bremens.
Treibende Kraft bei der Gründung der Wiederaufbaugemeinschaft war Gerhard Iversen, kaufmännischer Angestellter im Schuhgeschäft seines Schwiegervaters Lattemann an der Sögestraße 45. Bereits kurz nach Kriegsende hatte der 28-Jährige den damaligen Baudirektor Wilhelm Wortmann aufgesucht. Als Technischer Leiter der Wiederaufbaugemeinschaft hatte Wortmann später einen beachtlichen Einfluss auf die Bremer Stadtplanungen der Nachkriegszeit. Dass er als Baudirektor wegen seiner NS-Vergangenheit gehen musste, änderte nichts daran. Mit seinem Engagement setzte die Wiederaufbaugemeinschaft schon früh ein Zeichen: Nicht Dilettanten trugen ihre Gedanken vor, man umgab sich mit Fachleuten.
Reichlich Potenzial für neue Ideen: Ruinenlandschaft zwischen Domshof und Wallanlagen im Jahr 1946.
Quelle: Hochbauamt/Schünemann-Verlag
Autoverkehr als Dauerbrenner
Ein Dauerbrenner der Vereinsarbeit ist die jetzt wieder aktuelle Frage, wie der Autoverkehr in der Innenstadt geregelt werden kann. Dabei erwies sich die Wiederaufbaugemeinschaft trotz eher konservativer Grundhaltung keineswegs als Bremsklotz. Das zeigt sich schon im Fall der ersten Aktivitäten: den Vorschlägen zur Neugestaltung der Sögestraße. In ihrem Entwurf regte die Wiederaufbaugemeinschaft im Herbst 1946 an, die Straße für den Fahrverkehr zu sperren und in eine Fußgängerzone umzuwandeln. Eine geradezu wegweisende Idee, die allerdings erst 1973 endgültig umgesetzt wurde.
Eigentlich eine klare Sache: der Rahmenplan für den Wiederaufbau der Sögestraße.
Quelle: Bremer Zentrum für Baukultur (bzb)
Dass die Zerstörungen in der Innenstadt eine Chance boten, den Verkehrsfluss neu zu konzipieren, war Konsensmeinung unter allen Beteiligten. Dabei ging es nicht zuletzt darum, den Auto- und Straßenbahnverkehr aus dem inneren Bereich der Altstadt herauszuholen. Bürgermeister Wilhelm Kaisen (SPD) schlug sogar vor, den Autoverkehr völlig aus der Altstadt zu verbannen. So weit wollte die Aufbaugemeinschaft dann aber doch nicht gehen, sie setzte stattdessen auf den Bau von Hochgaragen rund um den Kernbereich der City.
Für einiges Aufsehen sorgte 1949/50 der sogenannte Giebelstreit. Dabei ging es um den Giebel des Geschäftshauses von Carl Ronning in der Sögestraße. Ein Giebel, der eigentlich gar nicht hätte sein dürfen. Waren im Rahmenplan für die gesamte Sögestraße doch nur traufenständige Satteldächer vorgesehen. Doch der Kaffeeröster Ronning scherte sich nicht darum, hinter einer Holzverschalung ließ er das Gebäude nach eigenen Vorstellungen hochziehen.
Das Pikante: Den Rahmenplan hatte der Senat in Abstimmung mit der Wiederaufbaugemeinschaft Sögestraße beschlossen, zu deren Gründungsmitgliedern Ronning zählte. In der Folge kam es zu einer emotionalen öffentlichen Debatte, in einer Umfrage stärkte eine deutliche Mehrheit der Bevölkerung Ronning den Rücken. Der Senat gab schließlich nach, Bausenator Emil Theil (SPD) erteilte eine nachträgliche Baugenehmigung. „Am 14. Januar 1950 wurde das Carl-Ronning-Haus an der Sögestraße 54 – mit dem Giebel – eingeweiht“, schreibt Lydia Niehoff.
Treuhand als Meilenstein
Ein Meilenstein war im Juni 1950 die Gründung der Bremer Treuhandgesellschaft für Wohnungsbau auf Initiative und unter Beteiligung der Aufbaugemeinschaft. Damit wurde die Aufbaugemeinschaft indirekt zu einem wichtigen Akteur beim Wiederaufbau des Stephaniviertels und des Bremer Westens, am Ende stieg die Treuhand in den sozialen Wohnungsbau ein. Auf einem anderen Blatt steht der Konkurs der Treuhand 1977 nach einem gescheiterten Großbauprojekt in Algerien.
Bis heute verschafft sich die Aufbaugemeinschaft als Sprachrohr von Bürgern und Geschäftsleuten immer wieder Gehör, wenn es um Bremens Perspektiven geht. Traditionell besonders im Fokus : die Innenstadt. Gerade in Zeiten der Corona-Pandemie weist Vorstandschef Uwe A. Nullmeyer auf die großen Herausforderungen hin. „Die Stadt muss offen sein für Neues“, mahnt er. Den Kernbereich der City zu entwickeln, sieht er als eine der „schwierigsten Aufgaben“ der Stadtplanung an. Denn: „Unsere Städte und auch Bremen werden sich verändern, die Innenstädte werden sich neu erfinden müssen.“
Lydia Niehoff: stadt gestalten. Bremens Stadtentwicklung von 1945 bis morgen. Carl Schünemann Verlag, Bremen. 199 Seiten, 24,90 €.
Bremen lag in Trümmern, als sich am 11. Januar 1946 die Wiederaufbaugemeinschaft Sögestraße gründete, die Keimzelle der heutigen Aufbaugemeinschaft Bremen.
Quelle: Hochbauamt/Schünemann-Verlag