Rezension: Die beiden Bremen-Chroniken von Hubert Wania als Nachdruck erhältlich

Die Neuauflage des ersten Wania-Bandes: die Moorlosen-Kirche in Mittelsbüren lässt grüßen. Quelle: Vero Verlag

Die Neuauflage des ersten Wania-Bandes: die Moorlosen-Kirche in Mittelsbüren lässt grüßen.
Quelle: Vero Verlag

Manche Bücher, gerade lokalhistorischer Provenienz, erscheinen nur einmal in überschaubarer Stückzahl und werden dann nicht noch einmal neu aufgelegt. In den meisten Fällen, weil der Verlag trotz großer Nachfrage fürchtet, der überwiegende Teil der Neuauflage könnte als Ladenhüter enden. Diese Werke sind dann allenfalls noch in öffentlichen Bibliotheken ausleihbar oder antiquarisch zu haben, wegen der geringen Menge an Restexemplaren zumeist überteuert. Doch nun sind zwei Bremensien-Klassiker erneut erhältlich – und das auch noch zu halbwegs erschwinglichen Preisen: Bereits im vergangenen Jahr hat der hierzulande eher unbekannte Vero Verlag aus Norderstedt die beiden Bremen-Chroniken von Hubert Wania „Dreißig Jahre Bremen 1876-1905“ und „Fünfzehn Jahre Bremen 1906-1920“ neu aufgelegt.

Für Geschichtsinteressierte sind die beiden Chronikbände eine wahre Fundgrube. Schon beim ziellosen Durchblättern stößt man immer wieder auf staunenswerte Detailinformationen. Zum Beispiel darauf, dass es schon im Ersten Weltkrieg gelegentlich Fliegeralarm gab. Beim ersten Alarm im Oktober 1915 wurden noch die Kirchenglocken geläutet, erst danach sollten Sirenen und Dampfpfeifen die Bevölkerung warnen. Bemerkenswert auch, dass bereits 1892 die Umwandlung der Schlachte in eine Promenade auf der Tagesordnung stand. Solche Beispiele ließen sich endlos aneinanderreihen, immer wieder zeigt sich, dass Vergangenheit stets neu entdeckt werden kann. Gerade in der ungemütlichen Jahreszeit laden die beiden Bände zum Schmökern ein. Und manchmal auch zum Schmunzeln. Etwa, wenn es unter dem 11. Mai 1878 höchst missverständlich heißt: „Attentat Max Hoedels auf Kaiser Wilhelm I. Telegraphische Beglückwünschung durch den Senat.“

Ein bisschen Jugendstil: Titelblatt der Originalausgabe der Bremen-Chronik von 1906. Quelle: Vero Verlag

Ein bisschen Jugendstil: Titelblatt der Originalausgabe der Bremen-Chronik von 1906.
Quelle: Vero Verlag

Ob so eine unglückliche Formulierung mit dem beruflichen Hintergrund des Verfassers zu tun hat? Hubert Wania war kein gelernter Historiker, sondern als Verwaltungsinspektor ein langjähriger Mitarbeiter der Stadtbibliothek. Auf sich genommen hat er die Recherche- und Schreibarbeit offenbar aus freien Stücken. Dabei orientierte er sich an einem Vorgängerwerk, dem „Gedenkbuch der freien Hansestadt Bremen“ von H. A. Müller, das den Zeitraum von 1851 bis 1875 abdeckt. Angesichts der regen Nachfrage sei eine Fortsetzung naheliegend gewesen, schreibt Wania im Vorwort des ersten Bandes.

Nicht zu viel erwarten

Freilich darf man nicht zu viel erwarten, bei der Neuauflage der beiden Chronikbände handelt es sich um bloße Nachdrucke der Originalausgaben von 1906 und 1930. Wer mit der zeittypischen Frakturschrift auf Kriegsfuß steht, wird seine Schwierigkeiten mit der Lektüre haben. Redaktionell ist nichts hinzugefügt worden, nur ein paar dürre Sätze auf der Rückseite des Buches geben dem Leser ein wenig Orientierung. Das ist schade, zumindest ein aktuelles Vorwort oder eine neue Einführung wären zu wünschen gewesen. So bleibt man als Leser so ziemlich auf sich allein gestellt, keine kompetente Stimme gewichtet und würdigt das Werk, nichts ist zu hören von historischen Hintergründen.

Wirkliches Neuland betritt der Vero Verlag mit dem Nachdruck nicht. Den Ablauf der Urheberrechte an den beiden Wania-Chroniken mindestens 70 Jahre nach dem Tod des Autors haben sich bereits zwei Bremer Verlage zunutze gemacht: erst der Europäische Hochschulverlag 2010 und dann der Dogma-Verlag 2012/13. Bei solchen Projekten machen es sich die Verlage in der Regel denkbar einfach: Das neu aufgelegte Buch erhält nur einen neuen Umschlag, ansonsten bleibt alles beim Alten. Sicher eine legitime Rechnung gerade für kleinere Verlagshäuser.

Die Neuauflage des zweiten Wania-Bandes: Bauernhaus-Idylle statt Bremen-Motiv. Quelle: Vero Verlag

Die Neuauflage des zweiten Wania-Bandes: Bauernhaus-Idylle statt Bremen-Motiv.
Quelle: Vero Verlag

Doch wenn sogar beim Umschlag erkennbar gespart wird, kann es peinlich werden. Bei keinem der Verlage, in denen die beiden Wania-Bücher neu erschienen sind, lässt das Cover auf allzu große Fürsorglichkeit schließen. Auch nicht beim Vero Verlag, der aus unerfindlichen Gründen kein typisches Wahrzeichen der Hansestadt als Coverbild des ersten Chronikbandes gewählt hat, sondern die Moorlosen-Kirche in Mittelsbüren. Wäre sie wenigstens im Zeitraum der Chronik errichtet worden, könnte man noch einen Sinn darin erkennen – doch selbst das ist nicht der Fall, der neugotische Backsteinbau entstand knapp 30 Jahre vor Beginn des Chronikzeitraums.

Mehr Sorgfalt in der Originalausgabe

Da trifft es sich gut, dass der Schünemann-Verlag bei der Erstauflage des ersten Chronikbandes mehr Sorgfalt walten ließ und ein Register erstellte. Immerhin ist eine Chronik kein Buch, das man von der ersten bis zur letzten Seite liest. Entweder stöbert man oder sucht ein bestimmtes Ereignis. Noch zusätzlich stellte der Verlag einen sehr instruktiven Anhang mit statistischem Zahlenmaterial bereit. Der fehlt leider in der zweiten Chronik, nur das Register blieb als unverzichtbarer Bestandteil erhalten.

Eher schlicht gehalten: Titelblatt der zweiten Bremen-Chronik von 1930. Quelle: Vero Verlag

Eher schlicht gehalten: Titelblatt der zweiten Bremen-Chronik von 1930.
Quelle: Vero Verlag

Die abgespeckte Version dürfte mit den Schwierigkeiten nach dem plötzlichen Tod des Autors zu tun haben: Im April 1922 starb Hubert Wania gerade einmal 61-jährig an den Folgen einer Lungenentzündung. Das nicht restlos fertiggestellte Manuskript musste überarbeitet werden, erst 1930 konnte die Fortsetzung von 1906 bis 1920 erscheinen. Allerdings geschah das nicht mehr im renommierten Schünemann-Verlag, sondern bei der Winterschen Buchhandlung.

Gemessen an der Tatsache, dass es sich bei den Wania-Bänden nur um Nachdrucke handelt, erscheint der Preis von 39,50 Euro für die erste Chronik und 34,90 Euro für die Fortsetzung als relativ teuer. Doch Freunde der Bremer Geschichte können sich damit trösten, dass der Vero Verlag mit seinem Preis die beiden Bremer Konkurrenten unterbietet, vor allem den Europäischen Hochschulverlag, der mit knapp 80 Euro pro Band mehr als doppelt so viel fordert. Die Zuflucht zu einem antiquarischen Angebot ist nur noch etwas für Liebhaber, die günstigsten Exemplare kosten rund 100 Euro, für den ersten Chronikband von 1906 werden 240 Euro fällig.

von Frank Hethey

Hubert Wania: Dreissig Jahre Bremen 1876-1905, Paperback, 352 Seiten, Norderstedt: Vero Verlag 2014

ISBN/EAN: 9783957388650

Preis: 39,50 Euro

Hubert Wania: 15 Jahre Bremen 1906-1920, Paperback, 280 Seiten, Norderstedt: Vero Verlag 2014

ISBN/EAN: 9783957387356

Preis: 34,90 Euro

Bremen damals: So sah die Hansestadt um 1900 aus. In seinem ersten Chronikband stellt Hubert Wania Daten von 1876 bis 1905 zusammen, im zweiten von 1906 bis 1920. Bildvorlage: Wikicommons

Bremen damals: So sah die Hansestadt um 1900 aus. In seinem ersten Chronikband stellt Hubert Wania Daten von 1876 bis 1905 zusammen, im zweiten von 1906 bis 1920.
Bildvorlage: Wikimedia Commons

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