Am 26. Juli feiert das nordische Land den Dichter Carl Bellman – sein Urgroßvater kam aus der Nähe Bremens

Rilke forderte ihn in einer Ode auf: „Her mit dem Leben, Bellman!“ Zuckmayer schrieb ein Stück über ihn. Brecht ahmte ihn nach. Manfred Krug, Hannes Wader und andere sangen seine Lieder. Peter Rühmkorf wünschte sich „im Himmel einen Platz / bei Bellman, Benn und Ringelnatz“. Trotzdem ist Carl Michael Bellman (1740-1795), Schwedens populärster Volksdichter, in Deutschland nach wie vor nicht sehr bekannt.

Dass die Bellmans ursprünglich „aus dem Bremischen“ stammten, war seit langem belegt. Inzwischen weiß man auch: Der Urgroßvater des Dichters kam aus Schwanewede. Martin Bellmer, der sich – vielleicht weil es schwedischer klang? – in Schweden dann Bellman nannte, lernte sein Schneiderhandwerk vermutlich in Bremen. Als Geselle ging er auf die Wanderschaft und ließ sich um 1660 in Stockholm nieder. Seine Nationalität veränderte sich dadurch nicht. Schwedischer Staatsbürger war er in Schwanewede schon gewesen.

Schwanewede lag nämlich seit 1648 in einem schwedischen Herzogtum. Den Schweden war für ihre tätige Teilnahme am Dreißigjährigen Krieg beim Friedensschluss unter anderem das ehemalige Erzbistum Bremen zugefallen. Die Stadt Bremen selbst konnte ihre Eigenständigkeit nur mühsam retten. Der Bremer Dom samt diversen anderen innerstädtischen Liegenschaften aber stand Schweden – als früherer erzbischöflicher Besitz – allerdings von Rechts wegen zu.

Bis heute ein Anlaufpunkt: die Statue von Carl Bellman in Stockholm.
Foto: Alfred Nyström Uta Helmbold-Rollik, Bellman statue Hasselbacken 1, CC BY-SA 3.0

Der eine oder andere Bellmer

Sagt ihm der Name Carl Michael Bellman oder auch Bellmer etwas? Schwanewedes langjährigem Bürgermeister Harald Stehnken fällt auf diese Frage hin zwar der ein oder andere Bellmer ein, doch er lässt sich dann gern belehren: Martin Bellmer alias Bellman, der 1685 als Vorsteher der Stockholmer Schneider-Zunft starb, stammte aus dem Hause am „Damm 15“ schräg gegenüber von der Schwaneweder St. Johannes-Kirche. Seit Mitte des 17. Jahrhunderts sind die Bellmers dort nachweisbar. Claas Marquart, der jetzige Besitzer, ist auch Mitglied der Deutschen Bellman-Gesellschaft. Seine Großmutter Anneliese Marquart war eine geborene Bellmer.

Die Deutsche Bellman-Gesellschaft besteht seit 1999. Fast schon seit der Gründung ist Klaus-Rüdiger Utschick aus München der  Vorsitzende. Wer gern mehr über Schwedens Lieblingsdichter wissen möchte, ist bei dem inzwischen 76-jährigen Bellman-Spezialisten, Bellman-Übersetzer und Bellman-Verleger an der richtigen Adresse. Wie feiern die Stockholmer im Zeichen von Corona denn jetzt am 26. Juli ihr traditionelles Bellman-Fest? Statt einer Massenveranstaltung gibt es Einzelauftritte an verschiedenen Orten, sagt Utschick. Seit der Enthüllung einer Bronzebüste von Bellman am 26. Juli 1829 im Stockholmer Djurgården wurde „Bellmansdagen“ zur Tradition. Alljährlich schlägt dann die große Stunde der Bellman-Sänger oder „trubadurer“.

Die Zahl der Bücher über Bellman und von Büchern mit seinen Werken dürfte inzwischen bei vielen Millionen liegen. Aber wie stolz mag Bellman selbst wohl gewesen sein, als er 1790 zunächst seine „Episteln“ und 1791 dann auch seine „Gesänge“ endlich gedruckt in den Händen hielt? Schien es doch bis dahin, als sei das, was er spontan erdachte und dann gern zu bekannten Melodien vortrug, nur für den Augenblick gemacht. „Fredmans epistlar“ enthält 82, „Fredmans sånger“ 65 solcher Texte.

Mit „Fredmans Episteln“ wendet sich der nach Schönheit und Branntwein dürstende, verlotterte Uhrmacher Fredman an seine Saufkumpane. „Fredmans Gesänge“ sind ein Sammelsurium von Trinkliedern, Satiren, Bibeltravestien oder auch Couplets mit den Riten des „Bacchusordens“, dem nur angehören konnte, wer zweimal betrunken in der Gosse liegend gesehen worden war.

Nicht nur von „Vila vid denna källa“ (Fredmans Sång Nr. 32) existieren längst auch unzählige deutsche Versionen, wie etwa: „Weile an dieser Quelle, /sieh, unser Frühstück ist zur Stelle. / Rotwein und Pimpinelle / und Bekassinchen zart und fein… “ Besonders beliebt ist auch das eher düstere „Drick ur ditt glas“ (Fredmans Epistlar Nr. 30): „Trink dies Glas aus, / sieh nur, der Tod, / er wartet auf dich / und schleift schon sein Schwert…“ Der Versuch, den Lieblingsdichter der Schweden anderen Völkern in deren Sprache näherzubringen, gilt unter Experten als absolute Herausforderung. „Bellmans Gedichte sind unübersetzbar“, heißt es lakonisch schon in einer sehr alten Ausgabe von Meyers Konversationslexikon.

König Gustaf III. von Schweden (1746-1792) war ein großer Förderer der Künste. Nachdem Bellman ihm 1772 mit seinem Lied „Gustafs skål“ gehuldigt hatte, wurde er dessen Gönner. Gustafs Wohlwollen ermöglichte dem permanent schwer verschuldeten 37-jährigem Dichter, Sänger und Musikanten endlich die Heirat mit seiner geliebten Lovisa. Den gemeinsamen Kindern war Bellman ein liebevoller Vater, Lovisa soll er allerdings kein treuer Gatte gewesen sein. Er war ein Genie, aber auch ein schwerer Alkoholiker und in Gelddingen zeitlebens wie ein unvernünftiges Kind.

Das Geburtshaus von Carl Michael Bellman.
Quelle: Nordisk familjebok

Gustaf III. besorgte Bellman eine Stelle als Lotterieeinnehmer, die dieser praktisch nicht anzutreten brauchte, er wurde dafür aber bezahlt. Der Tod des Königs 1792 stürzte den Dichter endgültig ins finanzielle Chaos. Es war die Zeit der Französischen Revolution. Während in Paris so viele Adelige das Schafott bestiegen, erstach in Stockholm ein Adeliger den König, weil der die Macht des Adels einzuschränken versuchte. Bellman, inzwischen schwer lungenkrank, starb drei Jahre später kurz nach der Entlassung aus dem Schuldgefängnis. Das Gefängnis befand sich im Stockholmer Schloss, wo er mit seinen Gesängen so oft aufgetreten war. Auch das gehobene Bürgertum hatte ihn häufig eingeladen, obgleich es sonst doch die gesellschaftlichen Niederungen mied, in denen er die meisten seiner Themen fand.

Nachdrücklich stellt Klaus-Rüdiger Utschick aber klar: Bellman sei in seinen Werken zwar auch „ein bisschen frivol“ gewesen, aber nie unanständig. Wo es gefährlich hätte werden können, wurde er poetisch. Da ergoss sich dann beispielsweise beim Beischlaf ein „prasselnder Regen“ aus dem „Fagott“. Und  wenn Movitz (Bellmans Alter Ego) ins Ehebett von Ulla Winblad schlüpfte, bat er deren Ehemann höflich, doch ein wenig beiseite zu rücken. Ulla war eine Prostituierte, aber gleichzeitig eine Göttin. Wie für die meisten Bellmanschen Gestalten gab es auch für sie ein konkretes Vorbild.

Schon zu Lebzeiten berühmt

Carl Michael Bellman wurde am 4. Februar 1740 im Großen Daurerschen Hause in der Hornsgatan 29 A geboren. Er war schon zu Lebzeiten so berühmt, dass die Zeitung „Hvab Nytt?? Hvab Nytt??“ in einer Kolumne regelmäßig über ihn berichtete.  Von seinem Schwaneweder Urgroßvater hingegen ist nicht einmal das genaue Geburtsjahr bekannt. Martin Bellmer alias Bellman wird urkundlich erst greifbar,  als ihm am 20. Januar 1663 das Stockholmer Bürgerrecht verliehen wird. Drei Wochen später heiratete er in der Stockholmer „Deutschen Kirche“ die Schneiderstochter Barbara Klein.

Die Vorfahren der Braut stammten aus dem hessischen Simmersbach. Der Bräutigam kam laut Kirchenbuch aus „Schwanerow“. Dass damit Schwanewede gemeint war, glaubten skeptische Historiker erst auf Grund von Schatzregistern im Niedersächsischen Landesarchiv zu Stade. Demnach wurde der Hof bei der Schwaneweder Kirche um die  Mitte des 17. Jahrhunderts von Arendt und Johan Bellmer bewirtschaftet. Beide Vornamen tauchten bei Carl Michael Bellmans Großvater und Vater wieder auf. Professor Johan Arndt Bellman der Ältere brachte es bis zum Rektor der Universität Uppsala. Johan Arndt Bellman der Jüngere, Kanzlist im Stockholmer Schloss, erlebte noch mit, wie sich sein Sohn Carl Michael zum schwarzen Schaf der ehrenwerten Familie zu entwickeln begann. Dabei hatte der begabte Junge doch schon als 17-Jähriger evangelische Kirchenlieder aus dem Deutschen ins Schwedische übersetzt; sie wurden sogar veröffentlicht.

Die Nobelpreisträgerin Selma Lagerlöf schrieb in ihren Jugenderinnerungen, dass  sich in ihrem Elternhaus schon die Kinder für Bellman-Lieder begeisterten. Ihr Roman „Gösta Berling“ ist eines der weltweit bekanntesten schwedischen Bücher. Anregen ließ sie sich dazu durch „Fredmans Episteln“. Carl Zuckmayer wich als Gegner der Nationalsozialisten 1933 zunächst nach Österreich aus und floh dann 1938 weiter in die Schweiz. Sein Stück über Bellman und Ulla Winblad, das in Wien schon geprobt worden war, wurde in Zürich uraufgeführt. Zuckmayer wirkte schon als Student in Heidelberg begeistert bei Bellman-Abenden mit. Ein amerikanischer Bellman-Fan, der ihn von daher nur flüchtig kannte, ermöglichte ihm 1939 die Flucht in die USA.

Kein Mann der leisen Töne: Porträt des Ausnahmekünstlers Carl Bellman von 1779.
Quelle: Per Krafft

Jung, aber mit viel Geschichte

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