Ein Blick in die Geschichte (175): Der Studentenführer im Oktober 1979 als grüner Wahlkampfhelfer in der Stadthalle
Sein Auftritt als grüner Wahlkampfhelfer drei Tage vor der Bürgerschaftswahl von 1979 sorgte für reichlich Besuch in der Stadthalle: Wie in seinen besten Tagen mobilisierte und polarisierte der frühere Studentenführer Rudi Dutschke zugleich. Vehement sprach er sich gegen Atomkraft und für Sonnenenergie aus – damals noch eine belächelte Vision, heute Realität. Den einstigen Kopf der Außerparlamentarischen Opposition (Apo) nach Bremen geholt zu haben, war ein geschickter Schachzug in der heißen Phase des Wahlkampfs. Das bescherte der Bremer Grünen Liste (BGL) erhöhte Aufmerksamkeit und womöglich auch wichtige Stimmen – am 7. Oktober 1979 zogen die Umweltaktivisten mit 5,1 Prozent als erste grüne Partei in ein deutsches Landesparlament ein.
Und doch war Dutschke nur die zweite Wahl. Das hat jetzt ein einstiger Wegbegleiter verraten: Olaf Dinné, damals einer der Köpfe der BGL. „Zunächst hatten wir Brigitte Bardot im Blick“, sagt der 82-Jährige. Der berühmte Schmollmund, die gern auch als „Busenwunder“ titulierte Schöne als Favorit vor dem Politprofi? Die Ex-Schauspielerin als das bessere Zugpferd? Das klingt absurd und abwegig, war es aber gar nicht. „Den Kontakt hatten wir über Delphine Brox hergestellt“, berichtet Dinné. Als gebürtige Französin hatte die spätere Bürgerschaftsabgeordnete einen Draht zur Filmdiva, in der Sache empfahl sich Brigitte Bardot durch ihr Engagement für den Tierschutz.
Erst als Bardot den Grünen einen Korb gab, kam Dutschke ins Spiel. Dinné kannte ihn von früher, als Betreiber der Lila Eule hatte er im November 1967 den legendären Auftritt des Studentenführers in der Kellerdisko organisiert. Die alte Verbindung machte sich nun bezahlt. Zumal es beim Gastspiel in der Stadthalle nicht bleiben sollte, die Bremer Grünen hatten große Pläne mit Dutschke, sie wollten ihm mehr als nur eine politische Heimat bieten. „Dutschke war sehr zugänglich für einen Umzug nach Bremen“, sagt Dinné, „er wollte weg aus Dänemark.“
Als Lehrbeauftragter an der Uni im Gespräch
In Aarhus hatte Dutschke einen nicht sonderlich üppig bezahlten Lehrauftrag an der Universität. Warum dem bekennenden Sozialisten nicht einen Lehrauftrag an der Bremer Uni verschaffen, in jenen Tagen noch berühmt und berüchtigt als „rote Kaderschmiede“? Dahinter steckte auch ein geradezu fürsorgliches Verantwortungsgefühl. Dinné: „Er sollte sich ernähren können.“ Doch der damalige Finanzsenator Henning Scherf (SPD) habe nichts davon wissen wollen.
Beeindrucken ließen sich die Dutschke-Freunde von Scherfs kategorischem Nein nicht. „Wir hätten auch was anderes für ihn gefunden“, sagt Dinné. Zum Beispiel den Posten des parlamentarischen Geschäftsführers der neuen vierköpfigen BGL-Fraktion. In der Presse wurde darüber schon fleißig spekuliert, sogar seine künftige Besoldungsstufe berechnet. Bei der konstituierenden Sitzung der Bürgerschaft weilte Dutschke bereits unter den Zuschauern. Sicher vorgemerkt war der einstige Revolutionär als Bremer Delegierter für den Gründungsparteitag der Grünen am 13. Januar 1980 in Karlsruhe.
Seinen Wohnsitz hatte Dutschke schon nach Bremen verlegt. Drei Monate hat er laut Dinné bei Delphine Brox in der Zwickauer Straße in Findorff gewohnt, eine eigene Wohnung sei bereits angemietet gewesen. An sich war also alles bereit für seine Ankunft, als Dutschke am 24. Dezember 1979 völlig überraschend in Aarhus der Tod ereilte. Im Alter von nur 39 Jahren ertrank Dutschke in der Badewanne. Ursache war ein epileptischer Anfall als Folge der schweren Kopfverletzungen, die er beim Attentat im April 1968 erlitten hatte.
Fast hätte Dutschke in Bremen seine letzte Ruhe gefunden. Das boten die Bremer Grünen seiner schwangeren Frau Gretchen an und versprachen auch, sich um sie und die beiden Kinder zu kümmern. Doch daraus wurde nichts, der einstige Achtundsechziger wurde in Berlin bestattet – in der Grabstelle, die eigentlich für Martin Niemöller reserviert war. Aber der Theologe und Friedensaktivist verzichtete zugunsten Dutschkes – ein letzter Freundesdienst.
von Frank Hethey