Vor 50 Jahren
Bei strahlendem Sonnenschein konnte am Ostersonnabend der Senator für Inneres, Helmut Fröhlich, die Osterwiese eröffnen. Es ist die 52. Osterwiese, und es ist erstaunlich, daß sie eine so große Anziehungskraft hat. Sie ist zwar noch nicht mit dem Freimarkt zu vergleichen, doch immerhin beachtlich. (WESER-KURIER, 4. April 1972)
Hintergrund
Nach offizieller Lesart gibt es die Osterwiese erst seit 1928. Damals habe man noch vom „Oster-Volksfest“ gesprochen, die heutige Bezeichnung sei 1933 eingeführt worden. Ganz offenbar stützen sich diese Angaben auf ein etabliertes Nachschlagewerk, die Bremer Chronik von Fritz Peters. Doch wie erklärt sich dann, dass 1972 schon die 52. Osterwiese stattgefunden haben soll? Setzt man voraus, dass die Osterwiese während der beiden Weltkriege ausfiel, müssten die Anfänge bis ins wilhelminische Kaiserreich zurückreichen.
Es ist kein Geheimnis, dass die Zählung von Volksfesten mit Schwierigkeiten behaftet ist. Tendenziell gilt: Je älter die Volksfeste, desto anfechtbarer die Nummerierung. Das hat sich zuletzt auch beim Freimarkt erwiesen, der längst nicht so oft veranstaltet wurde wie offiziell angegeben (mehr dazu hier). Die Zählweise von Volksfesten beruht häufig auf einem mehr oder weniger willkürlich festgesetzten Datum in ferner Vergangenheit und darf deshalb nicht für bare Münze genommen werden.
Tatsächlich lässt sich auch für die Osterwiese ein deutlich früheres Debütdatum finden. Die „Bremer Zeitung“ berichtete im April 1936, der eingeschlafene Brauch des Frühlingsmarkts sei 1911 wiederbelebt worden. Der Verein norddeutscher Marktreisender „Union“ habe auf dem Schützenhof an der Pappelstraße diesen „Freimarkt im Kleinen“ geschaffen – als Wohltätigkeitsfest zum Besten seiner Unterstützungskasse.
Weil der Schützenhofgarten einer Straßenerweiterung zum Opfer fiel, fanden die „Frühlingsvolksfeste“ von 1913 und 1914 bei Stegmann in Woltmershausen statt, zuletzt ließen sich täglich bis zu 4000 Besucher blicken. Der Erste Weltkrieg machte dem Vergnügen ein Ende, von 1919 bis 1923 diente der Hohentorsplatz in der Neustadt als Austragungsstätte. Laut „Bremer Zeitung“ war 1924 der Grünenkamp an der Reihe, nach einem Aussetzer im Folgejahr stieg das Volksfest 1926 und 1927 auf einem Privatgrundstück an der Munte. Erst damals sei die offizielle Bezeichnung „Osterfestwiese“ aufgekommen. Demnach ist der heutige, leicht verkürzte Terminus „Osterwiese“ älter als angenommen und nicht erst seit 1933 in Umlauf.
In den folgenden Jahren wechselten die Standorte: Einmalig blieb 1928 der Sportplatz am Halmerweg in Gröpelingen, der schon zu Beginn der 1920er-Jahre mehrfach in Anspruch genommene Hohentorsplatz war auch 1929, 1932 bis 1934 und wieder 1938 der Veranstaltungsort. Zwischendurch kam 1931 abermals der Grünenkamp zum Zuge. Auf den Sportplatz Neukirchstraße und damit nach Findorff wechselte die Osterwiese erstmals 1930. Nachdem der Freimarkt 1934 auf die Bürgerweide umgezogen war (mehr dazu hier), zog die Osterwiese 1935 nach. Mit einer Ausnahme blieb es dabei, seit 1946 findet die Osterwiese immer auf der Bürgerweide statt.
So ganz falsch ist die Zahlenangabe von 1972 also nicht. Berücksichtigt man die zehn kriegsbedingt ausgefallenen Veranstaltungen von 1914 bis 1918 und 1941 bis 1945, liegt die Nummerierung nur um ein Jahr daneben. Viel einfacher ist es freilich, die Zählerei bleiben zu lassen. Da könnte die Osterwiese, die im Gegensatz zum Freimarkt längst ohne Nummerierung auskommt, ein Trendsetter sein.