70 Jahre CDU in Bremen (2): Opposition und Modernisierung (1960 bis 1979)

Auf nach Bonn: CDU-Wahlplakat mit Ernst Müller-Hermann und Konrad Adenauer.
Quelle: Konrad-Adenauer-Stiftung

Im Dezember 1959 tritt Landesvorsitzender Jules Eberhard Noltenius mit einer befreienden Botschaft vor den CDU-Parteiausschuss: „Ich bin heute in der angenehmen Lage, Sie nicht um die Zustimmung zu einer Koalitionsvereinbarung bitten zu müssen.“

Was war geschehen?

Das politische Gefüge in Bremen hat sich gewandelt, die Wahlen zur Bürgerschaft brachten der SPD wie schon 1955 eine absolute Mehrheit. Die CDU verliert zwei Sitze und ist nur noch mit 16 Abgeordneten im Bremer Parlament präsent. Dennoch lädt Bürgermeister Wilhelm Kaisen zu Beratungen über eine Fortsetzung der Großen Koalition ein.

Schnell wird jedoch klar, dass die Verwirklichung christdemokratischer Inhalte mit nur noch zwei in Aussicht gestellten Senatorenposten und einer absoluten SPD-Dominanz in Bürgerschaft und Deputationen illusorisch wäre. Auch innerparteilich wäre eine erneute Regierung mit der SPD nicht durchzusetzen. Die Sorge, in Bremen nur noch als bloßes „Anhängsel“ der Sozialdemokraten wahrgenommen zu werden, treibt viele CDU-Mitglieder um. Schließlich raten auch Bonner Parteifreunde der CDU von einer Fortführung der Regierungskoalition ab.

Für die CDU, so der Stimmungskonsens, stehen die Zeichen auf Opposition!

 

„Harte“ oder „kluge“ Opposition – Vom Zurechtfinden im politischen Alltag

Das Einfinden in die Oppositionsrolle fällt der CDU anfangs nicht leicht. Im Kern geht es um die Frage, welches Verständnis parlamentarischer Oppositionsarbeit im politischen Alltag wirksam werden soll.

Die „alte Garde“ um die ehemaligen Senatoren Noltenius und Karl Krammig (er amtierte im „Senat Kaisen V“ kurzzeitig als Senator für das Wohlfahrts- und Gesundheitswesen) wollen sich einer überparteilichen Zusammenarbeit mit der Regierung nicht verweigern. Landesvorsitzender Noltenius fasst diese Haltung in die griffige Formel: „kluge Opposition ist besser“.

Dagegen finden sich in der Partei und insbesondere in den Reihen der Jungen Union (JU) auch Verfechter einer grundsatztorientierteren „harten Opposition“. Die Fehler der Regierung müssten stärker als bisher kritisiert und die eigene Regierungsfähigkeit durch geeignete Alternativvorschläge bewiesen werden. In der programmatischen Ausrichtung fehle ein klares Bekenntnis zum großen „C“, den christlich-sozialen Wurzeln der CDU. Die JU fordert darüber hinaus eine Verjüngung der CDU und deren Wandlung zu einer bürgernahen, alle gesellschaftlichen Bereiche durchdringenden Mitgliederpartei.

Tanzveranstaltung der Jungen Union (JU) anlässlich der 1000 Jahr Feier Bremens. Ab Mitte der 60er Jahre fordert die JU eine stärkere Beteiligung in der tagespolitischen und programmatischen Arbeit der CDU ein.
Quelle: KAS/ACDP, Plakatsammlung

 

Erneuerung

Einen eindeutigen Nachholbedarf hat die CDU in den Bereichen Wahlkampfstrategien und Bürgermobilisierung. Die Anzahl der Mitglieder liegt 1960 nur noch bei knapp unter 1000 und bewegt sich damit in einer Größenordnung wie Ende der Vierziger Jahre!

Selbstkritisch äußert Noltenius die Einschätzung, sich angesichts des finanziellen und professionellen Vorsprungs der SPD im Wahlkampf gefühlt zu haben wie eine „Postkutsche hinter [einem] Flugzeug“. Als Glücksfall erweist sich die Wahl des erst 29-jährigen Juristen Johann-Tönjes Cassens, zum neuen Landesgeschäftsführer (1962). Cassens zeichnet für neue Strategien in der Mitglieder- und Wählerwerbung verantwortlich und trägt so wesentlich zu den Erfolgen bei der Bürgerschaftswahl 1963 (annähernde Verdopplung der Mandate auf 31) und der Wahl zum Bundestag 1965 (33,97 Prozent!) bei.

 

Bürgernahe Parteiarbeit

Trotz dieser Wahlerfolge ist es der CDU bislang nicht gelungen, nennenswerte Stimmengewinne außerhalb der bürgerlichen Wählerklientel zu erzielen. Landesgeschäftsführer Cassens und seine Mitstreiter nehmen den Anspruch der CDU, Volkspartei aller sozialer Schichten zu sein, ernst und möchten dies ändern.

Ausgesprochene „SPD-Hochburgen“ wie der Bremer Westen müssten, so Cassens, durch eine außerparlamentarische „Basisarbeit“ organisatorisch und personell „erfasst“ werden. Am deutlichsten äußert sich dieses neue Politikverständnis während des Bürgerschaftswahlkampfs 1967: Cassens verpflichtet die Kandidaten zu einem Soll von 3.000 Hausbesuchen, gerade auch in Stadtteilen, in denen die CDU bis dato kaum präsent war! Marianne Hänecke, seit 1963 Abgeordnete in der Bremer Bürgerschaft erinnert sich:

CDU-Plakat auf dem Bahnhofsplatz zur Bürgerschaftswahl 1963.
Quelle: Staatsarchiv Bremen

„Einige schlossen die Tür wieder, als sie ‚CDU‘ hörten. Aber die Hausbesuche sind teilweise auch ganz gut angekommen. Ich habe bei einigen Bewohnern, die ich kannte, nachgefragt, und sie sagten mir, um sie hätte sich noch nie eine Partei gekümmert, ich sei die erste gewesen.“

Die Aktivierung der Parteiarbeit und der Mitgliederwerbung (1964 bereits wieder 1.309 Mitglieder) konvergieren nun erstmals mit den Forderungen der JU nach einem modernen Politikstil. Damit geht innerhalb des parlamentarischen Tagesgeschäfts eine stärkere Ausrichtung auf den Kurs der „harten Opposition“ einher. Auch die Parteispitze um Jules Eberhard Noltenius kann sich dem Druck der Basis nicht verschließen. Griffig meldet der „Weser-Kurier“ nach einem CDU-Parteitag im Mai 1966: „CDU kündigt verschärfte Opposition im Rathaus an“.

 

„Verschärfte Opposition“

An geeigneten „Kritikpunkten“ an der SPD-dominierten Bremer Landespolitik fehlt es in den 60er Jahren nicht: Schon im Wahlkampf 1963 mahnt die CDU die Verschwendung von Steuergeldern für den Bau der „Prestigeobjekte“ Bremer Bürgerschaft und Stadthalle an. Auch fordert sie eine Verschlankung der „wuchernden“ Verwaltung und kritisiert eine einseitige Bevorzugung des sozialen Wohnbaus.

Statt dessen setzt sich die Partei für die Realisierung einer einkommensgerechten, familienfreundlichen Wohnungspolitik ein, die das Privateigentum fördert.

Ab Mitte der 60er Jahre erhält der „Dauerbrenner“ Bildungspolitik durch die Gründung der Universität Bremen weiter Zunder. Anstelle einer klassischen Ordinarienuniversität leiten die SPD-Bildungssenatoren Willy Dehnkamp und Moritz Thape die Gründung einer Reformuniversität ein, die dem bildungspolitischen Geist der 68er-Bewegung verpflichtet ist.

Im Wahlkampf zur Bürgerschaft 1967 thematisiert die CDU schließlich die Ämterhäufung und enge Verflechtung zwischen Politik und Wirtschaft, für die in Bremen der SPD-Abgeordnete Richard Boljahn wie kein zweiter steht. Boljahn, seit 1951 mächtiger Fraktionsvorsitzender der SPD, muss sich aufgrund seiner einflussreichen Fülle aus Ämtern in Politik, Gewerkschaft und Wirtschaft den Spitznamen „König Richard“ gefallen lassen. Als Motto für den Wahlkampf ergänzt die CDU deshalb ihr Motto „Aktion 67“ um den Slogan „16 Jahre Boljahn sind genug!“

Die CDU erzielt bei der Bürgerschaftswahl 1967 weitere Stimmengewinne und ist mit nunmehr 32 Abgeordneten im Parlament vertreten. Zwar konnte die absolute Mehrheit der SPD „gekippt“ werden, diese bleibt jedoch in einer Koalition mit der FDP unter dem neuen Regierungschef Hans Koschnick auch die nächsten vier Jahre Regierungspartei.

 

„Opas CDU ist tot!“

Ein innerparteilicher Generationenwechsel kündigt sich auf dem außerordentlichen Landesparteitag im Oktober 1968 an.

Die Fronten zwischen den „Modernisierern“ (bürgernahe Ausweitung der Parteiarbeit in die Gesellschaft, Rezeption gesellschaftlicher Veränderungen bei gleichzeitiger Fokussierung auf das eigene christlich-demokratische Profil) und Landeschef Noltenius verhärten sich. Bezeichnenderweise eskalieren die Gegensätze anhand eines Generationenthemas: Noltenius wehrt sich hartnäckig gegen eine Herabsetzung des Wahlalters auf 18 Jahre, eine Änderung, die zahlreiche Parteimitglieder, vor allem aber die Junge Union (JU) um ihren Landesvorsitzenden Bernd Neumann nachdrücklich fordert.

Auf dem Landesparteitag stellt die JU daraufhin die Personalfrage. Der Landesvorsitzende soll abgelöst werden. In einer Kampfabstimmung unterliegt Noltenius seinem Gegenkandidaten Ernst Müller-Hermann mit 53 zu 59 Stimmen. Zum neuen Stellvertretenden Landesvorsitzenden wählen die Delegierten Hans-Ludwig Kulenkampff, neuer Vorsitzender des Parteiausschusses wird Johann-Tönjes Cassens.

Den Wechsel an der Parteispitze, der als „Revolution gegen das Establishment“ in die mediale Berichterstattung eingeht, kommentiert der neue Parteivorsitzende Ernst Müller-Hermann mit den deutlichen Worten: „Opas CDU ist tot!“

Auf zu neuen Ufern: CDU-Wahlplakat von 1971. Quelle: Konrad-Adenauer-Stiftung

Auf zu neuen Ufern: CDU-Wahlplakat von 1971.
Quelle: Konrad-Adenauer-Stiftung

Auf dem Weg zur modernen Mitgliederpartei (1968 bis 1979): Grundsatzprogramm statt Wahlprogramm

Ende der 60er Jahre verändert sich der gesellschaftliche Anspruch an die Volksparteien. Gerade in Zeiten intensiver politischer Debatten zwischen „linken“ und „rechten“ Vorstellungen verlangen die Bürger von den Parteien Grundsatzaussagen und Lösungsvorschläge, die nicht mehr nur das politische Tagesgeschäft „bedienen“.

Die Bundes-CDU beschließt bereits 1968 im so genannten „Berliner Programm“ ein Grundsatzdokument von zukunftsweisender Bedeutung.

Die Bremer Parteifreunde ziehen 1971 mit einem eigenen Programm nach. In dem Grundsatzprogramm, das den Stempel der Jungen Union trägt, werden neben tagespolitischer Zusammenhänge auch Probleme mit längerfristiger Tragweite analysiert und konkrete Lösungsvorschläge angeboten. In weiten Bereichen atmet das Bremer Dokument den Geist des „Berliner Programms“: Staatsbürger sollen sich stärker als bisher an der politischen Meinungsbildung beteiligen können und „Parteien müssen sich als Forum der Aussprache verstehen“ wie es im Programm der Bundes-CDU heißt. In der Schulpolitik wird das Recht des Einzelnen auf Bildung nach Begabung und Leistung gefordert und Schulexperimenten unter der Zielrichtung ideologischer „Gleichmacherei“ eine klare Abfuhr erteilt.

Programmatische Grundsatzentscheidungen in Zeiten der Sozialliberalen Koalition im Bund: Wahlnacht zur Bundestagswahl 1972 im Haus der Bürgerschaft, mit Bürgerschaftspräsident Dr. Dieter Klink (SPD, li.) und Johann-Tönnjes Cassens (CDU, Mitte).
Quelle: Staatsarchiv Bremen

Doch enthält das Bremer Programm auch wichtige „Bremen-Spezifika“: Zentral ist das uneingeschränkte Bekenntnis der Partei zum Erhalt der Bremer Selbstständigkeit. Da diese maßgeblich von der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Bundeslands abhängt, fordert die CDU eine Förderung von Industrieansiedlungen und mittelständischen Betrieben.

Erste Anzeichen des Strukturwandels in den Wirtschaftsbereichen Hafen und Logistik (Verlust der „Jobmaschiene“ Hafen durch die Umstellung von Stückgutfracht auf den Container, Fusion der traditionsreichen Reederei Norddeutsche Llyod mit der Hamburger HAPAG 1970) begegnet die Partei mit der Forderung nach Entwicklungsplänen, die eine Erhöhung sicherer Arbeitsplätze gewährleisten sollen.

Zukunftsweisend sind auch die Vorschläge zum Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs und der Einrichtung eines eigenen Referats für den Umweltschutz beim Innensenator.

Schließlich formuliert die Union ihre Vorstellungen zu einer umfassenderen Demokratisierung der Bremer Tagespolitik. So sollen Untersuchungsausschüsse künftig bereits eingesetzt werden, wenn wenigstens ein Viertel der Abgeordneten dafür votieren – bislang ist die Konstituierung eines solchen Ausschusses an ein Mehrheitsvotum der Bürgerschaft gebunden. Auch müsse das Deputationswesen durch eine deutliche Trennung von Parlament und Verwaltung reformiert werden.

Bürgerschaftswahl 1971: Spitzenkandidat Johann-Tönjes Cassens und seine „Mannschaft“ stellen sich vor.
Quelle: KAS/ACDP, Plakatsammlung

„Cassens und seine Mannschaft“

Im Wahlkampf zur Bürgerschaft 1971 zeigt sich die Bremer CDU-Kandidaten so bürgernah wie noch nie. Spitzenkandidat Johann-Tönjes Cassens und seine „Mannschaft“ werden in Bild und Text unter Angabe ihres biografischen Werdegangs, ihrer Interessen und der jeweiligen fachlichen Expertisen präsentiert – der Bürger soll sich ein umfassendes Bild der Kandidaten machen können!

Bei der Wahl kann die CDU ihr Ergebnis weiter verbessern: Mit 31,56 Prozent der Stimmen gelingt ihr erstmals der Sprung über die 30 Prozent-Marke.

Der personelle Verjüngungsprozess setzt sich weiter fort. Während die Junge Union (JU) in den 60er Jahren keinen einzigen Abgeordneten in der Bürgerschaft stellte, gehören jetzt fünf Vertreter der Jugendorganisation dem Bremer Parlament an. Landesvorsitzender Bernd Neumann wird auf Anhieb stellvertretender Fraktionsvorsitzender und übernimmt ab Oktober 1973 sogar den Vorsitz der Fraktion.

 

Unternehmergeist und Mitgliederzuwachs

Als zweite Kraft neben der JU macht sich seit Anfang der 70er Jahre eine Gruppe von Bremer Unternehmern für die Belange der CDU stark und gewinnt innerparteilich an Einfluss. Dem erst 37-jährigen Jungunternehmer Uwe Hollweg, seit 1971 selbst Parteimitglied, gelingt es in den Kreisen der traditionell liberal eingestellten Bremer Kaufmannschaft erfolgreich für die Bremer CDU zu werben.

Auch neue Strategien der Mitgliederwerbung (u.a. „Mitgliedschaft auf Probe“) tragen zu einer wahren „Beitrittswelle“ bei: Die Anzahl der Parteimitglieder wird im Laufe von nur sechs Jahren mehr als verdoppelt: Von 1.398 (1970) auf 3.544 Mitglieder im Jahre 1976.

„Humane Gesellschaft“ und „Basisarbeit im vorparlamentarischen Raum“

Nachdem die Partei bei der Bundestagswahl 1972 die 30 Prozent-Marke knapp verfehlt hat, nutzt die Bremer CDU die ungewöhnlich lange Phase bis zu den Bürgerschaftswahlen 1975, um den Prozess der programmatischen Erneuerung konsequent fortzusetzen.

Schon ab November 1972 erarbeitet ein Aktionsausschuss „Bürgernahe CDU“ ein Organisationskonzept zu Grundsätzen einer christlich-demokratischen Politik in der Großstadt Bremen. Wieder ist es die Junge Union, die in der Programmarbeit eine Fülle zukunftsweisende Vorschläge einbringt und durch gesellschaftspolitische Innovationen in der Parteiarbeit von sich Reden macht.

Viele ihrer Anträge werden auf dem außerordentlichen Parteitag im August 1973 angenommen. Als „Sprachrohr der Bürger“ soll sich die Partei intensiv in den vorparlamentarischen Raum einbringen, Bürgerinitiativen begleiten oder im Zweifel sogar selbst gründen.

Das Konzept einer „humanen Gesellschaft“ gilt hierbei als Grundsatzentwurf und Antipode zum sogenannten „demokratischen Sozialismus“: „Das Konzept der freiheitlichen und ‚humanen Gesellschaft‘ orientiert sich an der Selbstverantwortung der Person, der Leistungsbereitschaft, der Solidarität, der individuellen Freiheit, der Chancengleichheit und der sozialen Gerechtigkeit.“ (Aus der Beschlussfassung über den Antrag der Jungen Union zum außerordentlichen Parteitag 1973).

 

Vorläufiger Abschluss des Generationenwechsels

„Offen für jedes Gespräch. Quer durch alle Schichten“ – Plakatanschlag der JU im Herdentorsteinweg im November 1973.
Quelle: Staatsarchiv Bremen

Auf dem Landesparteitag im Mai 1974 bringt die CDU den bereits Ende der 60er Jahre eingeleiteten Verjüngungsprozess zu einem vorläufigen Abschluss. Uwe Hollweg, zu diesem Zeitpunkt gerade erst drei Jahre Parteimitglied, wird nach intensiven Debatten für Ernst Müller-Hermann zum neuen Landesvorsitzenden gewählt.

Für die kommenden Jahre etabliert sich eine effektive Arbeitsteilung zwischen der „Hollweg-Gruppe“ (Partei) und den jungen, aus der Jungen Union hervorgegangenen politischen Akteuren um Bernd Neumann, Richard Metz und Wedige von der Schulenburg (Fraktion): Während sich die Fraktion zu landespolitischen Themen äußert, nimmt der Landesvorstand zu überregionalen und innerparteilichen Angelegenheiten Stellung.

 

„Eine Fraktion in Aktion“

Unter dem Motto „Eine Fraktion in Aktion“ löst die CDU auch im Wahlkampf 1975 den Anspruch ein, als bürgernaher Ansprechpartner in allen gesellschaftlichen Bereichen zu fungieren: Die CDU-Abgeordneten besuchen Stadtteile, öffentliche Einrichtungen, Vereine und Verbände, um sich vor Ort über die Belange der Bürger zu informieren.

Ab Frühjahr 75 erarbeitet eine vom Landesvorstand eingesetzte Programmkommission unter einen Programmentwurf für ein Aktionsprogramm zur Bürgerschaftswahl aus. Das Programm analysiert alte Missstände mit neuer Schärfe darunter die „Machtverfilzung und Parteibuchwirtschaft“ der mittlerweile bald drei Jahrzehnte in Bremen regierenden SPD. Auch die der freien Lehre abträglichen „Experimente“ in der Bildungspolitik werden kritisiert. Kern der Kritik ist hierbei einmal die Bremer Universität.

Bürgerschaftswahl am 28. September 1975, Wahlkampfstand der CDU im Ansgarikirchhof. Quelle: Staatsarchiv Bremen

 

Wahlen und neues Selbstbewusstsein

Bei der Wahl zur Bremer Bürgerschaft 1975 setzt die CDU vornehmlich auf landespolitische Themen und erzielt mit 33, 8 Prozent der Stimmen (35 Sitze) das bisher beste Ergebnis seit ihrer Gründung.

Trotz eines Zugewinns von 2,2 Prozent sieht die Partei weiterhin „Luft nach oben“. Zwar kann die CDU auch in klassischen „Arbeitervierteln“ mehr Stimmen auf sich vereinen, umfassende Analysen der Konrad-Adenauer-Stiftung bestätigen jedoch die Einschätzung, die Johann-Tönjes Cassens bereits nach der Wahl 1971 traf: Die Zugewinne unter der Arbeiterschaft sind organisatorisch immer noch zu wenig untermauert.

Trotzdem etabliert sich die CDU in den 70er Jahren mit Ergebnissen deutlich jenseits der 30 Prozent-Marke zur entscheidenden Oppositionspartei im politischen Spektrum Bremens.

Bürgerschaftswahl am 28. September 1975, Pressekonferenz im Haus der Bürgerschaft, Bernd Neumann am Mikrofon. Quelle: Staatsarchiv Bremen

Bürgerschaftswahl am 28. September 1975, Pressekonferenz im Haus der Bürgerschaft, Bernd Neumann am Mikrofon. Quelle: Staatsarchiv Bremen

„Konsequente Opposition“

Bedeutende Themenfelder oppositioneller Kritik der CDU in der Bremischen Bürgerschaft sind in der zweiten Hälfte der 70er Jahre die Schul- und die Finanzpolitik des Senats.

Unter dem Motto „Bildung in Freiheit. Bessere Schulen für unsere Kinder“ spricht sich die Partei für ein differenziertes Schulsystem aus. Den Plänen des Senats zur Einführung der integrierten Gesamtschule als Regelschule in Bremen erteilt sie eine klare Absage. Auch der Besuch von Orientierungsschulen soll nicht generell, sondern schulartabhängig erfolgen.

In der Finanz- und Wirtschaftspolitik tritt die CDU mit Plänen zu einer rigiden Sparpolitik in der als „aufgebläht“ erachteten Verwaltung hervor. Um den Wirtschaftsstandort Bremen im Strukturwandel zu erhalten, müssten Investitionsklima und Wirtschaftsstruktur ebenso gestärkt werden wie der Mittelstand (Mittelstandskreditprogramm).

 

„Freundeskreis Franz Josef Strauß“ und Rücktritt Uwe Hollwegs

Noch vor der Bürgerschaftswahl 1979 erlebt die Bremer CDU einen Paukenschlag: Uwe Hollweg stellt sein Amt als Landesvorsitzender Anfang Juli zur Verfügung. Anlass ist die Nominierung des Bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß (CSU) zum Kanzlerkandidaten der Union bei den Bundestagswahlen 1980. Hollweg hatte sich wie die gesamte Bremer CDU-Führung und die meisten norddeutschen Landesverbände für den Niedersächsischen Ministerpräsident Ernst Albrecht ausgesprochen. Einen Kanzlerkandidaten Strauß kann Hollweg als Landesvorsitzender nicht mittragen, seine Begründung: Er mache sich sonst „unglaubwürdig“.

Pressekonferenz der Bremer CDU-Führung zum „Freundeskreis Franz Josef Strauß e.V.“, 1975. V. re.: Uwe Hollweg, Vincenz Fokken, Reinhard Metz, Bernd Neumann, Wedige von der Schulenburg.
Quelle: Staatsarchiv Bremen, Fotograf: Klaus Sander

Für die Bremer CDU ist der Name Franz Josef Strauß zu diese Zeitpunkt jedoch noch aus anderen Grund zum Symbol für innerparteilichen Zwist geworden. Der bis Mitte der 70er Jahre zum Abschluss gebrachte Generationswechsel und die thematische Schwerpunktverlagerung in der Programmarbeit hat unter manch altgedientem CDU-Mitglied Verärgerung ausgelöst.

So verliert der langjährige Bundestagsabgeordnete Karl Krammig seinen „sicheren“ Kandidaten-Platz für die Bundestagswahl 1972 in einer Kampfabstimmung an Bernd Neumann. Krammig gilt als Vertrauter von Franz Josef Strauß und ist der zentrale Protagonist des im Sommer 1975 gegründeten „Freundeskreises Franz Josef Strauß e.V.“ Auch andere CDU-Mitglieder sind über ihre Nicht-Berücksichtigung enttäuscht.

Uwe Hollweg erinnert sich an die Veränderungen, etwa in der personellen Zusammensetzung der Kandidatenliste für Bürgerschaftswahl 1975 noch genau: „…da sind natürlich viele, die lange dabei waren, rausgefallen.“ Die Chance, mit der Unterstützung aus München programmatisch weiter „rechts“ agieren und das politische Geschehen wieder stärker beeinflussen zu können, lässt einige Mitglieder des „Freundeskreises“ sogar mit der Gründung einer CSU-Dependance in Bremen liebäugeln. Solche Bemühungen erweisen sich letztlich jedoch als unrealistisch.

Zum neuen Parteivorsitzenden wählt ein Parteitag am 11. Juli 1979 einstimmig Bernd Neumann, der das Amt bis 2008 inne haben wird.

Teil 1: Mächtig Ärger bei der CDU-Parteigründung

Teil 3 folgt in Kürze

Wahlplakat auf einer Straßenbahn anlässlich der Bürgerschaftswahl 1979.
Quelle: Staatsarchiv Bremen

Ausstellung 70 Jahre CDU in Bremen:

Anlässlich des 70. Geburtstages der Bremer CDU am 16. Juni 2016 wagt die Partei einen historischen Rückblick. In einer multimedialen Plakatausstellung wird die wechselhafte Geschichte christdemokratischer Präsenz in der Hansestadt unter unterschiedlichen Schwerpunkten präsentiert. Neben den Plakaten geben Medien- und Lesestationen, Wahlplakate und Exponate sowie das begehbare Arbeitszimmer des langjährigen Ehrenvorsitzenden Bernd Neumann einen plastischen Eindruck über die Entwicklung der christlich-demokratischen Partei in der Hansestadt. Konzipiert und realisiert hat die Ausstellung der promovierte Historiker Andreas Bösche, der für „Bremen History“ Auskunft zu den zentralen Inhalten der Schau gibt.

Einen ersten Zugang zu fast 50 Jahren Parteigeschichte bildet das Wirken fünf repräsentativer Mitglieder. Doch kein Mensch ist eine Insel, deshalb werden die ehemaligen Landes- und Fraktionsvorsitzenden, die Spitzenkandidaten und Gründungsmitglieder als „Bestandteile“ der Partei und in vier unterschiedlichen Kontexten präsentiert. Egal, an welchem der 15 Themenplakate sich der Ausstellungsbesucher im CDU-Haus am Wall 135 befindet, stets kann er sich über die CDU als Teil des politischen Spektrums des Bundeslandes Bremen und über ihre Rolle im politischen und gesellschaftlichen Kontext der Bundesrepublik informieren.

Daneben kommt auch die personelle und programmatische Entwicklung der Partei, also die Innenperspektive, nicht zu kurz. Beim Gang durch die Ausstellung zeigt sich freilich schnell: Die Sphären „innen“ und „außen“ sind im Falle der Bremer CDU nicht zu trennen. Regionales Handeln ist stets im überregionalen Kontext zu sehen und programmatische Innovationen sind meist mit personellen Neuerungen verbunden. 

75 Jahre Kriegsende

Neuanfang nach der Diktatur

Als der Zweite Weltkrieg zu Ende war, lag Bremen größtenteils in Trümmern: Die dritte Ausgabe des ­Magazins WK | Geschichte schildert das allgegenwärtige Elend und die Sorgen der Bevölkerung. Es zeigt aber auch die ersten Schritte Richtung Zukunft auf – die Stadt unter der US-Flagge, die ersten Wahlen und die Verteidigung der Selbstständigkeit des Landes Bremens.

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