Günstig abzugeben: Anzeige des Wirtschaftsamts vom 20. Januar 1943.

Zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus: Die „M-Aktion“ – „Judenmöbel“ in Bremen

Der hier vorgelegte Beitrag ist eine Ergänzung der Arbeiten von Wolfgang Dreßen (1998), der Autorin (2003),[2] Götz Aly (2005)[3] und Johannes Beermann (2014)[4] zur „Verwertung“ von Möbeln und Haushaltsgut jüdischer Wohnungen aus den im Krieg besetzten Gebieten der Beneluxstaaten. Vorgestellt wird eine Recherche im Anzeigenteil der Bremer Nachrichten von Dezember 1942 bis Dezember 1943, die ein Licht auf die „M-Aktion“, den Verkauf von „Judenmöbeln“, und die Versteigerung von Lifts emigrierter Juden wirft.

Die „M-Aktion“

Offiziell sprach man von der „M-Aktion“ und im Bereich Weser-Ems von „Hollandmöbeln“, weil die Lieferungen meistens aus Wohnungen holländischer Juden stammten, aber jeder wusste, dass es sich um „Judenmöbel“ handelte.

Die „M-Aktion“ war Teil der von der Partei versprochenen Entschädigung für Bombengeschädigte. Im März 1942 war unter der Leitung von Alfred Rosenberg, Minister für die Zivilverwaltung der Ostgebiete, die „Dienststelle Westen“ geschaffen worden, die für die Erfassung und Verteilung des beschlagnahmten jüdischen Eigentums zuständig war. Dabei handelte es sich nicht nur um Möbel, sondern auch um andere Haushaltsgegenstände. Im „Gesamtleistungsbericht per 31.7.1944“ dieser Dienststelle[5] fällt die übermäßig hohe Zahl von 5.988 Eisenbahnwaggons für den Gau Weser-Ems auf, davon allein 3.173 Waggons für die Stadt Delmenhorst. Nach Bremen kamen 134 Waggons, Wilhelmshaven erhielt 441, Osnabrück 1233, Oldenburg 884. Die Verteilung im Gau Weser-Ems wurde im offiziellen Schriftverkehr und in Anzeigen als „Gauleiteraktion“ des Gauleiters Paul Wegener bezeichnet.[6]

Das Wirtschaftsamt als ausführende Dienststelle

Heute würde wohl keine amtliche Stelle Anzeigen für „gebrauchtes Haushaltsgut“ schalten, aber als 1943 Bremer Industrieanlagen fast täglich bombardiert und viele Bremer Wohnungen zerstört wurden, schuf die Gauleitung mit Waggons und Kähnen voller geraubter Haushaltsgüter für die „Fliegergeschädigten“ eine Einkaufsmöglichkeit, wie eine Anzeige in den Bremer Nachrichten vom 20. Januar 1943 zeigt.

Bleibende Schäden: Im August 1944 verwandelte ein alliierter Bombenangriff den Bremer Westen in eine Trümmerwüste. Aus der Luft eröffneten sich die Dimensionen der Verwüstung in Walle. Der Blick geht in Richtung Zentrum mit dem Hochbunker Zwinglistraße zwischen Utbremer Straße (links) und Wartburgstraße.
Quelle: Imperial War Museum

Diese Anzeige des Wirtschaftsamtes Bremen ist die erste von 66 folgenden und steht an ins Auge fallender Stelle der „Amtlichen Bekanntmachungen der Hansestadt Bremen“. Hervorgehoben ist der Anlass, benannt werden Ort, Datum und Uhrzeit des Verkaufs gegen Barzahlung, jedoch beschränkt für Bremer mit Bedarfsbescheinigung, Bezugs- oder Zuweisungsschein und Fliegergeschädigte mit Bescheinigung. Das Angebot ist detailliert aufgelistet: Sessel, Teppiche, Läufer, Strohmatten, Portieren, Übergardinen, Tischdecken, Kissen, Oberbetten, Steppdecken, Wolldecken.

Das Wirtschaftsamt wurde wie das Ernährungsamt bei Kriegsbeginn eingerichtet. Seine Zentrale war im Bahnhofshotel und stand unter der Leitung von Reg. Rat Walther Mayer. Die Aufgabe des Wirtschaftsamtes bestand in der Verwaltung der knappen Versorgungsgüter. Es gab zahlreiche Außenstellen, u.a. Abteilungen für Kohlen, Bekleidung, Treibstoffe und die Verwertung des „gebrauchten Haushaltsguts“. 1943 beschäftigte das Wirtschaftsamt 583 Personen.[7] Für den Erwerb benötigten die Käufer u.a. Bedarfsbescheinigung, Bezugsschein, Fliegerschaden-Bescheinigung oder Zuweisungsschein.[8]

Zur Verteilung der „Hollandmöbel“ in der Hansestadt

Maßgeblich beteiligt an der Aktion M: die Spedition Kühne + Nagel, damals ansässig im von Kapffschen Haus direkt an der Weser.
Quelle: Wikicommons

Schon im Dezember 1942 war eine Schiffsladung mit Einrichtungs- und Haushaltsgegenständen niederländischer Juden im Hafen eingetroffen,[9] der erste Verkauf fand jedoch erst am 21. Januar 1943 statt. Es wird eine Zeit gedauert haben, bis die Ladung auf geeignete Verkaufsstellen verteilt und genügend Verkaufspersonal gefunden war.[10] Für den Verkauf wurden Verkaufsstellen eingerichtet, jedoch mit unterschiedlicher Aktivität von einmaliger Verkaufsaktion bis zu täglichen Öffnungszeiten. Vom 20. Januar bis zum 11. August 1943 erschienen 66 Anzeigen in den Amtlichen Bekanntmachungen der Bremer Nachrichten, die belegen, wo das Raubgut verkauft wurde.

Im Stadtinneren

  • in den Lagerräumen, Auf den Häfen 76 (24 Anzeigen)
  • in der Turnhalle, Auf den Häfen 66[11] (4 Anzeigen)
  • im Gemeindesaal im Hinterhaus der Kohlhökerstraße 25 (22 Anzeigen)

Am Stadtrand

  • in der Wandplattenfabrik Bremen-Grohn (11 Anzeigen)
  • in der Gaststätte des Weserstadions (1 Anzeige)
  • in der Stadthalle Bremen-Blumental (1 Anzeige)
  • im Lager Bremen-Hemelingen, Poststraße 14 (1 Anzeige)
  • im „Haus der Arbeit“ Bremen-Aumund (1 Anzeige)

In Bremen-Hemelingen befand sich im Kino Lüers´ Tivoli ein Lager für „gebrauchtes Haushaltsgut“, das ab dem 3. Februar 1943 täglich geöffnet war.

Zum Schleuderpreis: Möbel aus jüdischen Haushalten wechselte den Besitzer.

Bezugsmöglichkeiten von „Hollandmöbeln“

Im Januar konnten nur Bremer mit Fliegerschadenbescheinigung und Zuweisungsschein das „gebrauchte Haushaltsgut“ kaufen. Ab 8. Februar hieß es schon, Inhaber von solchen Bescheinigungen würden „bevorzugt“. Am 1. März galten grüne und weiße Karten und am 4. März Nummern. Ab 30. März waren für eine bis zwei Stunden nur Bombengeschädigte und Schwerkriegsbeschädigte zugelassen, anschließend Inhaber von Bedarfsdeckungs- und Zuweisungsscheinen, schließlich fand ein „Freiverkauf“ statt. Hier sieht man, wie schnell sich die Beschränkungen lockerten. Gebrauchte Oberbetten, Unterbetten und Kopfkissen, Bettstücke, Steppdecken, Matratzen, Linoleumstücke, Papierläufer, etwas Geschirr wurden am 9. und 12. April, am 3. Juni und 8. Juli an „jedermann“ verkauft.

Der Verkaufserlös der Wirtschaftsämter des Gaus Weser-Ems wurde an das Landeswirtschaftsamt Bremen überwiesen und von dort an die Gauleitung weitergeleitet.[12] Am 20. September 1945 schrieb der von der Militärbehörde eingesetzte Leiter dieser Behörde, Dr. Korhammer, an die „früheren Wirtschaftsämter im Gau Weser-Ems“:

„…Wie ich festgestellt habe, werden von verschiedenen Wirtschaftsämtern noch Beträge aus der sog. „Holland-Möbel-Aktion“ geschuldet. Eine endgültige Abrechnung von hieraus ist nicht möglich, weil sämtliche Akten auf Weisung des früheren Leiters des LWA vernichtet worden sind. Ich bitte, mir daher baldigst eine Abschrift Ihrer Abrechnung zu übersenden…“[13]

Lager für gebrauchtes
Haushaltsgut: Luers Tivoli in Hemelingen.
Quelle: http://elektrozirkus.de/

Versteigerungsanzeigen der Lifts emigrierter Juden

Beim Blick in den Anzeigenteil der Bremer Nachrichten des Jahres 1943 fallen nicht nur die Verkaufsanzeigen von „Gebrauchtem Haushaltsgut“ auf, sondern auch Versteigerungsanzeigen der Lifts emigrierter Juden aus dem damaligen Deutschen Reich.

Bisher wurden Versteigerungen von jüdischem Umzugsgut in einem zeitlichen Rahmen bis Dezember 1942 beschrieben.[14] Die Anzeigen in den Bremer Nachrichten dokumentieren jedoch im Jahr 1943 noch 46 Versteigerungen von „Auswanderungsumzugsgut“, „Auswanderergut“, „Umzugsgut“ oder „Ausbürgerungssachen“:

  • Versteigerungslokal Königstraße 11:
  • 18 Versteigerungen vom 15. Januar bis zum 9. Juli 1943. Gerichtsvollzieher: Nustede, Rosenbusch, Hünecke, Boeder
  • Auktionslokal der Fa. Friedrich Bohne, Friesenstraße 20/21:                                                                Versteigerungen vom 26. Januar bis zum 30. Juni. Christian Brauer, vereidigter u. öffentl. bestellter Versteigerer, Schätzer u. Sachverständiger
  • Turnhalle Auf den Häfen 66:                                                                                                                       Versteigerungen vom 28. Dezember 1942 bis zum 22. Juni 1943                                                                 Gerichtsvollzieher: Boeder, Rosenbusch, Hünecke, Rötsch (zweimal)

Die Ankündigung der Versteigerung von „Auswandererumzugsgut“ am 22. Februar 1943 rangiert in der Rubrik „Versteigerungen“ und ist nicht nur optisch vom Verkauf der „Hollandmöbel“ getrennt.

Bei den Versteigerungsorten handelte es sich um bekannte Auktionslokale und um eine Turnhalle. Die Versteigerungen wurden ausschließlich von amtlich zugelassenen Versteigerern und Gerichtsvollziehern „im Auftrage des Herrn Oberfinanzpräsidenten Weser-Ems“ angekündigt und durchgeführt.

Die Ankündigung der Versteigerung von „Auswandererumzugsgut“ am 22. Februar 1943 rangiert in der Rubrik „Versteigerungen“ und ist nicht nur optisch vom Verkauf der „Hollandmöbel“ getrennt. Auftraggeber ist der Oberfinanzpräsident Weser-Ems, Ausführender der Gerichtsvollzieher Hünecke. Versteigert wird am 22. 2. nur an Inhaber von Bezugsscheinen und am 23.2. öffentlich „meistbietend“.

Die Anzeige vom 17. März weist schon in der fettgedruckten Überschrift „Versteigerung bezw. freih. Verkauf“ auf gelockerte Bedingungen hin. Die Beschränkung „nur an Bombengeschädigte mit Einzelbezugsschein“ wird am nächsten Tag durch eine „öffentliche Versteigerung“ aufgehoben.

Die Vernichtung amtlicher Unterlagen, bzw. von Unterlagen der Parteiorganisationen ist ein wesentliches Hemmnis bei der Aufarbeitung des Themas der „Judenmöbel“. Man kann sich nur noch auf sehr eingeschränkten Wegen der Vergangenheit nähern, wie hier über die Auswertung von Zeitungsanzeigen geschehen. Sie sind eine objektive Quelle.

von Margarete Rosenbohm-Plate

 

Anmerkungen:

[1] Wolfgang Dreßen, Betrifft: „Aktion 3“. Deutsche verwerten jüdische Nachbarn, Berlin 1998, S. 45 – 61.

[2] Margarete Rosenbohm-Plate, Hollandmöbel – Auslandsmöbel – Judenmöbel, in: Old. Jb. 103, 2003, S. 169 – 176.

[3] Götz Aly, Hitlers Volksstaat. Raub, Rassenkrieg und nationaler Sozialismus, Frankfurt am Main 2005, S. 139 – 150.

[4] Johannes Beermann, Die Verwertung von Mobilien aus ehemals jüdischem Besitz im Rahmen der „M-Aktion“ von Dezember 1942 bis    August 1944, in: Mehr als bloß Dienstleister: Die Mitwirkung von Spediteuren und Gerichtsvollziehern an der wirtschaftlichen Existenzvernichtung der europäischen Juden am Beispiel der Freien Hansestadt Bremen zwischen 1938 und 1945, in: Jaromir Balcar (Hg.), Raub von Amts wegen. Zur Rolle von Verwaltung, Wirtschaft und Öffentlichkeit bei der Enteignung und Entschädigung der Juden in Bremen, Bremen 2014, S. 199 – 207.

[5] Dreßen, (wie Anm. 1), S. 51ff.

[6] NLA OL, Best. 136, Nr. 23809 vom 29.1.1946.

[7] Vgl. Herbert Schwarzwälder, Geschichte der Freien Hansestadt Bremen IV, Bremen in der NS-Zeit (1933-1945), Bremen, erw. und verb. Aufl. 1995, S. 514.

[8] Vgl. Verkaufsanzeigen.

[9] Vgl. Beermann (wie Anm. 4) S. 202.

[10] In Wilhelmshaven war die Situation ähnlich. Wilhelmshavener Kurier vom 1.2.1943 und 23.2.1943.

[11] Die Turnhalle Auf den Häfen 66 war vom 28.Dezember 1942 bis zum 22.Juni 1943 Versteigerungsort für jüdisches Umzugsgut. Vom 20. Juli bis zum 11. August 1943 wurden dort „Hollandmöbel“ verkauft.

[12] NLA OL, Rep 400, Best. 136, Nr. 23809.

[13] NLA OL, Best. 231, N. 459.

[14] Johannes Beermann, Die „Verwertung“ des jüdischen Umzugsgutes im Auftrag des Oberfinanzpräsidenten Weser-Ems von Februar bis Dezember 1942 (wie Anm. 4), S. 117-207.

Jung, aber mit viel Geschichte

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50 Jahre sind seit der Gründung der Universität Bremen vergangen. Auf dem Weg von der vermeintlichen roten Kaderschmiede zur Exzellenzuniversität ist viel passiert: Wir haben den ersten sowie den aktuellen Rektor interviewt und mit Absolventen gesprochen – zu denen auch Bürgermeister Andreas Bovenschulte gehört. Zudem hat uns ein Architekt über den Campus begleitet. Das Magazin der Reihe WK | Geschichte gibt es ab 18. September in den ­Kundenzentren des WESER-­KURIER, im Buch- und Zeitschriftenhandel, online unter www.weser-kurier.de/shop und unter 0421 / 36 71 66 16.

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