Große Pläne: die Willigstraße auf einem Stadtplan von 1882.
Quelle: Staats- und Universitätsbibliothek

Gaststätten-Lexikon: Gurles Schenkwirtschaft an der Willigstraße

Von einem Leser unseres Online-Magazins Bremen History bekamen wir ein undatiertes Foto. Auf dem soll eine Neustädter Gaststätte mit einer davor stehenden Wirtsfamilie an der Willigstraße abgebildet sein. Um den „Gehalt“ aus diesem Foto herauszuholen, waren umfangreiche Recherchen notwendig. Außerdem mussten wir etwas tiefer in die Geschichte einsteigen – in die deutsche wie auch in die Geschichte von Bremen, der Neustadt und des Buntentors.

Die Willigstraße wird in Windeseile bebaut

Die Willigstraße wird erstmals im Bremer Adressbuch von 1875 erwähnt und zwar mit dem Zusatz „im Bau“. Ende 1875 sind bereits die Häuser Nummer 258 bis 251 bezogen, sowie über die Hardenbergstraße hinweg Willigstraße 230 bis 243. Außerdem sind noch 22 Häuser im Bau.

Diese enorme Bautätigkeit ist dem Bauunternehmer August Willig zu verdanken. Erst 1874 machte er einen Vertrag mit dem Bremer Senat, um eine Seitenstraße vom Buntentorsteinweg bis zur Kornstraße anzulegen: I.-Bauschnitt.

Es ist eine Straße, die seinen Namen trägt: Willigstraße. Seine Euphorie ist durch die Gründung des Deutschen Kaiserreiches (1871) ausgelöst. Man bezeichnet die nachfolgenden Jahre als Gründerjahre. Das war ein Boom, der allerdings nur bis zum sogenannten Gründerkrach von 1873 anhielt. Danach stand die Entwicklung etwa 20 Jahre still. Diese Zeit wird als Gründerkrise bezeichnet.

Buntentorsteinweg im Jahre 1903: rechts Abzweig zur Willigstraße.
Quelle: Peter Strotmann

Vom anfänglichen Erfolg beflügelt, stellte Willig im Oktober 1875 beim Bremer Senat einen Antrag für den Bau weiterer Häuser, und zwar von der Kornstraße bis zur Neuenlander Straße: II.-Bauabschnitt. Er erhielt am 20. Oktober 1875 die Genehmigung vom Bremer Senat.

Willig auf der Flucht

In Pose für den Fotografen: Familie Gurle, Ausschnitt aus dem Foto von 1892.

Doch zum Weiterbau ist es nicht mehr gekommen. Denn Willig hatte sich schon beim I.-Bauabschnitt verspekuliert. Da er die Häuser auf eigene Kosten baute, musste er sie nach Fertigstellung auch zeitnah verkaufen. Da wird ihm das Kapital ausgegangen sein. Damit war Willig voll in den Gründerkrach hineingeraten und hat es vorgezogen, das Weite zu suchen. Frei nach Christian Morgenstern:

Der Willig jedoch entfloh nach Afri- od- Ameriko.

Vermutlich hat er einen Riesenberg Schulden hinterlassen, sowie viele halbfertige Häuser. 1880 hatte die Willigstraße 26 Häuser und wurde in der Zeit von 1895 bis 1900 weiter ausgebaut. Heute zählen 53 Häuser zur Willigstraße.

Nach dieser Planung sollte die Willigstraße vom Buntentorsteinweg bis zur Neuenlander Straße durchgehen. Deshalb hat man seinerzeit auf der rechten Seite mit Haus Nr. 1 begonnen und hätte dann einen Nummernvorrat gehabt, um auf der linken Seite auf das Endhaus Nr. 258 zu kommen.

Der bis 1888 bestehende Zollausschluss Bremens behinderte die Industrie-Entwicklung erheblich, weil die erzeugten Güter bei Ausfuhr in den übrigen deutschen Bundesstaaten mit hohem Zoll belegt wurden. Der Kirchweg war die Zollgrenze. Die Firma Koch & Bergfeld und auch die Willigstraße lagen außerhalb davon. Offenbar setze Willig darauf, dass viele Arbeiter von Koch & Bergfeld seine Häuser kaufen würden.

Willigstraße im Januar 2016:
Das Eckhaus links ist die Willigstraße 258 (gelber Anstrich).
Im Jahre 2015/16 wird der über 100 Jahre alte Kanal erneuert.
Foto: Peter Strotmann

Im Haus Willigstraße 258 wird „Gurles Schenkwirtschaft“ eröffnet.

Ab 1875 ist das Haus bewohnt. 1892 zieht der Zigarrenmacher Bernhard August Gurle mit seiner Frau, Tochter und Sohn in die Nummer 258 ein. Die Hausecke ist bereits für ein Ladengeschäft gebaut. Deshalb kann er unverzüglich eine Schenkwirtschaft eröffnen.

Ehefrau Marie Sophie Gurle, geborene von der Kammer, stirbt am 4. Januar 1907 im Alter von 59 Jahren im Haus Willigstraße 258. Der Wirt Bernhard August Gurle stirbt am 17. Juli 1917 im Alter von 64 Jahren.

1907 heiratet die Tochter Emilie Bernhardine Gurle den Silberarbeiter Henrik Wilhelm Ludwig Steinbrink. Ab 1920 läuft die Gaststätte unter dem Namen Steinbrink. In den Jahren 1922/23 ist die Gastwirtschaft geschlossen, wird von 1924 bis 1925 aber wieder eröffnet.

Mit der Schenkwirtschaft ist jedoch auch 1926 wieder vorbei. Danach gibt es keine Gaststätte mehr im Haus. Vermutlich wird der Eckeingang zu diesem Zeitpunkt zugemauert und es entsteht eine 2-Zimmer-Wohnung.

Damit hat von 1892 bis 1926 – mit einer Unterbrechung – eine Schenkwirtschaft in der Willigstraße 258 bestanden. Das Haus Willigstraße 258 war zumindest noch bis 1993 im Besitz der Familie Steinbrink.

von Peter Strotmann

Auf diesem Foto von 1892 sehen wir Familie Gurle sowie eine ältere Frau (ganz rechts). An beiden Seiten der Hausecke ist aufgemalt: Bierhalle & Billard.
Quelle: private Leihgabe

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