Vor 50 Jahren: Ergebnis des Ideenwettbewerbs zum Bau der Universität Bremen wird verkündet
Am Montag hatte die Jury ihre Arbeit aufgenommen, am Freitagabend konnte das Urteil verkündet werden beim „Ideenwettbewerb zur Erlangung von Vorschlägen für einen Generalbebauungsplan“ der Universität Bremen. Das war am 16. Juni 1967, fünfzig Jahre ist das her. Der Arbeitsaufwand war enorm, denn beachtliche 130 Arbeitsgemeinschaften aus Architekten, Verkehrsplaner und Landschaftsarchitekten aus allen Teilen Deutschlands hatten sich aufgemacht, für Bremens neue Universität die beste Lösung zu entwickeln.
„Bildungsmisere“, gar „Bildungskatastrophe“ waren die Stichworte, die Anfang der sechziger Jahre bundesweit einen gewaltigen Boom im Schul- und Hochschulbau auslösten. Bremen gehörte zu dem knappen Dutzend neuer Universitätsstädte. Da der Bau eines solchen infrastrukturellen Großprojektes genügend freie Fläche benötigte, mussten meist Baugelände am Stadtrand gesucht werden. In Bremen hatte man dafür ein 285 Hektar großes Grundstück zwischen Stadtwald und Blocklandautobahn gefunden.
Seinerzeit galt im Schul- und Hochschulbau ein strikter Funktionalismus als progressiv. Dabei setzten die Hochschulplaner einerseits auf eine „Verwissenschaftlichung“, andererseits auf eine „Industrialisierung“ des Bauens. Komplexe Funktionsdiagramme, Systembau und Montage von vorgefertigten Betonelementen waren Trumpf – je rationaler und ökonomischer desto besser. Ein gutes Beispiel dafür war der 1962 aus einem Wettbewerb hervorgegangene Plan für die Universität Bochum: eine Großform wie aus einem Guss mit parallel angeordneten identischen Institutsbauten. In Bielefeld wurde später eine ähnlich kompakte Anlage realisiert mit einer 240 Meter langen Halle als Erschließungskern.
Import aus dem Ländle
Anders als in den genannten Beispielen schälte sich in Bremen keine der eingereichten Arbeiten als klarer Favorit heraus. Dafür gab es gleich neun Preise, jeweils drei im 1., 2. und 3. Rang. Obwohl Architekten aus allen Bundesländern teilnahmen, gingen die drei Preise der 1. Rangstufe an Teams aus Baden-Württemberg. Sie kamen aus Stuttgart, Freiburg und Heidelberg. Kein Wunder, galt doch das Ländle damals als Mekka der Hochschulplanung, vor allem der 1961 gegründete „Lehrstuhl für Hochschulbau“ an der Technischen Hochschule Stuttgart. Sein Leiter, Prof. Horst Linde, war einer der Juroren beim Bremer Wettbewerb. Und auch der Leiter des 1965 gegründeten Bremer Universitätsbauamtes, Otto Freese, war ein Freiburger Import. Immerhin konnte sich in der zweiten Ranggruppe auch ein Bremer Team platzieren, dem die Architekten Kristen Müller, Kurt Schmidt und Werner Glade angehörten.
Was war von den Wettbewerbsteilnehmern gefordert? Sie sollten die ideale Lage der Kernbauten auf der sehr großen Gesamtfläche ermitteln, ein architektonisch ansprechendes Zentrum mit Bibliothek und Audimax entwerfen sowie die Anordnung der Fakultäten und die Lage der gewünschten 2000 Wohnheimplätze festlegen – die Idee einer Campusuniversität dominierte noch die Köpfe. Außerdem sollten die verkehrliche Erschließung und landschaftsräumliche Einbindung der Anlage gelöst werden.
Der Entwurf des Stuttgarter Büros (Behnisch und Partner) setzte das geplante Uni-Zentrum in der Achse der Parkallee, dicht an der nordöstlichen Ecke des Stadtwaldes. Die anderen beiden bestplatzierten Entwürfe sahen das Zentrum weiter östlich vor, näher an die zweite Haupterschließungsstraße herangerückt, die über die verlängerte H.-H.-Meier-Allee zum Autobahnzubringer verlaufen sollte. Diese Lösung entsprach auch der Vorstellung des Bremer Universitätsbauamtes, das – außer Konkurrenz – ebenfalls einen Entwurf vorgelegt hatte.
Die Ergebnisse des Wettbewerbs fanden in der Öffentlichkeit große Aufmerksamkeit. Die Fachzeitschrift „Bauwelt“ widmete dem Thema eine ganze Nummer. Und der Weser-Kurier stellt in einer Serie seinen Lesern alle neun ausgezeichneten Arbeiten sowie den Entwurf des Unibauamtes vor. Im Verhältnis zum Aufwand des Wettbewerbes und zur öffentlichen Resonanz, die er hervorrief, ist in der später realisierten Bebauungsstruktur der Bremer Universität von den eingebrachten Ideen allenfalls eine Mixtur von Einzelaspekten eingegangen. Das Zentrum wurde etwa in die Mitte der beiden Erschließungsachsen gelegt. Von dem Freiburger Team stammen immerhin Teile der späteren Anlage: der Zentralbereich mit Mensa und Studentenhochhaus im Westen. Die ausgezeichneten Bremer Architekten durften den GW2-Komplex bauen.
Boulevard vom „Olympiasieger“
Und von dem Stuttgarter Team Behnisch und Partner blieb die städtebauliche Grundidee der Bremer Universität mit den zwei sich kreuzenden Hauptverkehrsachsen. Die Architekten hatten dafür das Bild der mittelalterlichen Zähringen Stadtgründungen (die bekanntesten: Bern und Freiburg/Breisgau) bemüht, die sich um zwei sich kreuzende Hauptstraßen herum entwickelten.
Nur sollte dieser Gedanke in Bremen modern interpretiert werden. Das hieß: Trennung der Verkehrsarten auf verschiedene Ebenen. Für den öffentlichen Personennahverkehr und den Autoverkehr war das Bodenniveau vorgesehen – die in Nord-Süd-Richtung verlaufende heutige Bibliothekstraße –, für die Fußgänger die in Ost-West-Richtung verlaufende Achse rund viereinhalb Meter darüber. Auch der immer etwas euphemistisch anmutende Name dieser Achse: „Boulevard“ stammt von den Stuttgarter Architekten. Das Büro Behnisch und Partner dürfte den Schmerz, in Bremen nur Rudimente von seinen Ideen verwirklicht zu haben, schnell überwunden haben, denn nur wenige Monate später, im Oktober 1967, gewann es einen noch prominenteren Wettbewerb, den für die Münchner Olympiaanlage, ein Entwurf, der das Stuttgarter Büro in die Annalen der deutschen Architekturgeschichte eingehen ließ.
In Bremen wurden die Universitätsplanungen ebenfalls nur wenig später durch ein ganz anderes Ereignis aus dem Lot gebracht.
Nur zwei Monate nach der Bekanntgabe der Wettbewerbsergebnisse trat Richard Boljahn, Aufsichtsratsvorsitzender der Neuen Heimat Bremen und SPD-Fraktionsvorsitzender, mit der Bekanntgabe eines Projektes der Neuen Heimat und anderer Wohnungsbauunternehmen an die Öffentlichkeit: Man wolle im Hollerland, nördlich der geplanten Universität, einen neuen Stadtteil für 50.000 Einwohner entstehen lassen. „Butendiek“ solle das Projekt heißen, später nannte man es „Hollerstadt“. Das Areal war seit 1964 unauffällig, um Spekulationen zu vermeiden, wie es hieß, Stück für Stück aufgekauft worden.
Verflechten oder nicht verflechten?
Weder im gerade verabschiedeten Flächennutzungsplan 1965/67 noch in der Wettbewerbsausschreibung fand dieses Vorhaben daher Eingang. Boljahn selbst gehörte als Sachpreisrichter der Jury an. Durch die Bekanntgabe wurde das Konzept der Campus-Universität am Stadtrand erheblich durcheinander geworfen. Was dazu führte, dass für die Universität langwierige Nachplanungen notwendig wurden, um eine bessere Verflechtung mit dem neuen Stadtteil zu erzielen. Alle neun prämierten Teams wurden im Mai 1968 um gutachterliche Stellungnahmen gebeten, ob und in welcher Weise eine „Verflechtung“ von Universität und Hollerstadt möglich sei. Die Neue Heimat finanzierte das Verfahren mit 120.000 DM. Schließlich setzte sich die Fraktion durch, die sich gegen eine Durchmischung der Universität mit dem neuen Stadtteil aussprach.
Das Hollerstadt-Projekt ging 1969 im so genannten Baulandskandal unter, der bundesweit für Aufsehen sorgte und nicht nur Richard Boljahn seine beinahe uneingeschränkte Machtposition in der bremischen Politik kostete. Für den Bau der Universität hat die Hollerstadt-Episode zu erheblichen Verzögerungen geführt. Der ursprünglich gedachte Baubeginn Anfang 1969 war nicht zu halten. Um überhaupt einigermaßen zeitgerecht den Lehrbetrieb aufnehmen zu können, wurden Anfang der siebziger Jahre am südlichen Rand des Geländes erste Baueinheiten (die Bereiche Geisteswissenschaften 1 und Naturwissenschaften 1) buchstäblich aus dem Boden gestampft.
Das Universitätsbauamt griff dabei auf Bausysteme zurück, die es von anderen Hochschulbauämtern übernommen hatte. Das sparte Planungszeit. Währenddessen musste im späteren Zentralbereich der Universität erst eine zweieinhalb Meter dicke Torfschicht ausgekoffert und mit Sand aus einem Baggersee, dem späteren Stadtwald- oder Unisee, aufgefüllt werden. Unter dem Pragmatismus des Realisierungsdrucks blieben viele gute Ideen des Wettbewerbs auf der Strecke. Was Ende der siebziger Jahre nach der ersten Bauphase fertig war, wirkte lange wie ein gestrandetes Raumschiff am Stadtrand. Erst das Konzept des „Technologieparks“ Ende der achtziger Jahre löste einen neuen Entwicklungsschub aus.
von Prof. Dr. Eberhard Syring
Bremer Wettbewerb (und was daraus wurde)
Immer wieder faszinieren Wettbewerbe für Gebäude oder Stadträume nicht nur die Fachwelt, sondern auch eine breite Öffentlichkeit. Und nicht selten lösten sie erhebliche Diskussionen aus – wie etwa der Wettbewerb für das Haus der Bürgerschaft. Bremen History stellt in lockerer Folge einige der interessantesten Bremer Wettbewerbe vor und zeigt auf, was daraus wurde (oft etwas ganz anderes, als ursprünglich geplant, und manchmal auch gar nichts), und erläutert wie es dazu kam.