Neues Buch von Gerwin Möller über die Geschichte von Grolland
Es wurmt Gerwin Möller, wenn er an irgendeiner Stelle nicht weiterkommt. Was ihm keine Ruhe ließ, war die Frage nach der Beteiligung des Reformarchitekten Heinz Stoffregen am Häuserbau in Grolland. Es geht dabei um vier schlichte Doppelhäuser in der Straße Am Vorfeld. Tragen sie die Handschrift des Meisters oder nicht? Dem bloßen Anschein nach durchaus denkbar, doch weil sich in den Archiven keinerlei Unterlagen dazu fanden, klingelte Möller kurzerhand bei den heutigen Bewohnern. „Die staunten nicht schlecht, als ich mich nach alten Bauakten erkundigte“, berichtet der 56-Jährige. „Die dachten vermutlich: Ist das jetzt wieder eine neue Betrugsmasche?“
War es nicht. Bei seinen Recherchen für sein Buch über die Geschichte Grollands ist Möller mitunter ungewöhnliche Wege gegangen. Mal führte ihn sein Wissensdurst in Bibliotheken und Archive, mal zu den Menschen direkt vor Ort. Der Hintergrund im Fall Stoffregen: Der Architekt war bereits 1912/13 bei einem Wettbewerb zur Bebauung der Grollander Feldmark ganz vorne mit dabei, sein Entwurf landete auf dem zweiten Platz. Deshalb erschien es durchaus möglich, dass die vier Doppelhäuser von 1925 auf seinem Reißbrett entstanden sein könnten.
Als Journalist kennt Möller sein Metier: keine Scheu haben, die Leute direkt ansprechen, immer am Ball bleiben. In der Stoffregen-Frage musste Möller zwar unverrichteter Dinge wieder abziehen, dafür hat er aber in anderen Bereichen neue Erkenntnisse zutage gefördert.
Zum Beispiel die, dass der aufklärerisch gesinnte Adolph Freiherr Knigge, Verfasser des weithin bekannten Benimmbuchs, seine Theaterliebe im Herrenhaus von Grolland auslebte. „Das hat bisher niemand mitbekommen“, sagt Möller. Knigge lebte seit 1790 in Bremen, er verwaltete die hannoverschen Besitzungen im Dombezirk. „Ins Herrenhaus wich er aus, weil es in der damaligen Domschule keine Aufführungsmöglichkeiten gab.“
Ein gutes Jahr Arbeit am Buch
Ein gutes Jahr hat Möller an dem neuen Buch gearbeitet. Fast 300 Seiten sind dabei zusammengekommen, das reich bebilderte Werk erscheint im Kellner Verlag und deckt die Zeitspanne von der Kolonisation im Mittelalter bis in die 1990er Jahre ab. Mit Grolland ist Möller eng verbunden. Der gebürtige Bremer hat dort seine Kindheit und Jugend verbracht und ist nach verschiedenen beruflichen Zwischenstationen jetzt wieder in dem Ortsteil von Huchting heimisch geworden. Als Schriftführer der Siedlergemeinschaft Grolland I rief der historisch interessierte Journalist den Arbeitskreis Grollander Geschichte(n) ins Leben, daraus ergab sich das gleichnamige Buchprojekt beinahe von selbst. Denn: „Es gibt zwar noch eine Menge Leute, die von früher erzählen können. Aber nicht mehr lange.“
Schon jetzt sind die Menschen rar geworden, die aus eigenem Erleben über die Anfänge der Siedlung Grolland berichten können. Nachdem der Ausbruch des Ersten Weltkriegs den ersten Anlauf zum Siedlungsbau von 1912/13 durchkreuzt hatte, wurde das Bauprojekt 1935 wieder aufgegriffen. Erst entstand die Siedlung Grolland I im Norden, dann ab 1938 die Siedlung Grolland II im Süden. Noch nie zuvor war in Bremen auf der grünen Wiese eine Großsiedlung aus dem Boden gestampft worden – die Siedlung Grolland hat Geschichte geschrieben.
Dass dabei auch NS-Gedankengut in die Umsetzung einfloss, liegt auf der Hand. Man wollte das bäuerliche Wohnideal in den Grenzen der Stadt verwirklichen, die idealen Voraussetzungen schaffen für „rassisch wertvolles Leben“. Freilich agierten selbst die Städteplaner in den 1930er Jahren nicht im luftleeren Raum, vielmehr nahmen sie Gedanken und Entwicklungen aus früheren Zeiten auf. „Organisch“ zu bauen ist eben keine genuine Erfindung des Dritten Reichs, auch wenn es so klingt.
Gegenseitige Kontrolle
Auch der Gedanke der „Volksgemeinschaft“ spiegelte sich in Grolland wider. Der Erziehungs- und Kontrollgedanke, wie er in der Erziehungswohnanlage Hashude zu finden ist, war in abgeschwächter Form auch in Grolland anzutreffen. „Die Siedlung sollte idyllisch und ländlich sein“, sagt Möller, „aber die Nachbarschaft auch eine soziale Kontrollfunktion erfüllen.“ Im Klartext: Die Siedler sollten sich gegenseitig im Auge behalten, niemand sollte ausscheren aus der „Volksgemeinschaft“.
Die Bedeutung, die die beteiligten Architekten Friedrich Heuer und Stadtbaudirektor Gerd Offenberg dem Erziehungsgedanken beimaßen, ist auch daran abzulesen, dass für die Ortsmitte entweder ein Heim der Hitlerjugend (HJ) oder eine Schule vorgesehen war.
Allerdings entzweiten sich die beiden Studienfreunde darüber: Heuer favorisierte ein HJ-Heim und schaltete sogar insgeheim übergeordnete Stellen in Berlin ein, Offenberg bevorzugte den Bau einer Schule. Offenberg gewann den Machtkampf, aus dem Schulbau wurde aber trotzdem nichts – wieder einmal kam ein Krieg dazwischen, diesmal der Zweite Weltkrieg.
Kein Wunder also, dass die NS-Jahre als Gründungsjahre der Siedlung breiten Raum im neuen Grolland-Buch einnehmen. Ärgern kann sich Möller freilich über schlampigen Umgang mit der Vergangenheit. Die Bezeichnung als „NS-Mustersiedlung“ für Arbeiter der Kriegsindustrie in einem jüngst publizierten Reiseführer hält der 56-Jährige für abwegig. Tatsächlich hätten die meisten Siedler nicht in der Kriegsindustrie, sondern bei den Stadtwerken oder in der Tabakfabrik Brinkmann gearbeitet. Erst beim letzten Teil des Bauprojekts, der ab 1939/40 gebauten Focke-Wulf-Siedlung, bestehe ein Zusammenhang zur Kriegsindustrie.
Keine NS-Mustersiedlung
Möller meint auch zu wissen, worauf die Bezeichnung als „NS-Mustersiedlung“ beruht. In der damaligen Berichterstattung sei unter der Überschrift „SA-Mustersiedlung“ über zwei Neubauprojekte in Habenhausen und Grolland berichtet worden. Die Bezeichnung habe aber Habenhausen gegolten, nicht Grolland. „Wenn man mehr als nur die Überschriften lesen würde, würde man feststellen: Noch nicht einmal die Nazis sprachen von Grolland als Mustersiedlung.“
Einen besonderen Stellenwert haben die Nachkriegsjahre. In zahlreichen Kapiteln verfolgt der Autor die wechselvolle Geschichte des Ortsteils, viele Schilderungen aus dem prallen Leben wechseln ab mit wichtigen Sachinformationen. Da geht es um ein Original, die Storchennest-Wirtin Wilhelmine Piplak, besser bekannt als „Tante Minchen“, ebenso wie um den Absturz eines Schulflugzeugs mitten in Grolland im Januar 1968. Nicht als Historiker, sondern als Journalist habe er das Buch geschrieben, betont Möller. Gleichwohl versteht er sein Werk als Fortsetzung der Publikationen von Ottmar Hinz „Grolland. Ein Dorf vom Reißbrett“ (1990) und einer sozialwissenschaftlichen Studie der Universität Bremen (1989), allerdings auf gewollt populärer Ebene.
Präsentiert werden die „Grollander Geschichte(n)“ am morgigen Montag, 31. Juli, um 20 Uhr im Kulturhof Borchelt an der Grollander Straße 33. Ein passender Ort, wie Möller anmerkt: „Es ist immerhin der älteste und einzige Bauernhof in Grolland.“ Aufs Vorlesen will Möller bei der Präsentation verzichten, stattdessen schwebt ihm eine Art Talkshow zum Thema vor. Eine Schulklasse führt ein Stück zur Zwangsarbeit in Grolland auf, zwei betagte Siedler sollen zu ihren Eindrücken befragt werden.
Gerwin Möller: Grollander Geschichte(n). Zur Entstehung einer Bremer Gartenstadtsiedlung, 294 S., über 200 teils farbige Abb., Kellner Verlag: Bremen 2017.
von Frank Hethey