Vor 70 Jahren: Am 10. Mai 1952 läuft bei der AG Weser das erste Schiff nach Kriegsende vom Stapel
Kühnheit und Katzenjammer liegen in der 140-jährigen Geschichte von „Use Akschen“ dicht beieinander. Die Gründung der AG Weser (mehr dazu hier) ist beflügelt vom Aufbruch ins Industriezeitalter und eine Wette auf den Erfolg der Weserkorrektion (mehr dazu hier). Sie wird angetrieben vom Handels- und Kriegsschiffbau. Die AG Weser ist Schauplatz der Räterepublik und ihrer Niederlage. Auf den grandiosen Bau der „Bremen“ folgt die große Wirtschaftskrise. Und die Kumpanei mit dem Naziregime endet mit der totalen Niederlage und der Demontage der Werft.
Doch sieben Jahre nach Kriegsende kommt die Wende. Vor 70 Jahren, am 10. Mai 1952, läuft der erste Schiffsneubau nach dem Zweiten Weltkrieg vom Stapel: die „Werratal“, ein 104 Meter langer Frachter für die Seefracht GmbH J. A. Reinecke. Kein besonders großes Schiff mit 4 587 Tons deadweight (tdw), verglichen mit dem, was die Werft vor dem Krieg an Neubauten fertiggestellt hat. Dafür ist der Schiffskörper erstmals unter weitgehender Anwendung der elektrischen Schweißtechnik hergestellt.
Schiffbauverbot und Demontage
Dabei sieht es vier Monate nach der Kapitulation Deutschlands noch gar nicht gut aus. Im September 1945 erlassen die Alliierten ein Schiffbauverbot für ganz Deutschland. Das gesamte deutsche Rüstungspotenzial soll abgebaut werden. Selbstverständlich gehört die AG Weser zu den fünf Großbetrieben, die zu Reparationszwecken komplett demontiert werden sollen. Sie erhält ein komplettes Produktionsverbot.
Der Bremer Westen gleicht einer Trümmerwüste. Nahrung, Wohnraum und Arbeit sind knapp. Mit Genehmigung der Militärverwaltung wird die Bremer Maschinenbau und Dockbetrieb GmbH, kurz Bremer Dock, gegründet. Diese übernimmt einen großen Teil der Belegschaft und bewahrt damit auch das Knowhow der vielen Spezialisten. Sie führt die Aufräumarbeiten auf dem Gelände durch und produziert vom Kochtopf bis zu Behältern, Maschinen, Kesseln, Rohrleitungen, Anlegern, Fähren und Pontons „alles, was aus Eisen ist“, wie in den Anfangsjahren von Waltjen & Co.
Um die von den Alliierten geforderte Demontage durchführen zu können, muss erst einmal ein Teil der Infrastruktur des Betriebes, wie Gleise, Krananlagen, Elektrik, Wasser, Dampf und Pressluft, sowie Unterkünfte und Sanitärräume wiederhergestellt werden.
1450 Arbeiter sind im Hungerwinter 1946/47 mit der Räumung beschäftigt. In den Jahren 1946 bis 1948 transportiert eine russische Reparationskommission unter Aufsicht des US-Militärs Maschinen und Kräne mit insgesamt 36.210 Tonnen Gewicht und einem geschätzten Wiederbeschaffungswert von 51 Millionen Mark in die Sowjetunion ab und sprengt die nicht transportablen Anlagen. Ob es in Bremen jemals wieder Schiffbau geben wird, ist unklar.
Auf der Werft werden die gesunkenen Schiffsdocks und ausgebrannte oder durch Bombenschäden zerstörte Schiffe wie die Frachtdampfer „Fasan“ und „Arion“ oder die „Polycarp“ gehoben und instandgesetzt. Während Vulkan und Seebeckwerft bereits Schiffe neu bauen dürfen, kann die Bremer Dock allein mit den erlaubten Reparaturen keinen Gewinn erwirtschaften.
Erlaubnis, aber kein Material
Am 7. April 1951 haben die unermüdlichen Bemühungen des Bremer Senats um Bürgermeister Wilhelm Kaisen endlich Erfolg: Die Hohe Kommission der westlichen Siegermächte gibt die Erlaubnis, dass nun auch die AG Weser sich im freien Schiffbau jeder Größenordnung betätigen darf. Damit ist die wichtigste Entscheidung für die weitere Entwicklung der bremischen Schiffbauindustrie nach dem Krieg getroffen.
Die AG Weser möchte jetzt durchstarten. Die deutsche Handelsflotte benötigt dringend zusätzlichen Schiffsraum. In Asien tobt der Korea-Krieg und für die am Boden liegende deutsche Wirtschaft beginnt das Wirtschaftswunder. Auf deutschen Werften liegen Bestellungen in Höhe von 1,2 Millionen BRT vor. Die AG Weser könnte auf Jahre hinaus ausgelastet sein. Doch womit bauen? Woher das Material und die Maschinen nehmen? Die AG Weser muss jetzt erst die Hellinge und Kranbahnen wiederherrichten und Maschinen aller Art anschaffen.
Die Rolle der Werft im Krieg scheint vergessen: Der neue Direktor Dipl.-Ing. Heinrich Wilhelm Schliephake bezeichnet in seiner Stapellaufrede vor mehreren Tausend Werftarbeitern und Gästen den Nationalsozialismus verharmlosend als „böse Zeiten“, durch die hindurch man der Werft die Treue gehalten habe und will ab jetzt „mit aller Energie die alten Erfolge“ absichern. Noch ist die Versorgung mit Schiffbaustahl unzureichend. Doch der Eingang von Aufträgen für Schiffsneubauten nimmt Fahrt auf. Die Zahl der Beschäftigten ist wieder auf über 4.000 gestiegen.
Mit der Hochhelling V, die mit 265 Metern Länge und 55 Metern Breite größer und moderner wiederaufgebaut wird als vor dem Krieg, kann die AG Weser bis Mitte 1953 an die Leistungsfähigkeit der Vorkriegszeit anschließen. Nicht zuletzt, weil der griechische Reeder Aristoteles Onassis von 1953 bis 55 fünf baugleiche 20.000 tdw-Tankschiffe, die „Olympic Cloud“ und ihre Schwesterschiffe bestellt und in Empfang nimmt. Man sagt, seine Anzahlungen von etwa einem Drittel des Kaufpreises hätte er stets in der Aktentasche dabeigehabt und bar übergeben.
Frauke Wilhelm ist Kulturpädagogin von Beruf, als Moderatorin und Musikerin erweckt sie in der temporären Hafenbar „Golden City“ Bremens maritime Seite zum Leben. Sie liest an diesem Sonnabend, 7. Mai, um 16 Uhr in der Buchhandlung Otto & Sohn in Vegesack aus ihrem Buch „Stahlschnitt, Schweisser, Stapellauf. Geschichte(n) von der Arbeit auf der AG Weser“.