Vor 60 Jahren: Am 3. Juli 1957 fiel die Entscheidung im Wettbewerb für den Neubau des Focke-Museums
Dass die Wettbewerbsergebnisse von zwei für Bremen besonders wichtigen Bauwerken mit nur wenigen Tagen Abstand verkündet werden, ist eher ungewöhnlich. Im Frühsommer 1957, vor sechzig Jahren, war das aber so. Am 3. Juli, nur sieben Tage nach der Bekanntgabe der Ergebnisse des Stadthallen-Wettbewerbs, war der Wettbewerb für den Neubau des Focke-Museums entschieden.
Die gleichzeitige Projektierung zweier Bauwerke von herausragender Bedeutung für die kulturelle Identität der Stadt– alle Achtung! Vielleicht könnte man hierin sogar eine architektonische Entsprechung der Politik Bürgermeister Wilhelm Kaisens mutmaßen, die bekanntlich in der Wiederaufbauzeit auf eine Allianz von Arbeiten und Kaufleuten setzte. Denn die Stadthalle war eher für Veranstaltungen des Massengeschmacks konzipiert, während die Präsentation der bremischen Geschichte und Traditionen als Kernaufgabe des Focke-Museums, dem Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte, vor allem dem bürgerlichen Bremen eine Quelle der Identität bot – jedenfalls in der Nachkriegszeit.
Beinahe kurios erscheint es aber, dass auch die beiden Eröffnungstermine, nach jeweils ereignisreichen Planungs- und Bauphasen und mit erheblichen Zeitverzögerungen, ganz eng im beieinander liegen sollten: für das Focke-Museum war das der 16., für die Stadthalle der 31. Oktober 1964.
Katharinenkloster, Künstlerverein und Armenhaus – die drei ersten Stationen des Museums
Das aus der Privatsammlung des ehemaligen Syndikus des Senats Johann Focke (1848 bis 1922) hervorgegangene stadthistorische Museum, das seit 1918 Focke-Museum hieß, fand zunächst im Jahr 1900 als „Historisches Museum“ im ehemaligen Refektorium des Katharinenklosters und späterem Zeughauses am Schüsselkorb sein Domizil. Bereits 1905 zog die Sammlung aus Platzgründen in das Obergeschoss des Künstlervereins um, dem von Architekt Heinrich Müller umgebauten ehemaligen Dom-Kapitelhaus an der Domsheide – auch dies war nur ein Intermezzo. Die umgebauten Räume des ehemaligen Armenhauses in der Großenstraße ganz am westlichen Rand der Altstadt boten ab 1915 noch bessere Bedingungen für das Museum, das 1923 noch durch die „Kunstgewerbliche Sammlung“ ergänzt wurde.
Der Bremer Architekt Hermann Gildemeister lobte in dem Buch „Bremen und seine Bauten 1900-1951“ das Bauwerk in seiner neuen Nutzung in höchsten Tönen: „1696 bis 1698 wurde es (…) in schlichtem holländisch-niederdeutschem Klassizismus in Backstein mit Sandsteinumrahmungen schlichter bleiverglaster Fenster, zwei Stockwerke hoch, im großen Geviert um einen Garten am Strom erbaut. Seine Mauern umschlossen eine Welt beschaulicher Einkehr, seine Fenster öffneten den Blick dem bunten Treiben auf der Lebensader unserer Stadt.“
Was Gildemeister nicht erwähnt: Ab 1936 begannen die Bauarbeiten für eine weitere Weserquerung, die Westbrücke, die 1939, zwei Monate vor Kriegsausbruch, als Adolf-Hitler-Brücke eröffnet wurde. Die nördliche Brückenzufahrt trennte nun das Museum von der Altstadt ab. Somit lag es ganz isoliert, denn schon seit 1867 war der Bahnkörper der Bahnstrecke nach Oldenburg im Westen dicht an das Haus herangerückt.
Im Krieg wurde das Gebäude bei mehreren Luftangriffen getroffen und kurz vor Kriegsende, im März 1945, bei gezielten Angriffen auf den beiden Brücken gänzlich zerstört. Die wichtigsten Exponate waren rechtzeitig ausgelagert worden, zum Teil in Scheunen im Umland. 1947 gelang es Museumsleiter Ernst Grohne, mit dem Herrenhaus von Gut Riensberg – einige Kilometer vom Stadtzentrum entfernt – eine Behelfsunterkunft zu finden, in der ab 1953 ungefähr ein Zehntel der Magazinbestände ausgestellt werden konnten. Zunächst stand außer Frage, dass der dringend notwendige Neubau – den provisorisch eingelagerten Exponaten drohte der Verfall – einen Standort im Stadtzentrum finden sollte.
Abseits statt zentral
Der alte Ort kam dafür nicht mehr in Frage. Die isolierte Lage zwischen den beiden Hauptverkehrsadern würde sich durch das geplante „Tangentenviereck“ mit der über die neue Westbrücke (heute Stephanibrücke) verlaufenden Westtangente weiter verstärken. Stattdessen entstand aus der Ruine des Museums ein kleiner Park, der Focke-Garten.
Favorisiert wurde zunächst ein Bauplatz auf dem Teerhof oder auf der Herrlichkeit. Dort kam aber die städtebauliche Entwicklung nur schleppend in Gang, so dass sich schon bald Stimmen mehrten, die dafür plädierten, den behelfsmäßigen zum festen Standort auszubauen. Das unmittelbar an das Haus Riensberg angrenzende 25.000 qm große Gelände Auf dem Pferdekamp, das der Senat 1954 erworben hatte, bot beste Voraussetzungen für einen Neubau.
Vor allem die SPD plädierte dagegen für einen innerstädtischen Ort und unternahm 1955 einen letzten Vorstoß in diese Richtung. Ihr Argument: Besucher könnten das Museum dort leichter erreichen, und auch für den Fremdenverkehr böte die zentrale Lage Vorteile. Die Gegenargumente erscheinen im Nachhinein nicht immer plausibel. So hieß es, dass das Museum vor allen den Bremerinnen und Bremern dienen solle und eine in Haus Riensberg gezeigte Puppenausstellung 20.000 Besucher aus allen Stadtteilen angelockt habe.
Plausibler war da schon eher die pragmatische Einsicht, dass sich Auf dem Pferdekamp schnell und großzügig bauen ließ, um die eingelagerten Bestände endlich wieder der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Ein Museumsneubau bot aber hier vor allem die Chance, die Aufgabe des Museumsbaus ganz neu zu entwickeln. Und das war für das Projekt letztendlich der entscheidende Impuls.
Leitbild Museum im Park
Museums-Neubauten hatte es in der Nachkriegszeit nur wenige gegeben. Eine solche Aufgabe stellte deshalb eine große Herausforderung dar. Denn ähnlich wie im Städtebau, wo unter dem Leitbild der „gegliederten und aufgelockerten Stadt“ von einer neuen, modernen Stadt geträumt und an ihr geplant wurde – die Neue Vahr steht dafür exemplarisch in Bremen –, sollten auch im Museumsbau alte Zöpfe abgeschnitten werden. „Die Monstermuseen hatten sich als Idee bereits überlebt, bevor der Krieg sie zerstörte. Man wird daher eine Anhäufung von Sammlungen verschiedensten Charakters in einem großen Gebäudekomplex vermeiden, da sie das Publikum nur verwirren und ermüden.“
Diese Aussage stammt von Leopold Reidemeister, dem Leiter des Kölner Walraff-Richartz-Museums. Sie wird in einem Beitrag zitiert, den Werner Kloos, seit 1953 als Nachfolger von Ernst Grohne als Leiter des Focke-Museums, im Januar 1955 im Weser-Kurier unter dem Titel „Wunschtraum eines Museumsdirektors“ veröffentlichte.
Kloos wollte ein Museum, das von seinen vielfältigen Besuchergruppen eher als „Gebrauchsgegenstand“ denn als kulturelle Weihestätte genutzt werden sollte. Jegliche Monumentalität solle vermieden werden, erklärte er. Auch ein architektonisches Bild hatte er im Kopf: „So erscheint als Ideal eines nutzbaren Museums eine durch verbindende Gänge zusammengehalten Gruppe von drei oder vier mäßig hohen Pavillons. Jeder von ihnen vermag innerlich zusammengehörige Bestände zu vereinen und dadurch ein eindrucksvolles Schwergewicht zu bilden. (…) Die Pavillons sollten in enger Harmonie mit der Natur errichtet werden. Landschaft, Licht, Gewächse, Blumen sind untrennbarer Teil unseres Wohnens geworden, sie sollten einem Museum ebenso nahe sein.“ Als Beispiel eines solchen „Museums im Park“ mag Kloos dabei das Louisiana-Museum vorgeschwebt sein, das seinerzeit in Humlebæk, nördlich von Kopenhagen geplant, gebaut und 1958 eröffnet wurde.
Nach diesem Leitbild wurde dann der Architekturwettbewerb ausgeschrieben. Beteiligen konnten sich Bremer Architekten, geladen waren zudem einige auswärtige Architekten mit einschlägigen Bauerfahrungen. Wie beim Stadthallen-Wettbewerb schälte sich auch hier der Entwurf des ersten Preisträgers schon bald als die zu realisierende Lösung heraus. Er stammt von Heinrich Bartmann, der in Darmstadt an der Technischen Hochschule lehrte.
Bartmanns Entwurf gliedert die einzelnen Baubereiche klar: Kompakt der zweigeschossige, leicht in den Boden versenkte Verwaltungs- und Magazinbereiche, zum Riensberger Friedhof hin gelegen. Ihm steht – leicht verschwenkt – der überwiegend eingeschossige Ausstellungsteil gegenüber, der sich um einen Hof gruppiert und sich großzügig zur umgebenden Parklandschaft öffnet. Dazwischen befindet sich, an den Haupteingang angelehnt, der Vortragsaal. Wichtigste Änderung beim später ausgeführten Bau: eine zweigeschossige Passage des Ausstellungsteils wurde von der Süd- an die Nordseite des Innenhofes versetzt. Getrennte Pavillons, die sich Kloos gewünscht hatte, gab es zwar nicht, aber sonst repräsentierte Bartmanns Entwurf sicher am stärksten die Vorstellungen des Museumsdirektors.
Langer Bauprozess
Der erste Spatenstich erfolgte am 19. März 1959. Zur Grundsteinlegung am 22. Juni 1959 kam kein Geringerer als Bundespräsident Theodor Heuss. Rund zwei Jahre später, am 1. September 1961 war Richtfest. Dass dann aber noch mal drei Jahre bis zur Eröffnung verstrichen, erscheint dagegen erklärungsbedürftig – bei der Stadthalle waren das gerade einmal sechs Monate.
Natürlich lässt sich ein Museum nicht so schnell einrichten wie ein anderes Gebäude, weil ja sehr viele sensible Objekte zu bewegen sind. Auch sorgte ein Wasserschaden für Verzögerungen. Aber auch ein unerwartetes Ereignis bremste den Prozess aus: Am 9. Oktober 1962 wurde bei Baggerarbeiten für den Neustädter Hafen bekanntlich das Wrack einer mittelalterlichen Kogge entdeckt. Mitarbeiter des Focke-Museums leiteten die aufwändige Bergung, eine Bindung, die die zügige Planung und Einrichtung von Ausstellung und Magazin weiter einschränkte. Eine Zeitlang wurde sogar über ein Kogge-Haus beim Focke-Museum nachgedacht.
Als dann am 16. Oktober 1964 das Museum endlich eingeweiht werden konnte, war als Ehrengast Heuss’ Nachfolger Heinrich Lübke dabei. Nach mehr als zwanzig Jahren konnten die Bremerinnen und Bremer wieder den vollständigen historischen Schatz des Focke-Museums besichtigen. Und das Bauwerk fand als Prototyp eines modernen Museums sowie als besonderes architektonisches Raumerlebnis große Anerkennung. In dem Jahr, in dem Werner Kloos in Ruhestand ging, 1974, wurde das Haus mit einem Preis der Bundes Deutscher Architekten (BDA) ausgezeichnet. „Das Focke-Museum kann als eine der schönsten heimatkundlichen Museumsanlagen des Kontinents bezeichnet werden. Die mit einfachen Mitteln hergestellte Raumfolge steigert sich in ihrer Durchdringung mit erholsamen Gartenbereichen zu einem Ensemble von großer Harmonie“, heißt es im Jury-Urteil.
Seit 22 Jahren heizen wir unsere Umgebung
An dieser Stelle könnte die Geschichte eigentlich zu Ende sein, ginge es um den Plot einer Erfolgsstory. Doch hatte die Sache einen Pferdefuß. Ganz allmählich rächte sich nämlich, dass man die Einwände gegen den Standort beiseite geschoben und dass man in der großen Emphase für das neue Museumskonzept museologischen Grundgedanken zu wenig Beachtung geschenkt hatte. Abnehmende Besucherzahlen waren ein sicheres Indiz dafür, dass der Weg zum Focke-Museum vielleicht doch nicht so leicht zu finden war. Hinzu kam, dass 1972 die Straßenbahnlinie 4 nach Horn stillgelegt wurde. Mit öffentlichen Verkehrsmitteln konnte man das Museum nur noch per Bus erreichen.
In der zweiten Hälfte der siebziger Jahre setzte europaweit ein Museumsboom mit zahlreichen Um- und Neubauten ein, mit dem nicht zuletzt auch das Ziel verfolgt wurde, die Innenstädte aufzuwerten und den Städtetourismus anzukurbeln. Da lag nun das Focke-Museum wahrlich abseits. Seitens des Hauses wurden verschiedene Gutachten in Auftrag gegeben, um erneut mögliche innerstädtische Standorte ins Gespräch zu bringen.
Ein Umzug des Museums ins Stadtzentrum wurde aber letztlich aus Kostengründen seitens der Politik nie ernsthaft in Erwägung gezogen, obwohl sich auch das Haus in Riensberg als äußerst kostspielig erwies. „Der Neubau war schon zu klein, als wir ihn 1964 bezogen“, konstatierte Rosemarie Pohl-Weber, die Nachfolgerin von Kloos, auf der Mitgliederversammlung des „Vereins von Freunden des Focke-Museums e.V.“ am 23. Februar 1987. Deshalb lagerten noch immer wertvolle Bestände in unzureichenden Zwischenlösungen irgendwo in der Stadt. Zudem beklagte die Direktorin, dass ständig Baumängel zu beheben gewesen seien. Und schließlich erwies sich die einfache Verglasung der riesigen Fensterfläche als wenig energieeffizient: „Seit 22 Jahren heizen wir unsere Umgebung.“
Nachdem sich der Wunsch nach einer Rückkehr in die Stadtmitte nicht realisieren ließ, sollte immerhin ein Erweiterungsbau am alten Standort die Raumprobleme lösen. Einen zu diesem Zweck ausgelobten Wettbewerb gewann 1991 der Kölner Architekt Joachim Schürmann mit der Idee eines überwiegend unter dem Bodenniveau angelegten Erweiterungsbaus im Nordosten des Ausstellungstraktes. So sensibel dieser Entwurf auch mit dem Bestandsbauten und der Gartenlandschaft umging, so scheute man sich doch vor den zu erwartenden hohen Kosten eines solchen Vorhabens. Die heutige Lösung beruht auf einer Gebäudesanierung in den späten neunziger Jahren, die mit einer Neuordnung der Dauerausstellung verbunden war, sowie auf einem Erweiterungsbau durch den Bremer Architekten Gert Schulze, der 2003 fertig wurde.
von Prof. Dr. Eberhard Syring
Bremer Wettbewerb (und was daraus wurde)
Immer wieder faszinieren Wettbewerbe für Gebäude oder Stadträume nicht nur die Fachwelt, sondern auch eine breite Öffentlichkeit. Und nicht selten lösten sie erhebliche Diskussionen aus – wie etwa der Wettbewerb für das Haus der Bürgerschaft. Bremen History stellt in lockerer Folge einige der interessantesten Bremer Wettbewerbe vor und zeigt auf, was daraus wurde (oft etwas ganz anderes, als ursprünglich geplant, und manchmal auch gar nichts), und erläutert wie es dazu kam.