Vor 30 Jahren wurde das Senatsgästehaus an der Parkallee 113 abgerissen – breiter Widerstand war vergebens
Einigermaßen entgeistert beobachteten etliche Anwohner und Passanten am 30. März 1990, wie sich ein Bagger durch das frühere Gästehaus des Senats wühlte. Nach wenigen Stunden stand kein Stein mehr auf dem anderen, die geschichtsträchtige Villa an der Parkallee 113 war nun selbst Geschichte. Vergebens die Appelle der damaligen Oppositionsparteien CDU, FDP und Grünen, den angekündigten Abriss noch einmal zu überdenken. Vergebens auch die Unterschriftenaktion einer Bürgerinitiative und das Votum des Beirats Schwachhausen.
Mit einer so abrupten Wendung der Ereignisse hatten die Abrissgegner nicht gerechnet. Noch ein paar Wochen zuvor hatte sich FDP-Fraktionschef Claus Jäger optimistisch über die Chancen geäußert, das Senatsgästehaus doch noch zu retten. Als der Grundstücksausschuss der Bürgerschaft dem Verkauf an die Hotelkette Maritim im Juli 1989 zugestimmt habe, sei von Abbruch keine Rede gewesen. Seine Einschätzung: „Gegen massiven öffentlichen Widerstand können die sich keinen Abriss an der Parkallee leisten.“
Konnten sie doch. Noch sehr klar hat Susanne Kröhl, damals persönliche Referentin im Bauressort, den entscheidenden Tag vor Augen. „Es war ein Freitag und sehr gutes Wetter, alle waren schon in ihren Kleingärten.“ Völlig unerwartet sei ein Anruf aus dem Rathaus eingegangen. „Wir sollten sofort die Abrissgenehmigung erteilen.“ Staatsrat Manfred Osthaus habe einige Mühe gehabt, den zuständigen Kollegen zu erreichen. Irgendwelche Bedenken wurden nach ihrer Erinnerung nicht vorgebracht. „Da haben wir alle die Hacken zusammengenommen.“
Mit dem Abriss verschwand ein Stück Bremer Geschichte von der Bildfläche. Seit Februar 1946 hatten zahlreiche mehr oder weniger prominente Gäste im Senatsgästehaus logiert. Unter ihnen im Februar 1954 der damalige Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) als Gast der Schaffermahlzeit. Der langjährige Bürgermeister Wilhelm Kaisen (SPD) schätzte die Villa als Rückzugsort für vertrauliche Unterredungen. Er habe es stets als angenehm empfunden, im Gästehaus „in zwangloser Atmosphäre verhandeln zu können“, erklärte Kaisen im Mai 1958.
Dass Bremen überhaupt in den Genuss eines Gästehauses kam, war der US-Besatzungsmacht zu verdanken. Bereits im Sommer 1945 beklagten die Amerikaner, dass Bremen für Treffen mit auswärtigen Gästen oder US-Offizieren keine ansprechenden Räumlichkeiten habe. Sonderlich erstaunlich war das nicht, die repräsentativen Hotels lagen in Trümmern. Da half auch das unversehrte Rathaus wenig, dessen Gesellschaftsräume die Amerikaner als Clubräume nutzten.
Doch offenbar lösten deutsche Zivilverwaltung und US-Militärregierung das Problem im besten Einvernehmen. Dabei erwies es sich geradezu als Segen, dass die Amerikaner vor allem in Schwachhausen etliche hochherrschaftliche Bürgerhäuser beschlagnahmt hatten. Laut Holger Bruns-Kösters, Verfasser einer Broschüre über die Geschichte des Senatsgästehauses, legte man Kaisen eine Liste der requirierten Häuser vor. Seine Wahl fiel auf die Villa der Familie Brabant, am 9. Februar 1946 wurde das Gebäude seiner neuen Bestimmung übergeben.
Das schmucke Domizil stammte aus den frühen Jahren der Parkallee. Im August 1900 stellte der Bauunternehmer Julius Hermann Schacht den Bauantrag für sein neues Heim in bevorzugter Lage. Fast drei Jahrzehnte wohnte seine Familie in dem weitläufigen Haus mit dem zeittypischen Türmchen. Im Juli 1928 verkaufte er es an Carl Julius Brabant, den neuen Aufsichtsratsvorsitzenden der Jute-Spinnerei und Weberei Bremen.
Als die Amerikaner die Villa kurz nach Kriegsende beschlagnahmten, blieb den rechtmäßigen Eigentümern wenig anderes übrig, als sich in ihr Schicksal zu fügen. Eigene Ansprüche machten die Brabants auch gegen die neue Nutzung als Senatsgästehaus nicht geltend. Erst ab 1948 zahlte der Senat der Familie Brabant eine jährliche Miete in Höhe von 8400 Mark.
Große Hoffnungen auf Rückkehr in die eigenen vier Wände wird sich die Familie schon damals nicht mehr gemacht haben. Im Juni 1949 schlug Brabant dem Senat einen Deal vor: Bremen kauft das Haus und überlässt der Familie im Gegenzug ein „kleineres, im Staatseigentum befindliches Wohngrundstück“. Mehrfach stockten die Verhandlungen, das Bauressort pokerte wegen des Kaufpreises. Erst nachdem Kaisen ein Machtwort gesprochen hatte, ging der Verkauf im August 1950 über die Bühne: Die Familie Brabant erhielt ein Baugrundstück am Schwachhauser Ring und noch zusätzlich 120 000 Mark.
Damit war es freilich nicht getan, nicht nur die hohen Bewirtungskosten für die bis 600 Veranstaltungen pro Jahr stießen dem Senat übel auf. Auch die laufenden Unterhaltungskosten und Aufwendungen für Sanierungen hatten ihren Preis. „Wilhelm Kaisen ist das Gästehaus nicht nur lieb, es ist dem Senat auch teuer – teurer, als ihm zuweilen lieb ist“, resümiert Bruns-Köster in seiner Broschüre.
Ein eifriger Nutzer des Gästehauses war zuletzt Bürgermeister Hans Koschnick (SPD), das Obergeschoss wurde sogar vom Chef der Senatskanzlei bewohnt. Doch Koschnick-Nachfolger Wedemeier fand deutlich weniger Gefallen an dem Gebäude, seit seinem Amtsantritt 1985 wurde es nur noch sporadisch genutzt. Die Folge: Die dringend erforderliche Sanierung blieb aus, schon bald war die einstige Prachtvilla nicht mehr in einem vorzeigbaren Zustand.
Diskutiert wurde der Verkauf des Gästehauses seit 1988. Schon vor dem offiziellen Verkaufsinserat am 24. Juni 1989 soll die Maritim-Gruppe im Bilde gewesen sein, die in Bremen das damals erst geplante Kongresszentrum betreiben wollte. Laut Bruns-Kösters bot ein Bremer Rechtsanwalt 1,5 Millionen Mark für das Gästehaus, erst in letzter Minute habe die Maritim-Gruppe ihn um 50 000 Mark überboten und vom Ausschuss den Zuschlag erhalten. Das „sieht mir schon sehr nach Gefälligkeit aus“, kritisierte später Landesdenkmalpfleger Hans-Christoph Hoffmann.
Vom anfangs in Aussicht gestellten Umbau war schon bald keine Rede mehr. „Das Haus ist total verwohnt und kaputt“, erklärte Horst Gerhard Schewelies, Prokurist der Firma Finanzbau-Maritim. Im Dezember 1989 wurde der Abrissantrag gestellt, am 27. Januar 1990 berichtete der WESER-KURIER erstmals über die neue Entwicklung. Nun war der Ärger da, in der Bürgerschaft machte Bausenator Konrad Kunick (SPD) den Abrissgegnern wenig Hoffnung. Der in dem Haus aufgewachsene Sohn des früheren Eigentümers protestierte in einem offenen Brief an den Senat. „Für meinen Vater war der Abriss ein sehr bewegendes Thema“, sagt Thomas Brabant.
Einige Kritik musste Denkmalpfleger Hoffmann einstecken, der das Gebäude nicht unter Schutz stellen wollte. Auch das wenig feinfühlige Krisenmanagement des Senats sorgte für Empörung. Die „linke SPD-Schickeria“ habe in der Villa nur einen bürgerlichen Protzbau gesehen, so Wigbert Gerling, früher Redakteur bei den Bremer Nachrichten.
Der damalige Bürgermeister Wedemeier sieht das naturgemäß anders. „Es gab niemanden, der nicht traurig gewesen wäre, als das Gästehaus abgerissen wurde“, sagt der heute 76-Jährige. Doch das Haus habe sich in einem „fürchterlichen Zustand“ befunden, gerade deshalb sei das Kaufangebot der Maritim-Gruppe lukrativ gewesen. Was auch erklären würde, warum der damalige Chef der Senatskanzlei, Andreas Fuchs, ein Rückkaufangebot der Maritim-Gruppe eine Woche vor dem Abriss ablehnte. Laut Kunick auch ablehnen musste, weil die 1,5 Millionen Mark schon längst ausgegeben waren.
Keine dummen Gedanken
Der Verdacht liegt nahe, dass mit dem Abriss möglichst rasch vollendete Tatsachen geschaffen werden sollten. Aus Sicht von Susanne Kröhl spricht einiges dafür. „Es sollte eben keiner auf dumme Gedanken kommen.“ Dumme Gedanken, damit war in diesem speziellen Fall gemeint: Der Opposition sollte keine Gelegenheit gegeben werden, das Thema weiter politisch auszuschlachten. Zudem sei eine Hausbesetzung nicht auszuschließen gewesen, so Kunick am 30. März 1990. Zweieinhalb Wochen später musste er sich in der Bürgerschaft sogar einem Misstrauensantrag stellen.
Angesichts der damaligen Mehrheitsverhältnisse hatte der Misstrauensantrag jedoch keine Chance, die SPD regierte mit absoluter Mehrheit. Doch nicht wenige Stimmen sahen im Vorgehen des Senats ein untrügliches Zeichen wachsender Machtarroganz. So auch Wigbert Gerling, der den Abriss der Senatsgästevilla als „wichtigen Mosaikstein“ auf dem Weg zum nachhaltigen Vertrauensverlust sieht. Tatsächlich musste die SPD beim Wahlgang im September 1991 empfindliche Stimmeneinbußen von knapp zwölf Prozent hinnehmen, eine absolute Mehrheit hat die Partei seither nie wieder erreicht.
Bis dann wirklich etwas geschah auf der Grundstücksbrache sollten noch drei lange Jahre ins Land gehen. Für die damalige Behördenmitarbeiterin Kröhl kein ungewöhnlicher Umstand, bei Neubauten seien immer viele zeitraubende Formalitäten zu erledigen. Erst 1993 ließ Finanzbau an der Parkallee 113 eine Stadtvilla mit 14 Eigentumswohnungen errichten.