Vor 50 Jahren eröffnete der Horten-Konzern in Bremen sein größtes Kaufhaus
Drei markante Bauwerke entstanden im Jahr 1972 in der Bremer Innenstadt: Im Mai wurde die Autobrücke am Ansgaritor für den Verkehr freigegeben, die gegenwärtig als Teil der „Premiumroute“ Am Wall in einen Fahrradbrücke umgewandelt wird; im September öffnete das Kaufhaus Horten seine Tore; im Oktober wurde das Parkhaus Katharinenklosterhof seiner Bestimmung übergeben. Obwohl die drei Objekte scheinbar wenig miteinander zu tun haben, besteht zwischen ihnen doch ein kausaler Zusammenhang. Und der leitet sich aus der komplizierten Entstehungsgeschichte des Horten-Gebäudes ab.
Die sogenannte bundesdeutsche „Wirtschaftswunderzeit“ in den späten 1950er- und 1960er-Jahren war die Hochzeit der Kaufhäuser in den Innenstädten. Neben dem bereits vor dem Krieg in Bremen ansässigen Karstadt-Gebäude etablierte sich 1960 auf dem Grundstück der im Krieg zerstörten Ansgarii-Kirche (mehr dazu hier) 1960 das Hertie-Warenhaus. Als dritter der vier großen bundesdeutschen Warenhauskonzerne zeigte die Horten GmbH, die in Bremen nur durch ihr kleines Tochterunternehmen Defaka in der Oberstraße (mehr dazu hier) vertreten war, Interesse an einer großen Filiale in der Hansestadt und strebte dafür, wie zuvor schon Hertie, zunächst einen Bau auf dem Hillmann-Grundstück am Herdentor (mehr dazu hier) an. 1965 kam es dann zum Kauf des Lloyd-Gebäudes (mehr dazu hier) in unmittelbarer Nachbarschaft der beiden Konkurrenten.
Das prunkvolle eklektizistische, von Johann Georg Poppe 1910 geschaffene Reederei-Verwaltungsgebäude war im Krieg nur leicht beschädigt worden und diente, nun im Besitz der AG Weser, als Hauptsitz der Bauverwaltung. Die Behördenleitung war über den bevorstehenden Auszug wenig traurig, träumte sie damals doch von einem eigenen Verwaltungshochhaus, dem Bauhof-Komplex an der geplanten neuen Ost-Tangente (mehr dazu hier).
Da dieses Bauvorhaben aber nicht sofort umsetzbar war und ein langfristiger Mietvertrag bestand, war ein Abriss des Lloydgebäudes nicht vor 1968 möglich. Tatsächlich erfolgte er erst 1969. Denn inzwischen gab es Auseinandersetzungen um die Planungen des Kaufhauskonzerns. Dieser hatte 1966 den Wunsch geäußert, über die Grundstücksgrenzen des zwischen Großer Hundestraße und Pelzerstraße gelegenen Lloydgebäudes hinaus bis an die Knochenhauerstraße heran zu bauen. Das hätte ein Vergrößerung der Grundfläche um rund ein Viertel, aber auch eine Teilaufhebung der Pelzerstraße zu Folge gehabt.
Die geplante Erweiterung, aber auch die Absicht des Konzerns, in Anbindung an das Parkhaus Mitte (mehr dazu hier) ein eigenes Parkhaus mit direkten Zugang zu den Verkaufsetagen zu bauen, stießen auf den erbitterten Widerstand der Handelskammer und der Aufbaugemeinschaft (mehr dazu hier). Einerseits sah man durch die Größe und die direkte Parkhausanbindung einen nicht akzeptablen Vorteil gegenüber den anderen Warenhäusern, aber auch gegenüber den damals meist noch von Eigentümern geführten Einzelhandelsgeschäften in der Sögestraße.
Andererseits befürchtete man einen Verkehrskollaps im Bereich um die Kaufhäuser durch die neue Hortengarage. Zur Klärung dieser Frage wurde eigens ein Verkehrsgutachten in Auftrag gegeben, das als eine mögliche Lösung für die Ausfahrt des erweiterten Parkhauses gar einen Tunnel bis zur Martinistraße vorschlug. Eine zu kostspielige Lösung, wie man schnell feststellte. Stattdessen sollte die Ausfahrt der parkenden Autos zur Kreuzung am Ansgaritor führen, die allerdings durch besagten Brückenneubau entlastet werden müsse.
Als im März 1970 der Bebauungsplan 700 für den Hortenbau schließlich einstimmig im Parlament beschlossen wurde, hatte der Kaufhauskonzern einige Konzessionen einzugehen: eine Beschränkung der maximalen Verkaufs- und Lagerflächen, keinen direkter Zugang vom Parkhaus sowie die Übertragung des Nutzungsrechts der von Horten finanzierten Garage an die Brepark. Und zur Verbesserung der Verkehrssituation kündigte der Senat an, eigentlich erst für später geplante Baumaßnahmen wie das Parkhaus Katharinenklosterhof und die Wallbrücke am Ansgaritor vorzuziehen. An den Kosten der letzteren musste sich Horten mit einer Millionen DM beteiligen.
Trotz der erheblichen Abstriche konnte der Konzern bei der Eröffnung am 7. September 1972 in Bremen sein größtes Haus präsentieren. Architektonisch hatte der von den Bremer Architekten Morschel, Henke und Hodde entworfene Bau äußerlich wenig zu bieten. Er entsprach mit seiner fensterlosen und kaum gegliederten Rasterfassade sowohl dem damaligen Trend im Kaufhausbau als auch dem besonderen „Hortenstil“ eines Corporate Design, das von der Fassade über die Türgriffe bis zur Plastiktüte reichte.
Der bekannte Architekt Egon Eiermann hatte diesen Fassadentyp 1961 für Heidelberger Hortenfiliale eingeführt. Das später vielfach wiederholte Fassadenelement aus Leichtmetall, ein stilisiertes „H“, entwickelte der Düsseldorfer Architekt Helmut Rhode. Dieser Stil war auch in Bremen gesetzt. Die Idee dahinter: der ortsfremde Autofahrer aus dem Umland sollte auf dem Weg in die Innenstadt auf den ersten Blick das Horten-Warenhaus identifizieren.
Architektonisch eindrucksvoller präsentierte sich Bremens Horten innen mit einem zylindrischen Rolltreppenhaus, in dessen Mitte sich eine alle Stockwerke durchdringende „Lichtstruktur“ aus 4.800 Glühlampen erhob, entworfen von der Kölner Interlumen Lichtarchitektur GmbH. Dieser Mittelpunkt erinnerte ein wenig an die Lichthöfe der ersten Kaufhäuser, die ihnen die Bezeichnung „Kathedralen der Konsums“ eingebracht hatten. Aufgrund des großen Raumbedarfs wurde eine solche Lösung in späteren Horten-Bauten nicht wiederholt.
Kistenartige, wenig gegliederte Warenhäuser im Stadtkern gerieten in den 1970er-Jahren immer mehr in die Kritik aufgrund ihrer Rücksichtslosigkeit gegenüber der Maßstäblichkeit der historischen Umgebung. Das Kaufhaus Schneider in Freiburg leitete 1975 eine neue Generation von Warenhäusern ein, die sich um Rücksichtnahme auf ihr historisches Umfeld bemühten. Zwei Jahre später verzichtete Horten in der Hauptfassade seiner Bielefelder Filiale erstmals auf sein typisches Wiedererkennungsmerkmal. So war der Bremer Neubau bei seiner Eröffnung fast schon wieder aus der Zeit gefallen. Mit Umbauten im Zuge des Baus der Lloyd-Passage in den 1980er-Jahren versuchte Horten den Anschluss an ein inzwischen gängiges stadterlebnisorientiertes Einkaufsverhalten zu finden.