Die „Magdalene Vinnen“ ist seit 100 Jahren auf den Meeren unterwegs – heute als Schulschiff „Sedov“

Es war damals das weltweit größte kommerzielle Segelschiff: die stählerne Viermastbark „Magdalene Vinnen“, die vor 100 Jahren am 25. September 1921 in Dienst gestellt und ihrem Besteller, der Bremer Reederei F. A. Vinnen & Co., übergeben wurde. Sie war das zweite, nach der Ehefrau des Bremer Reeders Friedrich Adolf Vinnen benannte, Schiff, das für die Reederei segelte. Das Datum gilt nicht nur für die Reederei als Meilenstein, sondern für die deutsche Handelsschifffahrt insgesamt, deren Flotte sich nach dem Ersten Weltkrieg immer noch im Aufbau befand.

Sowohl die Viermastbark als auch die Reederei stehen für Beständigkeit und existieren heute noch: Die „Magdalene Vinnen“ ist als Schulschiff „Sedov“ der Universität von Kaliningrad im Einsatz. Von 1936 bis 1945 gehörte das Segelschiff dem Norddeutschen Lloyd (NDL), der die „Magdalene Vinnen“ nach einem langjährigen Segel- und Passagierschiffskapitän und Kommodore des NDL in „Kommodore Johnsen“ umbenannte und zum frachtfahrenden Schulschiff umrüstete. Die Vinnen-Reederei betreibt heute eine Flotte von neun modernen Containerschiffen, die meisten in der Größenklasse von 5000 Standardcontainern (TEU). Das Unternehmen ist 202 Jahre alt und damit Deutschlands zweitälteste Reederei.

Ereignis von Weltbedeutung

Der Stapellauf der Viermastbark erfolgte bereits am 23. März 1921. Die 117,5 Meter lange und 14,6 Meter breite „Magdalene Vinnen“ auf der damaligen Fried. Krupp Germaniawerft in Kiel. „Für die Reederei, die Familie Vinnen und alle Mitarbeiter war das ein stolzer Tag. Aber auch viele Werftarbeiter und Schaulustige sahen zu, als das Segelschiff die Kieler Förde verließ, um dann in Bremen für ihre großen Reisen ausgerüstet zu werden. Jeder der Anwesenden spürte, dass dies ein Ereignis von Weltbedeutung war, aber keiner konnte ahnen, welch aufregende Reise dieses Schiff noch nehmen würde“, heißt es rückblickend von der Vinnen-Reederei zu diesem Ereignis, das auch als Basis für den Neuanfang des Unternehmens gilt. Im und nach dem Ersten Weltkrieg hatte die Vinnen-Reederei ihre gesamte Flotte verloren – entweder waren die Schiffe versenkt worden oder gingen als Kriegsreparationen an die Siegermächte.

Groß war der Andrang beim Stapellauf der „Magdalene Vinnen“ im März 1921 in Kiel.
Quelle: Reederei Vinnen

Die erste Reise der „Magdalene Vinnen“ führte von Bremen über Cardiff nach Buenos Aires. Die Reisezeit von England nach Argentinien dauerte voll beladen 30 Tage – nur unwesentlich langsamer als damalige Frachtdampfer. Diese durchaus wettbewerbsfähige Geschwindigkeit lag nicht nur an den guten Segeleigenschaften der Viermastbark. Ein Vier-Takt-Dieselmotor mit einer Leistung von etwa 550 PS machte die „Magdalene Vinnen“ zu einem Motorsegler und damit flautenresistent – ein riesiger Vorteil gegenüber den anderen konventionellen Seglern.

Aber auch an anderer Stelle legte die Reederei Wert auf technologischen Fortschritt: Die „Magdalene Vinnen“ hatte elektrische Beleuchtung und eine Heizung an Bord, was bis dahin auf konventionellen Seglern nicht üblich war und das Leben auf See für die bis zu 42 Mann starke Besetzung wesentlich komfortabler gestaltete. Der Dieselmotor sorgte noch für einen weiteren Vorteil: Die Ein- und Auslaufmanöver gestalteten sich so um einiges leichter.

Für die Reederei F. A. Vinnen & Co. war sie unter anderem erfolgreich nach Südamerika, Südafrika, Australien unterwegs und umsegelte zwei Mal das berüchtigte Kap Hoorn – die Landspitze auf der chilenischen Felseninsel Isla Hornos – ein herausforderndes Segelgebiet, weil die Passage vom Atlantik zum Pazifik wegen der Westwinddrift ein ständiges Kreuzen bei hoher See und Regen, Kälte, und Eisbergen erforderte. Als Ladung hatte die „Magdalene Vinnen“ alles an Bord, was damals über die Weltmeere transportiert wurde: Kohle, Schnittholz, Weizen, Kies und Stückgut jeglicher Art.

Verkauf an Norddeutschen Lloyd

Der frühe Tod von Friedrich Adolf Vinnen im Jahr 1926 und die weltweite Wirtschaftsdepression stellten die Firma in den späten 1920er-Jahren vor große Herausforderungen. Werner Vinnen, der Sohn und Nachfolger von Friedrich Adolf, entschied sich Anfang der 1930er-Jahre, von Segelschiffen auf Dampf- und Motorschiffe umzusteigen, und die „Magdalene Vinnen“ wurde 1936 an den Norddeutschen Lloyd verkauft.

Für den NDL unternahm die Bark im Oktober 1936 ihre erste Reise – von Bremen aus mit Kohle für Montevideo und zurück von Buenos Aires nach Hamburg mit Getreide an Bord. Fast wäre es zur Katastrophe gekommen: „Am 1. März 1937 nach Passieren einer Azoreninsel briste der Wind innerhalb weniger Stunden von SW 5 auf Orkanstärke mit heftigen Böen auf“, beschreibt das Portal Seefunknetz den Fastuntergang. „Das Schiff hielt zunächst eine Schlagseite von 20 Grad, diese nahm dann aber auf 35 bis 45, am 3. März auf mehr als 50 Grad zu.“ Am 3. März wurde SOS gesendet: „,Kommodore Johnsen“ schwere Havarie‘.“

Einmal posieren: Besatzung an Bord der „Magdalene Vinnen“.
Quelle: Reederei Vinnen

„Die Mannschaft kämpfte verzweifelt in ihrer Situation ums Überleben“, so das Forum-Marinearchiv. „Der holländische Tanker ,Siederecht‘ und das deutsche Tankmotorschiff ,Winkler‘ bemühten sich mit Erfolg um den Havaristen. Gegen Abend des 3. März entspannte sich die Situation, nachdem ein Tanker auf der Wetterseite Öl zur Wellenberuhigung über Bord gegeben hatte und der Sturm etwas abflaute, hatten die Arbeiten in den Laderäumen des Seglers Erfolg. Nach fast 24 Stunden konnten die Trimmarbeiten eingestellt und die Tanker mit Dank entlassen werden.“ 15 Tage später lief die „Kommodore Johnsen“ in Hamburg ein. Bedingt durch den Krieg hatte die Bark laut dem Forum-Marinearchiv von 1936 bis 1939 insgesamt vier Reisen unternommen und dabei 97.469 Seemeilen zurückgelegt.

Zum Ende des Zweiten Weltkrieges lag das Schiff in Flensburg und ging zunächst an die britischen Besatzungsmächte, wurde dann aber der damaligen UdSSR zugesprochen und im Januar 1946 an die sowjetische Marine übergeben. Diese benannte sie nach dem russischen Polarforscher Georgij J. Sedov. Zu den Zeiten des Eisernen Vorhangs ist über den Verbleib der „Sedov“ wenig bekannt. 1981 wurde sie zum Schulschiff für die Handelsmarine umgebaut. Seitdem ist sie regelmäßig zu Gast bei den großen Windjammertreffen. Heute, genau 100 Jahre nach ihrer Indienststellung, befindet sie sich im Hafen von Kaliningrad und wartet darauf, wieder zur Ausbildung in See stechen zu können. Sie gehört seit 2017 der dort ansässigen Staatlichen Technischen Universität.

„Es erfüllt uns mit Stolz, dass das bekannteste Schiff unser über 200-jährigen Firmengeschichte noch immer im Einsatz ist,“ so Michael Vinnen, heutiger Inhaber von F. A. Vinnen & Co. „Auch wenn die ,Magdalene Vinnen‘ schon seit 85 Jahren nicht mehr Teil unserer Flotte ist, so ist sie doch immer ein Teil unserer Firmengeschichte und damit ein Teil unserer Familie. Wir wünschen ihr immer eine gute und sichere Reise und hoffen auf ein baldiges Wiedersehen.“

Ein Stück Filmgeschichte

Die „Magdalene Vinnen“ wurde als „Sedov“ auch Teil der ARD-Filmproduktion „Der Untergang der Pamir“: 2005 diente die „Sedov“ als Filmkulisse für die unglückselige Viermastbark, die 1957 etwa 600 Seemeilen südwestlich der Azoren in einen Hurrikan geriet und unterging. Von den 86 Besatzungsmitgliedern der „Pamir“ kamen 80 ums Leben. Der Rumpf der „Sedov“ wurde für diesen Zweck extra bei den Nordseewerken in Emden wie die „Pamir“ schwarz angestrichen.

Die „Magdalene Vinnen“ wurde für die Bremer Reederei Vinnen gebaut.
Quelle: Reederei Vinnen

Jung, aber mit viel Geschichte

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