Zur Einweihung des „Familie-Schwarz-Platz“ am Kulturzentrum Schlachthof – Ehrung für verfolgte Sinti-Familie

Der alte Schlachthof im Findorff war im März 1943 Ort eines schrecklichen Geschehens: Ab dem 8. März 1943 trieb die Kriminalpolizei 269 Sinti und Roma aus Nordwestdeutschland, darunter 172 Bremer Sinti und Roma, in einer leer stehenden Halle zusammen. Auf dem nackten Boden hockend, auf Strohsäcken schlafend und bei schlechter Verpflegung harrten die Menschen aus, bis sie jeweils in drei Transporten in das sogenannte Zigeunerfamilienlager nach Auschwitz-Birkenau deportiert wurden. Unter ihnen war die zwölfköpfige Familie von Wilhelm und Anna Schwarz. Die Familie wohnte seit den 1920er-Jahren in Bremen, zuletzt direkt neben dem Schlachthof.

Die Bremer Sintezza Anni Grimm um 1949 mit dem älteren Sohn Friedrich. Deutlich erkennbar: die eintätowierte Z-Nummer auf ihrem Unterarm.
Foto: Frei

183 Sinti und Roma kamen nicht mehr nach Norddeutschland zurück. Von der Familie Schwarz überlebte nur die zweitälteste Tochter Anni. Ihr wurde in den Unterarm in Auschwitz eine Nummer eintätowiert: Z 2322. Die 16-jährige Anni und ihre ältere Schwester Gertrud mussten mit ansehen, wie innerhalb weniger Monate alle Familienangehörigen an den unmenschlichen Lebensverhältnissen in dem KZ starben. Als Anni im April 1944 in das Frauenkonzentrationslager Ravensbrück überführt wird, bleibt ihre Schwester zurück. Die 19-Jährige stirbt am 17. Juni 1944. Vermutlich erfährt Anni davon noch im Frauenkonzentrationslager Ravensbrück.

1948 kommt Anni zurück nach Bremen. Sie will Spuren suchen, schauen, ob noch etwas an ihrem früheren Wohnort zu finden ist. Zufällig trifft sie auf die Postbotin, die seinerzeit die Post der Familie austrug. Sie berichtet ihr, dass die Wohnung ihrer Eltern unmittelbar nach der Deportation der Familie „ausgeräumt“ worden war. Sie findet in Bremen nichts mehr, was an ihre Familie erinnert.

1946 hatte Anni den Gärtner Wolfgang Grimm geheiratet. Aus der Ehe gingen zwei Söhne hervor. Die Familie lebte in der damaligen DDR. Hier war die Mutter „eine Heldin“, wie der jüngere Sohn, Erdmann, erzählt. Es habe für sie keinen Grund gegeben, ihre Auschwitz-Nummer auf dem Unterarm zu verstecken. 1951 flüchtete die Familie in den Westen.

Düstere Zukunft: die jungte Anni Schwarz um 1941,
Foto: frei

Um an diese Familie, aber auch an diese Geschehnisse vom März 1943 und an die vielen Opfer zu erinnern, wird an diesem Sonntag der Platz vor dem Kulturzentrum Schlachthof in „Familie-Schwarz-Platz“ umbenannt. Die Initiative hierzu geht auf den „Arbeitskreis Erinnern an den März 1943“ zurück. Ausschlaggebend waren drei Überlegungen: Es sollte eine Familie sein, weil Sinti und Roma familienweise verfolgt wurden; die Familie Schwarz bot sich an, weil sie lange Zeit in Findorff gewohnt hatte und weil über die einzig Überlebende der NS-Verfolgung, Anni Schwarz, nähere Informationen und ein Foto vorlagen. Am 2. März 2021 stimmte der Beirat Findorff dem Vorschlag zu.

Als es gelang, einen Kontakt zu dem Sohn von Anni Schwarz, verheiratete Grimm, herzustellen, konnte der Arbeitskreis sowohl von ihm eine Zustimmung für die Platzbenennung als auch nähere Angaben über die Familie erhalten, insbesondere über Anni Grimm. Er erzählte, dass seine Mutter ihm nur sehr wenig über ihre Verfolgung berichtet habe. Aber: „Was das ‚Z‘ bedeutete, das hat sie mir erklärt. Sie hat mir gesagt, dass es unmenschlich war.“

Bei diesen Erzählungen seien ihr öfter die Tränen gekommen. „Das weiß ich noch“, so der Sohn, „weil, wenn eine Mutter weint – das ist ganz schlimm für ein Kind.“ Sie habe nie verstehen können, dass so etwas wie die NS-Verfolgung in Deutschland passieren konnte. Und sie wollte in der Öffentlichkeit nicht über ihre Verfolgung sprechen – weil sie Angst hatte. Diese Angst führte schließlich dazu, dass sie ihre Z-Nummer unter einem Pflaster verbarg, wenn sie in der Öffentlichkeit unterwegs war. Sie habe sich nicht geschämt, so der Sohn, sondern sie habe Angst vor einer erneuten Verfolgung gehabt, vor alten, neuen Nazis.

Letzte Ruhestätte: der Grabstein von Anni Grimm.
Foto: Frei

Dass sie eine Sintezza war, wusste in der Nachbarschaft niemand. Erst ihr Tod machte das öffentlich. Als Anni Grimm am 25. März 2007 in Wolfsburg starb, wurde sie auf dem St. Annen-Friedhof in Wolfsburg beerdigt. Während der Trauerfeier in der Kapelle überraschte der Pastor die Anwesenden mit der Einbindung eines besonderen Kruzifixes. Der Überlieferung nach hat es ein polnischer Künstler aus Stacheldraht des Konzentrationslagers in Auschwitz gefertigt. Pastor Frank Morgner stellte dieses Kruzifix in den Mittelpunkt seiner Predigt. Er hatte Anni Grimm zuvor einige Male besucht, „und sie hat mir dabei“, so erzählt der Pastor, „ihre Geschichte mit den Ereignissen in Auschwitz anvertraut, wofür ich ihr bis heute sehr dankbar bin“. Der „Auschwitzer Christus“ hängt noch heute in der Christuskirche.

In wenigen Jahren wird das Grab von Anni Grimm auslaufen. Der Sohn und der „Arbeitskreis Erinnern an den März 1943“ versuchen, die Grabstätte mit einem ewigen Ruherecht zu versehen, wie dies für Gräber im Nationalsozialismus verfolgter Sinti und Roma seit wenigen Jahren vorgesehen ist. Dem wurde von der Friedhofsleitung bereits grundsätzlich zugestimmt. Damit und mit der Platzbenennung würde die Geschichte der Familie Schwarz auf ewig erhalten bleiben.

Der Historiker Hans Hesse lebt bei Köln, seit mehr als zwei Jahrzehnten forscht der gebürtige Bremer zur NS-Verfolgung der Sinti und Roma in Nordwestdeutschland. Unter dem Titel „‚Ich bitte, die verantwortlichen Personen für ihre unmenschlichen barbarischen Taten zur Rechenschaft zu ziehen.‘ Die Deportation der Sinti und Roma am 8. März 1943 aus Nordwestdeutschland“ ist kürzlich im Verlag Edition Falkenberg der zweite Teil seines Gedenkbuchs erschienen, es hat 336 Seiten und kostet 24,90 €.  

In Auschwitz ermordet: die Bremer Sintezza Gertrud Schwarz, hier auf einer Aufnahme von 1942.
Foto: Frei

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