Von Anbiet bis Zuckerklatsche
„Erst der Hafen, dann ist die Stadt“
Im Magazin „Erst der Hafen, dann ist die Stadt“ über Bremen und seine Häfen gehen wir in vielen historischen Bildern auf Zeitreise durch die maritime Vergangenheit unserer Hansestadt. Wie entwickelten sich die Häfen in Bremen vom Mittelalter bis heute? Wie sah die Arbeit zwischen Ladeluke, Kaje und Schuppen aus? Was hatte es mit den Anbiethallen auf sich? Und wie veränderte die Containerschifffahrt die Häfen? Wir blicken auf die Gründung der Freihäfen um 1900 und den Strukturwandel rund 100 Jahre später. Wir erzählen von Schmugglern und Zöllnern, von Bremens großen Werften sowie Abenteuern, Sex und Alkohol an der Küste – dem Rotlichtviertel am Hafen.
Vor 125 Jahren starb der Afrikareisende Gerhard Rohlfs – ein sprachgewandter Aussteiger, aber kein Forscher
Fast genau 125 Jahre ist es jetzt her, dass sich ein stattlicher Trauerzug mit Musikbegleitung von Vegesack durch Aumund nach dem Vegesacker Friedhof bewegte, um Abschied zu nehmen von Gerhard Rohlfs, der am 2. Juni 1896 in Godesberg gestorben war. Aber nicht von der Vegesacker Kirche aus – wie üblich, sondern von einer Turnhalle – und nicht – wie üblich – mit einem Sarg, sondern zum ersten und für lange zum einzigen Mal mit einer Urne. Ungewöhnlich wie dieser Abschied am 10. Juni 1896, so verlief sein unstetes und zeitweilig abenteuerliches Leben, das geprägt war vor allem durch seine Soldatenkarriere und seine acht Reisen durch Nordafrika und Äthiopien.
Ein gefragter Redner: Gerhard Rohlfs während seiner Vortragsreise in den USA.
Quelle: Heimatmuseum Schloss Schönebeck
Dabei wuchs er – mit vollem Namen Friedrich Gerhard – in einer gutbürgerlichen Arztfamilie auf, die es sich leisten konnte, allen sieben Kindern Privatunterricht zukommen zu lassen. Aber zum Abitur für die drei Jungs musste ein Gymnasium besucht werden, das es seinerzeit in Vegesack nicht gab. Für Rohlfs hießen die Stationen Osnabrück, Celle und Bremen. Drei Abbrüche, kein Abitur.
Es folgten Militärzeiten in Bremen und Schleswig-Holstein, wo er nach der verlorenen Schlacht bei Idstedt im Juli 1850 zwar bleiben wollte, aber als „nicht zu empfehlen“ gehen musste. Wohl die ganze Familie drängte zum Medizinstudium, was nach drei Semestern mit einer bestandenen Zwischenprüfung auch ohne Abitur möglich gewesen wäre, aber Rohlfs ging ohne Abschied von der Familie in die österreichische Armee, wo er dann gleich zweimal desertierte. Der Abstieg endete nach Monaten, von denen bis heute nicht bekannt ist, wo und wovon Rohlfs lebte, in der Fremdenlegion.
Fantasien über die Fremdenlegion
Sein erhaltener Personalbogen bestätigt kaum etwas von dem, was fantasievoll über seine Legionszeit geschrieben worden ist, er bestätigt aber seinen Einsatz in Italien 1859 in der Schlacht bei Solferino – bekannt von der Gründung des Roten Kreuzes – gegen die Österreicher, und zwar auch gegen seine alten Kameraden aus der Bozener Zeit! Keine Begründung findet sich für seine einvernehmliche vorzeitige Entlassung – in eine weitere bisher nicht zu ergründende monatelange Zeit, über die nur vermutet werden kann, dass er sich als Spion für französische Rechnung ausbilden ließ.
Wenn man mit diesem Hintergedanken seine jetzt beginnende Reisetätigkeit und alles, was er darüber geschrieben hat, Revue passieren lässt, häufen sich die Indizien für diese Vermutung. Den Franzosen war sehr daran gelegen herauszufinden, ob Militärtransporte zwischen Französisch-Algerien und Französisch-Senegambien durch die Sahara möglich sind. Rohlfs hat es nicht herausgefunden, Timbuktu nie erreicht.
Im Geist der Zeit: das Rohlfs-Zimmer im Heimatmuseum Schloss Schönebeck.
Foto: Marina Köglin
Es soll hier nicht auf seine verschiedenen Reisen eingegangen werden. Die Bücher, die er darüber geschrieben hat, sind heute alle im Internet abrufbar. Waren es Forschungsreisen? Im eigentlichen Sinne nicht, denn dazu fehlten ihm die Grundlagen, obwohl man ihm zugestehen muss, dass er als Autodidakt sich gründlich eingelesen hat. Die umfangreiche Bibliothek im Heimatmuseum Schloss Schönebeck, das seinen Nachlass verwahrt, spricht dafür. Er ist von dem Kartografen und Publizisten August Petermann, der auch für Geld und Beziehungen bis ins Königshaus gesorgt hat, gefördert und gefordert worden. Auch andere Kapazitäten haben Rohlfs Aufträge erteilt, die er zu erfüllen versucht hat. Seine Aufzeichnungen hat er von Fachleuten ausarbeiten lassen, um etliche davon dann in seinen Büchern mit zu veröffentlichen.
Aber er konnte davon allein nicht leben, zumal er nach seiner Heirat in Weimar ein gastliches, aber auch teures Haus führte. So schrieb er praktisch bis an sein Lebensende neben Zeitungsbeiträgen Artikel für Fachzeitschriften, aber auch für viel gelesene Publikumsblätter wie „Daheim“, „Gartenlaube“, „Vom Fels zum Meer“ und ähnliche. Haupteinnahmequelle aber waren seine Vorträge, die er viele Jahre in ganz Deutschland und auf einer Amerikareise hielt. Sie waren in aller Regel gut bis sehr gut besucht, egal, ob er über seine Reisen oder über kolonialpolitische Themen sprach. Er muss ein glänzender Redner gewesen sein, wie auch immer wieder in der Presse berichtet wurde.
Dabei hatte er sich das ganz anders vorgestellt: Er wollte gern Konsul werden und damit über regelmäßige Einkünfte verfügen. Er hoffte auf ein geruhsames Leben mit viel Zeit für Entdeckungsreisen. König Wilhelm I. hatte ihm eine solche Stelle in Aussicht gestellt, konnte aber seine Zusage gegen den Widerstand der maßgebenden Beamten im Auswärtigen Dienst nie umsetzen. Selbst Reichskanzler Bismarck, der ursprünglich viel von Rohlfs hielt, konnte erst 1883 durchsetzen, dass Rohlfs Generalkonsul auf Sansibar wurde. Der Versuch endete schnell, denn nach gerade einem halben Jahr wurde er bereits abberufen. Als Trostpflaster bekam er in den letzten Jahren ohne Anspruch eine jährliche staatliche Zuwendung.
In der Tracht der Einheimischen: 1861 ließ sich der damals 30-jährige Gerhard Rohlfs in Algier ablichten.
Quelle: Heimatmuseum Schloss Schönebeck
Rohlfs heiratete 1870 Leontine Behrens aus Riga. Ihre Mutter war eine geborene Schweinfurth, der Afrikaforscher Georg Schweinfurth war ihr Bruder. Die Familie hatte die russische Staatsbürgerschaft angenommen, da sie Voraussetzung war, dass der Weinhändler Schweinfurth Hoflieferant des Zaren werden konnte. Leontine Rohlfs war 19 Jahre jünger als Ihr Mann und überlebte ihn um 21 Jahre. Die Ehe blieb kinderlos. Das Paar nahm nach der Heirat mit großzügiger Unterstützung durch Großherzog Carl Alexander von Sachsen-Weimar-Eisenach seinen Wohnsitz in Weimar und übersiedelte 1889 nach Godesberg.
Vegesack nie vergessen
Rohlfs hat als Erwachsener nie in Vegesack gelebt. Bis 1870 hat er, wenn er denn in Deutschland war, in Bremen, Am Wall 174, bei seinem Bruder Hermann gewohnt. Vegesack hat er, der eigentlich ein Heimatloser war, nie vergessen. Er hat dort zugunsten des Armenhauses mehrere Vorträge gehalten und sich frühzeitig um eine Grabstelle auf dem neuen Vegesacker Friedhof bemüht, auf die er seine Eltern und seine jüngste Schwester umbetten ließ. Diese Grabstätte ist erhalten. Das Elternhaus ging auf seinen anderen Bruder Gottfried über, der es später verkaufte. Gerhard Rohlfs erbte nichts, er kam im Testament des Vaters nicht vor.
Rohlfs war zu seiner Zeit sehr bekannt und als Nordafrikaexperte gefragt. Die Liste der Personen, mit denen er in Kontakt stand, umfasst knapp 1300 Namen. Und so ist es auch nicht verwunderlich, dass schon sehr früh Straßen nach ihm benannt wurden: 1898 in Godesberg, 1902 in Weimar und immerhin 1903 in Bremen (1953 umbenannt, weil man nicht zwei nach Rohlfs-Straßen im Stadtgebiet haben wollte). In Vegesack hatte man es nicht so eilig: 1912. Der eigentliche Grund war hier auch nicht Gerhard Rohlfs, sondern ein rundes Jubiläum der Stadtratssitzungen. Zudem gibt es heute noch Rohlfs-Straßen in Berlin, Dresden, München, Hamburg, Hannover und Delmenhorst. Mögen die Erkenntnisse, die Gerhard Rohlfs zusammengetragen hat heute im Detail weitgehend überholt sein, so hat er als Kind seiner Zeit durchaus seine Bedeutung und es nicht verdient,
Womöglich ein Spion in französischen Diensten: Gerhard Rohlfs.
Quelle: Wikimedia Commons
vergessen zu werden.
Afrika in Deutschland bekannt gemacht
Gerhard Rohlfs wurde am 14. April 1831 in Vegesack geboren. Sein Leben war facettenreich, er war Abenteurer, Afrikareisender, Schriftsteller, Journalist, Soldat, Vortragsreisender, Sonderbeauftragter in politischen Missionen und Generalkonsul. 1871 avancierte er zum Ehrendoktor der Universität Jena. Rohlfs erhielt zahlreiche nationale und internationale Auszeichnungen und Orden, zugleich war er Ehrenmitglied diverser nationaler und internationaler geografischer Gesellschaften. Wie kaum ein anderer hat er den Deutschen Afrika bekannt gemacht und nahe gebracht. Er starb am 2. Juni 1896 in Godesberg.
Günter Bolte,
Diplom-Kaufmann, in Bremen-Aumund geboren, 40 Jahre in Bremen und in Bremerhaven als Bankkaufmann in leitender Position tätig, seit knapp 20 Jahren als ehrenamtlicher Mitarbeiter im Heimatmuseum Schloss Schönebeck aktiv, in dessen Nähe er auch lebt.