Zehntausende drängelten sich am 26. Februar 1932 in der Bremer Innenstadt. Der Grund: die Eröffnung des neuen Karstadt-Warenhauses. Mit einer geschickten Werbestrategie hatte der Kaufhauskonzern seinen Teil zum Massenandrang beigetragen. Schon seit Monatsanfang war in der Tagespresse eine Anzeige nach der anderen erschienen. Zum Eröffnungstag bot der Kaufhauskonzern sogar kostenlose Fahrgelegenheiten aus dem Umland an.
Es war kein Durchkommen an diesem Freitag, in der Innenstadt drängelten sich wahre Menschenmassen. Die Polizei hatte alle Hände voll zu tun, um die Ordnung aufrechtzuerhalten. Am Nachmittag wurde die Obernstraße zeitweise für den Autoverkehr gesperrt, nur noch im Schritttempo kamen die Straßenbahnen voran.
Die Eröffnung des neuen Karstadt-Warenhauses am 26. Februar 1932 lockte Zehntausende in die Bremer Hauptgeschäftsstraße. Ein heute kaum noch vorstellbarer Zulauf für den krisengeschüttelten Kaufhaus-Konzern.
Überraschend kam der Massenansturm ganz sicher nicht. Den Karstadt-Machern war die Eröffnung keineswegs plötzlich über den Kopf gewachsen. Im Gegenteil, das Ereignis war geradezu generalstabsmäßig vorbereitet worden. Seit Monatsanfang hatte Karstadt die Bremer Bevölkerung systematisch auf den Eröffnungstag eingestimmt. Der gewaltige Andrang war das Ergebnis einer ausgeklügelten Werbestrategie. Ein beachtlicher Marketing-Erfolg für den Kaufhaus-Riesen.
In Bremen war Karstadt seit 1902 beheimatet. Als 25. Filiale war damals an der Sögestraße/Ecke Pelzerstraße ein „Spezialhaus für Manufaktur-Waren“ eröffnet worden.
Doch schon bald erwies es sich als zu klein, bereits 1907 wurden Schuhe in einer Zweigstelle an der Obernstraße verkauft. Ein Zustand, der sich im Laufe der Jahre trotz mehrfacher Umbauten nicht besserte. Schon seit langer Zeit sei das alte Haus zu klein gewesen, teilte die Geschäftsführung zur Begründung des Neubaus mit, „zu eng die Räume für die Ware, für die Käufer und für uns selbst“.
Kurz vor Ausbruch der Weltwirtschaftskrise begannen deshalb die Planungen für den großen Wurf. Dabei hatte Karstadt eine Art Arrondierung rund um den schon vorhandenen Immobilienbesitz an der Obern- und Sögestraße im Sinn. Der gesamte Häuserblock zwischen Obernstraße, Sögestraße und Große Hundestraße bis zur Kreyenstraße wurde aufgekauft und ohne viel Federlesens dem Erdboden gleichgemacht. Nur einige wenige Häuser wurden noch geschäftlich genutzt und erhielten deshalb eine Gnadenfrist.
Die Eröffnung ließ auf sich warten
Doch ganz so zügig wie erhofft ließ sich der Neubau dann doch nicht verwirklichen: Die Weltwirtschaftskrise machte Karstadt einen dicken Strich durch die Rechnung. Fürs Stadtbild hatte die Auszeit betrübliche Folgen. An der Obernstraße klaffte jahrelang eine große Lücke in der Häuserreihe, anderswo auf der vorgesehenen Baufläche sprießte „allerhand wilde Vegetation“, wie die Bremer Nachrichten pikiert anmerkten. In der Stadt entbrannte eine heftige Debatte um die Zukunft der Brachfläche. „Viele Fragen wurden laut, was dort wohl noch werden sollte“, so die Bremer Nachrichten im Rückblick.
Erst im Frühjahr 1931 rückten nach zweijährigem Stillstand endlich die Bagger an. Nach Plänen der Bremer Architekten Heinrich Wilhelm Behrens und Friedrich Neumark entstand innerhalb Jahresfrist ein gewaltiger moderner Bau aus Eisenbeton. Insgesamt sechs Verkaufsgeschosse luden zum Bummeln ein, acht Rolltreppen und fünf Aufzüge setzten neue Maßstäbe. Für viel Aufsehen sorgte die wuchtige Sandsteinfassade mit ihren Leuchtsäulen. Kaum weniger Bewunderung wurde dem riesigen Dachgarten zuteil. Viel Eindruck machte auf die Zeitungsjournalisten auch „der mächtige Lichthof, der fast die Hälfte des ganzen Innenraumes einnimmt“.
Als sich die Vollendung des Neubaus abzeichnete, schlug die Stunde der Marketing-Abteilung.
Bereits im Januar 1932 hatte Karstadt seine Kunden mit Sonderangeboten ins alte Warenhaus gelockt. Am 31. Januar 1932 dann eine erste ganzseitige Anzeige in den Bremer Nachrichten: „Totalausverkauf wegen Verlegung des Geschäfts“ hieß es da in großen Lettern, kein Stück alter Ware wolle man mit in den Neubau nehmen. Die selbstsichere Einschätzung: „Das hat Bremen noch nicht erlebt!“
Je näher der Tag der Eröffnung rückte, desto stärker zog die Werbekampagne an. Mit zahlreichen klein- und großformatigen Anzeigen forcierten die Strategen den Ausverkauf des alten Hauses. „Wir müssen raus! Die Ware muß raus!“ sprang es den Zeitungslesern am 7. Februar ins Gesicht.
„Ein Haus für Alle, ein Haus für Alles“
Zwei Tage vor der Eröffnung eine weitere ganzseitige Anzeige, die vor Selbstbewusstsein nur so strotzte. Es spricht für die Marketing-Strategie von Karstadt, dass man sich in Transparenz versuchte.
Ein geschickter Schachzug angesichts der Kritik am langen Baustillstand während der akuten Phase der Weltwirtschaftskrise, aber auch angesichts spürbarer Vorbehalte gegen das moderne Kaufhauswesen überhaupt. „Warum Gross-Warenhaus?“ lautete die Überschrift. Die Erklärung: „Weil Sie alles bei uns in einem Hause schnell, gut und praktisch kaufen können.“ Der griffige Slogan lautete kurz und knapp „Ein Haus für Alle, ein Haus für Alles“.
Freilich entbehrte es nicht einer gewissen Komik, wenn ausgerechnet die so mitteilsamen Werbestrategen verlauten ließen, nicht Worte, sondern Leistung solle überzeugen. Amüsant auch eine Kehrtwende in der Kundenansprache. Wurde doch jetzt dringend dazu geraten, mit den Einkäufen bis zur Eröffnung abzuwarten. Nur wenige Tage zuvor war der Kunde noch aufgefordert worden, seine Chance beim Totalausverkauf nicht zu verpassen.
Dass Karstadt weit mehr als nur auf die Bremer Kundschaft abzielte, lag auf der Hand. In den Anzeigen war vom „Großwarenhaus Norddeutschlands“ die Rede, eine Grafik veranschaulichte sogar, woher die Kundenströme fließen sollten: unter anderem aus Cloppenburg, Nienburg, Rotenburg und Oldenburg.
Den Verkehrsinfarkt am Eröffnungstag provozierte Karstadt denn auch geradezu mit dem Angebot kostenloser Fahrgelegenheiten aus dem näheren Umland. Aus Achim, Tarmstedt, Delmenhorst, Syke und Wildeshausen wurde die potenzielle Kundschaft nach Bremen gekarrt.
Den Erfolg des Eröffnungstages kostete Karstadt gründlich aus
Den Erfolg des Eröffnungstages kostete Karstadt gründlich aus. „Einfach fantastisch und nicht zu übertreffen“, so das Eigenlob in den Bremer Nachrichten. Das sei das einstimmige Urteil aller gewesen, die dem neuen Warenhaus in den ersten Stunden einen Besuch abgestattet hätten.
Mittendrin im Trubel befand sich Marie Böhne. Ob nur zu ihrem Vergnügen, darf allerdings bezweifelt werden: Die damals 37-Jährige arbeitete in der Damenkonfektion des Kaufhauses. Aus ihrem Nachlass stammt eine kleine Fotoserie, die den Massenansturm aus verschiedenen Perspektiven zeigt. „Vermutlich hat sie die Bilder alle selbst gemacht“, sagt ihre Großnichte Lieselotte Hoffmann.
Nach Kriegsende avancierte Marie Böhne zur Abteilungsleiterin der Damenkonfektion. Über 50 Jahre ist die resolute Frau bei Karstadt tätig gewesen – eine heute kaum noch denkbare, ungebrochene Berufsbiografie.
Ein Segen für sie, dass sie die gegenwärtige Karstadt-Krise nicht mehr miterleben musste.
von Frank Hethey