Vor 55 Jahren starb Ernst Rowohlt: Der erfolgreiche Verleger war ein gebürtiger Bremer / Als Jugendlicher Stammkunde bei Leuwer und Storm

Über den jungen Ernst Rowohlt heißt es, er habe bei jeder Gelegenheit gelesen. Auch unterwegs, weshalb er dem Zusammenstoß mit Laternenpfählen oft genug nur knapp entronnen sei. Was keineswegs allgemein bekannt ist: Der legendäre deutsche Verleger kam in Bremen zur Welt. Bei den Buchhandlungen Leuwer und Storm häufte er sehr zum Verdruss seines Vaters einen gewaltigen Schuldenberg von 4000 Reichsmark an.

Zahlreiche kulturell interessierte Bremerinnen und Bremer waren der Einladung des „Kaufmännischen Vereins“ gefolgt. Gast des Abends war der skandalumwitterte Autor Frank Wedekind, der nicht zuletzt durch Werke wie „Frühlingserwachen“ zum enfant terrible der kaiserlichen Gesellschaft geworden war. Spätestens als er zu dem Gedicht „Das Lied vom armen Kind“ kam, erhob sich unter den Zuhörern ein Raunen, das sich bei folgenden Zeilen zu einem (wahrscheinlich erhofften) Entsetzen steigerte:

Nun hört zum Schluß noch die Moral: Gebrechen sind oft sehr fatal, Sind manchmal eine Qual; Frau Poesie schafft ohne Graus Beneidenswertes Glück daraus, Sie schafft das Glück daraus. Dann schwillt der Mut, dann schwillt der Bauch, Und sei’s bei einer Jungfrau auch. – So ist’s der Menschheit guter Brauch.

Entrüstet verließen die meisten der Anwesenden die Räume des „Kaufmännischen Vereins“. Nicht so der damals knapp 18-jährige Ernst Rowohlt. Für ihn kamen die Sätze einem Erweckungserlebnis gleich. Sprach doch erstmals jemand das aus, was auch er in sich fühlte. „Er war der erste Dichter, den ich kennenlernte, der nach meinem Geschmack war.“ Über Nacht „wirft er seine Schüchternheit ab“ und beschließt, seinem Leben eine andere Richtung zu geben. Eben das zu tun, was er in sich fühlt, auch wenn dies unweigerlich zu Konflikten mit seinen Eltern führen muss.

Ernst Hermann Heinrich Rowohlt – nach übereinstimmender Meinung vieler seiner Zeitgenossen galt er als eine der letzten „imponierenden und originellen Verlegerpersönlichkeiten“ der Nachkriegszeit. Ja, für viele war sein Name „fast zum Synonym für Buchverleger schlechthin“ geworden. „Nach seinem Motto: ein Verbrauchsbuch ist wichtiger als ein Bibliotheksbuch [avancierte er nach dem Zweiten Weltkrieg] zum Vater des deutschen Taschenbuchs“. Dies verdankte er nicht zuletzt den von ihm ins Leben gerufenen RoRoRo-Ausgaben, jene im Maschinensatz auf Zeitungspapier gedruckten Romane. Zahlreiche internationale Schriftsteller, zu denen u.a. Hemingway, Faulkner oder auch Nabokov zählten, fanden durch ihn Eingang in die literarische Welt Deutschlands. Und letztlich verlieh Rowohlt der Rolle des Verlegers einen ganz neuen Inhalt. „Immer war er unbequem, denn immer musste man ihn für voll nehmen. Als Verleger und Mann der Öffentlichkeit war er der vielleicht bedeutsamste Nonkonformist der verwirrenden Zeitläufe zwischen Kaiser Wilhelm und Adenauer.“

Seine Geburtsstadt Bremen immer ein wichtiger Bezugspunkt

Zeitlebens blieb seine Geburtsstadt Bremen ein wichtiger Bezugspunkt für ihn. Hier, im kulturellen Umfeld der Stadt, fand er den Zugang zur Literatur und hier bildeten sich letztendlich jene Eigenschaften heraus, die ihn später zu jenem Solitär der deutschen Verlagswelt werden ließen.

Dabei war für den jungen Rowohlt der Schritt ins Verlagswesen alles andere als selbstverständlich. Lange hatte er Zweifel gehabt, ob seine Eltern diesen Wunsch akzeptieren würden.

Der am 23. Juni 1887 geborene Rowohlt wuchs in einer Familie des gehobenen Bremer Bürgertums auf.  Allmorgendlich, so heißt es, ritt sein Vater, Heinrich Rowohlt, vor Arbeitsbeginn durch den Bürgerpark, bevor er sein Büro an der Hutfilterstraße aufsuchte. „Mein Vater war Fonds- und Effektenmakler und telefonierte jeden Mittag beim Essen mit der Berliner Börse“. Auch besaß er eine ansehnliche Bibliothek, mit dessen Hilfe der junge Rowohlt die ersten Schritte in die Welt des Buches unternahm. „Denn in unserem Haus wurde viel gelesen – […] in der Hauptsache aus Hempels Klassikern und der Meyerischen Volksbücherei, einem Parallelunternehmen zu Reclams Universalbibliothek.“

Kultureller Bezugspunkt der Familie war aber ohne Zweifel Rowohlts Mutter, Anna Dorothea. „Die gesellschaftlich gewandte Frau beherrschte die Konversation“ und war sehr an einem Austausch mit den verschiedensten Bremer Kulturschaffenden  interessiert. Wen wundert es, dass der junge Rowohlt unter solchen Voraussetzungen die Begeisterung für die Literatur entdeckte.

Die Schuljahre als notwendiges Übel

Die Schuljahre waren für ihn hingegen eher ein notwendiges Übel denn ein Vergnügen. Der Lebenshunger des Jungen fand bei den Lehrern zumeist kein Verständnis. Das Gymnasium, welches er anfangs besuchte, musste er schon bald verlassen, nachdem er in Griechisch eine „Fünf“ erhalten hatte. Doch auch auf der Oberrealschule besserte sich sein Verhältnis zum Schulbetrieb nicht wirklich. „Zu unaufmerksam“, bescheinigten ihm die Lehrer. Und so wundert es nicht, dass er sich eine Gegenwelt schuf zu den enttäuschenden Schulerfahrungen. Sein zweistöckiges Elternhaus am Osterdeich 55 bot ihm hierfür idealen Raum. Und auch die elterlichen Besucher, zu denen Kapitäne zählten, verstanden es, ihn mit Geschichten und mitgebrachten exotischen Tieren in eine andere Welt zu locken.

Mit Telefonanschluss: Eintrag der Familie Rowohlt im Bremer Adressbuch von 1900. Quelle: Bremer Adressbuch

Mit Telefonanschluss: Eintrag der Familie Rowohlt im Bremer Adressbuch von 1900.
Quelle: Bremer Adressbuch

Letztlich sahen auch die Eltern ein, dass ein weiterer Schulbesuch für ihren Sohn sinnlos sei. Weil der Vater aber gleichfalls gerne seinen Sprössling in der eigenen Firma gesehen hätte, schickte er ihn am Ende der Untersekunda (also der 10. Klasse) zum Bankhaus Plump, um dort eine Lehre zu machen. Diese Zeit bei dem 1828 gegründeten Bankhaus muss für ihn eine harte Prüfung gewesen sein. Zählte es doch zu seinen Aufgaben, bei kleinen Handwerksmeistern und Ladenbesitzern fällige Wechsel einzutreiben. Für den noch recht schüchternen jungen Mann war dies alles andere als einfach, denn mehr als einmal wurde er dabei schwer beschimpft. Zuflucht und Halt suchte er auf seinen Wegen zur Arbeit in kleinen Reclam-Bändchen, die er stets bei sich trug. Laut Aussage von Altersgenossen war er mitunter so vertieft ins Lesen, dass er Zusammenstößen mit Laternenpfählen nur knapp entging.

Zugleich suchte er nun immer häufiger kulturelle Einrichtungen der Stadt auf und war bald Stammgast in der „Literarischen Gesellschaft“, dem Theater oder dem bereits genannten „Kaufmännischen Verein“. Gegen einen jährlichen Beitrag von 10,- RM bot dieser „Vorträge über handelswissenschaftliche, volkswirtschaftliche, geschichtliche und sonstige Themata, Unterricht zu äußerst mäßigem Honorar in der englischen, franz. und spanischen Sprache an…“

Durch einen Besuch in der Bremer Kunsthalle traf er eines Tages auf die berühmte Toulouse-Lautrec-Sammlung, welche sich im Besitz des Mäzens und Mitbegründers des „Insel-Verlags“, Walter von Heymel, befand. Die dort gesammelten Eindrücke vermittelten ihm eine Vorstellung „vom Lebenszuschnitt eines Verlegers“ und weckten in ihm den Wunsch einen vergleichbaren beruflichen Weg einzuschlagen.

Der junge Rowohlt als Stammkunde bei Leuwer und Storm

Um seinen immerwährenden Lesehunger befriedigen zu können, entwickelte er sich zu einem regelmäßigen Kunden der verschiedenen Bremer Buchhandlungen. Traute er sich anfangs nur in kleinere Geschäfte am Rande der Stadt, so wurde er bald zu einem Stammkunden bei Franz Leuwer in der Obernstraße und Johannes Storm am Wall, als er erkannte, dass dort ein Einkauf auf Kredit möglich war. Schon bald hatte er allerdings Schulden in Höhe von 4000,- RM angehäuft, die zähneknirschend von seinem Vater beglichen werden mussten.

Obwohl er sich mit seinen beiden Elternteilen gut verstand, hatte er zu seiner Mutter ein besonders enges  Vertrauensverhältnis. „Und als ich nun meine Lehre in einer Bremer Privatbank beendet hatte […] vertraute ich meiner Mutter an, dass ich keine große Meinung hätte, das Geschäft meines Vaters […] zu übernehmen, sondern viel lieber Buchhändler und am liebsten Verlagsbuchhändler werden würde.“ Wie von ihm erhofft, lehnte sie seinen Wunsch nicht ab, sondern konnte ihm zu seiner Überraschung auch noch einen Kontakt zu Anton Kippenberg, dem Geschäftsführer und Gesellschafter des Inselverlages in Leipzig, vermitteln.

Bremerinnen und Bremern wird der Name Kippenberg vor allem durch das Gymnasium an der Schwachhauser Heerstraße bekannt sein, dessen Namensgeber, August Kippenberg, der Vater von Anton Kippenberg war.

Und so verließ Rowohlt im Jahre 1907 Bremen, um in Leipzig beim dortigen „Insel-Verlag“ seine ersten beruflichen Schritte ins Verlagswesen zusetzen. Eine enge Verbindung zu seiner Heimatstadt Bremen blieb aber zeitlebens bestehen. Wiederholt  wurden auch Versuche unternommen, Rowohlt mit seinem Verlag an die Weser zu locken. „Herr Rowohlt, ziehen Sie doch mit ihrem ganzen Laden nach Bremen, wir machen Sie zum Ehrenbürger und dann sind sie steuerfrei.“

Rowohlt ging auf dieses in geselliger Weinlaune im Ratskeller ausgesprochene Angebot aber nicht ein. Trotz aller Verbundenheit blieb er dann doch lieber in Hamburg, wo er am 1. Dezember 1960 an den Folgen eines Herzinfarktes verstarb. Seine letzte Ruhe fand er auf dem Waldfriedhof in Volksdorf.

von Sönke Ehmen

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