Als kleiner Junge hörte der Autor öfter mal von seinen Eltern, sie seien „mal eben bei Ritscher“. Es dauerte eine Weile, bis er sich einen Reim darauf machen konnte. Gemeint war das gemütliche Lokal um die Ecke. Nun soll die Geschichte möglichst vieler Bremer Gasthäuser in einem neuen online-Lexikon dokumentiert werden. Zu finden ist es auf den Seiten von Bremen History.

„Peter, heute Abend sind wir mal eben bei Ritscher“, sagten meine Eltern zu mir, „und sind auch bald wieder da und du schläfst schön.“ Und dann entschwanden sie. Was wusste ich als Kind von Ritscher? Als wir ab 1950 in der Neustadt wohnten, war ich vier Jahre alt.

Hin und wieder besuchten wir Bekannte.  Aber was wollten meine Eltern so oft „bei Ritscher“? So allmählich wurde ich dann doch aufgeklärt: Das war eine Gaststätte um die Ecke. Wie und wann meine Eltern nach dem Besuch heimkamen, nun ja, da habe ich fein geschlummert.

Mein Vater war natürlich immer schwupps-di-wupps ausgehfertig. Unruhig lief er mit dem Hut in der Hand umher. Meine Mutter brauchte noch einen etwas längeren Aufenthalt im Badezimmer. Nun gut, der Weg von der Friedrich-Ebert-Straße zur Bachstraße 40/Ecke Lahnstraße war nicht weit. Dort brachte die Wirtin Auguste Huntemann den familiären Charakter in die Gaststätte. Sie kannte alle Gäste mit Namen und und hatte immer einen guten Schnack drauf. Sie war die Tochter des Gründers Ludwig Strate, der  1931 starb. Deshalb hieß die Gaststätte eigentlich auch  „Gasthaus Huntemann“. Sie leitete die Gaststätte bis 1952. Danach übernahm ihre Tochter Dorothee „Thea“ Ritscher die Gaststätte. Fortan sagte man, es sei die „Gaststätte Ritscher“ oder kurz „Bei Ritscher“.

Man kannte sich, man sprach miteinander, man duzte sich

Heute ist die Gaststätte zu einer Wohnung umgebaut. Der ehemals an der Lahnstraße gelegene Eingang ist zugemauert und man schuf einen neuen Eingang an der Bachstraße. Der Vereins-Mitteilungskasten ist immer noch vorhanden. Foto: Peter Strotmann

Heute ist die Gaststätte zu einer Wohnung umgebaut. Der ehemals an der Lahnstraße gelegene Eingang ist zugemauert und man schuf einen neuen Eingang an der Bachstraße.
Der Vereins-Mitteilungskasten ist immer noch vorhanden.
Foto: Peter Strotmann

Früher trank man zum Bier gerne noch ’nen Kurzen. Und mein Vater wird sich zu jedem Glas Bier bestimmt noch ein, zwei Kurze gegönnt haben. Während meine Mutter den Abend an zwei Bieren genippt hat. Aber hier war es gesellig. Man kannte sich, man sprach miteinander, man duzte sich. Einige Gäste spielten Karten. Auch kleine Speisen wurden serviert, wie belegte Brote, Frikadellen mit Kartoffelsalat, Bockwürstchen mit Senf. Geraucht wurde natürlich auch: Zigarren , Cigarillos, filterlose Zigaretten der Marke „Bahndamm Schattenseite“ (so der Spottname für schlechte Zigaretten vorzugsweise aus der DDR, deren Tabak auf der Schattenseite eines Bahndamms angebaut worden sein müsse), wie Gold-Dollar, Overstolz „Ofenholz“, Reval usw.

Aber was sollte man auch zu Hause machen? Das Fernsehen war in den 1950ern noch kaum verbreitet, Radio Bremen brachte ein Programm mit viel klassischer Musik. Zudem hatte man nach den schrecklichen 1940er Jahren wohl noch einen gewissen Nachholbedarf. Und zuhause alleine Bier zu trinken war (und ist) doch auch irgendwie öde.

Das Haus an der Bachstraße 40 hat schon eine lange Geschichte. Als es 1886 gebaut wurde, begannen hier die Felder und Wiesen. Die Lahnstraße war damals ein schmaler Fußweg, auf dem die Hühner von Ludwig Strate umher spazierten, der hier eine Gaststätte und ein Kolonialwarengeschäft eröffnete. Die Gaststätte „Zur ländlichen Erholung“ war dermaßen beliebt, dass das Kolonialwarengeschäft 1910 aufgegeben und die Gaststätte vergrößert werden konnte. Irgendwann in den 1980ern setzte das sogenannte Gaststättensterben ein und auch die „Gaststätte Ritscher“ schloss ihren Pforten. Dorothee Ritscher starb 1999 im Alter von 77 Jahren. Heute ist die Gaststätte zu einer Wohnung umgebaut.

Bei vielen Gaststätten beliebt als Werbung: die eigene Streichholzschachtel. Bildvorlage: Peter Strotmann

Bei vielen Gaststätten beliebt als Werbung: die eigene Streichholzschachtel.
Bildvorlage: Peter Strotmann

Gelegentlich gingen meine Eltern auch in das 1950 in den Behelfsbauten der Lahnstraße 75a eröffnete „Lahnstübchen“. Dort mochten sie aber den Wirt und die Wirtin nicht. „Die kriegen den Mund nicht auf“, und auch die Gäste waren nicht nach ihrem Geschmack: „Sitzen doof vor ihrem Bier“. Diese Kneipe ist heute Teil einer Buchhandlung.

Eine lange Reise durch die Gasthäuser Bremens

1961 eröffneten zur anderen Ecke herum die „Kornstuben“ an der Ecke Kornstraße/Kantstraße. Auch dieses Lokal ist zu einer Wohnung rückgebaut worden.

Mit diesem Erlebnisbericht über die Kneipenbesuche meiner Eltern in den Neustädter Gasthäusern soll eine lange Reise durch die „Gasthäuser Bremens – einst und jetzt“ beginnen. Wobei unter Gasthäuser alles zu verstehen ist, wo man Gast ist: Gaststätten, Cafés, Restaurants, Ausflugslokale, Tanz-Etablissements, Bierstuben, Lokale, Kneipen etc.

Es soll ein Lexikon der Bremer Gasthäuser werden. Jedes Gasthaus wird gekennzeichnet mit einem Stadtteilschlüssel und dem Straßennamen. Damit ist der Standort auch bei wechselnden Besitzern und Gasthausnamen festgelegt.

Auf geht’s.

21, Neustadt: Bachstraße 40
Name: Zur ländlichen Erholung, Gaststätte Huntemann, Huntemanns Gaststätte (unter den Stammgästen: Bei Ritscher)

Art: Gaststätte

Inhaber: Ludwig Strate (1886 bis 1931); Auguste Huntemann, geb. Strate (1931 bis 1952); Thea Ritscher, geb. Huntemann (ab 1952)    

von/bis: 1886 bis 1986

von Peter Strotmann

Waren gern gesehene Gäste im Lokal von Dorothee „Thea“ Ritscher: die Eltern von Peter Strotmann. Das Lokal an der Bachstraße 40 in der Neustadt schloss in den 1980er Jahren seine Pforten. Bildvorlage: Privat

Waren gern gesehene Gäste im Lokal von Dorothee „Thea“ Ritscher: die Eltern von Peter Strotmann. Das Lokal an der Bachstraße 40 in der Neustadt schloss in den 1980er Jahren seine Pforten.
Bildvorlage: Privat

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