Jung, aber mit viel Geschichte
50 Jahre
Universität Bremen
50 Jahre sind seit der Gründung der Universität Bremen vergangen. Auf dem Weg von der vermeintlichen roten Kaderschmiede zur Exzellenzuniversität ist viel passiert: Wir haben den ersten sowie den aktuellen Rektor interviewt und mit Absolventen gesprochen – zu denen auch Bürgermeister Andreas Bovenschulte gehört. Zudem hat uns ein Architekt über den Campus begleitet. Das Magazin der Reihe WK | Geschichte gibt es ab 18. September in den Kundenzentren des WESER-KURIER, im Buch- und Zeitschriftenhandel, online unter www.weser-kurier.de/shop und unter 0421 / 36 71 66 16.
Zum Weltfrauentag am 8. März: Carl Bulling leistete Pionierarbeit für die Gleichstellung der Frauen
Mit geradezu biblischem Zorn zog der Geheime Justizrat Carl Bulling über die Eheparagrafen im Entwurf des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) her. Dass die Frau den Mann als Vormund akzeptieren sollte, obwohl sie weder hilfsbedürftig noch handlungsunfähig war, betrachtete er als Ungeheuerlichkeit. Kaum weniger echauffierte sich Bulling über die vorgesehene Benachteiligung der Frau als Mutter. Im Elternrecht werde sie nicht besser behandelt als ein Vater, der wegen Trunksucht entmündigt sei, polterte Bulling in seinem Hauptwerk „Die deutsche Frau und das bürgerliche Gesetzbuch“ (1896).
Dabei ging es keineswegs um juristische Spitzfindigkeiten. Vielmehr handelte es sich um die drängende Frage, welche Rechtsstellung die Frauen künftig haben sollten. Entzündet hatte sich der Streit, als 1895 der zweite Entwurf für ein neues Zivilgesetzbuch zur Diskussion stand, eben des BGB.
Die Eheparagrafen waren win wichtiger Bestandteil des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB): Im August 1896 wurde es per Reichsgesetzblatt verkündet.
Quelle: Wikimedia Commons
Bis dahin galten Frauen rechtlich als Menschen zweiter Klasse, sie waren dem Mann in praktisch jeder Hinsicht zu Gehorsam verpflichtet. Aus dem Widerstand gegen die Kodifikation angeblich uralten Rechts schöpfte die noch junge Frauenbewegung ihre Kraft.
Wichtige Schützenhilfe leistete mit Bulling ausgerechnet ein Mann. „Das Spannende ist, wie er seine Reformforderungen begründet hat“, sagt Alexander Ihlefeldt, Verfasser einer im Sommer 2020 publizierten Werkbiografie über den „Vordenker der Gleichberechtigung“, wie es im Untertitel heißt. Unter den Rechtsgelehrten herrschte Einigkeit darüber, dass es eine lange Kontinuität weiblichen Gehorsams gebe. „Das sollte schon im römischen und germanischen Recht so gewesen sein“, so Ihlefeldt, inzwischen Rechtsanwalt in Wolfsburg.
Doch der juristische Außenseiter Bulling widersprach den Koryphäen seiner Zeit. Und das, obgleich er kein Lehrstuhlinhaber war. Sondern nur ein kleiner, bereits pensionierter Richter. „Bulling konnte nachweisen, dass es im klassischen römischen Recht gar keine Gehorsamspflicht gab“, sagt Ihlefeldt über den Gegenstand seiner Doktorarbeit. Nicht nur die männliche Eheherrschaft stellte Bulling in Frage, er plädierte auch für Gütertrennung und forderte, Vergewaltigung in der Ehe zu bestrafen.
Kein Wunder, dass die streitbaren Frauen voll des Lobes über Bulling waren. Neben Marie Stritt, Mitinitiatorin der Anti-BGB-Protestkampagne „Frauen-Landsturm“, feierte ihn auch die juristisch beschlagene Marie Raschke als „unseren treuen Mitkämpfer“. Und doch verschwand der Frauenrechtler nahezu spurlos von der Bildfläche. Fast ein Jahrhundert war Bulling mehr oder weniger vergessen.
Ein bitteres Schicksal für den Mann, der vor den Toren Bremens in Falkenburg aufgewachsen war, damals Verwaltungssitz des Amts Ganderkesee. In zweifelhafter Erinnerung blieb nur sein Vater Gerhard Bulling, als Amtmann langjähriger Verwaltungschef des oldenburgischen Distrikts. Bis heute hängt ihm wohl zu Unrecht der Ruf eines Despoten und „widernatürlichen“ Lüstlings nach, man bezichtigte ihn der Sodomie. Mit Schimpf und Schande wurde er im Revolutionsjahr 1848 aus dem Amt gejagt, seine letzten Jahre verbrachte er in Bremen.
Arbeitete eng mit Carl Bulling zusammen: die Frauenrechtlerin Helene Lange.
Quelle: Wikimedia Commons
Eine Bremer Vergangenheit hat auch sein Sohn. Zusammen mit dem späteren Reichstagsabgeordneten Heinrich von Langerke besuchte er die Gelehrtenschule im Kapitelhaus am Dom, Vorläufer des Alten Gymnasiums. An der Weser blieb Carl Bulling bis 1842, als er mit Langerke ein Studium der Rechte in Jena begann. Vom Wunsch beseelt, eine wissenschaftliche Karriere einzuschlagen, kehrte der junge Bulling 1846 kurzzeitig ins Amt Ganderkesee zurück. Doch der Skandal um seinen Vater ruinierte seine Berufspläne. Nicht als Professor, sondern als Richter verdiente Bulling fortan sein Brot.
Seine Jahre als Richter vergingen, ohne dass Bulling irgendwelche Schriften veröffentlichte. Und dann kurz nach seiner Pensionierung 1893 eine Leistungsexplosion. Sein 70. Lebensjahr hatte er schon überschritten und lebte nun in Berlin, als er unversehens zum juristischen Bannerträger der Frauenemanzipation wurde. Über die Gründe lässt sich nur spekulieren. Ein pekuniäres Motiv könnte die Nervenkrankheit seiner Frau gewesen sein, für ihren Aufenthalt in einem Sanatorium brauchte er mehr Geld als seine Pension hergab.
Womöglich spielte auch seine Bekanntschaft mit der Familie der Frauenrechtlerin Helene Lange eine Rolle. Bei ihrem Großvater in Oldenburg hatte er einst als junger Mann gewohnt. Nun arbeitete er mit der Enkelin eng zusammen. Für ihn selbst bedeutete sein Einsatz als Frauenrechtler eine späte Genugtuung. War seine wissenschaftliche Karriere auch gescheitert, so konnte er sich jetzt doch noch beweisen. Eines ist jedenfalls klar: Die aufbegehrenden Frauen brauchten männlichen Beistand, konkret: Rechtsbeistand, weil ihnen selbst der Zugang zu den Universitäten verwehrt war und sie daher keine ausgebildete Juristin in ihren Reihen hatten.
Viel Staub aufgewirbelt
Nur vier Jahre hat Bulling sich für Frauenrechte stark gemacht. Doch in dieser kurzen Zeitspanne von 1895 bis 1899 wirbelte er reichlich Staub auf. Als Meilensteine im Kampf um Gleichberechtigung gelten seine Werke „Die Rechte der unehelichen Kinder“ (1895) und sein Opus Magnum, „Die deutsche Frau und das bürgerliche Gesetzbuch“ (1896). Dabei blieb die Debatte keineswegs auf die Fachwelt beschränkt. In der damals überregional bedeutenden Zeitung „Hamburgischer Correspondent“ legte er sich mit seinem konservativen Widerpart Hermann Jastrow an.
So plötzlich Bulling in Erscheinung getreten war, so plötzlich tauchte er auch wieder ab. Bereits zu Lebzeiten verstummte der streitbare Frauenrechtler, nach 1899 war nichts mehr von ihm zu hören. Rückblickend war sein Kampf vergebens, das BGB mit seinem patriarchalischen Ehe- und Familienverständnis wurde 1896 im Reichstag verabschiedet und trat am 1. Januar 1900 in Kraft.
Gleichwohl blieb Bulling optimistisch. „Unsere Hoffnungen werden aber auferstehen und sich verwirklichen“, tröstete er seine Mitstreiterin Raschke. Das taten sie denn auch, wenngleich mit einiger Verzögerung. „Bulling und die Frauenbewegung waren ihrer Zeit 60 Jahre voraus“, sagt Ihlefeldt mit Blick auf die gesetzlich erst 1957 verankerte Gleichberechtigung von Mann und Frau.
Bulling selbst war es allerdings nicht mehr vergönnt, die Fortschritte der Gleichberechtigung noch mitzuerleben, etwa die Einführung des Frauenwahlrechts in der Weimarer Verfassung von 1919. Er starb im Alter von 87 Jahren am 26. März 1909 in Berlin.
Kämpften für Frauenrechte, brauchten aber männliche Hilfe (von links): Anita Augspurg, Marie Stritt, Lily Braun, Mina Cauer und Sophia Goudstikker im Jahre 1895.
Quelle: SZ Photo