Die Konsumgenossenschaft „Vorwärts“: Zentrale Versorgung für den kleinen Geldbeutel

Althergebracht wurde die Bevölkerung aus vielen kleinen Verkaufsläden „um die Ecke“ mit Lebensmitteln versorgt, wie mit Obst und Gemüse, Milch und Kolonialwaren sowie handwerklich hergestellten Erzeugnissen aus Bäckereien und Schlachtereien.

Doch die Bevölkerung Bremens war rasant angestiegen. Sie hatte 1875 die Grenze von 100.000 Einwohnern bereits überschritten und 1911 wurden in der Stadt über 250.000 Einwohner gezählt. Da reichte die kleinteilige, dezentrale Lebensmittel-Versorgung in den neu entstandenen Stadtvierteln nicht mehr aus. Zu der Zeit kam die zentrale Versorgung auf, wie durch die Konsumgenossenschaft „Vorwärts“.

Die Konsumgenossenschaft „Vorwärts“ wird 1906 gegründet

In Gewerkschaftskreisen war man außerdem der Auffassung, dass die Verbraucher durch die kleinteilige Art der Grundversorgung in Preis und Qualität vom Einzelhandel übervorteilt würden. Deshalb gründeten die Gewerkschaften in Bremen im Jahre 1906 die Konsumgenossenschaft „Vorwärts“.

Werbung für die Konsumgenossenschaft „Vorwärts“, kurz Konsumverein,
und die GEG, um 1930.
Quelle: Staatsarchiv Bremen

Damit standen sie in Konkurrenz zum Einzelhandel. Mitglied in einem Konsumverein konnte man werden als Aktionär mit Anteilen von 150 Mark oder als Sparmitglieder. Die konnten sich von der Rückvergütung von drei Prozent auf die jährliche Einkaufssumme mit drei Mark jährlich eine Mitgliedschaft erwerben. 1912 entstanden ein Warenlager und ein Bürohaus. 1921 nahm die Genossenschaft die Fleisch- und Wurstproduktion auf und betrieb eine Mühle und eine Kaffeerösterei. Ein Großteil der Waren wurde von der Großeinkaufsgesellschaft deutscher Konsumvereine (GEG) bezogen.

Nachdem das Projekt „Binnenwasserstraße in der Neustadt“ im Jahre 1910 aufgegeben war, wurde die Brückenstraße von der Neustadtscontrescarpe bis zur Neuenlander Straße verlängert. Ab 1925 hieß das Straßenstück dann Rathenaustraße. Übrigens: Nach dem Zweiten Weltkrieg, bekam der gesamte Straßenzug den Namen: Friedrich-Ebert-Straße.

Ab der Gastfeldstraße/Pappelstraße ließ die Wohnungsbaugenossenschaft (Bauhütte Hansa in Bremen, heute GEWOBA) Anfang der 1930er Jahre Wohnbauten mit Klinkerfassaden im Stile der Bauhaus-Architektur errichten.

Die Konsum-Verkaufsstelle in der Neustadt wird eröffnet

Schon im Vorgriff darauf eröffnete die Konsumgenossenschaft „Vorwärts“ im Jahre 1928 an der Ecke Rathenaustraße/Gastfeldstraße eine Verkaufsstelle. Im Eckhaus (auf dem Bild rechts) gab es die Spirituosen und Kolonialwaren, im Hauseingang (links) waren Fleisch und Wurstwaren zu haben. Heute sind die Verkaufsflächen zusammengelegt und „Penny“ betreibt dort ein Lebensmittel-Verkaufsgeschäft.

Bereits im Jahre 1930 hatte die Genossenschaft 30.000 Mitglieder, 72 Warenverteilstellen, 39 Fleisch- und Brotläden. In der NS-Zeit wurde der Betrieb der Konsumgenossenschaft „Vorwärts“ 1935 untersagt und in die „Verbrauchergenossenschaft Bremen GmbH“ überführt.

Innenansicht der Verkaufsstelle der Konsumgenossenschaft „Vorwärts“ im Jahre 1958 im Eckhaus Friedrich-Ebert-Straße/ Gastfeldstraße.
Das war ein Tante-Emma-Laden mit Tresenbedienung.
Quelle: Staatsarchiv Bremen

Nach dem Zweiten Weltkrieg lebte die Konsumgenossenschaft „Vorwärts“ wieder auf. Und es fand sich eine ähnliche Begeisterung wie vor Jahrzehnten. Nach und nach wurden die von den Luftangriffen verschont gebliebenen Verkaufsstellen wieder aktiviert und auch neue gebaut. Im August 1957 gab es schon wieder 100 Verkaufsstellen. Ein historisches Foto der Verkaufsstelle im im Eckhaus Friedrich-Ebert-Straße/Gastfeldstraße verrät, wie man sich den Geschäftsbetrieb vorstellen muss: Das war ein Tante-Emma-Laden mit Tresenbedienung.

Der Zeitzeuge Peter S. berichtet:

Der Einkauf

Im September 1950 zogen meine Eltern in eine Wohnung an der Friedrich-Ebert-Straße. Das nächstgelegene Lebensmittelgeschäft war der Konsum. Meine Mutter hielt ihren Einkaufszettel in der einen und mich an der anderen Hand. So betraten wir den Konsum-Laden. Alle Schüttgüter waren lose in den Schubladen. „Ein Pfund Mehl, bitte“, sagte meine Mutter. Das Mehl wurde mit einer kleinen Schaufel in eine Papiertüte gefüllt und abgewogen. So wurde der Einkaufszettel abgearbeitet. Finanzielle Luft für irgendwelchen „Schnakkelkram“ war nicht da. Und so unterblieb das. Ab Mitte der 1950er Jahre stand gegen Ende des Winters mitten im Kundenraum ein Verkaufsstand mit Blutorangen aus den Mittelmeerländern. Da konnte man sich die schönsten und dicksten selbst aussuchen. Das durfte ich ausgiebig tun. Da hatten wir wohl alle noch einen Nachholbedarf.

Unsere kleine Walther-Handkurbel-Rechenmaschine,
Baujahr 1931.
Quelle: private Leihgabe

Die Rückvergütung

Das eigentliche Erwachen begann im neuen Jahr. Wir waren auf die Werbung hereingefallen. Man hatte uns für drei Prozent Rückvergütung in den Laden gelockt. Und dafür hatten wir fast alle Einkäufe im Konsum gemacht. Jetzt hieß es, aus allen gesammelten Bons eines Tabelle zu erstellen und die Gesamtsumme der Einkäufe im Kalenderjahr zu ermitteln.

Mein Vater addierte, meine Mutter addierte und später addierte ich auch noch: Es gab drei unterschiedliche Resultate. Also noch einmal von vorn. Wir hatten drei neue Resultate. Mein Vater hatte irgendwann die Nase voll und schrieb entnervt eine Summe hin… und davon drei Prozent. Und wir mussten für die Mitgliedschaft 50 Mark hinterlegen. Das wurde über fünf Jahre von der Rückerstattung gemacht. Jetzt mussten nur noch die Bons packenweise zusammen gehalten werden.Das machten wir mit Stecknadeln. Ob in der Zentrale das wohl irgendwer und irgendwann nachgerechnet hat…?

Das Pfund

Ich erinnere mich daran, wie wie schwungvoll meine Mutter das Zeichen für das Pfund schreiben konnte. Diese Gewichtseinheit von 500 Gramm wurde fast ausschließlich verwandt, und zwar sowohl in Teil- und als auch in Mehrfachmengen. Auch heute noch benutze ich das „Pfund“ gelegentlich in meiner Alltagssprache, vor allem bei Lebensmitteln.

Friedrich-Ebert-Straße 146 bis 150: In den Räumen ehemaligen des Konsum-Ladens und im Erdgeschoss des Nachbarhauses befindet sich heute (2018) ein Penny-Lebensmittel-Discounter.
Foto: Peter Strotmann

Aus dem Konsum wird „co op Bremen“

Aber die Zeit blieb nicht stehen: Ende 1957 eröffnete die Konsumgenossenschaft „Vorwärts“ den ersten Selbstbedienungsladen. In den Bremer Tageszeitungen werden jetzt auch Anzeigen geschaltet. Das einprägsame Logo lautete: KGV-Laden. Auch die Verkaufsstelle an der Ecke Friedrich-Ebert-Straße/Gastfeldstraße wurde Mitte der 1960er in einen Selbstbedienungsladen umgebaut. Dort betreibt heute der Discounter „Penny“ ein Lebensmittel-Verkaufsgeschäft.

1959 schlossen sich die Konsumgenossenschaften Bremen, Bremerhaven und Oldenburg zur „co op Bremen“ zusammen. Ende der 1970er Jahre kam es noch zu einer Fusion der „Brema“ Kolonialwarenverkauf und der „Comet“ GmbH und – um es abzukürzen: Es mündete in der co op AG mit Sitz in Frankfurt. In einem der größten Wirtschaftsskandale der Nachkriegsgeschichte wurde der Konzern im Jahre 1989 zerschlagen.

von Peter Strotmann

Eine zentrale Anlaufstelle für alle: Außenansicht der Verkaufsstelle der Konsumgenossenschaft „Vorwärts“ im Jahre 1958 im Eckhaus Friedrich-Ebert-Straße/Gastfeldstraße .
Quelle: Staatsarchiv Bremen

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