Vor 150 Jahren brach der deutsch-französische Krieg aus – mit spürbaren Folgen auch für Bremen
Der Krieg gegen Frankreich war kaum ausgebrochen, da wetzten auch schon die ersten Scharfmacher ihre Feder. Gegen die „prahlerische Selbstüberschätzung unserer rauflustigen Nachbarn“ zog am 16. Juli 1870 in ihrer Morgenausgabe die Weser-Zeitung zu Felde, damals das führende Blatt in Bremen. Am Abend feierte die Zeitung den Kriegsausbruch dann schon als Erlösung: Eine drückende Last sei den Deutschen von der Brust genommen, „ein frischer Hauch hat die peinigende, beengende Stimmung hinweggeweht“. Der Vorstand der evangelischen Diakonissenanstalt sekundierte: „Wenn das Vaterland ruft, bleibt Niemand zurück. Der Krieger giebt sein Blut, sein Leben!“
Noch wenige Tage zuvor hatte es so ausgesehen, als könnten sich die Spannungen zwischen Preußen und Frankreich friedlich lösen lassen. Auf Drängen des Preußenkönigs Wilhelm I. verzichtete der Hohenzollernprinz Leopold am 12. Juli auf seine Kandidatur für den spanischen Königsthron, damit war der Streitpunkt eigentlich vom Tisch. Erst als der französische Botschafter anderntags verlangte, Preußen möge den Verzicht für alle Zukunft schriftlich erklären, nahm das Unglück seinen Lauf. Der gerade in Bad Ems auf Kur weilende Wilhelm lehnte ab, sein Regierungschef Otto von Bismarck gab dem Telegramm – der „Emser Depesche“ – bei der Weitergabe an die Presse einen unnötig scharfen Unterton: Seine Majestät habe dem Botschafter „nichts weiter mitzuteilen“.
Für Frankreich eine Demütigung
Für Frankreich war die brüskierende Verlautbarung eine Demütigung, die Kriegserklärung ließ nicht lange auf sich warten. Per Extrablatt verkündete die Weser-Zeitung am frühen Nachmittag des 15. Juli den Beginn der Feindseligkeiten. Die Kriegsschuld wurde eindeutig der französischen Seite zugeschrieben. „Gott aber ist unser Zeuge, daß nicht wir den Krieg gewollt haben“, hieß es. Das kann man freilich auch anders sehen, immerhin hatte Bismarck den Hohenzollernprinzen ausdrücklich ermuntert, seinen Hut in den Ring zu werfen – wohlwissend, dass er damit einen Konflikt mit Frankreich heraufbeschwor. „Der Krieg, den die Depesche unvermeidbar machte, war Bismarcks Krieg“, schreibt der Historiker Heinrich August Winkler.
Als Freie Reichsstadt hatte Bremen lange Zeit ein unbehelligtes Eigenleben geführt, seit 1815 war Bremen sogar ein souveräner Staat im Deutschen Bund gewesen. Doch mit dem Beitritt zum preußisch dominierten Norddeutschen Bund 1867 war der Weg in das angestrebte neue Reich vorgezeichnet. Und nicht nur das, die Hansestadt war damit direkt am Krieg beteiligt, dem dritten und letzten der „Einigungskriege“ nach den bewaffneten Auseinandersetzungen mit Dänemark (1864) und mit Österreich (1866).
Eigentlich sollte man meinen, Bremen habe nichts zu befürchten gehabt, der Kriegsschauplatz war schließlich weit entfernt. Nach ersten Gefechten in Saarbrücken spielte sich das gesamte Kriegsgeschehen auf französischem Boden ab. Doch ganz so behaglich war es nicht, es drohte Ungemach von See – die gewaltige französische Panzerflotte machte sich auf den Weg in die Deutsche Bucht. Eilends wurden seit dem 19. Juli in der Wesermündung zahlreiche Minen verlegt und sogar 21 Schiffe als Sperre versenkt. Eine deutsche Marine war damals erst im Aufbau, zu Wasser konnte man den Franzosen kein Paroli bieten. Gegen die Blockade der deutschen Häfen war daher nichts zu machen.
Doch es ging nicht nur um eine Blockade, es hielten sich hartnäckige Gerüchte, an Bord der feindlichen Schiffe würden sich bis zu 50 000 Soldaten für eine Invasion bereithalten. Deshalb wurde das I. Hanseatische Infanterie-Regiment Nr. 75 flugs von seinem Standort in Stade nach Cuxhaven in Marsch gesetzt, eine Distanz von knapp 70 Kilometern. Dabei holten sich die frisch ausgestatteten Bremer Soldaten gleich die ersten Blessuren. „Die waren alle fußkrank wegen ihrer neuen Stiefel“, sagt Wilfried Drygala von der Militärgeschichtlichen Sammlung in der Scharnhorst-Kaserne. Blieb nur zu hoffen, dass die Helgoländer den Franzosen keine Lotsendienste anbieten würden. „Nehmet nicht den glänzendsten Judaslohn“, warnte in der Weser-Zeitung ein „deutscher Bruder von der Nordseeküste“.
Französische Straßennamen kein Freundschaftssymbol
Unterdessen eilten die deutschen Truppen in Frankreich im August 1870 von Sieg zu Sieg. Die Namen etlicher Schlachtorte haben sich bis heute im „Franzosenviertel“ in Schwachhausen erhalten. Die Orleans- , Dijon- oder Belfortstraße sind keineswegs als Bekundung der Völkerfreundschaft zu verstehen, vielmehr sollten sie die erfolgreichen Etappen der deutschen Offensive im kollektiven Gedächtnis erhalten.
Als der französische Kaiser Napoleon III. bei der Schlacht von Sedan am 1./2. September 1870 gefangen genommen wurde, schien der Krieg schon so gut wie gewonnen. Am Abend des 2. September seien in Bremen in allen Fenstern Kerzen entzündet worden, berichtet Bürgermeister Theodor Spitta in seinen Memoiren, „allgemein wohl in der Annahme, daß nun der Krieg beendet sei“. Doch wie auch später zu Beginn des Ersten Weltkriegs trog die Hoffnung auf einen kurzen, siegreichen Feldzug. Zwar implodierte das Kaiserreich binnen zweier Tage, doch die Führung der am 4. September proklamierten Dritten Republik dachte mitnichten daran, die Flinte ins Korn zu werfen.
Freilich schien es geraten, die Blockade der deutschen Küste vorerst abzubrechen. Für das tatendurstige, an der Küste stehende Infanterie-Regiment Nr. 75 war damit der Weg ins Kampfgebiet geebnet. „Von dort aus ging es direkt in den Einsatz“, zeichnet Drygala den Zug der Fünfundsiebziger nach, wie sie der Volksmund nannte. Besonders stolz war man an der Weser auf die entscheidende Rolle der beiden Bremer Bataillone in der Schlacht von Loigny und Poupry am 2. Dezember 1870. „Wären sie nicht hineingeworfen worden, wäre diese Schlacht verloren gewesen“, so der 79-Jährige. Wobei offenbar nicht allein Heldenmut entscheidend war. „In ihrer Ruhestellung froren die Soldaten entsetzlich, die waren froh, als sie sich bewegen konnten.“
Der Bewegungsdrang in Loigny kostete 32 Bremer Soldaten das Leben. Nach der Reichsgründung, die durch die Proklamation Wilhelm I. zum deutschen Kaiser am 18. Januar 1871 im Spiegelsaal von Versailles ihren sinnfälligen Ausdruck fand, neigte sich der Krieg dem Ende entgegen. Am 31. Januar trat ein 21-tägiger Waffenstillstand in Kraft, mit dem Vorfrieden von Versailles endeten am 26. Februar die Kampfhandlungen, der Friede von Frankfurt besiegelte dann am 10. Mai 1871 das Kriegsende. Im nationalen Taumel wurde Bismarck und Generalstabschef Helmuth von Moltke kurz danach die Ehrenbürgerwürde zuerkannt, am 15. Juni bescherte man den Bremer Kriegsheimkehrern einen triumphalen Empfang.
Insgesamt hatte das in Bremen stationierte 1. Bataillon der Fünfundsiebziger laut Herbert Schwarzwälder aber „immerhin 166 Tote zu beklagen“. Den gefallenen Bremern zu Ehren wurde im Dezember 1875 im Auftrag des Senats ein „Kriegerdenkmal“ in den Wallanlagen am Ansgaritor eingeweiht: ein fahnenschwingender Soldat, der über erbeutete Kriegstrophäen stapft. Das umlaufende Relief zeigte Szenen der Schlacht von Sedan, darunter standen allerdings nur die Namen von 58 umgekommenen Soldaten und einer Frau, der Krankenpflegerin Mathilde Meyer. Wenig sentimental zeigte man sich im Zweiten Weltkrieg: Als „Metallspende“ wurde das Monument im Juni 1942 kurzerhand demontiert und eingeschmolzen.
„Bremer Ehrentag“ im Bild
Von der Attacke der hanseatischen Regimenter in Loigny fertigte der seinerzeit bekannte Schlachtenmaler Emil Hünten später ein fünfeinhalb Meter langes und fast 2,80 Meter hohes Gemälde an. Eine private Initiative hatte im Dezember 1879 zu Spenden aufgerufen, um den „Bremer Ehrentag“ bildlich zu würdigen. Das Geld floss reichlich, insgesamt kamen 20 000 Goldtaler zusammen, damit konnte man Hünten angemessen entlohnen. Und der gab sich redlich Mühe, mit ausgewählten Veteranen besichtigte er sogar das Schlachtfeld.
Nach Einschätzung von Drygala gibt das Gemälde das Kampfgeschehen authentisch wieder, von Kriegsromantik könne keine Rede sein. Für die erste Angriffsreihe standen eine Anzahl Bremer Kombattanten Modell. „Bis auf einen sind alle namentlich bekannt, teils ließen sich namhafte Kaufmannssöhne porträtieren.“ Nach zweijähriger Arbeit war das Werk fertig, mit einem pompösen Holzrahmen versehen hing es ab 1884 in der Oberen Rathaushalle. Erst unter dem Eindruck des Zweiten Weltkriegs ließ Bürgermeister Wilhelm Kaisen (SPD) das Monumentalgemälde 1950 entfernen. In den 1970er-Jahren gelangte es in den Fahnensaal der Scharnhorst-Kaserne, dorthin soll es nach Ende der Gebäudesanierung Mitte September auch wieder zurückkehren.
Der deutsch-französische Krieg ist heute so ziemlich vergessen, er wird überlagert durch die beiden Folgekatastrophen des Ersten und Zweiten Weltkriegs. Dass die immense Reparationssumme, die Frankreich an Deutschland zu zahlen hatte, und die Abtretung von Elsass-Lothringen den Keim zu einem Revanchekrieg in sich trugen, sollte indes zu denken geben – beide Phänomene begegnen uns nach der deutschen Niederlage im Ersten Weltkrieg unter umgekehrten Vorzeichen wieder. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg fand die viel beschworene „Erbfeindschaft“ zwischen Frankreich und Deutschland ein Ende, die deutsch-französische Freundschaft gilt heute als Motor der europäischen Einigung.