Ein Klassiker von ehedem: das Mundwasser Sozodont. Quelle: Wikicommons

Ein Klassiker von ehedem: das Mundwasser Sozodont.
Quelle: Wikicommons

Ein Blick in die Geschichte (120): Bischofsnadel um 1880

Wer Bremen kennt, kennt auch die Bischofsnadel. Doch man muss schon zweimal hinsehen, um die Bischofsnadel auf dieser historischen Aufnahme von 1880 wiederzuerkennen. Aufgenommen ist das Foto aus dem exakt gleichen Blickwinkel wie das Sanders-Foto von 1946.

Das zeitgenössische Adressbuch weist die damalige Bischofsnadel als Wohn- und Geschäftsstraße aus, etliche kleine Ladenlokale reihten sich aneinander, darunter Tuch- , Zigarren- und Blumenhandlungen. Die beiden Eckgebäude gehören zur Straße Am Wall. Links ist die Nummer 169 zu sehen: die Blumenhalle von Johann R. Kroue, der ein weiteres Geschäft an der Obernstraße unterhielt. Gegenüber befindet sich das Friseurgeschäft von Wilhelm Rausch mit der Nummer 173.

Ein putziges Detail ist die Aufschrift „Sozodont“ an der Ladentür. Dabei handelt es sich nicht etwa um den Namen eines Untermieters, sondern um ein 1859 in Amerika erfundenes Mundwasser, dessen Bezeichnung sich aus dem griechischen „sozo“ für „sichern“ und „dontia“ für „Zähne“ zusammensetzt. Ein allzu vollmundiges Versprechen, wie sich kurz nach der Jahrhundertwende zeigte. Als sich die Hinweise verdichteten, dass der Gebrauch von „Sozodont“ früher oder später zu gelben Zähnen führte, verschwand das Hygienemittel aus den Regalen.

Für eine gewisse Verwirrung könnte der schemenhafte Domturm sorgen. Vor allem natürlich, weil der Dom sich nicht in seiner klassischen Doppelturm-Ansicht zeigt. Aber auch wegen der merkwürdigen Haube statt des spitzen Dachs. Des Rätsels Lösung: Die Dom-Sanierung kam erst acht Jahre nach Entstehung dieser Aufnahme in Gang. Bis dahin musste der Sakralbau mit nur einem Turm auskommen, dem Nordturm. Der Südturm war 1638 eingestürzt, der Nordturm 1656 durch einen Blitzeinschlag ausgebrannt. Seit 1767 krönte den Nordturm eine sogenannte welsche Haube, die erst 1893 durch ein Spitzdach wie im Mittelalter ersetzt wurde.

Ein sonderbar anmutender Straßenname

Die Bischofnadel am Ende: Wer durch die Gasse wandelte, kam nicht mehr weiter. Quelle: Wikicommons

Die Bischofnadel am Ende: Wer durch die Gasse wandelte, kam nicht mehr weiter.
Quelle: Wikicommons

Doch was hat es eigentlich mit dem etwas sonderbar anmutenden Straßennamen auf sich? Der rührt aus dem Mittelalter her, als Bremen noch ein Erzbistum und Bischofssitz war. Der enge Durchgang zur Stadtmauer war nicht für die Allgemeinheit gedacht, sondern exklusiv für den Erzbischof bestimmt – das alte Bischofstor sozusagen als Promi-Pforte. So jedenfalls die gängige Darstellung, tatsächlich nutzten auch die Bewohner des Dombezirks den Durchgang.

Doch damit war es im 16. Jahrhundert vorbei. Der genaue Zeitpunkt der Sperre ist unklar, meist wird das Jahr 1522 genannt, mitunter aber auch 1555. Ein Zusammenhang mit der Reformation erscheint naheliegend, frei nach dem Motto: keine Bischöfe, keine Pforte. Doch das ist ein Trugschluss, denn mit der Reformation erlosch das Erzstift Bremen keineswegs, es existierte unter protestantischen Oberhirten noch bis 1648 weiter.

In Wahrheit hat die Schließung des Durchgangs mit den Fortschritten in der Kriegstechnik zu tun. Die alte Stadtmauer war der Feuerkraft moderner Kanonen nicht mehr gewachsen, ein zusätzlicher Wall sollte Abhilfe schaffen. Damit nicht genug, wurde auch der schon vorhandene Wassergraben vertieft und verbreitert.

Ironischerweise ausgerechnet, um sich den neuen Erzbischof Christoph vom Hals zu halten. Als 24-Jähriger hatte der 1511 sein Amt angetreten und kaum einen Zweifel daran gelassen, dass er nicht so nachsichtig mit der Stadt umgehen würde wie sein Vorgänger. In den Mauern der Stadt residierten die Erzbischöfe zwar schon lange nicht mehr, pochten aber nach wie vor auf ihre landesherrlichen Rechte. Ab 1512 setzten die Bremer Bürger die Verstärkung ihrer Stadtbefestigung sukzessive in die Tat um, bis 1514 entstand auch der gewaltige Ostertorzwinger als vorgelagertes Festungswerk. Ein Stadttor wurde am alten Ausgang nicht mehr errichtet, seither war das Bischofstor passé und die Bischofsnadel nur noch eine Sackgasse.

Comeback nach 300 Jahren: das Bischofstor im Jahre 1820. Quelle: Wikicommons

Comeback nach 300 Jahren: das Bischofstor im Jahre 1820.
Quelle: Wikicommons

Wieder ein Bischofstor nach knapp 300 Jahren

Geöffnet wurde der Durchlass erst wieder, als man Ende des 18. Jahrhunderts eine Promenade hinter dem Befestigungsgürtel anlegte. Die Umwandlung der zwischenzeitlich modernisierten Stadtbefestigung in eine Parkanlage ab 1803 eröffnete dann nochmals neue Perspektiven: Ab 1814 führte eine Fußgängerbrücke von der früheren Bischofsnadelbastion in die Remberti-Vorstadt. Damit gab es nach knapp 300 Jahren wieder ein Bischofstor in Bremen.

Nach Plänen des damaligen Bauinspektors Friedrich Moritz Stamm wurde 1830 ein Torhaus errichtet, aber bereits 1838 durch eine ebenfalls von seiner Hand stammende, klassizistische Variante ersetzt. Sonderlich lange hat das Torhaus seinem Zweck allerdings nicht gedient, bereits 1848 landete die Torsperre im Zuge der revolutionären Erschütterungen auf dem Müllhaufen der Geschichte. Fortan hieß es: freier Zugang für alle ohne irgendwelche Schikanen und Schließzeiten. Noch im gleichen Jahr wurde das Torhaus als Ladenlokal verpachtet – eine Funktion, die es nach vorübergehendem Leerstand heute wieder erfüllt.

Nach der kompletten Zerstörung der Bischofsnadel im Zweiten Weltkrieg wurde 1948 erwogen, eine neue Straßenverbindung von der Altstadt ins Ostertor über die Bischofsnadel zu führen. Doch daraus wurde nichts, nach dem Wiederaufbau blieb die Bischofsnadel, was sie schon immer gewesen war: ein enger Durchgang, der seit 1969 durch einen Tunnel direkt mit den Wallanlagen verbunden ist.

von Frank Hethey

Und in der Ferne nur ein Domturm: Blick durch die Bischofsnadel um 1880. Bildvorlage: Bestand Herbert Fuß

Und in der Ferne nur ein Domturm: Blick durch die Bischofsnadel um 1880.
Bildvorlage: Bestand Herbert Fuß

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